A ls ich aufwachte, waren Berrine und ihre Freunde fort. Deckin stand zu seinem Wort und ließ sie im Morgengrauen zur Küste aufbrechen. Er gab ihnen sogar noch ein paar Säcke Weizen mit auf die Reise. Stallknecht hielt natürlich nichts davon, ketzerischen Nordländern in irgendeiner Weise behilflich zu sein, und ich musste mir auf unserem Marsch nach Norden eine lange Tirade von ihm anhören.
»Wer sein Herz vor dem Beispiel der Märtyrer und der Gunst der Seraphilen verschließt, wird in dieser Welt und der nächsten für seine Niedertracht büßen«, sagte er zu mir während einer unserer Marschpausen. »Mit seiner Sündhaftigkeit bringt er uns dem Anbruch der zweiten großen Plage näher.«
Inzwischen befanden wir uns im höher gelegenen Teil des Shavine, wo die Bäume weniger dicht standen und breite Lichtungen bildeten, die man besser mied. Wir hatten am Rand einer Waldwiese angehalten, wo aus dem blumengesprenkelten Gras ein einzelner Apfelbaum emporwuchs. Selbst im Spätherbst war es ein schöner Anblick, wenn Stallknecht das auch nicht zu bemerken schien.
»Diese Lektion solltest du dir besser zu Herzen nehmen, junger Undankbarer.« In den letzten Tagen war »Undankbarer« an die Stelle von »Heide« getreten, wenn er mit mir sprach. Vermutlich weil ich seine Lektionen als mein selbst ernannter spiritueller Lehrer für seinen Geschmack nicht hinreichend zu würdigen wusste. Ich hätte nicht sagen können, was von beidem mich mehr ärgerte, schließlich hatte ich nicht um seinen Unterricht gebeten.
»Lass diese Lehren in dein Herz«, fuhr er fort. »Folge dem Bei-spiel der Märtyrer, und du wirst ein friedliches und erfülltes Leben führen.«
»Bei denen hat es aber auch nicht geklappt«, murmelte ich. Eigentlich wusste ich, dass es besser war, den Mund zu halten, wenn er zu predigen begann. Alles andere zog nur stundenlangen ermüdenden Streit nach sich. Aber manchmal konnte ich nicht anders, als ihm seine eigene Blindheit gegenüber seinen Absurditäten unter die Nase zu reiben.
»Wie bitte?«, fragte er, und seine Hände, mit denen er sich eben einen Haferkeks in den Mund hatte stecken wollen, verharrten.
»Den Märtyrern«, erwiderte ich. »Ich meine, ihr Name sagt ja schon alles. Sie sind allesamt gestorben. Hunderte, vielleicht Tausende dieser armen Wichte wurden umgebracht, und das alles nur wegen irgendeinem uralten Gekritzel. Und soweit ich weiß, hat keiner von ihnen einen leichten Tod gehabt. Wenn du das als Beispiel meinst, dem ich folgen soll, dann nein danke, da bleibe ich lieber ein Heide.«
»Das Blut der Märtyrer«, presste Stallknecht hervor, »wäscht die Sünden der Menschheit fort und hält die Himmlische Pforte zum Ewigen Reich offen, damit die Gunst der Seraphilen hindurchströmen kann. Sollten wir je ihre Gunst verlieren, dann werden die Maleciten sich erheben …«
»… und die Seraphilen müssen ein weiteres Mal die Erde säubern, um sie von ihrer Verderbtheit zu befreien«, beendete ich den Satz mit einem Augenrollen. »Ein bisschen seltsam, findest du nicht? All diese geflügelten magischen Wesen, die in einem Paradies im Himmel leben, das keiner von uns sehen kann, und die bereit sind, die Welt zu zerstören, um uns ihre Liebe zu beweisen. Das erinnert mich an einen Mann, den ich mal kannte, der Gefallen an einer bestimmten Hure gefunden hatte. Er liebte sie so sehr, dass er den Zuhälter dafür bezahlte, dass er sie einmal die Woche grün und blau schlug, damit kein anderer Mann sie anschaute.«
»Du wagst es, die grenzenlose Liebe der Seraphilen mit einem heidnischen Halunken zu vergleichen, der den Rockzipfeln der Huren nachjagt?« Stallknecht stürzte sich auf mich und packte mich am Arm. Der Haferkeks fiel ihm aus der Hand, und seine Stimme steigerte sich zu einer unklugen Lautstärke.
»Beruhige dich lieber«, sagte ich und starrte ihm in die vor Wut geweiteten Augen. Zugleich drückte ich das Messer, das ich gezogen hatte, gegen seine Hand. Ich hatte keine Skrupel, ein paar Adern zu durchtrennen. Und Stallknecht hätte das auch begriffen, hätte ich seinen rechtschaffenen Zorn nicht derart angestachelt. Er packte meinen Arm fester und ich mein Messer. Jeden Moment wäre es zum Gewaltausbruch gekommen, hätte Deckin nicht Stallknecht eine Hand auf die Schulter gelegt.
Deckin sagte kein Wort, und sein Griff war nicht einmal besonders fest, aber Stallknecht zog sofort seine Hand zurück. Der Fanatiker trat einen Schritt von mir weg; sein Gesicht war bleich vor Zorn, und er blähte die Nasenflügel, um die kalte Luft einzusaugen und seine Wut abzukühlen. »Mit diesem undankbaren Kerl bin ich fertig«, sagte er zu Deckin. Er sprach betont leise und abfällig, aber dennoch mit Nachdruck. »Seine üblen Manieren und ketzerischen Worte beschmutzen meine Seele.«
Deckins Blick richtete sich auf mich, und ich trat unwillkürlich einen Schritt zurück, bevor ich mich zwang, stehen zu bleiben. Er war unzufrieden, und das war nie gut. In diesem Moment die Flucht zu ergreifen, könnte jedoch eine noch schlimmere Strafe nach sich ziehen. Also blieb ich stehen und machte mich auf die kommende Abreibung gefasst. Mit etwas Glück würde Deckin sich mit einer Backpfeife begnügen. Andernfalls erwachte ich vielleicht ein oder zwei Stunden später mit einem riesigen Bluterguss am Kinn und einem gelockerten Zahn.
Deshalb überraschte es mich, als er lediglich den Kopf schüttelte. »Hol Erchel und geht beide zu Lorine. Es wird Zeit für eine neue Verkleidung. Ihr solltet euch schon mal damit vertraut machen, bevor wir Burg Ambris erreichen.«
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»Immer noch zu adrett«, entschied Lorine, während sie uns mit geschürzten Lippen betrachtete. Sie nahm ihre Schere, trennte an meinem wollenen Wams und der weichen Lederhose ein paar Nähte auf und riss Löcher hinein. Zuvor hatte ich mich auf ihr Geheiß im Farnkraut gewälzt, um die Kleidung schmutzig zu machen. Dann hatte sie mich mit reichlich Wein und Ale überschüttet, um ein glaubwürdiges Fleckenmuster zu erzeugen. An Erchels Kleidung hatte sie dagegen kaum etwas verändert. Aus ihm einen armen, begriffsstutzigen Knecht zu machen, war auch nicht weiter schwierig.
»Warum wurdest du aus deinem Dorf vertrieben?«, fragte sie mich und steckte die Schere weg.
»Hab mich besoffen und die Tochter des Pflügers gevögelt. Die war mit dem Sohn des Hufschmieds verlobt. Deshalb musste ich fliehen, um nicht neben ihr am Pranger zu landen.«
»Und der wahre Grund?«
Eine von Lorines wertvollsten Lektionen lautete, dass eine Lüge stets mehrere Schichten haben und man sich ein peinliches oder kriminelles Geheimnis zurechtlegen sollte, das man anderen verraten konnte, um ihr Vertrauen zu gewinnen. »Ich hab dem Betbruder eins übergezogen, weil er mir an die Eier wollte?«, schlug ich nach kurzer Überlegung vor.
»Das sollte genügen.« Sie nickte zufrieden. »Aber mach eine ordentliche Tracht Prügel draus. Soldaten lieben blutige Geschichten.« Mit hochgezogener Augenbraue musterte sie Erchel und hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, als er ihr seine Lügengeschichte auftischen wollte. Trotz seiner Gerissenheit war Erchel ein schlechter Lügner, und seine Geschichten waren entweder absurd kompliziert oder einfach nur ekelhaft.
»Du bist ein Einfaltspinsel, der ein Schwein gestohlen hat«, sagte sie. »Reiß immer schön die Augen auf und lass den Mund offen stehen und überlass das Reden Alwyn. Ihr zwei seid euch auf der Straße begegnet. Ihr habt gehört, dass es in Ambriside Arbeit geben könnte oder zumindest kostenloses Ale wegen der Verurteilung des Herzogs. Wo findet ihr die redseligsten Soldaten?«
»In der billigsten Schenke oder Taverne«, sagte ich.
»Genau.« Lorine neigte zufrieden den Kopf. Diese Lektion hatten wir inzwischen gelernt. »Denkt dran, meidet um jeden Preis die Soldaten der Krone. Die sind zu schlau und brauchen keine Rekruten. Nehmt euch lieber die Männer des Herzogs vor, je betrunkener und habgieriger, desto besser.«
Ihr Blick wurde steinhart, als sie Erchel ansah. »Deckin will Informationen, kein Blut, keine Beute«, formulierte sie äußerst präzise. »Ihr findet heraus, was ihr könnt, und dann verschwindet ihr. Hoffentlich, ohne dass sich überhaupt irgendjemand an euch erinnern kann. Verstanden?«
Ich hatte Lorine Erchel noch nie so streng mustern sehen. Seit sein Onkel ihn vor fünf Jahren in Deckins Lager gebracht hatte, war Lorine ihm stets mit offener Geringschätzung begegnet. Sie hatte ihn genauso ausgebildet wie die anderen Jungspunde, aber es war klar, dass sie ihm keine Träne nachgeweint hätte, wenn er eines Nachts einfach verschwunden wäre. Erchel dagegen ließ es ihr gegenüber als Deckins rechter Hand nie an Respekt fehlen. Selbst wenn er sich unbeobachtet fühlte, betrachtete er Lorine stets mit unterdrückter Furcht. Den hässlichen Hunger, den ich erwartet hätte, sah ich nicht in seinem Blick. Es liegt in der Natur eines Raubtiers, sich vor noch gefährlicheren Bestien zu fürchten.
»Klar«, murmelte er jetzt und nickte, ohne ihr in die Augen zu schauen.
Lorine knurrte leise und trat zurück. »Namen?«
»Ash«, sagte ich. »Kurz und leicht zu merken. Mein Pa war Köhler, weißt du?« Ich nickte zu Erchel. »Den da nenn ich Schwätzer, weil er nie was sagt.«
»Das sollte reichen.« Sie tippte sich gegen das Kinn, während sie uns ein letztes Mal von Kopf bis Fuß begutachtete. »Beide ein bisschen zu wohlgenährt für meinen Geschmack. Ihr bekommt deshalb nur noch halbe Rationen, bis wir Burg Ambris erreichen. Meckert nicht, es sind bloß zwei Tage.«
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»Er hat nicht mal um sein Leben gebettelt, wisst ihr.«
Die runzlige Stirn des alten Karrenlenkers verzog sich bewundernd, als er meinem Blick zu den Zinnen der Südmauer folgte. Dort waren die äußeren Wehre am niedrigsten und der Burggraben am schmalsten – ein mit Bedacht gewählter Ort, der die beste Sicht auf den grausigen Anblick oben auf der Mauer gewährte. Es dämmerte schon, aber der Himmel war klar, und ich konnte die Gesichtszüge der Toten deutlich erkennen. Herzog Rouphon hatte ich vor zwei Jahren einmal kurz aus der Ferne gesehen, als ich Deckin zu einer Lichtung im westlichen Wald gefolgt war. Wir hatten uns ins dichte Gebüsch gekauert und zugesehen, wie der Herzog auf seinem hohen Ross vorbeigeritten kam. Auf seinem Handgelenk saß ein Falke, und hinter ihm folgten ein Rudel Hunde und einige Jäger. Ich erinnerte mich, wie unglaublich ähnlich Deckins starre Züge denen des Adligen auf dem prachtvollen Pferd gewesen waren. Und auch an den Hass, der in Deckins Augen geglänzt hatte. Wie sehr hatte er sich wohl gewünscht, der Hinrichtung dieses Mannes beizuwohnen?
Obwohl die schlaffen Züge des Toten Spuren von Folter aufwiesen, konnte ich dennoch zweifelsfrei feststellen, dass der Kopf auf dem Pfahl Herzog Rouphon Ambris gehört hatte – vor Kurzem noch Ritter von Albermaine und Fürst der Shavine-Marschen. Die anderen Köpfe waren so aufgebläht und durch Wunden entstellt, dass sie nicht zu erkennen waren. Vermutlich handelte es sich um Gefolgsleute des Herzogs, die mit ihm gefangen genommen wurden – Vasallen oder Leibeigene, die sein Schicksal gezwungenermaßen hatten teilen müssen.
»Hast du die Verurteilung gesehen?«, fragte ich den Karrenlenker, der geringschätzig mit der Zunge schnalzte.
»Ja, hab ich. Heute früh, wenn es da auch nicht viel zu sehen gab. Sie haben den Herzog neben die anderen Verräter aufs Schafott gestellt. Der Burgvogt hat die Anklage verlesen und gefragt, ob irgendjemand zu ihrer Verteidigung vortreten will, so wie sie’s immer machen. Das wollte natürlich keiner. Immerhin stand da oben der Kämpe des Königs mit der ganzen Kompanie der Krone. Aszendent Durehl trat vor, um dem Herzog sein Geständnis abzunehmen, und als er fertig war, schlug Sir Ehlbert ihm mit einem Streich seines großen Schwertes den Kopf ab. Natürlich nur dem Herzog. Als das geschafft war, ging der riesige Kerl weg und überließ die anderen dem Henker.«
»Hast du das Geständnis des Herzogs gehört?«, fragte ich. Deckin würde sicher wissen wollen, was er gesagt hatte.
»Nein, ich war zu weit weg. Und ich bezweifle, dass er nach der ganzen Folter noch viel reden konnte. Aber, wie gesagt, um sein Leben gebettelt hat er eindeutig nicht.« Der Karrenlenker schaute zu dem Kopf auf der Mauer hoch und schnalzte erneut mit der Zunge. »Für einen Adligen war er gar nicht mal so übel. Meistens gerecht. Und auch großzügig mit den Almosen, wenn die Ernte mal schlecht war. Aber nach allem, was man so hörte, musste man die Töchter von ihm fernhalten, wenn man welche hatte. Und verärgern sollte man ihn auch nicht, wenn einem die eigene Haut lieb war.«
Der Karrenlenker schnalzte ein letztes Mal mit der Zunge und ließ die Zügel des Ochsen knallen, worauf das Tier gehorsam den Karren weiter den Weg am Burggraben entlangzog. »Ich an eurer Stelle würde heute Nacht nicht in die Stadt gehen, Jungs«, rief er uns über die Schulter hinweg zu. »Es sei denn, ihr seid erpicht darauf, unter dem Banner zu marschieren. Hier wimmelt es grad nur so von Soldaten.«
Ich hob dankend die Hand und richtete den Blick auf die Häuser, die sich östlich des Haupttors der Burg am Ufer des Leevin hinzogen, der den Burggraben speiste. Einige relativ friedliche Jahre hatten Ambriside zu einer chaotischen Ansammlung von Häusern, Schenken, Werkstätten und Ställen anwachsen lassen. Obwohl ich meine Kindheit in einer ganz ähnlichen, wenn auch kleineren Siedlung verbracht hatte, rief der Geruch von Holzrauch und Dung eher Abscheu als Wehmut in mir wach. In den Wäldern gefiel es mir besser. Trotz der dort lauernden Gefahren war das Leben unter den Bäumen um vieles einfacher.
»Ich weiß, was er gesagt hat«, meinte Erchel.
»Wer?«
»Der Herzog, bei seiner Verurteilung.« Er nickte zur Mauer und legte neugierig den Kopf schief. Wieder war ihm keine Feindseligkeit mehr anzumerken, obwohl der Stein, den ich nach ihm geworfen hatte, mit Sicherheit einen hässlichen Bluterguss hinterlassen hatte.
»Ich, Herzog Rouphon Ambris, bitte die Seraphilen um Vergebung für meine vielen Sünden«, sagte Erchel und ahmte dabei die Sprechweise der Adligen nach. »Jahrelang hab ich meinen fetten Arsch auf Pferde geschwungen, die ich nicht aufgezogen hatte, Gemüse gegessen, das ich nicht angebaut, und Fleisch verzehrt, das ich nicht selbst geschlachtet hatte. Obendrein vögelte ich jede Bauernmagd, die mir über den Weg lief, und bereicherte mich als Steuereintreiber der Krone an Geld und Waren, die mir nicht gehörten. Hin und wieder zog ich irgendwohin aus, um ein paar arme Säue abzumurksen, weil der König es so wollte. Dann fiel ich ihm wie ein undankbarer Hund in den Rücken, weil er mich nicht noch reicher machte, als ich sowieso schon war, und hier steh ich nun. Jetzt wasch meine Seele rein, du frommer Dreckskerl, damit ich für immer im Paradies leben kann.«
Er wandte sich mir grinsend zu. »Richte Deckin aus, dass er genau das gesagt hat. Es wird ihm gefallen.«
»Nein.« Ich erinnerte mich an Deckins Gesichtsausdruck an dem Tag, als wir den Herzog heimlich bei der Jagd beobachtet hatten, und schaute noch ein letztes Mal zu der grausigen Parade auf der Mauer hoch, bevor ich mich umdrehte und auf die Stadt zuging. »Würde es nicht. Komm, Schwätzer, lass uns weitergehen.«
Wie Lorine es uns eingeschärft hatte, suchten wir uns die heruntergekommenste Taverne der Stadt aus. Nur die durstigsten Soldaten würden sich in dem Etablissement mit dem billigsten Ale versammeln. Um einen Tisch im hinteren Bereich der schmuddeligen Schenke zu ergattern, mussten wir die beiden Knechte einschüchtern, die sich dort niedergelassen hatten. Beide waren ältere Männer mit zottligen Bärten und den hageren, müden Gesichtszügen von Leuten, die zum Pflügen und Hacken geboren worden waren. Die beiden schauten misstrauisch zu uns hoch, standen aber nicht auf. Einer von ihnen wollte wohl gerade eine Warnung brummen, verstummte jedoch, als Erchel sich vorbeugte und ihm den Tonkrug aus der Hand riss.
»Verschwindet, hm?«, sagte Erchel mit höflichem Lächeln und Augenzwinkern. Um seine Worte zu unterstreichen, ließ er es in seinem Gesicht zucken und blähte die Nasenflügel, als wollte er jeden Moment eine Schlägerei anfangen. Das überzeugte die beiden Knechte, den Tisch aufzugeben und die Taverne eilig zu verlassen.
»Bist du sicher, das hier ist der beste Ort?«, fragte Erchel, ließ sich auf einen Schemel sinken und stellte mit einem verächtlichen Stirnrunzeln den Krug ab. »Nicht mal ein Säufer würde seine Zunge mit solchem Pisswasser beschmutzen.«
»Ein echter Säufer trinkt Schnaps, kein Ale.« Ich deutete auf die Brandyfässer, die hinter der massigen Gestalt des Tavernenwirts zu sehen waren. »Je billiger, desto besser. Keine Sorge, die kommen schon noch. Und halt den Mund. Du bist ein Einfaltspinsel, erinnerst du dich?«
Wie ich prophezeit hatte, traten kurze Zeit später ein halbes Dutzend Soldaten des Herzogs ein. Sie stolzierten nicht prahlerisch umher, wie es frische Rekruten taten, und ihre faltigen, wettergegerbten Gesichter wirkten alle gleichermaßen mürrisch. Die unangenehme Arbeit am Morgen hatte offenbar für düstere Stimmung gesorgt und den Wunsch, sich zu betrinken. Der Krieg, wie ich später erfahren sollte, beraubt die Jungen schnell ihrer Jugend. Ihre Rüstungen hatten die Männer abgelegt, sie trugen jedoch Dolche und Schwerter am Gürtel, die meisten sogar mehr als eine Waffe. Sie waren alle sauber gewaschen und ihre Haare kurz geschnitten, ihre Kleidung hingegen – Lederjacken und -hosen, dazu Wollhemden – war mehrfach geflickt und abgewetzt.
»Brandy«, rief einer von ihnen dem Tavernenwirt zu, nachdem er sich im dunklen Inneren der Schenke kurz umgeschaut hatte. »Und schenk uns besser den guten ein, Freundchen.«
Er warf ein paar Sheks auf die Theke, und die Soldaten ließen sich an einigen Tischen in der Nähe des Kamins nieder. Die wenigen Stadtbewohner, die dort gesessen hatten, ergriffen weitaus schneller die Flucht als die beiden Knechte, die Erchel und ich verscheucht hatten. Wir beobachteten, wie die Soldaten schweigend dasaßen, während der Tavernenwirt jedem einen Schluck Brandy in einen Tonbecher goss. Als er fertig war, hob der Soldat, der bezahlt hatte – ein kräftiger Kerl, dessen Gesicht noch runzliger war als das seiner Gefährten –, ernst seinen Becher, und die anderen taten es ihm gleich.
»Wir danken den Märtyrern für einen kurzen Feldzug und bitten sie, die Seele von Herzog Rouphon in Empfang zu nehmen«, sagte er. »Ein tapferer Mann, der sich zum Schlechten gewandelt hatte und dennoch ein besseres Ende verdient gehabt hätte.«
Die anderen Soldaten murmelten zustimmend und leerten ihre Becher, worauf sich ihre mürrische Stimmung sofort zu verflüchtigen schien. »Mehr!«, rief der Runzlige dem Tavernenwirt zu und hielt seinen Becher hoch. »Und hör erst auf nachzuschenken, wenn wir es sagen.«
Während sie tranken, schlüpften Erchel und ich in unsere Rollen. Dicht nebeneinander saßen wir an unserem Tisch und nippten nur hin und wieder an unserem Ale, damit es so aussah, als könnten wir uns keinen zweiten Krug leisten. Ich warf den Soldaten vorsichtige Blicke zu und beugte mich ein Stück vor, als wollte ich den Geschichten lauschen, die sie zu erzählen begannen, nachdem der Brandy ihre Laune verbessert und ihre Zungen gelockert hatte.
»Ich hab ihn bei der Velkin-Furt gesehen, jawohl«, sagte einer. Er war breitschultriger als die anderen, und eines seiner Ohren war verstümmelt und erinnerte an einen kleinen rosa Kohlkopf. Außerdem schien er schneller betrunken zu werden als die übrigen. Lautstark erzählte er seine Anekdote. »Den Herzog … ehemaligen Herzog. Er hat den Angriff angeführt, zusammen mit Sir Ehlbert. Das Wasser färbte sich weiß, als sie vorpreschten, und rot, als sie nur eine Viertelstunde später wieder zurückkamen. Die Märtyrer allein wissen, wie viele Knechte sie an diesem Tag erschlugen, da war kaum ein Adliger drunter. Die magerste Beute, die ich je gesehen hab.«
»Findest du hier was interessant, Junge?«
Meine Augen huschten zu dem Runzligen, und ich bemühte mich, überrascht zu blinzeln, bevor ich schnell den Blick abwandte. Aus Erfahrung wusste ich, dass als Nächstes eines von zwei Dingen passieren würde. Der Runzlige würde entweder schimpfen, dass ich mich um meinen eigenen Kram kümmern sollte, oder er würde von seinem Tisch aufstehen und zwei mögliche Rekruten in ein Gespräch verwickeln. Das hing davon ab, wie dringend dieser Haufen Geld brauchte. Für gewöhnlich erhielten Soldaten für jeden Grünschnabel, den sie zu einem Leben unter dem Banner verlocken konnten, von ihren Feldwebeln eine Kopfprämie. Der Runzlige hatte offenbar eine leere Geldbörse, denn er schob seinen Stuhl zurück und kam mit freundlichem Grinsen herübergeschlendert.
»Kann’s dir nicht verdenken, dass du lauschst. Mein Freund kann gut Geschichten erzählen, wenn das auch noch längst nicht seine beste war. Oder, Pots?«
»Nicht mal annähernd«, stimmte Pots mit fröhlichem Kichern zu, in seinen Augen leuchtete plötzlich Gier. Offensichtlich war er nicht so betrunken, dass er sich die Gelegenheit entgehen ließe, einen Teil der Kopfprämie abzusahnen. »Ich war beim Sturm auf die Zitadelle in Couravel dabei, jawohl. Der letzte Tag der Herzog-Kriege, und was für ein Tag das war! Falkner«, er zwinkerte dem Runzligen zu, »lass uns den Jungs ein Ale ausgeben, und ich erzähle ihnen die ganze Geschichte.«
Und so ging es weiter. Erchel und ich saßen die meiste Zeit mit geweiteten Augen scheinbar halb betrunken da und lauschten Pots’ Geschichten, und Falkner orderte ein Ale nach dem anderen. Die Stunden vergingen, und in die Kriegsgeschichten mischten sich Märchen über Beute und Frauen. »Kann sein, dass die Mädels nette Männer mögen, die hübsche Lieder singen, aber der mit den Narben und der prall gefüllten Geldbörse ist es, der ihr Blut so richtig in Wallung bringt.«
Ich lachte pflichtschuldig, obwohl der Mann mit seiner gebrochenen Nase und der von Äderchen geröteten Haut unangenehme Erinnerungen an die Säufer in mir weckte, die sich im Hurenhaus gedrängt hatten, wenn eine Armee durchzog. Männer wie er hatten jede Menge Narben, aber nur selten eine prall gefüllte Börse, und sie traten gern nach kleinen Jungen, die ihnen in den Weg liefen.
»War der Herzog da auch dabei?«, meldete Erchel sich zu Wort, als Pots eine andere Geschichte begann. Mir gelang es, einen vorwurfsvollen Blick zu unterdrücken, wenn mich das boshafte Funkeln in seinen Augen auch dazu verlockte, ihm über den Tisch hinweg einen Fausthieb zu verpassen. Erchel hatte offenbar beschlossen, dass ihm die Rolle des stummen Einfaltspinsels nicht gefiel, was diesen Abend unweigerlich komplizierter machen würde als notwendig.
»Ehemaliger Herzog«, berichtigte Falkner und klang dabei so streng, dass Erchel zerknirscht den Blick senkte.
»Nicht an dem Tag, nein«, sagte Pots. Seine Geschichte war eine, die ich schon einmal gehört hatte. Die Schlacht der Brüder war weithin bekannt: ein großer Schlagabtausch zwischen den Heeren zweier Sprösslinge derselben Adelsfamilie, die sich in den Herzog-Kriegen auf unterschiedliche Seiten gestellt hatten. Am Ende lag der eine Bruder im Sterben und der andere hielt ihn bitterlich weinend im Arm und bat die Märtyrer um Vergebung. Deckin, der selbst in den Herzog-Kriegen gekämpft hatte, vertraute mir hingegen einmal an, das tragische Epos sei in Wahrheit kaum mehr als ein großes Scharmützel gewesen, das unentschieden ausging. Und am Ende pisste der überlebende Bruder auf die Leiche des toten, weil sie einander ihr Leben lang gehasst hatten.
»Eigentlich hab ich ihn nur bei der Velkin-Furt im Kampf erlebt«, fuhr Pots fort. »Aber das hat mich davon überzeugt, dass er der beste Ritter war, den ich je zu Gesicht bekommen werde.« Seine Miene verfinsterte sich. Er trank noch einen Schluck Brandy und fügte leise hinzu: »Nicht so wie der Scheißkerl da oben im Norden. Der wird einen verflucht miesen Herzog abgeben.«
»Scheißkerl?«, fragte ich und achtete darauf, zu lallen und die Stirn zu runzeln, so als interessierte mich das Gesagte nur mäßig und als könnte ich mich auch mit einiger Sicherheit später nicht mehr daran erinnern.
»Herzog Rouphons Großcousin zweiten Grades oder so ähnlich«, erwiderte Pots. »Der einzige beschissene Adlige mit Anspruch auf dieses Herzogtum, den sie finden konnten, mögen die Märtyrer ihnen beistehen.«
»Pots«, mahnte Falkner.
Pots hatte jedoch schon zu viele Becher geleert, um der Warnung Beachtung zu schenken. »Herzog Elbyn Blousset, so sollten wir ihn nennen. Das ist so, als würde man einem toten Schwein eine goldene Schleife umbinden. Hab ein paar Worte zwischen ihm und Sir Ehlbert aufgeschnappt, als wir auf seiner Scheißburg einquartiert waren.« Pots rülpste und lachte unfroh, bevor er mit hoher, jammriger Stimme fortfuhr. »›Aber ich bin kein Kämpfer, guter Herr. Solche Dinge überlasse ich lieber Euch …‹«
Gerade wollte ich mich nach dem genauen Standort der »Scheißburg« erkundigen, da schlug Falkner mit der flachen Hand auf den Tisch und befahl Pots in strengem Ton zu schweigen. Dieser verzog trotzig den Mund, war jedoch nicht so betrunken, dass er eine Prügelei riskiert hätte. Er verstummte und überließ es von nun an seinem Kameraden, ihre beiden jungen Freunde mit Geschichten über die Freuden des Soldatenlebens zu unterhalten.
»Ich schätze mal, ihr Jungs seid harte Arbeit gewohnt, so wie ich damals«, sagte Falkner. »Jahrelang ging ich bei einem grausamen Meister in die Lehre. Hatte ständig Schmerzen im Rücken von seinem Rohrstock und der endlosen Plackerei. Wenn man dagegen unter dem Banner anheuert, hat all das ein Ende.«
»Ich dachte, Soldaten werden ständig ausgepeitscht«, lallte Erchel mit überzeugend trübem Blick. Er genoss die Rolle, freute sich über den Erfolg seiner Täuschung. Mich beunruhigte das, denn bei Erchel stellte die Täuschung stets den Auftakt zu weit übleren Taten dar.
»In unserer Kompanie bekommen nur Feiglinge die Peitsche zu spüren«, versicherte Falkner ihm und klopfte uns auf die Schultern. »Und ich sehe auf den ersten Blick, dass so tapfere Kerle wie ihr niemals vor einer Schlacht davonlaufen würden …«
Der Tag ging in die Nacht über. Pots und Falkner waren so freundlich, uns zu ihrer Kompanie einzuladen, wo uns jede Menge zu trinken und noch mehr Geschichten erwarteten. Ich wusste, wie das für die Unglückseligen endete, die dumm genug waren, den Soldaten in die Falle zu gehen. Sie erwachen am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen, an ein Karrenrad gefesselt, im Mund eine Silbermünze. Dann kommt ein Feldwebel und nimmt ihnen die Münze weg, wobei er ihnen zusichert, dass sie sie zurückerhalten, sobald ihre fünf Jahre unter dem Banner vorbei seien, und noch eine zweite dazu. Wegen des Prätendenten-Kriegs und all den Lagerfiebern, Pocken und anderen Gefahren des Soldatenlebens waren die Chancen, jemals beide Münzen zu erhalten, jedoch äußerst gering. Die Zeiten, als die jungen Leute noch mit Visionen von Ruhm zum Banner strömten, waren längst vorbei, weshalb man heute auf solch schändliche Praktiken zurückgreifen musste, um die Stärke der Kompanien zu erhalten.
Es gibt zwei Arten von Soldaten, die sich freiwillig anheuern lassen , hatte Deckin mir einmal gesagt, die verrückten und die verzweifelten. Alle anderen sind genauso freiwillig dabei wie die armen Schweinehunde, die in den Erzminen schuften .
»Erst muss ich pissen gehen.« Ich stand schwankend auf. Der Plan lautete, dass Erchel und ich zum Plumpsklo im Hinterraum der Taverne stolpern und dann einfach verschwinden sollten. Die Soldaten würden ihr Pech verfluchen, weil wir ihnen entwischt waren, und uns wahrscheinlich bald wieder vergessen haben. Bei Morgengrauen wären wir zurück im Lager und könnten Deckin alles erzählen, was wir in Erfahrung gebracht hatten.
»Wir pissen unterwegs«, erklärte Erchel laut, stand auf und schüttete den Rest seines Ales hinunter. »Ihr habt Brandy, sagt ihr?«
»Ein ganzes Fass voll«, versicherte ihm Falkner und klopfte ihm auf die Schulter, während er ihn zur Tür führte. »Den verdanken wir dem Prätendenten höchstpersönlich. Der Mistkerl ist geflohen und hat uns all seinen Schnaps dagelassen.«
Als wir aus der Taverne traten, begrüßten uns kalte Luft und ein mit Rauhreif überzogener Boden. Beides vertrieb die Nachwirkungen des Saufgelages. Mein Magen krampfte sich zusammen, während wir neben Falkner und Pots herschlenderten. Ich wusste, nun ließe sich nicht mehr verhindern, dass der Abend ein hässliches Ende nahm. Die anderen Soldaten waren in der Schenke geblieben – zum Glück für uns, aber nicht für diese beiden hier. Während die Kompanie der Krone in Burg Ambris untergebracht war, hatten die Kompanien des Herzogs ihr Lager auf der anderen Flussseite aufgeschlagen, vermutlich um unnötigen Ärger mit der Stadtbevölkerung zu vermeiden. Erchel wartete, bis wir die schmale Holzbrücke zum anderen Ufer überquert hatten, bevor er stehen blieb. Er schwankte hin und her und zog ein Gesicht, als wäre er sturzbetrunken.
»Ich muss …«, murmelte er und stolperte zum dichten Schilfrohr am Flussufer. Gleich darauf waren Würgegeräusche zu hören.
»Der braucht noch ein bisschen Abhärtung«, stellte Pots fröhlich fest, während Erchel weiterkotzte, so laut, dass die Soldaten es deutlich hören konnten. »Ein paar Jahre unter dem Banner, und ihr habt einen Magen aus Stahl.« Zum Glück hatte ihr Hauptmann es versäumt, an der Brücke Wachposten aufzustellen, und die Patrouillen, die das Lager umrundeten, waren zu weit entfernt, um zu bemerken, was als Nächstes geschah.
Mein Knüppel war auf meinem Rücken versteckt – ein sechs Zoll langer Stab aus fest gewickeltem Leder, in dem sich an einem Ende eine Kugel aus eingeschmolzenen Sheks verbarg. Bei einer Schlägerei nützte er nicht viel, da waren ein Messer oder eine Keule besser, aber in erfahrenen Händen war er in Situationen wie dieser gut zu gebrauchen, und meine Hände waren sehr erfahren. Das schwere Ende traf Falkner hinter dem Ohr. Der Schlag schickte ihn sofort zu Boden, als wären ihm sämtliche Sehnen in den Beinen durchgeschnitten worden. Bei seinem Aufprall keuchte Pots verwirrt auf und drehte sich zu mir um. Wegen des Brandys weiteten sich seine Augen nicht, als er mich anstarrte. Das taten sie erst, als Erchel ihm einen kleinen Dolch in den Nacken stieß.
»Was, verflucht noch mal, sollte das?!«, zischte ich wütend und packte Erchel an seinem grob gewebten Hemd. Als ich ihn zu mir heranzog, setzte er die halb zerknirschte, halb feixende Miene auf, die ich von ihm kannte und die mich in Versuchung brachte, ihm mit dem Knüppel eins zwischen die Augen zu geben.
»Die haben unsere Gesichter gesehen«, sagte er und zuckte die mageren Schultern. »Tote reden nicht.«
»Wir hätten uns eigentlich längst verdrücken sollen, du beklopptes Arschloch.« Beim Anblick seiner selbstgefälligen Miene – wie ein Junge, der dabei erwischt worden war, wie er vom frisch gebackenen Kuchen naschte – hätte ich am liebsten nach meinem Messer gegriffen. Ich könnte ihn einfach abstechen und ins Lager zurückkehren. Vermutlich würde Deckin nicht einmal besonders wütend sein. Aber dennoch: Ich wusste, dass ich mitschuldig war an dem, was sich eben abgespielt hatte. Ein paar Nächte zuvor hatte ich Erchel um einen Mord betrogen, und seither hatte das Verlangen in ihm geschwelt. Nachtragend war er zwar nicht, aber gegen Rachegelüste schien auch er nicht gänzlich gefeit. Ich wäre derjenige, der Deckin alles erklären müsste. Doch es war nicht nur das, was mich innehalten ließ. Ich kannte Erchel seit meiner Kindheit. Er gehörte zur Bande, wenn er auch ein Scheusal war. Außerdem besaß er ebenfalls ein Messer.
»Ihre komplette Kompanie wird morgen früh nach uns suchen«, presste ich zähneknirschend hervor und stieß ihn von mir.
»Von Strauchdieben überfallen.« Erchel schüttelte Blut von seiner Klinge und zuckte die Achseln. »In den Wäldern wimmelt es nur so von Gesetzlosen.«
»Wir wurden gesehen, wie wir mit ihnen die Taverne verlassen haben, du Armleuchter! Soldaten, die von jungen Männern, denen sie die Silbermünze unterjubeln wollten, überfallen und ausgeraubt werden – so was passiert ständig. Aber Mord ist was anderes. Das kannst du Deckin verflucht noch mal selber erzählen, und erwarte nicht, dass ich für dich lüge.«
Sein Feixen wurde zu einem zittrigen Lächeln, als er meinen unnachgiebigen Blick sah. Jetzt erst, da der Rausch des Mordens nachließ, dachte er über die Konsequenzen nach. Der Moment dehnte sich in die Länge, bis Falkner plötzlich ein schwaches Röcheln ausstieß, das uns daran erinnerte, dass uns die Zeit davonlief.
»Ich kümmer mich um ihn«, sagte Erchel.
»Nein.« Seinen Wahnsinn so schnell schon mit einem zweiten Mord anzuheizen, wäre unklug. »Ich mach das. Durchsuch du den anderen und schlepp ihn zum Fluss. Mit ein bisschen Glück trägt die Strömung ihn weg.«
Ich tötete Falkner mit einem seiner eigenen Dolche, den ich ihm tief in den Hals stach und ihn herumdrehte, bis der Soldat erzitterte und still lag. Im Stiefel hatte er noch ein weiteres Messer, das ich herausnahm und in meinem eigenen Stiefel verschwinden ließ, bevor ich die Leiche abklopfte. Ich fand eine leichte Geldbörse und ein Bund-Medaillon: eine grob gehämmerte Bronzesonne, das Symbol von Märtyrerin Hersephone, der ersten Wiederauferstandenen, das Glück bringen sollte. Ich lachte verbittert, während ich den Anhänger betrachtete. Es war ein primitives Ding ohne jeden Wert. Ich behielt ihn trotzdem und hängte mir die Kette um den Hals. Dann packte ich Falkners Beine, um ihn zum Fluss zu ziehen.
Wir mussten ein Stück in den Fluss hineinwaten – der so kalt war, dass es einem die Eier schrumpeln ließ –, damit die Strömung die Leichen erfasste. Uns blieb keine Zeit, Steine zu sammeln, um sie zu beschweren; bald schon würden ihre Kameraden die Taverne verlassen und zu ihrem Lager zurückkehren. Wasser strömte in die Taschen und Stiefel der Toten und zog sie unter die Oberfläche, wonach der Fluss sie wegtrug, aber ich wusste, dass die Verwesungsgase, die sich in ihren Leibern bildeten, sie bald schon wieder nach oben treiben würden.
Wir stapften zurück zum Ufer und rannten auf die Bäume zu, um uns in die dunkle, willkommene Umarmung des Waldes zu flüchten. Beim Laufen grübelte ich über verschiedene Möglichkeiten nach, wie ich Erchel umbringen könnte, verwarf sie jedoch allesamt wieder. Mir blieb nicht genügend Zeit, und der Erfolg war ungewiss. Im weiteren Verlauf der Geschichte werdet ihr, liebe Leserinnen und Leser, noch voll und ganz verstehen, warum seither kein Tag vergangen ist, an dem ich mir nicht gewünscht hätte, ich hätte ihm in jener Nacht die Kehle durchgeschnitten.