Kapitel Vierzig

B lackstone führte Sancha Ferrandes zurück in ihre Zelle. Hier sah alles noch genauso aus wie an dem Tag, da er sie ins Kloster gebracht hatte. Die Kleidung, die Sancha bei ihrer Ankunft getragen hatte, lag ordentlich gefaltet auf dem Schemel. Sie selbst stellte sich neben das Bett und schlug die Augen vor dem narbengesichtigen Ritter nieder, der sie gerettet hatte und nun in der Tür stehen blieb.

«Die Schlacht ist also vorüber?»

«Ja. Trastámara wurde geschlagen.»

Sie nickte. «Damit habe ich gerechnet, nachdem der englische Prinz Don Pedro unter seinen Schutz gestellt hat.» Sie hob den Blick, und für einen Moment glomm Hoffnung in ihren Augen auf.

Blackstone verstand. «Don Pedro ist am Leben. Er hat sich kaum an der Schlacht beteiligt. Aber sein illegitimer Bruder ist entkommen.»

«Dann wird er vielleicht wiederkehren.»

«Nicht, ehe er eine neue Armee aufgestellt hat. Wir haben Tausende getötet.»

Sie sprach aus, was auch die Äbtissin bereits festgestellt hatte: «Und Ihr seid verwundet.»

«Genau wie meine Männer. Wir werden hier ein paar Tage rasten.» Er schaute sich kurz um und nickte. «John, bring es her.»

Sie hörte das Scharren von Stiefeln auf dem Gang, dann erschien John Jacob in der Tür. Der Knappe übergab Blackstone ein in eine Decke gewickeltes Bündel, dann verschwand er wieder. Blackstone legte das Bündel auf ihr Bett, schnürte es auf und breitete den Inhalt aus: Don Fernandos Schwert mit Scheide und Gürtel.

Er sah, wie sie schmerzlich das Gesicht verzog.

«Ihr habt ihn getötet?»

«Nein. Ich habe ihn gerettet, aber Don Pedro hat ihn ermordet. Euer Onkel war mein Gefangener. Ich wollte ihn zu Euch bringen.» Er beobachtete, wie sie zaghaft den mit Edelsteinen besetzten Gürtel berührte. «Es tut mir leid.»

«Er war der Letzte aus meiner Familie.»

«Ich habe seinen Leichnam mitgebracht, damit Ihr ihn hier bestatten könnt.»

Sie ließ sich ihren Schmerz kaum anmerken, sondern nickte nur und sprach mit leiser, gedrückter Stimme. Ihre kleinen Hände nahmen seine dreckverkrustete Hand und führten sie an ihre Lippen. «Ich danke Euch, mein Herr.» Sie trat zurück. «Ich werde die Mutter Oberin bitten, seinen Leichnam in eine Kapelle bringen zu lassen. Dann werde ich ihn waschen und für das Begräbnis herrichten. Und anschließend werde ich mich selbst um Eure Verletzungen kümmern, sofern Ihr es gestattet.»

Er nickte. Sie hatte nicht nach dem jungen Ritter gefragt, der sich um ihre Hand und ihren Grundbesitz bemüht hatte. Wollte sie nicht wissen, ob er überlebt hatte? Fürchtete sie, die Nachricht von seinem Tod nicht auch noch verkraften zu können? Oder bedeutete ihr die Aufmerksamkeit des ehrgeizigen Ritters nichts? Blackstone konnte die Antwort nicht erraten. Dass sie mit ihm nicht über den Mann sprach, konnte ebenso gut aus dem Wunsch entsprungen sein, das Leben des Ritters zu schützen. Blackstone hatte mit den Herolden gesprochen, ehe er von Nájera aufgebrochen war. Das Wappen des Mannes war nicht auf dem Schlachtfeld gesehen worden. Sollte er in der Schlacht mitgekämpft haben, so war er wohl lebend davongekommen.

 

Blackstone ging mit seinen Hauptleuten zwischen den Männern umher. Im warmen Schein weniger Laternen bereiteten sie ihr Nachtlager, entkleideten und wuschen sich, während andere Essen zubereiteten. Gruppen versammelten sich an den Lagerfeuern, durch die Klostermauern vor dem scharfen Nordwind geschützt. Meulons und Will Longdons Männer hatten ihre Pferde in einem Pferch untergebracht und Blackstones Ross in sicherer Entfernung angebunden, damit das streitbare Tier die anderen nicht verletzte.

«Ich persönlich mag Nonnen ja», bemerkte Killbere. Der alte Ritter stand neben einer Bank mit einem Eimer Wasser und einem Lappen darauf und bückte sich, damit Will Longdon ihm sein Kettenhemd auszog.

John Jacob half Blackstone aus dem Kettenhemd und reichte ihm dann sein Wams.

«Ich habe mein Wort gegeben, dass die Nonnen hier sicher sind.» Blackstone schlüpfte in das gefütterte Kleidungsstück. «Und auch die Novizinnen und überhaupt jede Frau hier. Die Hauptleute wissen das, Gilbert. Zwinge mich nicht, dich in Ketten zu legen», fügte er in scherzhaftem Ton hinzu.

Killbere nickte Longdon zu, als er von der Last des Kettenpanzers befreit war. «Danke, Will.»

«Das ist, als würde man eine verdammte Orange schälen, Sir Gilbert.»

Killbere entledigte sich seines schweißdurchtränkten Hemds. «Thomas, ich bin nicht derjenige, der um die Schönheit herumschleicht wie ein Raubtier im Wald. Das Einzige, was man mir vorwerfen kann, ist, dass die Frauen sich unwiderstehlich zu mir hingezogen fühlen. Ganz besonders die Nonnen. Habe ich dir eigentlich schon erzählt, wie –»

«Schon oft, Gilbert», unterbrach Blackstone.

«Gütiger Gott, Sir Gilbert, ich erinnere mich, diese Nonne, mit der Ihr das Bett geteilt habt –»

«Nicht nur das Bett, Will», fiel Killbere ihm ins Wort. «Es war nicht bloß Leidenschaft, was ich empfand, sondern auch Liebe. Ich hätte sie beinahe geheiratet.»

«Ja, ich erinnere mich. Sie war grottenhässlich», sagte der Bogenschütze.

«Schönheit liegt im Auge des Betrachters», versetzte Killbere achselzuckend. «Sie hatte eine Mitgift, Will, und das macht jede Frau schön. Ihre Familie hatte sie in die Obhut von Nonnen gegeben, weil sie von einem unstillbaren Verlangen nach geschlechtlicher Liebe getrieben war. Es überstieg beinahe meine Kräfte. Sie zu verlassen, war eine schwere Entscheidung. Sollte ich sie heiraten, sie aus dem Kloster holen und für wenige Jahre ein schönes Leben genießen, ehe ich der Erschöpfung zum Opfer falle, oder sollte ich anderswo mein Glück suchen mit der Aussicht, länger zu leben?»

«Ich bin froh, dass du so entschieden hast, Gilbert», bemerkte Blackstone. «Aber solange wir hier sind, tu, was immer nötig ist, damit die Nonnen deiner Anziehung widerstehen können.»

Killbere grinste und zuckte wiederum die Schultern, dann wischte er sich Brust und Arme mit dem ausgewrungenen Lappen ab. «Ich werde mich mit dem Gesicht zur Wand drehen, Thomas.»

«Damit bleibt uns allen einiges erspart», murmelte Longdon vor sich hin, während er zurück zu seinen Bogenschützen ging.

 

Blackstone vergewisserte sich, dass seine Männer Verpflegung hatten und ihre Wunden versorgt wurden, dann entließ er John Jacob und betrat die Kreuzgänge. Da und dort sah er zwischen den Säulen Schatten umherhuschen, hörte scharrende Schritte und Flüstern. All das stellte keine Bedrohung dar – es waren fromme Menschen auf dem Weg zum Gebet. Wahrscheinlich flehten sie zum Allmächtigen, die Krieger, die nun unter ihrem Dach und vor ihren Mauern weilten, möchten nichts anderes von ihnen wollen als Zuflucht und Pflege für ihre Verwundeten.

Blackstone war noch zwanzig Schritt vom Infirmarium entfernt, als einer der Schatten hinter einer Säule hervortrat. Im schwachen Licht erkannte er die Äbtissin. Sie verstellte ihm den Weg. Blackstone blieb abwartend stehen. Die alte Frau kam nicht näher. Die Hände hatte sie in die Ärmel ihres Habits geschoben.

«Ich habe erfahren, dass Ihr Thomas Blackstone seid», sagte sie.

«Der bin ich.»

«Ich habe Euch falsch eingeschätzt, Sir Thomas.» Jetzt machte sie ein paar Schritte auf ihn zu. «Ich hielt Euch für einen Barbaren. Nun hörte ich, dass die Juden in der Stadt Euren Namen in Ehren halten für das, was Ihr einmal für einen der ihren getan habt – den Mann, von dem Ihr mir erzähltet, den Arzt Halif ben Josef. Ihre Ältesten möchten Euch gern morgen hier begrüßen.»

«Von mir aus, aber jetzt muss ich mich um meine Verletzungen kümmern, etwas essen und schlafen.»

Er wollte an ihr vorbeigehen, doch sie hielt ihn mit erhobener Hand zurück. «Ich dulde diese Leute nicht innerhalb der Klostermauern.»

«Ich bin sicher, sie werden gern bereit sein, sich in den Ställen oder sonst wo mit mir zu treffen.»

Sie nickte. «Es freut mich, dass Ihr versteht.»

«Und Ihr solltet verstehen, Mutter Oberin, dass ich diese Leute treffen könnte, wo immer es mir beliebt, wenn ich das wollte. Ich bin als Gast hier, als zahlender Gast, und der alte Arzt hat damals meine Männer versorgt. Sie hegen keine Abneigung gegen seinesgleichen.»

«Eure Männer wollen nur Geld für das, was sie von den Toten gestohlen haben. Geldverleiher und Diebe gehen Hand in Hand.»

«Geldverleiher haben keine andere Wahl, als ihrem Gewerbe nachzugehen. Und meine Männer sind keine Diebe. Sie nehmen, was ihnen rechtmäßig zusteht, nachdem sie selbst ihr Blut vergossen haben. Haltet mir oder ihnen keine Predigten, sonst werdet Ihr erfahren, was wir von Leuten halten, die jene, die unseren Dank verdienen, verächtlich behandeln.»

Damit drängte er sich an ihr vorbei. Sie fasste ihn am Arm. «Ich stehe unter dem Schutz Gottes. Ich habe keine Angst vor Euch.»

Sie waren sich so nah, dass er im Schein der Laterne ihre Gesichtszüge erkennen konnte. Blackstone starrte die Äbtissin an. Schließlich sagte er ebenso leise wie eindringlich: «Das solltet Ihr aber.»

 

Sancha wartete bereits im Infirmarium. Mit der Hilfe von vier Novizinnen hatte sie den Leichnam des kastilischen Ritters für das Begräbnis hergerichtet, und nun war sie bereit, Blackstones Wunden zu behandeln. Auf dem Tisch hatte sie Verbände und Salben vorbereitet. Das Licht von Talgkerzen spielte im Deckengewölbe. Sie holte zwei Laternen herbei, während er sich auf die Tischkante setzte, dann forderte sie ihn auf, sein Wams und das Hemd abzulegen, damit sie seine Verletzungen untersuchen konnte. Der Schwertschlag gegen das Kettenhemd hatte eine offene Wunde an seinem Arm hinterlassen. Inzwischen war das Blut geronnen. Blutergüsse und Striemen von weiteren Schlägen, die er in der Schlacht abbekommen hatte, überzogen seinen Rücken, die Brust und die Arme. An der Seite hatte sich eine Messer- oder Schwertspitze durch das Kettenhemd gebohrt. Aus der Wunde sickerte Blut, als sie das Leinen ablöste, das daran klebte. Blackstone hatte sich auf dem Ritt zu ihr einen zusammengeknüllten Stofffetzen unter das Hemd gesteckt. Er war blutgetränkt.

Schweigend tauchte sie einen Lappen in den Kübel mit erhitztem Wasser und wusch ihn. Das Wasser verströmte einen adstringierenden Geruch, und als sie behutsam das eingetrocknete Blut abwusch, brannte es in den Wunden. Sie musste den Lappen mehrmals ausspülen, bis die Wunden sauber waren.

«Euer Arm und die Seite sollten genäht werden», sagte sie und sah ihm endlich ins Gesicht.

Er schüttelte den Kopf. «Ich hatte schon schlimmere Verletzungen. Säubert sie, gebt Kräuter oder was immer Ihr habt in die Wunden und verbindet sie.»

Sie nickte gehorsam. Dann nahm sie ein frisches Stück Leinen und wusch seinen Rücken, den Hals und den unverletzten Arm, rieb den Schmutz ab, der sich tief in die Haut gegraben hatte.

Er schloss die Augen, jede Berührung ihrer sanften Hände tat seinen schmerzenden Muskeln wohl. Schnell wie der Flug eines Pfeils fühlte er sich im Geiste in eine andere Zeit zurückversetzt, da er so schwer verwundet gewesen war, dass niemand geglaubt hatte, er werde überleben. Als sechzehnjähriger Bogenschütze war er damals vom Schlachtfeld von Crécy getragen und auf die Burg Harcourt gebracht worden. Dort hatte ihn die junge Frau gepflegt, die er vor der Schlacht gerettet hatte. Christiana. Das Mädchen, das später seine Frau wurde. Die Ehefrau und Mutter seiner Kinder, die ermordet worden war.

Blackstone schlug die Augen auf und schob die Vergangenheit von sich. Diese junge Frau, die ihn jetzt wusch, war ebenso zärtlich wie seine Erinnerung. Als die Wunde wieder zu bluten anfing, tupfte sie sie mit sauberem Leinen trocken, strich Salbe hinein und verband sie. Dann trat sie zurück. Das Waschen und Verbinden hatte einige Zeit in Anspruch genommen. In dem Wasserkübel schwammen blutige Lappen. Sie wischte sich die Hände ab. Die ganze Zeit hatte sie nicht von ihrer Arbeit aufgeblickt.

«Mehr kann ich nicht tun», sagte sie.

Er stand auf und fasste sie an den Armen. «Danke», sagte er. Er küsste sie auf die Stirn. Einen Augenblick zu lange. Verriet seine Gefühle.

Sie schlug die Augen nieder, spürte noch etwas anderes als Dankbarkeit von seiner Seite. Begierde. «Ich kann nicht», sagte sie. «Ich bitte Euch, zwingt mich nicht.»

Blackstone hob ihr Kinn an. «Ich habe Euch meinen Schutz zugesichert. Ich habe versprochen, dass Euch kein Leid geschieht», sagte er sanft. «Daran hat sich nichts geändert.»

Sie nickte und griff nach seinem Hemd, betrachtete es prüfend. Eine Ablenkung. Es zu waschen, würde nicht genügen. «Das hier sollte man verbrennen. Es stinkt nach Schweiß und ist ganz blutig. Habt Ihr noch ein anderes?»

«Ja.» Er zog sein Wams an.

«Was wird aus mir, nun, da Heinrich von Trastámara besiegt ist?»

«Als ich Don Fernando gefangen nahm, beabsichtigte ich, ihn herzubringen, damit er Euch auf Euren Grundbesitz in Frankreich eskortiert. Nun werde ich Euch selbst dorthin begleiten, sobald meine Männer und die Pferde wieder bei Kräften sind.»

Blackstone nahm sein blutiges Hemd und ging durch die Kreuzgänge zurück. Erinnerungen waren geweckt. Die Säulen warfen Schatten im Mondschein, die ihn begleiteten wie die Geister seiner Vergangenheit. Diesmal kamen die leise hallenden Schritte und das Geflüster nicht von Gläubigen auf dem Weg zum Gebet. Sie waren der Widerhall des Verlusts und der Trauer um geliebte Menschen, die ihm entrissen worden waren, und gefallene Kameraden. Und die bittere Erinnerung daran, dass er nicht besitzen konnte, was er begehrte.