Rosi Weintraud befand sich auf ihrer Zeitreise plötzlich an der Copacabana. Ihre Freundin Elfriede Bonames lag entspannt neben ihr auf einer bequemen Sonnenliege, den ersten Teil eines SM-Liebesromans schon leicht zerlesen in der Hand. Es war später Nachmittag, und die Sonne spiegelte sich im Meer. Der Strand war voll mit Menschen. Trotz ihrer vielen Urlaube in Brasilien verstand Rosi immer noch so gut wie kein Wort Portugiesisch. Ab und zu entsprangen dem Sprachwirrwarr der vielen Touristen aber auch ein paar deutsche Worte.
»Hans-Bernd, krem mer doch bidde mal de Rügge ei. Aber net so feste, schö langsam«, forderte eine sonnenverbrannte Frau ein paar Liegen weiter ihren Ehemann auf. Rosi und Elfriede mussten grinsen.
»Wenn das kein schöner Tag ist, Rosi?«, prostete Elfriede ihrer Freundin zu. Rosi nahm einen Schluck von ihrem Cocktail.
»Da hast du recht. Manchmal würde ich am liebsten für immer hierbleiben und gar nicht mehr nach Hause fahren. Pedro ist verrückt nach mir und liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Gestern Abend hat er mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, ihn zu heiraten. Was hältst du davon?«
Elfriede setzte ihren Longdrink ab.
»Also, Rosi, du weißt ja, dass ich dich gernhabe und dir immer nur das Beste wünsche. Aber heiraten? Glaubst du, dass Pedro dich dafür auch genug liebt? Eine Ehe ist doch ein Bündnis auf Lebenszeit. In guten wie in schlechten Zeiten. Meinst du wirklich, dass Pedro dafür der Richtige ist? Und wo wollt ihr denn leben? Etwa in Breitenbergen? Die Leute werden sich das Maul zerreißen. Und nicht ganz ohne Grund.«
»Du hast ja recht«, beschwichtigte Rosi ihre beste Freundin. »Aber ich liebe ihn wirklich. Seit dem Tod von Marco habe ich nicht mehr solche Gefühle für einen Mann gehabt. Das liegt wohl an seinem wahnsinnigen Aussehen und diesem brasilianischen Charme. Was habe ich zu verlieren? Wer weiß, wie alt ich mit meiner Krebserkrankung werde? Dann habe ich wenigstens noch ein paar schöne Jahre«, sagte Rosi ernst.
»Ich will dir ja nicht deine Träume zerstören«, erwiderte Elfriede. »Aber du hast durchaus etwas zu verlieren. Deinen Ruf, deinen Stolz und dein Geld. Ich bezweifle, dass Pedro auch noch so nett zu dir sein wird, wenn ihr erst mal verheiratet seid. Stell dir das doch bitte mal vor. Du und dieser wahnsinnig attraktive, fast dreißig Jahre jüngere Mann in Breitenbergen. Es wird nicht lange dauern, da werden ihm sämtliche Frauen aus dem Ort Avancen machen. Und du wirst dich grün und blau ärgern.«
»Danke für deine Offenheit«, meinte Rosi zu ihrer Freundin. »Aber darüber habe ich auch schon nachgedacht. Trotzdem. Eine Frau in unserem Alter findet keinen gleichaltrigen Mann mehr. Die sind entweder vergeben oder auf der Suche nach jüngeren Frauen. Warum kann ich nicht das Gleiche tun und mir einen jüngeren Mann angeln?«
»Weil du eine Frau bist und Pedro von ganzem Herzen liebst«, konterte Elfriede. »Und ich möchte nicht, dass du verletzt wirst.«
»Schluss mit dem Grübeln«, befahl Rosi. »Gehen wir lieber schwimmen.« Sie wollten gerade aufstehen, da kam Pedro von der Bar zurück. Braungebrannt, in einer knappen weißen Badehose, mit zwei Drinks in den Händen lief er auf sie zu.
»Nachschub für die Ladys«, rief er in gebrochenem Deutsch und lächelte Rosi auf eine Art und Weise an, dass diese alle Einwände ihrer Freundin sofort wieder vergaß.
Dann wurden die Bilder wieder schneller und Rosi Weintrauds Lebensfilm lief weiter rückwärts ab.