Sechstes Kapitel

D amals war der Shavine noch um einiges größer. Die Scharen von Köhlern und Holzfällern, die in den Wald einfielen, um die Nachfrage von Schmieden und Schiffswerften zu decken, und die ihn auf seine gegenwärtige Größe schrumpfen ließen, kamen erst später. Zu der Zeit, als Deckins Bande den Wald unsicher machte, hatte der Raubbau zwar schon begonnen, dennoch bleibt der Shavine in meiner Erinnerung riesig. Oft erscheint er mir wie ein eigenständiges Lebewesen – ein gewaltiges Ungeheuer aus uralten Bäumen, Lichtungen und mit Wurzeln durchzogenen Senken, wo sich findige und erfahrene Banditen Monate, wenn nicht gar Jahre vor den Sheriffs des Herzogs verstecken konnten.

Als es deshalb Zeit wurde, das Lager abzubrechen und zur Leffold-Lichtung zu wandern, taten wir das langsam und vorsichtig. Jeder wusste, was zu tun war, ohne dass darüber gesprochen werden musste. So vollzog sich der Wechsel von einem Versteck zum nächsten. Der alte Herzog hatte von Zeit zu Zeit Soldaten und Jäger in die dunkleren Regionen des Waldes geschickt, wo die Jagdhunde mit etwas Glück ein paar Schurken aufschreckten, die sie dann hängen konnten. Ob sein neu eingesetzter Cousin ebenso tüchtig war, musste sich erst noch zeigen, und Deckin wollte lieber nichts riskieren.

Seine Entscheidung, das Lager abzubrechen, stieß in der Bande auf wenig Begeisterung, wenn auch niemand so dumm war, das laut auszusprechen. Bei Winteranbruch auf Wanderschaft zu gehen, bedeutete, tagelang über gefrorene Erde zu schlurfen, während im Dickicht kaum Wild zu finden war und man abends Schwierigkeiten hatte, ein Feuer anzuzünden. Die Nächte waren am schlimmsten – stundenlanges Zittern in der Dunkelheit, das nur erträglicher wurde, wenn Gerthe sich gelegentlich an mich kuschelte, damit wir uns gegenseitig wärmen konnten. Leider war Kuscheln alles, was sie zuließ, und ich war mir ihres kleinen, scharfen Dolches zu sehr bewusst, um meine Hand auf Wanderschaft zu schicken.

Die Leffold-Lichtung befand sich zwanzig Meilen weit im Norden, im dichten Wald zwischen dem Kernland des Herzogtums und den Sümpfen an seiner Nordostgrenze. Um sie zu erreichen, musste man mehrere Meilen offenes Gelände durchqueren, was wir stets nur im Schutz der Nacht und in genau festgelegter Marschordnung taten. Bogenschützen wurden an beiden Flanken postiert, gut dreißig Schritt vom Rest der Bande entfernt, der sich mit Dolchen und anderen Waffen um Deckin und Lorine scharte. Da ich mit einem Bogen nicht gut umgehen konnte und noch nicht als kräftig genug galt, um als Leibwächter zu dienen, wurde ich als Späher vorausgeschickt. Beim Anblick von patrouillierenden Soldaten sollte ich einen gellenden Pfiff ausstoßen.

Die Bande überquerte im Laufschritt eine Straße. Wenn die Männer des alten Herzogs auch nur selten nachts patrouilliert hatten, kam es doch vor, dass die Sheriffs an stark frequentierten Übergängen auf der Lauer lagen. In dieser Nacht war uns das Glück hold, und ich erreichte die Sicherheit der Bäume, ohne auf Schwierigkeiten zu stoßen. Der Wald war vom Knarren der Äste erfüllt, die mit dem ersten Schnee des Winters beladen waren. In der Wildnis allein im Dunkeln unterwegs zu sein, war nie sonderlich angenehm, selbst wenn man das Leben im Wald gewohnt war. Es weckte Urängste in einem; man wusste, dies war weder der Ort noch die Zeit, um draußen herumzulaufen.

Deshalb hätte ich dankbar sein müssen, als ich Lorine auf mich zukommen sah. Ihr Atem wölkte sich weiß in der Finsternis, aber etwas an ihrer Miene machte mich argwöhnisch. Sie hatte ein vorsichtiges Lächeln aufgesetzt und musterte mich fragend, als wollte sie meine Reaktion ausloten. Das Gekünstelte des Ausdrucks störte mich, ebenso wie die Tatsache, dass ich sie so leicht durchschaute; sonst war sie eine viel bessere Schauspielerin.

»Ich dachte, du könntest vielleicht noch ein Paar Augen gebrauchen«, sagte sie. »Da Erchel nicht hier ist.«

Für gewöhnlich begleitete Erchel mich als Späher, aber seiner Bestrafung wegen war er im Moment nicht in der Verfassung dazu. Er stolperte nur elend durch den Wald und wimmerte ständig vor Schmerzen. Ich nickte Lorine zu, blies mir auf die Hände und rieb sie aneinander. Sie schaute sich demonstrativ um und seufzte dann zufrieden. Wäre da nicht ihr falsches Lächeln gewesen, so hätte ich – ewig lüstern – vielleicht vermuten können, sie hätte ein kleines Stelldichein eingefädelt als Belohnung für meine gute Arbeit in der letzten Zeit. Eine gefährliche, aber durchaus verlockende Vorstellung, die sich ebenso schnell in Luft auflöste, wie sie gekommen war. Ich verspürte den starken Wunsch, auf Abstand zu ihr zu gehen. Meine geschärften Instinkte warnten mich, dass mir ein riskantes Gespräch bevorstand.

Anfangs sagte sie nichts, sondern drehte sich nur um und legte die Hände an den Mund, um die drei Eulenrufe auszustoßen, die der Bande mitteilten, dass die Luft rein war. Erst als die schattenhaften Gestalten der anderen zwischen den Bäumen auftauchten, murmelte sie: »Du weißt, was er vorhat, oder?«

»Natürlich nicht.« Ich blies erneut auf meine Hände und schaute mich um, damit ich sie nicht ansehen musste.

»Du bist alles andere als dumm, Alwyn. Ich weiß, dass du uns ausspionierst. Und dass du mehr hörst und siehst, als du eigentlich solltest.« Ich spürte ihren Blick auf mir ruhen, und mir wurde trotz der Kälte heiß. Wie oft hatte ich mir ausgemalt, wie es wäre, mit dieser Frau allein zu sein. Doch damit hatte diese Hitze nichts zu tun. Wie immer im Leben war die Realität weit von jedem Traum entfernt. »Sag mir …«, Schnee knirschte, als sie einen Schritt näher trat, »… was denkst du, was er vorhat?«

»Irgendwas mit dem neuen Herzog.« Ich wagte einen Blick in ihr Gesicht und stellte fest, dass ihr Lächeln verschwunden war. Stattdessen musterte sie mich prüfend. »Er könnte ein saftiges Lösegeld einbringen. So was haben wir ja schon öfter gemacht. Wir schnappen ihn uns und leiern dem König einen Karren voll Gold aus den Rippen, wenn er ihn wiederhaben will.«

»Kaufleute und den ein oder anderen Adligen – solche Leute haben wir bisher als Geisel genommen. Das hier ist was anderes. Und was macht dich so sicher, dass Deckin nur hinter Lösegeld her ist?«

Ich bin entschlossen, Herzog zu werden . Ich wiederholte nicht, was Deckin in jener Nacht gesagt hatte, obwohl sie mit ziemlicher Sicherheit wusste, dass ich sie belauscht hatte. Dieses ganze Gespräch vermittelte mir das Gefühl, in eine Schlangengrube geraten zu sein. »Was könnte es sonst sein?« Ich bedauerte die Frage, sobald ich sie ausgesprochen hatte, denn sie gab Lorine einen Grund, noch näher zu treten.

»Er spricht mit dir«, sagte sie ruhig, »erzählt dir Dinge, die er mir nicht erzählt. Von einem Bastard zum anderen. Sag du mir, was er vorhat.«

Als ich ihren bohrenden Blick sah, begriff ich, dass die Frage nicht bloß rhetorisch gemeint war. Sie glaubte wirklich, dass ich mehr wüsste als sie. »Wir unterhalten uns manchmal«, sagte ich. »Er redet viel, aber er sagt nur wenig.«

»Er wird dir mehr erzählen, wenn er in rührseliger Stimmung ist. Wenn er die ganze Trauer, den Hass und die Liebe loswerden will, die er für seinen Erzeuger empfindet. Früher hat er sich mir anvertraut. Jetzt bist du sein Vertrauter.«

Sie machte eine rasche Handbewegung, und ich wich zurück, in Erwartung einer zustechenden Klinge. Stattdessen flog etwas zwischen uns durch die Luft, etwas, das im trüben Mondlicht funkelte, bevor es auf meiner Handfläche landete. Eines hatte ich im Leben frühzeitig gelernt: niemals eine herabfallende Münze auf dem Boden aufkommen zu lassen. Es gab stets zu viele andere Hände, die danach greifen würden. Die Silbermünze wog nicht mehr als ein paar Sheks, doch in meiner Hand fühlte sie sich schwer an, schwerer noch, als Lorine eine zweite dazulegte.

»Er wird dir Dinge erzählen«, sagte sie. »Dinge, die ich wissen muss. Unser aller Wohlergehen hängt davon ab …«

Sie verstummte abrupt, als ich die Hand umdrehte. Die beiden Münzen hinterließen kleine Löcher im Schnee, als sie zu Boden fielen.

»Ich habe dich immer gemocht, Lorine«, sagte ich. Ihre Miene war plötzlich ausdruckslos, aber ich bildete mir ein, dass sie auch ein klein wenig blasser aussah. Ich blickte über ihre Schulter zu den schattenhaften Umrissen der anderen, die durch die Bäume auf uns zugerannt kamen, Deckins massige Gestalt die größte unter ihnen.

»Deshalb werde ich das hier vergessen«, fuhr ich fort und wandte mich von ihrem maskenhaften Gesicht ab. »Und du tust am besten dasselbe.«

• • •

Die Leffold-Lichtung war vielleicht das bestgehütete Geheimnis unter den Banden, die im Shavine ihr Unwesen trieben – ein günstig gelegener Treffpunkt, wo verschiedene Gruppen sich zusammenfanden, um Bündnisse zu schließen und Streitigkeiten beizulegen. Aus unbekannten Gründen war sie von den Herzögen oder Sheriffs nie entdeckt worden, was sie für Leute wie uns zu einer Art Pilgerstätte machte; man war erst ein waschechter Gesetzloser, wenn man die Lichtung besucht hatte.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte das Wort »Amphitheater« noch keinen Eingang in meinen Wortschatz gefunden, aber genau darum hatte es sich wohl früher einmal gehandelt. Stufenförmig angelegte Sitzreihen ragten wie eine Schüssel um eine kreisrunde Fläche von etwa vierzig Schritt Durchmesser auf. Das Ganze war mit Wurzeln und Unkraut überwuchert, aber Granit und Marmor, die unter dem Bewuchs und dem Schnee hervorschauten, belegten zweifelsfrei, dass es sich nicht um ein natürliches Gebilde handelte. Obwohl die Steine rissig und moosbedeckt waren, spürte man die Erhabenheit dieses Ortes noch sehr deutlich, und mein jugendlicher Geist gaukelte mir, wann immer wir hierherkamen, die unterschiedlichsten, zweifellos unrealistischen Vorstellungen vor.

Ich malte mir aus, wie sich eine gewaltige Menschenmenge auf den Rängen drängte und über das Spektakel in der Arena jubelte oder spottete. Bis heute weiß ich nicht sicher, ob es sich tatsächlich um eine Arena handelte. Schriften aus der Zeit vor der großen Plage sind seltener als Gold, und während in manchen von ihnen Kämpfe als eine Form der Unterhaltung beschrieben werden, zeichnen andere das Bild eines Volkes, das Theaterstücke und Dichtkunst ebenso sehr liebte wie blutige Spektakel. Damals war ich zu solchen Überlegungen freilich noch nicht fähig, und so stellte ich mir die Sklavenkrieger uralter Zeiten vor, die entsetzliche Kämpfe ausfochten, während den Siegern die bewundernden Blicke der Damen galten, die das blutige Schauspiel zu unersättlicher Wollust anstachelte …

»Alwyn.«

Ich drehte mich gerade rechtzeitig um, dass mich der Körper eines Hasen mit weißem Fell im Gesicht traf – sehr zu Justans Belustigung. »Zeit zum Kochen!« Lachend hielt er einige weitere Tiere hoch, die ihm in die Fallen gegangen waren.

Er war nicht sonderlich groß, und ich hätte ihn ohne Weiteres verprügeln können, aber bis auf seine Vorliebe für derbe Späße war er das liebenswürdigste Mitglied der Bande. Es fiel schwer, ihn nicht zu mögen. Außerdem konnte er hervorragend mit dem Messer umgehen, was Rachegelüste einigermaßen unratsam machte.

»Lass dir von einem der Welpen helfen«, sagte ich, womit ich das knappe Dutzend Kinder in unserer Bande meinte. Nach meinem jüngsten Erfolg hielt ich solche Arbeiten für unter meiner Würde.

»Deckins Befehl.« Er trat zurück und nickte auffordernd zu den Kindern, die am Rand der Arena eine Feuerstelle errichteten. »Er will unsere Gäste mit einem schmackhaften Festmahl bewirten, und da mein lieber Yelk unterwegs ist, bist du momentan unser bester Koch.«

Wir waren schon seit fast drei Wochen auf der Lichtung. Gleich nach der Ankunft hatte Deckin die Boten ausgewählt; zu meiner Überraschung war auch Erchel darunter. »Du musst deinem Onkel unbedingt erzählen, woher du das Hinken und die vielen Schrammen hast«, sagte Deckin und reichte ihm etwas, das Uneingeweihten nur wie ein Bündel ausgefranster Schnüre erschienen wäre. In Wahrheit bestand es aus vier unterschiedlich langen Seilstücken, die zu einem bestimmten Knoten gebunden waren, wie ihn nur äußerst geschickte Hände zustande brachten. Die wenigsten Banditen können lesen, aber in den Shavine-Marschen kannte jeder, der etwas auf sich hielt, die Bedeutung dieser Knoten: eine Einladung vom König der Gesetzlosen.

Erchel, den ich nie wieder dermaßen eingeschüchtert und gefügig erleben sollte, nickte bloß und hinkte gehorsam in Richtung Osten davon. Die übrigen Knoten wurden Twine, Baker und Yelk anvertraut, die daraufhin in die drei anderen Himmelsrichtungen aufbrachen. Während wir darauf warteten, dass die Gesetzlosen Deckins Ruf folgten, errichteten wir uns Unterkünfte, um uns vor der zunehmenden Kälte und den immer heftigeren Schneefällen zu schützen, und erlegten im umliegenden Wald so viel Wild, wie wir finden konnten. Am Vorabend waren die Späher mit der Neuigkeit zurückgekehrt, dass sich von Osten und Westen her andere Banden näherten. Die Lichtung würde also bald der Schauplatz eines der größten Banditentreffen der letzten Jahre werden, und vom Gastgeber wurde ein gewisses Maß an Bewirtung erwartet.

Seufzend schluckte ich jeden weiteren Protest hinunter und ging zur Feuerstelle. »Wir brauchen noch mehr Holz und deutlich mehr Wasser.«

Zu unseren beeindruckendsten Jagderfolgen zählten zwei ausgewachsene Eber, die sogleich ausgeweidet, aufgespießt und über das Feuer gehängt wurden, denn es würde viele Stunden dauern, bis sie durchgegart waren. Ich befehligte meine Kompanie Untergebener mit der Effizienz eines Feldwebels und ließ sie die unzähligen Aufgaben verrichten, die nötig waren, um eine große Menge Leute zu verköstigen. Von den zahllosen Töpfen und Kesseln mit Suppe, die mit Wildkräutern und Knochenmark gewürzt war, stieg Dampf auf. Die Bande verfügte über einige Salzvorräte, und Deckin gab mir die Erlaubnis, sie aufzubrauchen. Echte Gewürze waren rar, wenn wir auch reichlich Knoblauch und Thymian besaßen. Ein finsterer Blick von Deckin reichte, damit die anderen ihre persönlichen Vorräte an Pfeffer oder Zucker herausrückten. Gerthe gab uns sogar ein kleines Tuch mit Safran.

»Den wollte ich eigentlich im Frühling verkaufen«, schmollte sie, und ich hätte ihr das Tüchlein am liebsten zurückgegeben – im Tausch gegen einen besonderen Gefallen. Aber da Deckin zusah, lächelte ich nur entschuldigend und gab die wertvollen blutroten Fäden in eine Schüssel mit Erdnussöl.

Meine jungen Arbeiter kümmerten sich mit großem Fleiß um ihre verschiedenen Aufgaben, ohne sich zu beschweren oder zu streiten. Es war einer der Widersprüche im Leben von Gesetzlosen: Kinder, die schon in jungen Jahren dazu gemacht wurden, legten häufig ein besseres Benehmen an den Tag als andere. Furcht ist ein guter Zuchtmeister. Allerdings waren sie nicht immer nur gehorsam, und um die ein oder andere Bestrafung kam man nicht umhin.

»Hee!« Ich versetzte Uffel einen Klaps gegen den Hinterkopf; seine Hände waren zum Rock des Mädchens neben ihm gewandert, statt Knochen für die Brühe zu hacken. Elga war nach Lorine die Hübscheste in der Bande, und obwohl sie schon dreizehn war, konnte man sie für jünger halten, was sie für Diebeszüge in den größeren Städten recht nützlich machte. Uffel war ein Jahr jünger als sie, doch die männlichen Gelüste waren bei ihm schon früh erwacht. Auch war sein Gesicht von der Stirn bis zum Hals mit eitrigen Pickeln bedeckt.

»Weiterarbeiten«, knurrte ich mit unheilvollem Blick. Er riskierte es, finster in meine Richtung zu schauen, folgte dann aber meinem Befehl. Die stets fröhliche Elga warf ihm kichernd einen Luftkuss zu, worauf sich das Stirnrunzeln in seinem pickligen Gesicht noch mehr vertiefte. Sie zog einen Schmollmund und machte mit geübter Anmut einen Knicks vor mir.

»Meinen Dank dafür, dass Ihr meine Ehre verteidigt habt, Herr.«

»Ich bin genauso wenig ein Herr, wie du eine Dame bist.« Mit einem Messer schabte ich blitzschnell eine Meerrettichwurzel klein. Ich griff mir die nächste und bemerkte dabei Todman, der mit Lorine redete. Sie wechselten lediglich im Vorbeigehen ein paar Worte, aber es fiel mir auf, weil die beiden sonst kaum miteinander sprachen. Lorine schien für Todman ebenso wenig übrigzuhaben wie ich, und ich hätte erwartet, dass ein Gespräch zwischen den beiden kurz und scharf ausfallen müsste. Aber das hier war anders. Zwar konnte ich nicht hören, was sie sagten, doch unterhielten sie sich ohne Feindseligkeit, stattdessen vorsichtig und schnell.

»Ich wette, sie würdest du gerne deine Dame nennen«, sagte Elga. »Und noch einiges mehr.« Sie grinste schelmisch. Ich deutete auf den halb zerriebenen Knoblauch in ihrem Mörser.

»Wenn du das nicht bald fertigkriegst, dann darfst du mich jedes Mal ›Herr‹ nennen, wenn ich dir mit einer Bitternussrute eins überziehe.«

Sie schmollte erneut, machte sich aber gehorsam wieder an die Arbeit, während ich Lorine und Todman in unterschiedliche Richtungen auseinandergehen sah. Ich musste an das Gewicht der beiden Silbermünzen denken, die Lorine mir gegeben hatte. Die Fragen, die das aufwarf, waren beunruhigend, denn sie brachten mich in eine Zwickmühle. Wie viele hat sie Todman gegeben? Was erwartet sie dafür? Und die schwierigste von allen: Erzähle ich es Deckin?

• • •

In anderen Teilen der Welt ist es dem Vernehmen nach üblich, dass Banden sich Namen geben, im Shavine dagegen hielten wir uns mit solchen Förmlichkeiten nicht auf. Banden fanden sich zusammen und trennten sich so häufig wieder, dass es zwecklos gewesen wäre, den Überblick behalten zu wollen. Deckins Bande bildete da eine Ausnahme. Sie blieb unter demselben Anführer über ein Jahrzehnt im Großen und Ganzen unverändert. Gruppen mit losem Zusammenhalt, meist aus verwandten Mitgliedern, waren schon eher die Regel. Diese kriminellen Bruderschaften sorgten für einen Flickenteppich aus ständig wechselnden Gebietsansprüchen.

Obwohl Deckin uneingeschränkt über den ganzen Wald herrschte, befand sich sein eigentliches Gebiet in der Mitte und im Süden des Shavine. Die Gruppen der Sahken-Familie dagegen hielten sich größtenteils im Westen auf, wo sie Wagenzügen auflauerten, die Waren aus den Küstenstädten beförderten. Den weniger lukrativen Norden teilten sich einige kleinere Banden unter der Herrschaft der Thessil-Brüder – beide angeblich ehemalige Feldwebel aus der Leibwache des alten Herzogs, die in Ungnade gefallen waren, nachdem sie ein Dorf zu viel ohne seine Erlaubnis geplündert hatten.

Die Banditen im Osten waren am schlechtesten organisiert. Hier lebten einige alte Familien, die sich in Fehden unbekannten Ursprungs gegenseitig bekriegten und ewig und erfolglos um die Oberherrschaft rangen. Aus einer dieser Sippen, den Cutters, war Erchel als Welpe verbannt worden, nachdem seine Vorlieben selbst für seine schurkischen Verwandten untragbar wurden. Deckin hatte ihn bei sich aufgenommen, um seiner Familie einen Gefallen zu erweisen, gegen angemessene Bezahlung versteht sich. Man hoffte wohl, Deckins Disziplin würde ihn mit der Zeit zu etwas Nützlichem zurechtbiegen. Sein Hauptnutzen schien nun zu sein, als Verbindungsmann zu seiner Familie zu dienen.

Erchels Leute trafen als Erste ein – eine etwa dreißigköpfige Bande, deren Mitglieder alle eine merkwürdige Ähnlichkeit mit Ratten besaßen. Die anderen Familien aus dem Osten folgten nicht lange danach: sechs Banden von unterschiedlicher Stärke, die sich gegenseitig mit einer Feindseligkeit beäugten, die nicht selten in Gewalt umschlug. Die alten Bräuche schrieben jedoch vor, dass auf der Lichtung kein Blut vergossen werden durfte, und, ihren sonstigen Verfehlungen zum Trotz, hielten sich diese Schurken an die Tradition.

Erchel stand neben Drenk Cutter, seinem Onkel, als dieser Deckin mit Lachen und Schulterklopfen begrüßte. Erchels Blick war gesenkt und sein Rücken gebeugt, zweifellos fürchtete er, zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ob er wohl wusste, dass es in den kommenden Gesprächen auch um seine bevorstehende Ermordung gehen würde? Ich bezweifelte es. Erchel war zwar gerissen und hatte einen Riecher für Schwierigkeiten, aber er war kein Intrigant. Seine Instinkte waren stets nur auf das unmittelbare Überleben ausgerichtet; über den nächsten Tag hinausdenken, das konnte er nicht.

Als Nächstes trafen die Thessil-Brüder ein, beides kräftige Kerle Ende dreißig, die ein Gefolge aus sechzig Leuten anführten. Bei ihnen fiel Deckins Begrüßung etwas förmlicher aus: eine respektvolle Verneigung, gefolgt von einem Handschlag. Die Brüder waren keine Zwillinge, sahen einander aber von Statur und Kleidung her sehr ähnlich. Beide schüttelten die ihnen dargebotene Hand mit derselben steifen Vorsicht. Mit ihrer soldatischen Haltung und ihrem gepflegten Äußeren unterschieden sie sich von den meisten Gesetzlosen, die bereits auf der Lichtung eingetroffen waren. In ihren kantigen Gesichtern stand Verachtung, als sie die Versammelten musterten, wenn sie auch – weitgehend erfolglos – versuchten, sich nichts anmerken zu lassen. Offenbar hätten die beiden es vorgezogen, unter dem Banner zu bleiben.

Die Sahkens kamen als Letzte und brachten, neben Deckins Bande, die meisten Leute mit – über hundert Männer und Frauen traten in der Abenddämmerung zwischen den Bäumen hervor. Im Laufe der Jahre hatte sich der Clan viele Male gespalten und wiedervereinigt. Kleidung und Gesichtsschmuck der Mitglieder waren jedoch sehr ähnlich geblieben. Angeblich stammten sie von Kriegern ab, die vor Generationen aus der frostigen Einöde des nördlichen Fjordlands verbannt worden waren – eine Legende, die mir umso glaubwürdiger erschien, als ich jetzt die Vielzahl von tätowierten Gesichtern mit den Ringen in Nase und Ohren sah. Außerdem waren sie von allen am besten bewaffnet. Ihre Mitglieder trugen Schwerter und Äxte bei sich, manche mit Runenintarsien verziert, die auf eine alte Herkunft hindeuteten.

Ihre Anführerin war eine hochgewachsene Frau mit blondem Haar, das in der Dämmerung beinahe golden schimmerte. In einem langen, geflochtenen Zopf schlängelte es sich von der Mitte ihres ansonsten kahlen Schädels herab. Ihre rasierte Kopfhaut war dicht an dicht mit Runen verziert. Sie und Deckin waren etwa gleich groß, und mir fiel auf, dass sie sich beide zur selben Zeit verneigten.

»Du bist schnell gealtert«, stellte die Frau grinsend fest. »Ich sehe Grau in deinem Bart.«

»Ein bisschen.« Deckin grinste ebenfalls. »Du dagegen, Shilva, scheinst sogar jünger geworden zu sein.«

»Ach, hör auf.« Sie lachte, und beide umarmten sich herzlich. »Ich hab dich vermisst, du alter Gauner!« Die Frau trat einen Schritt zurück, legte eine Hand in Deckins Nacken und zog ihn zu sich heran, sodass ihre Stirnen sich berührten. »Vater hat sich offenbar geirrt. Du hast doch länger als einen Sommer allein überlebt.«

»Fast hätte er recht behalten. Damals hätte ich beinahe schon in der ersten Woche meinen Kopf verloren, über den Sommer reden wir besser nicht. Komm.« Er legte ihr einen Arm um die Schultern und führte sie zur Lichtung. »Da brutzeln ein paar Schweine über dem Feuer, und das Bier muss getrunken werden.«

Wie nicht anders zu erwarten, wenn sich der schlimmste Abschaum eines ganzen Herzogtums versammelt und es reichlich zu essen und zu trinken gibt, wurde es eine laute Nacht. Mein sorgfältig vorbereitetes Festmahl wurde im Nu verschlungen, ohne dass es jemand gelobt oder sich gar dafür bedankt hätte. Die mühevoll komponierten Aromen gingen in einer Flut aus Ale und Brandy unter, und bald schon erhob sich vielstimmiger Gesang. Die Handvoll Musiker unter den Banditen holten Flöten und Mandolinen heraus, um das schiefe Gegröle zu begleiten, und nicht lange danach begannen die Ersten, in der Arena zu tanzen. Hier und da kam es zu Rempeleien, aber nicht zu Faustkämpfen – dem Gesetz der Lichtung folgend, wurden alte Fehden zumindest für diese Nacht beigelegt. Außerdem wollte wohl niemand Deckin verärgern.

Ich hatte eine Portion meines besten Schweineragouts zurückbehalten und holte mir jetzt eine Schüssel davon. Dann machte ich mich auf die Suche nach Gerthe. Vielleicht hatte das allgemeine Saufgelage ihren strikten Geschäftssinn ja etwas gelockert. Derlei Hoffnungen zerschlugen sich jedoch, als ich sie mit zwei tätowierten Raufbolden aus dem Sahken-Clan in der Dunkelheit verschwinden sah. Ihrem lauten Kichern entnahm ich, dass sie das Geschäftliche an diesem Abend tatsächlich beiseitegelassen hatte, nur leider nicht zu meinen Gunsten.

Ich tröstete mich mit dem Ragout und einem Becher Brandy und ließ den Blick über die weiblichen Gäste gleiten, auf der Suche nach möglichen Interessentinnen. Die Einzige, die meinen Blick erwiderte, war ein Mädchen mit schmalem Gesicht aus Erchels Familie. Ich überlegte schon, wie ich sie am besten von ihren argwöhnischen Verwandten weglotsen könnte, als laut und kräftig Deckins Stimme ertönte.

»Gefällt euch dieses Fest, meine Freunde?!«

Musik und Gesang verstummten, und die versammelten Schurken jubelten anerkennend.

»Sind eure Bäuche gefüllt?« Deckin fletschte die Zähne zu einem breiten Grinsen, worauf noch lauteres Jubeln erklang. »Hat mein Bier eure Stimmung gehoben? Sind eure Herzen voll Freude?«

Noch mehr Jubel. Kelche und Krüge wurden gehoben, die dankbaren Rufe verstummten jedoch abrupt, als Deckin knurrte: »Ihr ahnungslosen Schwachköpfe!«

Sein Blick glitt über die verwirrten Mienen, und er verzog spöttisch den Mund. Mir fiel auf, dass Shilva Sahken von dem plötzlichen Stimmungsumschwung als Einzige nicht überrascht schien. Sie verbarg sogar ein Lächeln, als sie sich über ihren Krug beugte. Ich hatte Deckin gelegentlich in respektvollem Ton von ihr sprechen hören, und jetzt wurde mir klar, dass die beiden sich wohl schon länger kannten, als ich gedacht hatte. Genau wie ich wusste sie, dass die wütende Tirade, die wir gleich hören würden, nur Theater war – eine sorgfältig geplante Inszenierung, die auf ein bestimmtes Ergebnis abzielte.

»Wie leicht wäre es heute Abend gewesen, euch zu töten«, rief Deckin. »Ich hätte jedem Einzelnen die Kehle durchschneiden können. Oder in das Gebräu, mit dem ihr euch betrunken habt, Schierling mischen können, und ihr hättet es nicht herausgeschmeckt, ihr verfluchten Narren. Ihr haltet euch an diesem Ort für sicher?« Mit einer ausladenden Geste deutete er auf die stufenförmigen Sitzreihen der Ruine. »Das ist nur ein Haufen alter Steine. Ihr glaubt, dieser Wald bietet uns Schutz? Da irrt ihr euch. Er ist unser Gefängnis. Der alte Herzog hat Verrat begangen und dafür sein Leben gelassen. Der neue Herzog ist ein Geschöpf des Königs, und der wird ihm als Erstes befehlen, dass er mit uns aufräumen soll, ein für alle Mal. Darauf könnt ihr eure Seelen verwetten.«

Er hielt inne und winkte Stallknecht aus der Menge herbei. »Viele von euch kennen diesen Mann«, sagte er und legte Stallknecht eine Hand auf die Schulter. »Und ihr kennt ihn als einen, der, obwohl er sich mit Leuten wie uns umgibt, dennoch niemals lügt. Stallknecht der Aufrichtige wird er genannt. Sag es ihnen, Aufrichtiger, erzähl ihnen von dem Mann, den wir auf der Königsstraße gefangen genommen haben, und was er uns vor seinem Tod berichtet hat.«

Stallknecht, den meines Wissens noch nie jemand Aufrichtiger genannt hatte, räusperte sich und richtete den Blick auf die Menge. Erhielt er sonst einmal die seltene Gelegenheit, zu mehr als einem Menschen zu sprechen, dann war seine Stimme kräftig – die Stimme eines Predigers –, und er deklamierte so lange die heiligen Schriften, wie ihm jemand zuhörte. Jetzt klang sie dünner, aber immer noch laut genug, dass ihn alle Anwesenden hören konnten. Wer ihn besser kannte, wusste jedoch, dass es die Stimme eines Lügners war.

»Der Soldat, den wir gefangen nahmen, war schwer verwundet und hatte nicht mehr lange zu leben«, sagte er. »In seiner Verzweiflung wollte er noch vor einem Betbruder sein Geständnis ablegen. Er schüttete mir sein Herz aus, weil er in mir einen wahren Anhänger des Bundes sah.« Er hielt kurz inne und schluckte trocken. »Dieser Mann war der Anführer einer Kompanie aus Cordwain, und er wusste von den Anweisungen, die der König dem neuen Herzog gegeben hat. Tausend Soldaten und einhundert Ritter sollen vom Prätendenten-Krieg abgezogen werden. ›Zusammen mit den Männern des Herzogs werden sie diesen verfluchten Wald gründlich durchkämmen‹, sagte er. ›Sämtliches Gesindel, auf das sie stoßen, wird sofort aufgeknüpft. Notfalls brennen sie den Wald bis auf die blanke Erde nieder, um auch die Letzten aufzustöbern. Im Frühling wird kein Gesetzloser mehr übrig sein, um in den Shavine-Marschen sein Unwesen zu treiben. So hat es der König befohlen, und so wird es gemacht.‹« Er schluckte erneut, aber sein Gesicht war die entschlossene Maske eines aufrichtigen Mannes. »Das hörte ich von den Lippen eines Sterbenden, der keinen Grund hatte zu lügen.«

»Und das ist noch nicht alles!«, fügte Deckin hinzu. Mein Magen sank mir plötzlich bis in die Kniekehlen, als seine Hand zu mir herumschwang und er mich heranwinkte. »Ein paar von euch kennen sicherlich diesen jungen Gauner.« Lachen begrüßte mich, als ich zu ihm ging und mir dabei ein verlegenes Lächeln abrang. »Der Fuchs des Shavine, so wird er genannt. Er besitzt die schärfsten Augen und Ohren im ganzen Herzogtum, und obwohl er ein notorischer Lügner ist …«, seine Hand landete auf meiner Schulter und verharrte dort, leicht und doch genauso schwer wie Lorines Silbermünzen, »… lügt er mich niemals an. Nicht, wenn er seine scharfen Augen behalten will.« Noch mehr Gelächter. Die Hand auf meiner Schulter drückte etwas fester zu. »Erzähl es ihnen, Alwyn.«

Ich räusperte mich nicht und musste auch nicht schlucken. Stattdessen runzelte ich grimmig die Stirn und blickte in die Gesichter, die mich in stummer Erwartung anschauten. »Es ist alles wahr«, sagte ich. »Vor Kurzem wurde ich nach Ambriside geschickt, um dort die Lage auszuspionieren. Die Soldaten prahlten mit der Belohnung, die ihnen versprochen wurde – eine Silbermünze für den Kopf jedes Banditen, den sie zurückbringen. Ein paar malten sich schon lachend aus, wie sie sich mit den Frauen vergnügen würden, die sie gefangen nahmen, bevor sie ihnen die Köpfe abhackten, auch mit den kleinen Mädchen.«

Ein leichter Druck von Deckins Fingern teilte mir mit, dass ich genug gesagt, die Lüge vielleicht sogar ein bisschen zu sehr ausgeschmückt hatte. Das wütende Knurren der Menge wurde lauter. Offenbar hatte ich einen Nerv getroffen.

»Ihr seht es also, meine Freunde.« Deckins Hand glitt von meiner Schulter. Er trat von mir weg und hob die Arme auf eine Weise, die sowohl gebieterisch als auch flehend wirkte. »Ihr seht, dass ich euch nicht nur hergerufen habe, um zusammen einen großen Raubüberfall zu planen, mit dem wir uns die Taschen füllen können. Ich habe euch gerufen, um gemeinsam Vorkehrungen für unser aller Überleben zu treffen.«

Eine Zeitlang ließ er die Leute wütend murmeln, bevor er mit lauter, fordernder Stimme weitersprach. »Dieser Wald gehört uns, nach allem, was recht ist. Wir haben ihn mit unserem Blut erobert. Und jetzt will so ein Emporkömmling, ein Arschkriecher des Königs, der noch nie seine Klinge benutzt hat, um Heimat oder Familie zu verteidigen, ihn uns wegnehmen. Ich werde ihn aufhalten. Die Zeiten, als wir uns noch verstecken und vor solchen Wichten fliehen mussten, sind vorbei. Ich werde diesem König die Stirn bieten – Tomas der Gute, zu Recht besser bekannt als Tomas der Geizkragen, ein Lügner und Dieb, der dieses Land mit Blut tränkt und in Armut hält und von denen, die er zu Bettlern gemacht hat, auch noch Treue verlangt. Er will Köpfe? Dann werden wir sie ihm geben. Wie wär’s mit hundert? Oder tausend, wenn’s sein muss. So viele, bis er erkennt, dass ihm dieser Wald nicht gehört und nie gehören wird. Und wir fangen mit dem Arschkriecher an, den er auf uns gehetzt hat. Wer ist dabei?«

Das Knurren steigerte sich zu einem Brüllen – sämtliche Langfinger, Halsabschneider, Viehdiebe, Falschspieler und Huren waren aufgesprungen und schrien ihre Bereitschaft heraus, sich an Deckin Scarls neuer Fehde zu beteiligen. Mir jedoch fiel auf, dass ihre Anführer weit weniger enthusiastisch jubelten.

Die Thessil-Brüder klatschten und grinsten ihren Leuten begeistert zu, aber ich sah, dass der Jubel nur aufgesetzt war. Erchels Onkel Drenk wirkte noch am überschwänglichsten – sein Ale schwappte über, als er in die wilden Rufe seiner Familie mit einstimmte, aber selbst in seinen glasigen Augen schimmerte Sorge. Aus Gründen, die ich nicht ganz verstand, fand ich Shilva Sahkens Reaktion am beunruhigendsten. Sie lachte bloß, während ihr Clan johlte und schrie. Und es war kein freudiges Lachen, sondern klang eher so, als amüsierte sie sich über einen lustigen Scherz.

Deckin legte mir einen Arm um die Schultern, während das Jubeln anhielt, und zog mich an sich. »Gut gemacht, Junge«, murmelte er und grinste dabei weiter in die Menge. »Aus dem Stegreif lügst du immer noch am besten. Nur die kleinen Mädchen waren vielleicht etwas zu viel des Guten.«

»Tut mir leid, Deckin.«

»Ach was«, er klopfte mir gegen die Brust. »Nicht der Rede wert. Dieser Sauhaufen nimmt mir jeden Mist ab, den ich ihm auftische, und will immer noch mehr.« Ich schaute hoch und bemerkte, wie sich sein Blick verfinsterte, als er Shilva lachen sah. »Morgen früh«, seufzte er, »folgt der schwierigere Teil.«