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Margot Burgund konnte beim Telefonieren mit ihrer Schwester Amalie die Tränen kaum zurückhalten.

»Ich kann es einfach nicht glauben. Unsere jüngste Schwester ist tot! Tot! Ermordet! Verstehst du das?«, schluchzte sie verzweifelt.

»Versuch doch bitte, dich zu beruhigen!«, befahl Amalie ernst. »Du hast leicht reden!«, wies die alte Dame ihre mittlere Schwester zurecht. »Ich weiß ja, dass ihr euch nie wirklich leiden konntet. Schon als Kinder habt ihr immer nur gestritten. Aber mir bricht es das Herz. Rosi ist doch meine kleine Schwester!« Ihre Stimme wurde schrill, dann brach sie ganz. Für kurze Zeit herrschte Stille.

»Glaubst du etwa, mich lässt das kalt? Sie war auch meine Schwester! Aber sag, bist du jetzt wenigstens nicht allein zu Hause?«, fragte Amalie besorgt.

»Petra und Madeleine sind bei mir. Wir wollten eigentlich zusammen frühstücken«, schnäuzte sich Margot die Nase. »Sie suchen mir gerade sämtliche Telefonnummern heraus. Zuerst muss ich Regina und Malte Bescheid geben. Ich will nicht, dass sie von der Polizei erfahren, dass ihre Mutter ermordet wurde. Sie reden ja seit Jahren nicht mehr miteinander. Den Pedro habe ich immer noch nicht erreicht. Ich frage mich, wo der sich rumtreibt. Wahrscheinlich bei seiner Geliebten«, meinte die alte Dame sarkastisch.

»Das geht dich nichts an!«, unterbrach Amalie bestimmt. »Wir alle wissen, dass er ein notorischer Fremdgänger ist. Auch Rosi wusste das. Trotzdem wollte sie ihn heiraten«, betonte sie verständnislos. Beide hielten für eine Weile inne.

»Wer kann Rosi das nur angetan haben?«, fragte Margot verzweifelt.

»Woher soll ich das denn wissen? Aber dir ist hoffentlich klar, dass Rosi nicht nur Freunde hatte … Du, ich zieh mir nur noch schnell was anderes an. Dann setze ich mich ins Auto und komme zu dir und helfe dir beim Telefonieren.«

»Danke, Amalie. Bis gleich«, beendete Margot erleichtert das Gespräch.

Madeleine kam ins Wohnzimmer.

»Hier ist dein Adressbuch mit den Telefonnummern«, sagte sie liebevoll zu ihrer Mutter. »Petra telefoniert gerade auf dem Handy die Nachbarn ab. Es hat sich schon überall rumgesprochen. Jan-Luca Stern aus dem Ort, er wohnt beim alten Bahnhof, der hat Rosi gefunden, den kennst du doch bestimmt. Die Leute haben ihn am Tatort derartig mit Fragen bombardiert, dass er einfach wieder hinter die Absperrung und in den Wald geflüchtet ist. Ich sage nur noch schnell Axel Bescheid, dass ich nicht zu ihm kommen kann. Heute Nacht bleibe ich hier bei dir, wenn es dir recht ist.«

»Danke«, antwortete Margot und nickte. Stumm saß sie in dem großen Sessel. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass ausgerechnet ihre jüngste Schwester zuerst gehen musste. Ermordet! Das Wort ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Wer konnte Rosi nur so gehasst haben? Oder lief da draußen irgendein Irrer rum, und Rosi war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen? Die alte Dame wusste nicht, welcher Gedanke ihr mehr Angst machte. Sie nahm das Telefon und wählte die Nummer ihrer Nichte Regina.