Kapitel Neunundsechzig

A ußerhalb der Mauern steckten Männer brennende Fackeln in das ölgetränkte Holz in den eisernen Feuerbecken. Diese waren in jeweils zehn Fuß Abstand aufgestellt, und ihre lodernden Flammen markierten einen Kreis mit zwanzig Fuß Durchmesser. Auf den Wehranlagen des Châteaus wurden ebenfalls Fackeln entzündet. Sie beleuchteten die wenigen Bogenschützen, die Will Longdon und Jack Halfpenny dazu auserkoren hatten, gut sichtbar die Mauern zu bemannen.

Das Tor wurde geöffnet.

La Griffe stand vor seinen Männern und blickte an den Flammen vorbei zum leeren Torbogen hinüber. Abgesehen von den Fackeln auf der Mauer und den prasselnden Feuerbecken herrschte Dunkelheit. Er strengte seine Augen an. Aus dem unbeleuchteten Hof des Châteaus kam ein Mann zum Vorschein. Er trug einen Wappenrock über einem Kettenhemd, sonst bestand seine Rüstung nur aus Beinschienen, Schulterplatten und Armschienen.

Jean de Soissons öffnete und schloss probeweise seine Klauenhand. Wenn sie einmal den Griff einer Axt oder eines Messers gepackt hatte, hielt die Klaue die Waffe so fest wie ein Schraubstock. Er wandte sich an seine Männer.

«Ich hätte nicht gedacht, dass er den Mut aufbringen würde zu kämpfen.»

Er setzte seinen Helm auf; einer seiner Männer schloss den Kinnriemen. La Griffe schritt in den Ring aus Feuer und auf den Mann zu, den er für Henry Blackstone hielt. Kaum war er in den Kreis eingetreten, da stürmte der Gegner unerwartet auf ihn los und schmetterte den Schild gegen seinen. La Griffe taumelte rücklings, gewann im nächsten Moment das Gleichgewicht wieder und stählte seinen Arm für einen neuerlichen Angriff, der zweifellos kommen würde. Aber Blackstones Schwung hatte ihn seitlich herumgerissen. De Soissons wich gerade noch rechtzeitig mit einer Drehbewegung aus, bevor Blackstones Schwert in weitem Bogen durch die Luft sauste und schräg auf seinen Schild schlug. Hätte er sich nicht schnell genug bewegt, dann hätte er seinen Arm verloren. Die obere Ecke seines Schilds war durchschlagen. Blackstone rammte ihn noch einmal und fuhr kraftvoll herum, sodass la Griffe seinen Schwertarm nicht einsetzen konnte und rücklings gegen ein Feuerbecken gedrängt wurde. Die sengende Hitze zwang ihn, erneut eine halbe Drehung zu machen und vor dem schnellen Angriff zurückzuweichen, der darauf abzielte, die flinken Manöver zu verhindern, die seinen Kampfstil ausmachten.

Blackstone ging ein halbes Dutzend Schritte in Richtung der Kreismitte, folgte den Bewegungen seines Gegners, der sich sammelte und mit neuer Entschlossenheit gegen ihn vorrückte. La Griffes schnelle Schläge waren die eines meisterhaften Schwertkämpfers, der sich darauf verstand, sein Gegenüber zu entwaffnen und zu töten. Er machte flinke kleine Schritte, balancierte sich aus, war sogleich wieder in Bewegung und verlor dabei keinen Augenblick seine Stabilität. Es war eine gekonnte, instinktive Kampftechnik, in die jede Lektion, jeder frühere Kampf eingeflossen waren. Unberechenbar.

Statt zurückzuweichen, hielt Blackstone seine Stellung, fest auf beiden Füßen stehend, geduckt, um den Schwertschlägen standzuhalten und die volle Wucht des Angriffs mit seinem Schild abzufangen.

La Griffe stöhnte vor Anstrengung, eine Welle, die gegen einen unerschütterlichen Felsen anbrandete. Er tänzelte zu einer Seite, dann zur anderen. Seine Füße bewegten sich schnell, doch bei jedem Schlag, den er führte, deckte Blackstone sich, bis sein Schild den Hieben nicht länger standhalten konnte. Nun hatte er la Griffe so weit, dass dieser zum tödlichen Schlag ausholte, und er sah den Angriff aus der hohen Hut kommen, ehe de Soissons den Arm mit einer halben Drehung der Schulter herabschnellen ließ. Blackstone wich seitlich aus. Es war eine Finte von la Griffe gewesen. Der Franzose verlagerte leicht sein Gewicht, veränderte den Winkel des Schlages. Blackstone konnte sich gerade noch wegdrehen, und der Hau, der eigentlich auf seinen Hals gezielt war, traf scheppernd den Helm. Die Wucht des Aufpralls fuhr Blackstone durch Hals und Schultern. Er taumelte. Am Ende des Bogens, den sie beschrieben hatte, traf die Spitze von la Griffes Klinge Blackstone an der Schulter. Sie war scharf genug, durch seinen Kettenpanzer zu dringen, und die Muskeln waren für einen Moment betäubt, sodass Blackstones Schwertarm erlahmte.

Der Schlag hatte la Griffe einen Schritt an Blackstone vorbeigetragen. Der schüttelte seinen Schild ab und schleuderte ihn seinem Widersacher entgegen, als dieser sich wieder zu ihm umdrehte. Mit der Linken zog Blackstone seine Streitaxt aus dem Gürtel. Das Wolfsschwert hing lose am Faustriemen, während Blackstone die Finger bewegte und die Faust ballte, damit das Gefühl in die Hand zurückkehrte. Nun ging er zum Angriff gegen den jüngeren und behänderen Mann über. Der Franzose hatte den geworfenen Schild abgewehrt. Er wurde erneut zurückgedrängt, doch nun wusste er, dass sein Gegner verwundet war. Blackstones Kettenhemd glänzte im Feuerschein, und die rötliche Spiegelung kam nicht allein von den Flammen. Blut quoll aus der Wunde an der Schulter und lief an dem nutzlos gewordenen Arm und dem am Faustriemen hängenden Schwert hinunter.

La Griffes Männer jubelten – gleich würde ihr Anführer den Engländer besiegen und töten. Alle verfolgten gebannt den Danse macabre, der sich im Feuerkreis abspielte. Niemand bemerkte, dass unterdessen jeder zweite Bogenschütze von der Mauer verschwunden war.

Blackstone griff schräg von vorn an und schmetterte seine Axt mehrmals gegen den Schild des Gegners. La Griffe hielt seine Stellung und drehte sich seitlich, um mit dem Schwert an der Seite zuzuschlagen, wo Blackstones Arm nutzlos herabhing. Der Blutknoten hielt noch immer das Schwert, aber selbst wenn Blackstones Kraft zurückkehrte, würde er die Waffe nicht hoch genug heben können, um zum Hau auszuholen. De Soissons blieb wenig Zeit zurückzuschlagen. Blackstones Axt grub sich in den Rand seines Schildes, der schon beim ersten Treffer mit dem Schwert an Festigkeit verloren hatte und nun zusehends splitterte.

La Griffe wusste, wenn er nicht den Schild wegwarf und stattdessen ebenfalls zur Streitaxt griff, würde die Wucht von Blackstones Angriff seine Abwehr durchbrechen. Er musste sich wegdrehen und mit dem Schwert von unten zuschlagen, gegen das Bein, auf das Blackstone sein Gewicht verlagert hatte. Also riss der Franzose den Arm mit dem Schild zur Seite, um die Axt abzulenken, drehte sich auf dem Absatz und legte sein Gewicht in einen tiefen Schlag, der auf Blackstones Bein zielte.

Er war nicht schnell genug. Der vermeintlich lahme Arm führte plötzlich wieder das Schwert und stieß den Knauf aufwärts unter seinen Kinnschutz. Sein Kopf wurde zurückgeschleudert, und er verlor das Gleichgewicht. Ruderte mit den Armen, versuchte, sich mit den Füßen abzufangen. Er stürzte in ein Feuerbecken. Funken stoben.

Die Schreckensrufe seiner Männer hallten durch die Nacht.

Das Feuerbecken bewahrte de Soissons vor Blackstones herabschnellender Klinge, denn der eiserne Korb fiel zwischen dem zu Boden gegangenen Mann und seinem Angreifer auf die Erde. La Griffe befreite sich von seinem zerschlagenen Schild, warf ihn beiseite, kam geduckt auf die Beine und packte seine Axt. Als Blackstone auf ihn zukam, wirbelte la Griffe herum wie ein Kreisel und führte einen tiefen Schlag mit dem Schwert, wiederum auf Blackstones Bein gezielt. Blackstone rammte das Wolfsschwert in die Erde, um die Klinge des Franzosen abzufangen. Sie prallte mit voller Wucht gegen seine.

Blackstone zog sein Schwert wieder aus dem Boden. Beide Männer schwangen ihre Äxte. Schaft schlug gegen Schaft. Blackstone versetzte seinem Gegner einen Kopfstoß. Helm gegen Helm. Er drehte die Hand, in der er die Axt hielt, um den Dorn an der Rückseite in das Kettenhemd des anderen zu schlagen, und traf ihn hinten an der Schulter. Dann riss er mit aller Kraft daran, setzte sein ganzes Gewicht ein, um den Gegner zu Boden zu zerren. Der Franzose reckte sich auf die Fußballen, versuchte fuchtelnd, das Gleichgewicht zu halten, doch er stürzte schwer. Er rollte sich ab, riss mit den Füßen Blackstone die Beine weg. Blackstone ging zu Boden, wobei er seine Axt verlor. La Griffe konnte sich nicht rechtzeitig zur Seite wälzen. Blackstone fiel mit seinem Gewicht auf ihn. La Griffe schlug ihm mit seiner Axt hinten auf den Helm, doch es war ein vergeblicher Versuch, den Gegner ernsthaft zu verletzen. Beide Männer atmeten schwer, ihre Gesichter waren in der Enge des geschlossenen Helms schweißüberströmt. Durch die schmalen Schlitze war ihre Sicht eingeschränkt, und trotz der Atemlöcher im unteren Teil des Visiers war die Luft knapp.

Ein scharfer Schmerz durchfuhr Blackstones Schulter, wo der Schwertschlag vorhin durch sein Kettenhemd gedrungen war. La Griffe hatte seinen Dolch gezogen und auf Blackstones Hals gezielt, doch seine blutverschmierten Hände waren glitschig, sodass die Klinge vom Helm abglitt und in Blackstones bereits verletzte Schulter drang. Blindlings stach la Griffe erneut zu, diesmal schnitt die Klinge in Blackstones Bein. Wieder und wieder stieß la Griffe mit dem Messer, und die schmale, scharfe Spitze der Klinge bohrte sich ins Fleisch des Gegners. Blackstone ignorierte den Schmerz. Er versuchte vergeblich, das Wolfsschwert einzusetzen: Der Blutknoten hielt fest und hinderte ihn daran, die Waffe zu drehen und die Spitze dem Franzosen in die Achselhöhle zu rammen. Stattdessen packte Blackstone nun die Schwertklinge mit der linken Hand und stieß die Parierstange durch den Sehschlitz im Helm seines Widersachers. La Griffe bäumte sich auf und trat mit den Beinen, aber gegen Blackstones Gewicht kam er nicht an. Der richtete seinen Oberkörper auf und drückte die Parierstange nach unten ins Auge des Mörders.

Der Franzose schrie. Blackstone drückte mit aller Kraft, bis die Parierstange nicht mehr tiefer eindringen konnte. Er hörte und roch, dass la Griffe sich in seinen Helm erbrach. Blackstone wälzte sich von ihm hinunter. Der Franzose brachte noch die Kraft auf, sich auf eine Schulter zu stützen, und versuchte, sich weiter aufzurichten. Er nestelte am Kinnriemen des Helms, versuchte verzweifelt, ihn zu öffnen, doch sein Panzerhandschuh und die Klauenhand machten es ihm unmöglich.

Blackstone schnitt den Riemen durch und riss de Soissons den Helm vom Kopf. Der Bart des Franzosen war mit Erbrochenem verklebt. Sein blutverschmiertes Gesicht mit der leeren Augenhöhle bot im flackernden Licht einen grausigen Anblick. Sein verbliebenes Auge starrte den Mann an, der ihn bezwungen hatte. Er wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Blackstone stand über ihm, als la Griffe sich zurücksinken ließ. Er stöhnte vor Schmerz, und sein Körper zuckte und krampfte. Blackstone stellte einen Stiefel auf seine Kehle. La Griffes Todeskampf dauerte nur ein paar Dutzend Atemzüge. Blackstone blieb stehen, wo er stand, und stützte sich auf das Wolfsschwert, um sein verletztes Bein zu entlasten. Sieger und Besiegter waren in flackernden Schein getaucht. Die Feuerbecken umstanden den getöteten Mörder wie Wächter.

Blackstone drehte sich zum Tor des Châteaus um, das sich einladend öffnete.

Jean de Soissons’ Männer trieben ihre Pferde an. Wenigstens würden sie den Mann, der ihren Anführer getötet hatte, niederreiten und unter den Hufen ihrer Rosse zermalmen, und dann würden sie in die Mauern eindringen und seine wenigen Männer ebenfalls töten. Der französische König würde sie für den Tod dieses Mannes reichlich belohnen.

Die Erde bebte unter dem Ansturm der Pferde. Blackstone drehte sich um und blickte ungerührt der Linie der Reiter entgegen, die noch dreihundert Schritt entfernt war.