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Als sie aus der Mittagspause zurückkamen, fasste Doris für Vera und Saitelhöfer die Pressekonferenz noch einmal kurz zusammen.

»Ihr könnt euch ja vorstellen, wie oft wir betont haben, dass keinerlei Gefahr für die Allgemeinheit besteht, obwohl wir das derzeit noch gar nicht einschätzen können«, erzählte sie genervt. »Dann das übliche Blablabla. Derzeit keine Auskunft über den Stand der Ermittlungen und so weiter. Die Lage ist ohnehin angespannt. Ihr wisst ja, dass wir Probleme mit einer Gruppe Kleinkrimineller am Bahnhof haben. Das kommt bei den Ortsansässigen nicht besonders gut an. Außerdem gibt es die Psychiatrie hier in Herborn mit einigen schweren Fällen auf der geschlossenen Abteilung. Und jetzt der Mord an einer alten, völlig wehrlosen Frau beim Spazierengehen. Da will man natürlich vermeiden, dass die Gerüchteküche überkocht. Für uns heißt das, dass möglichst schnell Ergebnisse auf den Tisch müssen. Ich befürchte, dass wir sonst einen Aufpasser aus Gießen bekommen. Das hat die Staatsanwaltschaft mir gegenüber ganz klar durchblicken lassen.«

Doris griff energisch nach einem schwarzen Marker und lief zu der großen Flipchart-Tafel im Büro. In der Mitte hing ein Foto des Opfers. Dann legte sie los.

»Also. Wir haben hier die Ermordete, Annerose Weintraud, genannt Rosi, verwitwet, sechsundsechzig Jahre alt. Das Opfer hat zwei Kinder, Regina Niedt, verheiratet mit Eric Niedt, wohnhaft in Wetzlar, und Malte Weintraud, ledig mit Wohnsitz in Frankfurt. Rosi hat zwei ältere Schwestern, Amalie Streiter aus Siegen und Margot Burgund, sie lebt auch in Breitenbergen. Beide Schwestern sind verwitwet und haben Kinder. Dann gibt es noch die Schwägerin der Ermordeten, Edith Weintraud, unverheiratet, ebenfalls wohnhaft in Breitenbergen. Last, but not least: der Lover und Verlobte, Pedro Aldonovia aus Brasilien. Er arbeitet als Kellner in einem Eiscafé in Herborn und hat da auch ein kleines Appartement. Die Kollegen haben ihm heute bereits einen Besuch in seiner Wohnung abgestattet und ihn aufgefordert, seine Verlobte in der Gerichtsmedizin zu identifizieren. Das hat er dann auch getan. Mehr als widerwillig. Wahrscheinlich ist er deshalb etwas angefressen und hat sich erst mal krankgemeldet.«

Nachdem Doris sämtliche Namen auf dem Flipchart notiert hatte, zeichnete sie ein großes Fragezeichen über das Foto der Ermordeten.

»Sobald wir den Durchsuchungsbeschluss haben, ist das Haus von Rosi Weintraud fällig. Da hat auch Herr Aldonovia überwiegend gelebt. Momentan steht es leer und ist versiegelt, nachts fahren die Kollegen davor Streife. Sicher ist sicher«, machte Doris eine kurze Pause und trank einen Schluck Kaffee. Dann fuhr sie fort:

»Ihr beginnt nächste Woche mit der Befragung der Angehörigen. Bis dahin haben die Kollegen alle persönlich über den Tod informiert. Fangt mit den Kindern von Rosi Weintraud an. Ihren Verlobten, diesen Herrn Aldonovia, verhört ihr spätestens kommenden Donnerstag, egal ob er dann noch krank oder wieder gesund ist«, befahl Doris ernst und setzte sich.

»Kommen wir zum Motiv für den Mord. Die Verstorbene war sehr vermögend, also kommt Habgier als Motiv in Betracht. Wir brauchen Einblick ins Testament von Rosi Weintraud. Darum kümmere ich mich. Die Hausdurchsuchung hat Vera ja bereits zusammen mit Staatsanwältin Steuer beantragt.« Vera und Saitelhöfer mussten grinsen, als sie den Namen hörten.

»Ich weiß, ich weiß. Staatsanwältin Steuer und ich sind nicht gerade die besten Freundinnen. Gott sei Dank haben wir fast nur in Mordsachen miteinander zu tun«, sagte Doris erschöpft und ließ sich in ihren Bürostuhl fallen. »So. Das war’s für heute. Macht euch auf ins Wochenende«, befahl sie. Vera und Saitelhöfer ließen sich das nicht zweimal sagen.