B lackstone und die Männer nutzten die Zeit, um Kraft zu schöpfen. Wenn es einen Kampf geben sollte, würde er schon zu ihnen kommen. Inzwischen wurden Pferde versorgt, Schwerter, Äxte und Messer geschärft. Will Longdons und Jack Halfpennys Bogenschützen überprüften die Pfeile in ihren Pfeilsäcken. Bogensehnen wurden gewachst und Befiederungen ausgebessert. Als es Mittag wurde, hatte Louis de Roche bereits Henry und anschließend Blackstone seinen Dank ausgesprochen und das Packpferd beladen. Nun wartete er auf seine frisch angetraute Begleiterin.
Sancha Ferrandes von Kastilien kam die Stufen von ihrer Haustür herunter. Sie hatte ihr Haar zurückgebunden und mit einem eng anliegenden schwarzen Kopftuch bedeckt, darüber trug sie eine Gugel wie ein einfacher Mann. Auch ihre übrige Kleidung war schlicht bis auf einen dunkelblauen, bestickten Wappenrock mit dem Wappen ihrer Familie, dem schwarzen Greifen, der ein Schwert in den Klauen hielt. An ihrem Gürtel war die Scheide mit dem Messer befestigt, mit dem sie den Mordanschlag auf den spanischen König verübt und das Blackstone ihr später zu ihrem Schutz zurückgegeben hatte. Die Pferde für sie und Gautier de Fleur waren bereit. Der Franzose schnallte gerade seine Satteltaschen fest.
Der alte Priester verbeugte sich. Sancha nahm seine knotige Hand und küsste sie. «Père Éraste, wollt Ihr es Euch nicht noch einmal überlegen und mit uns kommen?»
«Meine Dame, Ihr wisst, dass ich das nicht kann. Euer Vater hat einst meine Kapelle gebaut. Er hat das Altarkreuz und den Reliquienschrein gestiftet. Ich bin ihr Hüter, und außerdem muss ich dafür Sorge tragen, dass Ihr bei Eurer Rückkehr alles in guter Ordnung vorfindet.»
«Und ich werde bald zurückkehren, das verspreche ich Euch.» Sie raffte ihr Gewand, stieg auf den Aufsitzblock und setzte sich rittlings aufs Pferd. «Und denkt daran, die Pestflagge aufzuziehen, wenn Sir Thomas Euch verlässt», sagte sie noch und schenkte dem alten Mann ein aufmunterndes Lächeln.
Er schlug segnend das Kreuzzeichen.
Sancha trieb leicht ihr Pferd an und ritt auf Blackstone, Henry und Killbere zu, die am Tor warteten.
«Siehst du, wie sie die Führung übernimmt, Thomas? Vor ihrem Gemahl?», bemerkte Killbere. «Ich wette, kein Mann wird ihr beibringen, wo ihr Platz ist.»
«Vielleicht ist er ja klug genug, ihrem unbezähmbaren Geist nichts entgegenzusetzen», erwiderte Blackstone. «Allerdings war er es, der die Taschen an seinem Sattel befestigt hat. Also was meinst du, wer das Geld bei sich trägt?»
Killbere seufzte. «Ach ja, wohl wahr. Aber ist er deshalb gleich der Herr im Haus oder vielleicht doch nur der Packesel?» Er grinste Blackstone zu. «Du magst das jetzt nicht glauben, mein Freund, aber eines Tages wirst du vielleicht erkennen, dass das Erscheinen dieses Franzosen letztlich doch ein Segen war.»
Sancha hielt ihr Pferd an. «Master Henry, ich danke Euch noch einmal dafür, dass Ihr Gautier de Fleur und Louis de Roche so mutig gerettet habt. Ich habe Père Éraste ersucht, dafür zu beten, dass Ihr Euren bevorstehenden Kampf wohlbehalten übersteht. Wir stehen tief in Eurer Schuld und der Eures Vaters.»
Henry neigte den Kopf. «Meine Dame, ich hatte tapfere Männer an meiner Seite.»
«Aber sie sind Eurem Beispiel gefolgt, Master Henry.»
Blackstone trat zur Seite, um das Pferd vorbeizulassen.
«Sir Thomas, ich bin die einzige Überlebende des Geschlechts der Ferrandes von Kastilien. Ich werde nicht zulassen, dass der Name meiner Familie ausstirbt. Euch ist es zu verdanken, dass ich und mein Name weiterleben. Eines Tages werde ich den Tod meiner Verwandten rächen. Bis die Zeit gekommen ist, werde ich Euer in meinen Gebeten gedenken.»
Sie beugte sich hinunter und streckte die Hand aus. Blackstone ergriff sie kurz. In diesen wenigen Augenblicken spürten beide, was zwischen ihnen hätte sein können.
«Und in meinem Herzen. Gott segne Euch, Thomas», fügte sie leise hinzu.
Dann trieb Sancha ihr Pferd zu einem forschen Galopp an. De Fleur und de Roche drückten noch kurz Henrys Hand, ehe sie sich ihr anschlossen.
«Geh und übe weiter», befahl Blackstone seinem Sohn. «Du hast geholfen, ein Dorf und einen verdammten Franzosen zu retten. Jetzt musst du lernen, dich selbst zu retten.»
Henry wandte sich ab und ging raschen Schrittes zu Gifford, der geduldig wartete, um die nächste anstrengende Übungseinheit zu beginnen.
«Und somit wäre sie in Sicherheit. Wohingegen wir es mit einer Horde unbekannter Hurensöhne aufnehmen müssen», bemerkte Killbere und kehrte der davonreitenden Frau und ihrem frisch angetrauten Ehemann den Rücken.
Blackstone sah den beiden noch ein wenig länger nach, dann schloss er sich Killbere an. Er blickte nicht zurück.
«Er ist durchaus willig», stellte Killbere fest, als sie über das Gelände gingen und einen Blick in die Richtung warfen, wo Henry sich bereits wieder seinen Schwertübungen widmete.
«Ich habe noch einmal mit Bezián gesprochen. Er sagt, niemand hat gesehen, wie Henry la Griffes Vater getötet hat. Die anderen waren in dem Verlies und hielten sich bereit, um Gifford und noch einen weiteren Mann zu verteidigen oder zu befreien.»
«Wer war der andere?»
«Ein verwundeter Kamerad, um den Walter Mallin sich bemüht hatte. Als sie Gifford herausholten, war der andere bereits gestorben.»
«Es gibt also keinen Zeugen für das, was sich zwischen Henry und dem Mann, den er getötet haben soll, abgespielt hat? Dann hat dieser Hurensohn, den sie die Klaue nennen, gar keinen Beweis dafür, dass Henry wirklich der Mörder seines Vaters ist.»
«Das macht keinen Unterschied. Henry hat ihn in eine Falle gelockt. Ob er tot oder lebendig war, als sie ihn verstümmelt am Burgtor aufhängten, jedenfalls geschah es durch Henrys Zutun.»
«Hat Bezián sonst noch etwas gesagt?»
Blackstone schüttelte den Kopf. «Niemand hat Henry jemals kämpfen sehen. Nur Gifford, als sie von den Fischern angegriffen wurden.» Er zuckte die Achseln. «Bezián sagt, er glaubt nicht, dass Henry einen der Söldner in dem Dorf getötet hat. Er war damit beschäftigt, de Fleur und de Roche zu befreien.»
Killbere verzog das Gesicht, dann hielt er sich mit dem Finger ein Nasenloch zu und schnaubte den Inhalt des anderen auf den Boden. «Nun denn», sagte er, «er hat sein Schwert also nicht gerade übermäßig gebraucht, seit er England verlassen hat.»
Die beiden blieben stehen, dreißig Schritt von der Stelle entfernt, wo Gifford und Henry übten. Der Waffenknecht war ein wackerer Kämpfer und verlangte Henry einiges ab.
Blackstone schaute noch ein wenig zu und seufzte. «Bezián sagte, Henry sei geistesgegenwärtig und gnädig.»
Killbere knurrte. «Herrgott, Thomas, das wissen wir alle. Und das sind ja auch löbliche Tugenden, wenn man es nicht gerade mit einem Mörder zu tun hat, der darauf aus ist, einen vom Hals bis zu den Lenden aufzuschlitzen.»
Blackstone nickte. «Bleib hier und schau, ob du eine Verbesserung erkennst. Ich sehe nach den Männern.»
Killbere folgte ihm mit dem Blick, bemerkte seine gebeugten Schultern, als trüge er schwer an der Last dessen, was seinem Sohn bevorstand. Dann richtete der alte Ritter seine Aufmerksamkeit wieder auf Gifford und Henry. Er kniff die Augen zusammen, als Gifford Henry zurückdrängte und der mit dem Fuß einen Eimer umstieß, sodass das Wasser sich auf den Boden ergoss. Das sanfte Licht spielte seinen Augen einen Streich, und für einen Moment glaubte er, einen Schwall von Henrys Blut zu sehen, wie es in die Erde sickerte.