Langsam schiebt sich die Sonne über den Grat, und das frühmorgendliche Licht überflutet glutrot den Granitpfeiler. Wir Brüder sitzen mitten drin auf einem Felsband und genießen die wärmenden Strahlen. Laura steht neben uns und sortiert konzentriert das Klettermaterial an ihrem Gurt. Immer wieder schweift ihr Blick hinauf entlang eines leicht überhängenden Risses, der den Granitpanzer über uns teilt. Sie übernimmt jetzt das Klettern am »scharfen« Ende des Seils – unerschrocken, bestimmt und gleichzeitig bedacht. »HmlaA« steht wie eine Zauberformel auf ihrem Helm geschrieben und spiegelt ihre besondere Mentalität wider. Was die Formel bedeutet, bleibt den Leserinnen und Lesern als detektivische Aufgabe überlassen.
Ihre Augen funkeln. Sie trocknet noch einmal ihre Hände mit Magnesia. Alexander gibt ihr ein motivierendes »Geeht schoo!« mit auf den Weg und ich lege ihr Seil in mein Sicherungsgerät. Ein letzter prüfender Blick, ob alles stimmt, ein verschmitztes Lächeln von der kleinen, zierlichen Laura in dieser großen Wand – dann klettert sie los in die steile Welt, so mutig und frech.
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Diese scheinbare »Scheiß-da-nix-dann-feid-da-nix«-Mentalität ist verankert in einem tiefen Urvertrauen in Laura, denn sie wuchs als echtes Bergkind heran. Sie verliebte sich in diese steile Welt, wurde beschenkt mit unglaublichen Momenten, entdeckte in dieser Stille eine schier unendliche Weite, eine tiefe Liebe zur Natur. Dabei hat sie immer beobachtet, zugehört, lernte die Sprache der Berge und dass am Ende die Unmöglichkeit nur in einem Selbst existiert. Heute brennt in ihr die Seele eines echten Stone Monkey: wild, unangepasst und auch ein wenig rebellisch, auf jeden Fall selbstbewusst mit voller Hingabe ihren eigenen Weg gehend.
Und Lauras Weg war bisher steil. Sie hat sich immer den großen Herausforderungen gestellt, egal ob in einer Felswand oder auf der gespurten Langlaufloipe. Sie hatte eine Vision, ein Ziel, das sie mit Leidenschaft, Training und Ausdauer verfolgte. Und dieses Ziel war immer das Oben, der Ort, wo es nicht mehr weitergeht, der Gipfel. Im Biathlon hat sie den höchsten Gipfel erreicht. Sie hielt inne, blickte in alle Himmelsrichtungen, erlebte diesen Moment intensiv und sog alles in sich auf. Sie hätte sich dort oben noch eine Zeit lang sonnen können. Aber sie ist vom Herzen ein Kind der Berge, eine Bergsteigerin, eben ein Stone Monkey – zu neugierig auf das Neue. Deshalb stieg sie zum richtigen Zeitpunkt wieder ab, nahm all die Erfahrungen und Erinnerungen mit ins Tal und machte sich zielstrebig auf ihren neuen, eigenen Weg.
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Und deswegen sind wir jetzt hier, mitten im Brouillard-Pfeiler am Mont Blanc. Laura platziert akribisch eine Sicherung in den Riss in einer Welt voller Gefahren und klettert mutig geschmeidig weiter. Sie kann es, weil sie weiß, was sie tut. Und sie ist gut vorbreitet, denn wenn Laura etwas macht, dann macht sie’s gscheid! Und so sind wir uns sicher, dass wir heute noch zu dritt den Gipfel erreichen werden – und zwar den höchsten der Alpen.