Seit sie Saitelhöfers Haus betreten hatten, war alles so schnell gegangen, dass Vera keine Gelegenheit gehabt hatte, sich über den Ernst ihrer Lage Gedanken zu machen. Jetzt saß sie am Steuer des Autos von Esther Biebrich, eine geladene Waffe auf sich gerichtet. Langsam dämmerte es ihr, dass sie in Lebensgefahr war. Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sollte sie versuchen, Esther Biebrich zu überwältigen und zu fliehen? Die Möglichkeit erschien ihr zu riskant. Sie befanden sich bereits mit Tempo hundert auf der A45. Esther Biebrich war gemeingefährlich und hatte nichts mehr zu verlieren. Vera entschied sich, auf Zeit zu spielen. In einem Seminar hatte sie gelernt, dass es hilfreich sein kann, den Geiselnehmer in ein persönliches Gespräch zu verwickeln, ohne ihn dabei zu provozieren.
»Was haben Sie mit mir vor?«, fragte Vera so unterwürfig wie möglich.
»Das werden Sie schon noch sehen. So ganz genau weiß ich es auch noch nicht. Wir haben ja noch etwas Zeit. Mein Flug geht um 19.00 Uhr, Boarding ist um 18.00 Uhr, ich habe ja nur Handgepäck«, bekam sie die kühle Antwort.
»Entschuldigen Sie. Ich dachte nur, wenn wir schon gemeinsam für die nächste Zeit im Auto sitzen, können wir doch auch miteinander reden«, tastete sich Vera vor.
»Worüber möchten Sie denn reden?«, fragte Esther Biebrich gelangweilt und checkte ihre Frisur im Beifahrerspiegel.
»Zum Beispiel darüber, warum Rosi Weintraud sterben musste und wie Sie es geschafft haben, dass wir Ihnen erst jetzt auf die Schliche gekommen sind.« Vera versuchte, Esther Biebrich in ihrer Eitelkeit zu schmeicheln. Es funktionierte.
»Also gut, Sie sollen Ihr Interview kriegen. Fragen Sie mich einfach, was Sie wissen wollen. Aber keine falsche Bewegung. Sonst knallt’s!«