Nach der Reform ist vor der Reform

Wie die Bertelsmann Stiftung die Ökonomisierung des Gesundheitswesens vorantreibt und engagiert ist, wenn Krankenhäuser privatisiert werden, analysiert Hermann Werle.

Die Ergebnisse des Gesundheitsmonitors der Bertelsmann-Stiftung bestätigen meinen Kurs der Reformen in der Gesundheitspolitik. Unser Gesundheitssystem ist gut, erfordert aber Reformen, um Bewährtes zu erhalten und Qualität zu verbessern. Mit der Gesundheitsreform haben wir für mehr Transparenz im Gesundheitswesen gesorgt und die Qualität gestärkt.

Die hier aus einer Pressemitteilung vom 9. Dezember 2004 zitierten Worte der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt klingen alltäglich. Denn es ist inzwischen eher die Regel als die Ausnahme, dass Stellungnahmen von privaten Beraterfirmen, Instituten oder Stiftungen die Grundlage politischer Entscheidungsprozesse darstellen. Dass aber Untersuchungsergebnisse einer einzigen privaten Institution zum Gradmesser von Erfolg oder Misserfolg politischer Reformen erhoben werden, lässt aufhorchen. Noch dazu, wenn diese von der Bertelsmann Stiftung geliefert werden. Der Einfluss der Stiftung auf die Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik Deutschland vollzieht sich indes nicht nur über die regelmäßig erstellten Gesundheitsmonitore und internationale Vergleiche von Gesundheitssystemen. Mit dem Centrum für Krankenhaus-Management (CKM) verfügt Bertelsmann zudem über ein Universitätsinstitut, welches den Wettbewerb zur Grundlage des Krankenhaussystems erhebt und die Privatisierung von Krankenhäusern aktiv begleitet.

Neue Akkumulationschancen

Das Gesundheitssystem in der Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einem strukturellen Umbruch. Folgt man den derzeit vorherrschenden Argumenten in der Diskussion um das nächste Reformpaket, so ist das bisherige System nicht mehr finanzierbar. Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung müsse abgespeckt werden und dennoch würde es in jedem Fall teurer, wie Kanzlerin Merkel ein ums andere Mal betont.

Um die Gesellschaft auf >Reformen< einzustimmen, geisterte vor Jahren schon einmal der Begriff der Kostenexplosion im Gesundheitswesen durch die Medien. Tief greifende Veränderungen der Finanzierung und des Umfangs der Gesundheitsversorgung seien notwendig, um das Gesundheitssystem zu retten. Dass damals wie heute von einer Kostenexplosion nicht die Rede sein kann, bestätigte der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, auf dem Deutschen Arztetag am 23. Mai 2006: »Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung sind gemessen am Bruttoinlandsprodukt nicht etwa explodiert, sondern liegen seit Jahren zwischen 6 und 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es gibt also definitiv keine Kostenexplosion im Gesundheitswesen.« Die Probleme der Finanzierung des Gesundheitswesens würden sich u. a. aus dem gestiegenen Anteil der Rentner an den gesetzlich Krankenversicherten ergeben, aber vor allem seien sie die Folge der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit. Deutschland sei zwar zum dritten Mal in Folge Exportweltmeister, was jedoch keine neuen Arbeitsplätze geschaffen hätte. »Waren im Jahre 2000 noch 28 Millionen Beschäftigte sozialversichert, so ist diese Zahl binnen 5 Jahren auf 26 Millionen gesunken.« Mit diesen Fakten müsse man sich auseinandersetzen »und nicht mit dem gefühlten Wissen von vermeintlich milliardenschweren Effizienzreserven!« »Eine solche Schätzometrie«, so Hoppe, »mag ja nützlich sein, um die politische Verantwortung für Leistungseinschränkungen zu verschleiern, hilft aber nicht wirklich.«1

Bei den Argumentationen für Reformen im Gesundheitswesen, so läßt sich folgern, handelt es sich um Scheindebatten, die von den eigentlichen Problemen und Interessenslagen ablenken sollen.

Nadja Rakowitz, Medizinsoziologin und Geschäftsführerin des Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte, brachte diesen Aspekt in einem Vortrag im November 2003 auf den Punkt: »Die Reform des Gesundheitswesens, die am 01. Januar 2004 in Kraft treten wird, ist die einseitigste und umfänglichste Lastenverschiebung auf die Versicherten und die Kranken, die die Bundesrepublik je mitgemacht hat. Es geht dabei auch nicht, wie dauernd behauptet wird, um Kostensenkung oder Einsparungen überhaupt, im Gegenteil. Tendenziell geht es hier und heute darum, mehr Geld in den Gesundheitssektor zu pumpen, weil man sich davon neue Akkumulationschancen erhofft. Dieses Mehr soll aber nicht von den Arbeitgebern bezahlt werden, sondern von den Arbeitnehmern, den Versicherten, den Kranken, den Individuen. Was wir hier erleben, ist mit den Kategorien von Karl Marx gesprochen, eine weitere Etappe im Prozess der reellen Subsumption des öffentlichen Dienstes unter das Kapital«.2

Mit dem Hinweis, dem Kapital bessere Verwertungsmöglichkeiten zu verschaffen, ließen sich >Reformen< jedoch nur sehr schlecht an die Wähler und Wählerinnen vermitteln. Deshalb lesen wir im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD zu diesem Thema auch nur die übliche Prosa: »Um den Kostendruck zu bewältigen, bedarf es aber auch einer Modernisierung des Gesundheitssystems. Die Effizienz des Systems ist durch eine wettbewerbliche Ausrichtung zu verbessern.«

Gesundheitsministerium und Bertelsmann — Eine strategische Kooperation

Auf die Verschleierung von Interessenslagen und das Verschießen von Nebelkerzen versteht sich Bertelsmann auf das Beste - es stellt sozusagen das Kerngeschäft des Konzerns und der Stiftung dar. Wirken die Bertelsmann-Massenmedien unmittelbar in die breite Öffentlichkeit, so verortet die Stiftung ihr Wirken in strategische Räume: »In strategischen Räumen wollen wir die Kurzatmigkeit des politischen Tagesgeschäftes hinter uns lassen und gemeinsam mit Entscheidern tragfähige Lösungen erarbeiten, von denen wir alle profitieren,« so der Vorstand der Stiftung im Vorwort zum Jahresbericht 2005 (Bertelsmann Stiftung Jahresbericht 2005: 4).

Im Gesundheitswesen wirkt die Stiftung auf verschiedenen Wegen in diese strategischen Räume. Diese sind u. a.:

•    persönliche Kontakte;

•    Treffen und Konferenzen;

•    die Schriftenreihe Gesundheitspolitik in Industrieländern;

•    der regelmäßig erscheinende Gesundheitsmonitor;

•    die Verleihung des »Deutschen Präventionspreises«;

•    das »Centrum für Krankenhaus-Management« (CKM)

Auf alle der hier aufgeführten Aspekte werde ich an dieser Stelle nicht eingehen, sondern mich exemplarisch auf den Präventionspreis, den Gesundheitsmonitor und das CKM beschränken.

Eine illustre Runde - Das Bertelsmann Kuratorium

Der »Deutsche Präventionspreis« wird seit 2003 jährlich für »herausragende und vorbildliche Ansätze und Beiträge zur Prävention und Gesundheitsförderung« verliehen, so eine Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums. Im letzten Jahr war der Preis für das Thema »Gesund in der zweiten Lebenshälfte - 50+« ausgeschrieben und wurde öffentlichkeitswirksam von Dr. Brigitte Mohn und Dr. Elisabeth Pott von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung an ein Zentrum für Geriatrie überreicht.

Schirmherrin des Preises ist Ulla Schmidt, Trägerinnen sind ihr Ministerium, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Bertelsmann Stiftung. Dass diese enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Stiftung keine flüchtige Kooperation darstellt, zeigt sich nicht zuletzt an einer ganz speziellen Personalie. Bertelsmann Stiftung und Konzern werden quasi wie ein erweiterter Familienbetrieb geführt, was dem Gesamtkomplex Bertelsmann den Beinamen >Mohnsekte< einbrachte. Im vierköpfigen Vorstand finden sich derzeit neben Dr. Johannes Meier und Professor Werner Weidenfeld zwei Angehörige der Familie Mohn: die Dame von Welt, Liz Mohn und ihre Erbfolgerin Brigitte Mohn, die seit 2001 Vorstandsvorsitzende der Stiftung »Deutsche Schlaganfall-Hilfe« und seit 2002 innerhalb der Bertelsmann Stiftung die Leiterin des Themenfeldes »Gesundheit« ist. Interessanter als die Zusammensetzung des Vorstands ist die illustre Runde von Persönlichkeiten, die das Kuratorium der Stiftung stellen. Dessen 14 Mitglieder sollen - ähnlich wie ein Aufsichtsrat - beratend und kontrollierend tätig sein, wie der Jahresbericht vorgibt. Es stellt sich allerdings die Frage, wer hier wen beraten, geschweige denn kontrollieren soll. Schließlich ist das Kuratorium lediglich genehmen Freunden und Freundinnen des Hauses vorbehalten, »die durch ihre Tätigkeit besonderes Interesse und praktischen Bezug zu den Aufgaben der Stiftung nachgewiesen haben und über Führungserfahrung und Verständnis für die Fortschreibung von Ordnungssystemen verfügen« (Bertelsmann Stiftung Jahresbericht 2005: 83). Das Kuratorium ist also weniger Aufsichtsrat als vielmehr eine Versammlung von Eliten aus Politik und Wirtschaft. Anders ausgedrückt: das Kuratorium ist der personelle Ausdruck des Wirkens der Stiftung in strategische Räume. Einer dieser strategischen Räume ist das Bundesgesundheitsministerium und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, deren Direktorin Elisabeth Pott Mitglied des Kuratoriums ist. In treuer Ergebenheit bedankt sich Frau Pott in einem Grußwort zum Präventionspreis bei der Stiftung: »Ich freue mich über die Partnerschaft mit der Bertelsmann Stiftung, die in der qualitätsgesicherten Abwicklung von bundesweiten Wettbewerben Standards gesetzt hat und engagiert in der gesundheitlichen Prävention tätig ist. Darüber hinaus ist die Stiftung ein konsequenter Verfechter der Evaluation aller Maßnahmen. Von diesem Engagement wird der Präventionspreis profitieren. Für die kooperative und produktive Zusammenarbeit in der Vorbereitungsphase möchte ich der Bertelsmann Stiftung noch einmal ganz herzlich danken«3

Neben Elisabeth Pott und vier Bertelsmann-Leuten - Reinhard und Liz Mohn sowie Gunter Thielen und Dieter H. Vogel - finden sich in diesem Gremium außerdem:

•    der Generaldirektor der Nestle AG, Werner J. Bauer;

•    der Vorstandsvorsitzende der E.ON AG, Wulf Bernotat;

•    die frühere Präsidentin des Deutschen Bundestages, Rita Süssmuth;

•    Prof. Dr. Ernst Buschor (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich);

•    Hubertus Erlen, Vorstandsvorsitzender der Schering AG;

•    Caio K. Koch-Weser (ehern. Staatssekretär im Finanzministerium, seit 2006

Deutsche Bank-Berater);

•    Klaus-Dieter Lehmann (Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz);

•    Klaus-Peter Siegloch (Stellvertretender Chefredakteur des ZDF);

•    Rolf Schmidt-Holtz (Sony-BMG Chief Executive Officer)

Der Gesundheitsmonitor und das Ende der Solidarität

Enge Zusammenarbeit mit Bertelsmann pflegt das Gesundheitsministerium aber nicht nur bei der Vergabe des Präventionspreises, wie die eingangs zitierte Bezugnahme der Gesundheitsministerin auf den Gesundheitsmonitor zeigt. Dass sich die Ministerin ihre Reformpolitik von Bertelsmann gerne bestätigen läßt, liegt auf der Hand - eine bessere PR-Agentur ließe sich kaum finden. Fundamentale Kritik ist zudem ausgeschlossen, entsprechen die >Reformen< doch den Vorgaben und Grundwerten der Stiftung: >Freiheit< und >Wettbewerb< sowie den Forderungen der Kapitalseite nach neuen Bereichen der Verwertung.

Der Gesundheitsmonitor erscheint seit 2001 in regelmäßigen Abständen und befragt Versicherte und Ärzte zu »ihren Erfahrungen im deutschen Gesundheitswesen«. Dabei legt die Bertelsmann Stiftung in ihrem Magazin Forum Wert darauf zu betonen, dass sie als »neutrale Institution Umfragen jenseits von Partikularinteressen durchführen und darauf aufbauend unabhängige Reformvorschläge entwickeln« würde (Forum 4/2005: 36). Doch mit dem Gesundheitsmonitor will die Stiftung nach eigenen Angaben gar nicht neutral sein. Vielmehr gibt sie vor, sich auf die Seite der Versicherten zu schlagen, wenn es in dem bereits erwähnten Jahresbericht heißt: »Verbände und Interessengruppen von Ärzten, Krankenhäusern, Krankenversicherungen, der Medizintechnik und der Pharmaindustrie üben großen Einfluß auf die

Gesundheitspolitik in unserem Land aus. Die Versicherten als wichtigste Gruppe finden allerdings kaum Gehör: Dabei finanzieren sie das Gesundheitssystem durch ihre Beiträge und kennen die Bedingungen aus der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen gut« (Bertelsmann Stiftung Jahresbericht: 25). Bertelsmann: das Sprachrohr der unterdrückten und entrechteten Versicherten? Brigitte Mohn auf den Spuren Robin Hoods? Natürlich nicht, das Geschriebene ist der reine Etikettenschwindel. Bertelsmann ist weder neutral, noch nimmt diese Stiftung Position für die Versicherten oder Lohnabhängigen ein - ganz im Gegenteil.

Der Gesundheitsmonitor entpuppt sich als eine Art Frühwarnsystem, das anhand von Umfragen die Stimmungslage bezüglich geplanter Reformen erkundet. Damit wird die Stiftung zu einem wichtigen Informationsbeschaffungsinstrument für die Politik, ganz so, wie es sich die für den Gesundheitsbereich zuständige Brigitte Mohn vorstellt: »Unser übergeordnetes Ziel ist es, die Befragungsergebnisse Funktionsträgern in Politik und Selbstverwaltung zur Verfügung zu stellen. [...] Damit geben wir ihnen eine solide, aussagekräftige und unabhängige Basis für die Verbesserung des deutschen Gesundheitssystems aus Versichertenperspektive an die Hand« (Forum 4/2005: 36). Doch die Stiftung leistet noch mehr. Zusätzlich zu den Ergebnissen bezüglich der Akzeptanz gegenüber Reformvorhaben liefert sie schmissige und hegemoniefähige Schlüsselbegriffe und Kernsätze, mit denen sich Politik verkaufen läßt. >Eigenverantwortung< (siehe der Beitrag von Matthias Volke) ist einer davon, einer der wichtigsten der letzten Jahre, der sich im gesamten sozial-und arbeitspolitischen Feld rund um die Hartz-Gesetze wiederfindet.

Schlüsselbegriffe und Kernaussagen werden bei Bertelsmann nicht aus dem hohlen Bauch erfunden, sondern sie werden systematisch entwickelt. Die Systematik und die Funktion des Monitors als Frühwarnsystem beschreiben Henrik Brinkmann und Melanie Schnee von der Bertelsmann Stiftung in ihrem Text Eigenverantwortung im Gesundheitswesen'. »Ziel dieses Beitrages ist es, die verschiedenen Reformoptionen, die unter dem Etikett Eigenverantwortung angeboten werden, zu ordnen und durch den Spiegel des Gesundheitsmonitors bewerten zu lassen. Welche Formen der Eigenverantwortung finden die Zustimmung von Versicherten und Ärzteschaft, wo ist mit Widerständen und Vorbehalten zu rechnen?«4 Bei den Befragungen geht es also nicht darum, die Meinungen der Versicherten auszuwerten, um sie dann deren Vorstellungen entsprechend in Politik umzusetzen. Es geht vielmehr darum, Stimmungen auszuloten. Und zwar in der Hinsicht: Wie weit können wir mit den nächsten Reformen gehen? Nach der Arbeitsweise professioneller PR-Agenturen wird erkundet, bei welchen Stichworten die Probanden gelas

sen, nervös oder emotional reagieren, um dann vorgegebene Lösungsansätze abzufragen.

Laut Brinkmann/Schnee wird das solidarische Versicherungssystem, »die Unterstützung der Alten durch die Jungen, der Kranken durch die Gesunden und der Einkommensschwachen durch die Einkommensstärkeren weiterhin durch die Bevölkerung getragen.«

Ein erfreuliches Ergebnis, könnte man meinen, doch nicht so für die Bertelsmann-Strategen. Deren weitergehende Frage lautet an dieser Stelle: »Doch welche Grenzen hat die Solidarität?« Anschließend folgt der Katalog der Fragen, die >ganz neutral< zu ermitteln helfen, wo Leistungen abgebaut werden können, bzw. Eigenbeteiligung am ehesten akzeptiert würden. Bei Brinkmann/Schnee liest sich das so: »Die Ausgliederung bestimmter Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenkassen und die Versicherung dieser Risiken in einer privaten Zusatzversicherung ist eine der häufig diskutierten Maßnahmen, bei der die Grenzen der Solidarität ausgelotet werden. Als Beispiele für mögliche auszugliedernde Leistungen wurden den Befragten des Gesundheitsmonitors Freizeitunfälle, Risikosportarten und Zahnersatz genannt. Die allgemeine Zustimmung zu einer derartigen privaten Zusatzversicherung ist im Vergleich zu der direkten finanziellen Beteiligung durch Zuzahlungen oder Selbstbehalte mit 46 Prozent relativ hoch.«

Es ist keine neue Erkenntnis, dass mit den nichtigen Fragern erwünschte Resultate vorprogrammierbar sind. Bei dem Gesundheitsmonitor funktioniert das, indem gut durchdachte Entsolidarisierungsmechanismen angesprochen werden. Das »Ende der Solidarität« wurde am ehesten festgestellt bei »speziellen Risiken - wie etwa Sportunfälle - oder zusätzlich gewünschte Leistungen - beispielsweise Akupunktur«. Diese Dinge sollten »durch private Zusatzversicherungen eigenverantwortlich bezahlt werden.«

Ulla Schmidt wird es mit Freude zur Kenntnis genommen haben, dass sich laut Monitor in den letzten Jahren ein »Wandel im Anspruchsdenken« vollzogen habe, »dass mehr eigenverantwortliche Elemente von der Bevölkerung durchaus akzeptiert werden - beispielsweise finanzielle Eigenbeteiligung an den Gesundheitskosten, Anreize für gesundes Verhalten oder mehr Wahlfreiheiten« und insgesamt mehr »Zahlungsbereitschaft« bestünde.

Wenig in der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen, geschweige denn diskutiert, wird das »Ende der Solidarität« gerade in die Form des Gesetzes der geplanten Gesundheitsreform »Zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung« (GKV-WSG) gegossen. Dort heißt es nun unter § 52 im Absatz 2: »Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte Maßnahme wie zum Beispiel eine ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern«4 Dass sich der Absatz 2 auf Risikosportarten oder andere individuelle Risiken< ausweiten lässt, liegt auf der Hand und ganz auf der Bertelsmannlinie der eigenverantwortlichen Vorsorge.

So funktioniert von oben intendierte Entsolidarisierung, eine der Kernstrategien aus dem Hause Bertelsmann - gerne in Anspruch genommen vom Gesundheitsministerium!

Es versteht sich von selbst, dass bei diesen Befragungen auf Hintergründe nicht eingegangen wird. Die Befragten sollen sich in den engen vorgegebenen Denkstrukturen bewegen, die den Ergebnishorizont einengen und keine >Überraschungen< zulassen. Ursachen der Finanznot der gesetzlichen Krankenversicherung werden quasi als naturgesetzlich - demographisch oder durch die Globalisierung bedingt - hingenommen und bilden so den Nährboden für Sparzwänge, die es zu bewältigen gilt. Natürlich wird bei den Befragungen auch nicht darauf hingewiesen, dass mit den zum 1. Januar 2004 in Kraft getretenen >Reformen in der Gesundheitspolitik< den Versicherten bereits über 11 Milliarden Euro Mehrbelastungen aufgebürdet wurden. Pro Haushalt sind das jährliche Mehrkosten von 400 bis 500 Euro, die durch Praxisgebühr, höhere Zuzahlungen oder Streichung bzw. Kürzung von Leistungen anfallen Dass viele Menschen deshalb auf medizinische Versorgung verzichten oder mindere Qualität in Kauf nehmen müssen, d. h. die Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland wieder bittere Realität geworden ist, soll die Ergebnisse des Gesundheitsmonitors ebenfalls nicht trüben.

In enger Kooperation mit dem Gesundheitsministerium werden mit dem Gesundheitsmonitor ganz nach der Bertelsmann-Devise, >Nach der Reform ist vor der Reform<, die nächsten Einschnitte in der gesetzlichen Krankenversicherung vorbereitet.

Wie Kliniken privatisiert werden — Das Centrum für Krankenhaus-Management

Während die aktuellen >Reformen< im Gesundheitswesen gerade auf dem Wege sind, wurden im Bereich der Krankenhausversorgung wichtige Weichen schon gestellt. Von den in 2004 gezählten 2.166 Krankenhäusern werden nach Schätzungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft in den nächsten zehn Jahren 15 Prozent ihre Pforten schließen müssen, pessimistischere Prognosen gehen sogar von 25 bis 30 Prozent aus. Der Anteil der Krankenhäuser in privater Trägerschaft erhöhte sich indes zwischen 1991 und 2004 von 14,8 auf 25,6 Prozent und soll bis 2015 die 40-Prozent-Marke erreichen. In absoluten Zahlen verringerte sich die Anzahl öffentlicher Häuser im genannten Zeitraum von 1.110 auf 780, während die privaten von 358 auf 555 zulegten. 831 Krankenhäuser werden von Freigemeinnützigen Trägern wie dem Deutschen Roten Kreuz oder der Arbeiterwohlfahrt gehalten.

Hintergrund der Privatisierungswelle ist das neue Finanzierungssystem nach Fallpauschalen (siehe unten) sowie die >wettbewerbliche Ausrichtung< des Gesundheitssystems insgesamt, welches mit 500 Milliarden Euro jährlichem Umsatz zu einem der ausgemachten Zukunftsmärkte für Investoren gehört. Allein 90 Milliarden Euro macht dabei die stationäre Krankenhausversorgung aus. Knapp 8 Prozent davon erwirtschaften die vier größten privaten Klinikkonzerne Fresenius/Helios, Asklepios, Sana und Rhön, die stark auf Expansionskurs sind und von weiteren Privatisierungen profitieren möchten.

Eine der spektakulärsten Privatisierungen stellt der Verkauf der fusionierten Universitätskliniken Gießen und Marburg Ende 2005 dar. Spektakulär deshalb, weil damit die ersten zwei von 34 Universitätskliniken in Deutschland komplett an eine private Klinikkette verkauft wurden. Gegen die starke Konkurrenz, insbesondere von Helios und Asklepios, setzte sich die Rhön-Kliniken AG beim Bieterverfahren um die fusionierten Kliniken durch.

Eine Braut schön machen

»Der heutige Tag ist ein guter Tag für die Hochschulmedizin in Gießen und Marburg, er ist ein guter Tag für das ganze Land. Ein Jahr, nachdem die Landesregierung sich entschlossen hat, die Universitätsklinika in Gießen und Marburg zu fusionieren und dann einen strategischen Partner zu gewinnen, der das fusionierte Universitätsklinikum betreibt, stelle ich für die Landesregierung fest: Das ehrgeizige Vorhaben ist gelungen; es ist gelungen mit einem Ergebnis, das der Hochschulmedizin in Mittelhessen hervorragende Zukunftsperspektiven gibt. Die Ziele der Landesregierung, die Ministerpräsident Koch in seiner Regierungserklärung vom 14. Dezember 2004 vor diesem Hause vorgetragen hat, sind alle erfüllt worden.« Gar nicht zu bremsen war die Lobhudelei des Staatsministers Udo Corts am 31. Januar 2006 anlässlich der Debatte über die Privatisierung der Kliniken im hessischen Landtag. Hervorgehoben wurde von Corts außerdem das Investitionskonzept von Rhön, das »mit Abstand« das beste gewesen sei, schließlich sei auch die »beste Kapitalausstattung« von Rhön geboten worden. Außerdem hätte Rhön einen Sozialfonds zugesichert, mit dem Mitarbeiterinnen »Fort-, Weiterbildungs- und Schulungsmaßnahmen« finanziert bekommen sollen. Diejenigen, die sich eine solche Maßnahme finanzieren lassen, müssen allerdings »auf den Schutz vor betriebsbedingter Kündigung bis 2010 verzichten.« Eine Klausel, die der Staatsminister »nicht für illegitim« hält, weswegen er sich auch explizit beim stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Rhön-Klinikum AG, Herrn Meder, bedankte. In der langen Rede des Herrn Corts konnte nur noch eine weitere Person soviel überschwänglichen Dank für seine Mitwirkung erheischen, und zwar für die Konzeption der hessischen Hochschulmedizin und den Erhalt der fachlichen Breite vor dem Hintergrund struktureller Veränderungen. »In diesem Zusammenhang«, so Corts, »möchte ich dem Sachverständigen, der die Landesregierung in dieser Frage beraten hat, Herrn Professor von Eiff, für seine Arbeit sehr herzlich danken. Herr von Eiff hat in der Tat ein überzeugendes Medizinkonzept entwickelt, basierend auf der >Quertapete< und unter Einbeziehung struktureller Entwicklungen in der Krankenversorgung. Seine besondere Leistung liegt darin, die Anforderungen aus Forschung und Lehre konstruktiv und kreativ mit den Notwendigkeiten eines innovativen Medizinkonzeptes zu verbinden.«5

Professor von Eiff ließ sich seinerseits nicht lumpen und revanchierte sich in einem Interview, welches auf der Seite www.krankenhaus-management.de nachzulesen ist. In Hessen hätte man nicht nur Mut bewiesen, »sondern insbesondere Weitblick und Sensibilität gezeigt. Dieses Projekt wurde von den beteiligten Ministerien perfekt organisiert und professionell gesteuert. Alleine die Tatsache, dass ein solches Großvorhaben, das mit seiner sachlichen und politischen Komplexität im deutschen Gesundheitswesen ohne Erfahrungsbeispiel ist, innerhalb von 6 Monaten umgesetzt wurde, verdient uneingeschränkte Anerkennung.«

Der Mann muss es wissen. Schließlich leitet er seit seinem Bestehen das Centrum für Krankenhaus- Management, das 1994 von der Bertelsmann Stiftung gegründet wurde. Nach leitenden Funktionen am Institut für Industriewirtschaft, am Klinikum Gießen, in der Automobilindustrie und einem internationalen Consulting-Unternehmen ist von Eiff seit 1994 außerdem Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Münster, wo auch das CKM als Institut für Krankenhaus-Management (IKM) angegliedert ist. Laut Selbstdarstellung des CKM ist das Ziel seiner Arbeit, »Wege aufzuzeigen, wie praxisbewährte Management-Methoden aus Industrie, Handel und Dienstleistungsbranche in Krankenhäusern und anderen Institutionen des Gesundheitswesens genutzt werden können. Wir stellen uns der Aufgabe, vermeintlich Unvereinbares in Einklang zu bringen: Qualitätssteigerung bei tendenziell sinkenden Kosten.«

An der Universität Münster werden unter Bertelsmann-Regie Krankenhausmanager herangezogen, wie sie sich die privaten Klinikkonzerne wünschen. Damit das künftige Spitzenpersonal nicht mit unnötigem Ballast behelligt wird, werden bestimmte Fächerkombinationen ausgeschlossen. So heißt es beim IKM: Nicht möglich ist die Kombination des Schwerpunktfaches >Krankenhausmanagement< mit dem Schwerpunktfach »Öffentliche Betriebe und Verwaltung<«. In der von allen Regulierungen befreiten Bertelsmann-Welt sind Öffentliche Betriebe Relikte vergangener Zeit und die Verwaltung derselben einer der entscheidenden Kostenfaktoren, der überwunden werden muss. Dies sei ein Paradigmenwechsel »vom Verwaltungs- zum Management- Denken«, wobei nach Professor von Eiff »Management heißt: vermeintlich gegensätzliche Ziele miteinander in Einklang zu bringen.« Das was der Professor realisieren möchte, ist eine höhere medizinische Qualität bei tendenziell sinkenden Kosten. Um dieses Ziel zu erreichen, haben auch die Ärzte umzudenken und sich als Manager zu verstehen: »als Manager der Versorgungskaskade, als Manager der Leistungsprozesse im Regionalen Gesundheitsnetzwerk, als Standardisierungsmanager im Bereich der Logistik von Medikalprodukten« usw.

Zu den weiteren Tätigkeiten des CKM gehören die für Bertelsmann übliche Methode internationaler Vergleiche nach Best-Practices, die auf Übertragbarkeit auf das deutsche Gesundheitswesen überprüft werden. Des Weiteren wurde das CKM von der Bertelsmann-Stiftung beauftragt, ein internationales »Reformnetzwerk« und eine »Reformwerkstatt: Gesundheitswesen« aufzubauen, welches »Hilfestellung für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen« geben soll.

Die Landesregierung Hessens unter Ministerpräsident Koch erhielt die Hilfestellung für den Verkauf des Universitäts-Klinikums jedoch nicht von der Reformwerkstatt, sondern direkt von Professor von Eiff, dem Experten für Krankenhausprivatisierungen schlechthin.

Für von Eiff dürfte die Aufgabe - als Gutachter für die hessische Landesregierung zu arbeiten - auch deshalb von besonderem Interesse gewesen sein, weil er im Aufsichtsrat der Kerckhoff-Klinik sitzt. Diese ist »seit 1978 strategischer Kooperationspartner der Universität Gießen auf den Gebieten der Kardiologie und der Herzchirurgie«, wie von Eiff in seinem Gutachten betont und in seiner abschließenden Empfehlung darauf hinweist, dass »in die strukturpolitischen Überlegungen« z. B. auch die Kerckhoff-Klinik einzubinden sei. Eine weitere Empfehlung des Professors lautet: »vor einem Verkauf >die neue Braut schön zu machen<«, wozu unter anderem gehöre, »von dem leistungsfeindlichen Bequemlichkeitstarif des BAT Abschied zu nehmen«6

Derlei Empfehlungen stoßen bei einem Ministerpräsidenten Koch auf offene Ohren und bei potentiellen Investoren kommt dabei richtig Freude auf. 100-prozentig paßt die >schön gemachte Braut< zu der Selbstdarstellung der Rhön-Kliniken: »Wir würden den Versuch, uns auf BAT-Niveau binden zu wollen, als Angriff auf die Zukunft unserer Krankenhäuser betrachten. [...] Wir versuchen, mit den Gewerkschaften neue Haustarifverträge zu verhandeln und würden dies im Idealfall gegebenenfalls sogar prophylaktisch vor der Übernahme machen, damit alle Beteiligten ohne WENN und ABER wissen, was geschieht und was zu erwarten ist.«7

Auch hinsichtlich der Versorgungsplanungen passen das Gutachten von Professor von Eiff und das Konzept der Tele-Portal-Kliniken der Rhön AG bestens zueinander. So heißt es in dem Gutachten, dass verhindert werden müsse, »dass die übernehmende Privatkette herzchirurgische Leistungen reduziert und Patientenströme in andere Regionen lenkt, in denen diese Kette über herzchirurgische Kapazitäten verfügt; Rehabilitationsleistungen nicht im Sinne der integrierten Versorgung in der Region anbietet, sondern eine Verlegung der Patienten in andere Rehabilitationszentren dieser Krankenhauskette in anderen Regionen (außerhalb von Hessen) bevorzugt [...].«

Der zweite Punkt hätte den Vorstellungen des größten Widersachers von Rhön, der Helios-Kliniken GmbH, entgegenstehen können, da Helios (inzwischen von Fresenius übernommen) diverse Reha-Einrichtungen u. a. in Nordrhein-Westfalen betreibt.

Unter der Leitung der Rhön AG ist vorgesehen, das Universitätsklinikum zu einem >Schwerpunktkrankenhaus< auszubauen, von dem aus über Onlineverbindungen zu kleineren Häusern Spezialistenwissen rund um die Uhr abgerufen werden kann. Der Einsatz von >virtuell anwesenden Spezialisten< soll Diagnoseverfahren ermöglichen, die in früheren Krankenhäusern der Grundversorgung nicht möglich gewesen wären, wie Wolfgang Pföhler, der Vorstandsvorsitzende von Rhön im Deutschen Ärzteblatt erklärte. Die Konzeption von Tele-Portal-Kliniken, an die kleinere Krankenhäuser angedockt und in dem Fach- und Hausärzte integriert sind, werden dem im Eiff-Gutachten vorgesehenen Modell einer integrierten Versorgung vollkommen gerecht.8

Recht nahe kommt die Versorgungsplanung der Rhön AG auch den Vorstellungen der Bertelsmann Stiftung. In deren Namen forderte unlängst Brigitte Mohn den >Generalunternehmer Gesundheit< in Deutschland zu etablieren. Durch ihn erhielten Patienten »endlich eine Gesundheitsversorgung aus einem Guss.« Bisher gäbe es aber nur wenige Akteure, »die sich zutrauen, die Gesamtverantwortung für die Gesundheitsversorgung einer Bevölkerungsgruppe zu übernehmen« bedauert Frau Mohn und sieht vielleicht die Rhön-Klinikum AG in dieser Vorreiterrolle. Vielleicht in der Hoffnung darauf erwarb Brigitte Mohn im Mai 2006 Rhön-Aktien im Wert von 36.795 Euro. Finanzieren konnte sie dieses kleine Aktienpaket ganz bequem aus der Aufwandsentschädigung, die sie für ihren Posten im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG erhält. In 2005 waren das immerhin 48.000 Euro nach 51.000 Euro im Vorjahr. Was eine Frau Mohn so nebenher kassiert, kann eine Pflegevollkraft vielleicht in drei bis vier Jahren verdienen. Und das unter zunehmend erschwerten Bedingungen, die sich aus dem Finanzierungssystem nach Fallpauschalen ergeben.

Fallpauschalen, Fließkonzept und Pflege im Minutentakt

Im Zentrum der wettbewerblichen Ausrichtung< der Krankenhausversorgung steht das DRG-Fallpauschalensystem, welches per Gesetz vom April 2002 seither stufenweise eingeführt wird.

Bis dahin beruhte die Krankenhausfinanzierung auf dem dualen System der privaten und gesetzlichen Krankenkassen sowie der Bundesländer. Über die Pflegesätze der Krankenkassen wurden die Betriebsmittelkosten der Krankenhäuser entsprechend den Liegezeiten der Patienten gedeckt, was mit der für 2009 geplanten verbindlichen Einführung des Diagnosis Related Groups-Systems (DRG) radikal verändert wird. Mit den DRG-Fallpauschalen werden die Krankenhausleistungen nicht mehr nach der Verweildauer im Krankenhaus, sondern nach festgelegten Pauschalen für definierte Krankheitsbilder vergütet. Für die nicht auf Profitmaximierung ausgelegten Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft führt dieser Systemwechsel unweigerlich zu massiven Einnahmeverlusten.

Insbesondere Universitätskliniken sind betroffen, da sie häufig schwerste Erkrankungen und Verletzungen behandeln müssen, die von den Fallpauschalen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Außerdem erfordert die Abrechnung nach Fallpauschalen laut Professor von Eiff, »prozessorientierte Organisationsformen« und diese wiederum setzen entsprechende baulich-funktionale Gebäude-/Raumstrukturen voraus. Die Behandlung von Kranken soll entsprechend der Managementmethoden industriellen Produktionsprozessen angeglichen werden. Bei

Rhön nennt sich das >Fließkonzept<, mit dem eine hohe Anzahl von Patienten der Reihe nach versorgt werden kann. Die Entlohnung passt sich in diesem Kontext ebenfalls industriellen Normen an.

Ein Blick in die Krankenhauskalkulation für Fallpauschalen soll dies verdeutlichen: Auf Grundlage der Behandlungs- und durchschnittlichen Kostenstruktur der Krankenhäuser werden die DRG-Fallgruppen (Krankheitsbilder und deren Schwere) definiert und für jedes Bundesland sogenannte Basisfallwerte vorgeschrieben (für Berlin sind das z. B. knapp 3.000, für Hamburg rund 2.900 Euro). Je nach Aufwand zur Behandlung einer Krankheit werden bundeseinheitliche Kostengewichte festgelegt. Die Vergütung einer Behandlung ergibt sich aus der Multiplikation des Fallwertes mit dem für jede Fallgruppe festgelegten Kostengewicht. So würde z. B. eine leichte Beinverletzung mit dem Kostengewicht von 0,43 multipliziert mit 3.000 eine Vergütung von 1290,- Euro für ein Krankenhaus in Berlin erbringen, wohingegen aus der Transplantation einer Niere mit dem Kostengewicht 12,975 ein Erlös in Höhe von 38.925 Euro resultieren würde. Von den Erlösen sind die Material- und Betriebskosten sowie die Personalkosten abzuziehen, um den Gewinn zu ermitteln. Den größten Kostenfaktor stellen mit über 60 Prozent die Personalkosten dar und dabei vor allem das Pflegepersonal, das den größten Teil der Beschäftigten ausmacht. Deren Arbeitszeit am einzelnen >Fall< (wie auch das des ärztlichen Personals) wird auf Minuten heruntergerechnet und geht mit 50 bis 60 Cent pro Pflegeminute in die Kostenrechnung ein. Was in der Industrie die Lohnstückkosten, sind im DRG-System die Lohnfallkosten. Und ganz wie in der Industrie ist auch ein Krankenhausmanagement daran interessiert, die Stück- oder Fallkosten zu reduzieren. Die Stellschrauben zur Senkung der Lohnfallkosten sind schnell ausgemacht: Reduzierung der Löhne und die Verkürzung der Taktdauer, sprich der Arbeitszeit am einzelnen Talk Die Pflegearbeit untersteht somit einem strikten Zeitregime, dem auch die Patienten unterworfen sind, deren möglichst frühe Entlassung aus Kostengründen angestrebt wird. Das führt wiederum dazu, dass die Arbeitsintensität auf den Stationen immens zunimmt. Je nach strategischer Ausrichtung spezialisieren sich die Krankenhauskonzerne auf bestimmte Krankheitsbilder, die entweder durch ein hohes Kostengewicht bei relativ geringem Pflegeaufwand oder durch fließbandartige Massen- Behandlungsoptimierung für steigende Gewinne sorgen, wie es die Konzeption der Rhön-Klinikum AG vorsieht.

Zu dieser Logik stehen Arbeitnehmer-freundliche Tarifsysteme in direktem Widerspruch oder sind gar Teufelszeug, wie Professor von Eiff in einem Interview zum Ausdruck brachte: »Der öffentliche Tarif mit seinen im Zwei-Jahres-Rhythmus automatisch erfolgenden Gehaltserhöhungen hat dazu geführt, dass die Personalkosten eines Krankenhauses jedes Jahr um 2 bis 4 % steigen. Kosten, denen keine unmittelbare Leistung gegenüber steht, die von den Krankenkassen honoriert würde. Die Folge: Alle Sparprogramme im Krankenhaus waren fixiert auf Personalabbau und Einstellungsstop, um diesem teuflischen Automatismus der Arbeitskostenerhöhung zu entrinnen.«9

>Raus aus den Tarifen und runter mit den Löhnern ist die Praxis der Rhön AG, das Managementkonzept des CKM und zentraler Bestandteil der neoliberalen Ideologie von Bertelsmann:

Deutschland brauche weder Unternehmer oder Politiker, die das Land schlecht redeten und auch keine gegenseitigen Schuldzuweisungen. »Den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit als zentrale Erklärung für die Probleme zu benutzen, geht angesichts der differenzierten globalen Wirtschaftsverhältnisse mehr denn je an der Realität vorbei«, so der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann AG, Gunter Thielen. Und »wenn der Unternehmer dann die Verantwortung schultert, müssen die Mitarbeiter bereit sein zu Verzicht, zu Mehrarbeit, zu Lohnkürzungen. Und machen wir uns nichts vor: An vielen Stellen wäre dies angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Verfassung unseres Landes das Gebot der Stunde« (Forum 4/2005: 13f).

Also niemals vergessen: Es gibt keine Klassen! - >Du bist Deutschland!< - Das ist Bertelsmann!

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Arbeit und Soziales

Helga Spindler

1

http://www.bundesaerztekammer.de/30/Aerztetag/109_DAET/30Eroeffnung.html.

2

http://www.hometown.aol.de/Verciikklis/Rakowitz.pdf.

3

http://www.deutscher-praeventionspreis.de/grusswort.html.

4

http://www.die- gesundheitsreform.de/gesundheitspolitik/pdf/gesetzentwurf_wettbewerbsstaer-kungsgesetz.pdf?param=reform2006.

5

Alle Zitate: http://starweb.hessen.de/cache/PLPR//16/3/00093.pdf.

6

   http://www.krankenhaus-management.de/conpresso/_data/Verschmelzung_GI- MR.pdf.

7

   http://www.rhoen- klinikum-ag.com/rka/k0privatisierung/bestehendevertraege.

8

   Näheres zu dem Konzept der Tele-Portal-Kliniken finden sich u. a. im Geschäftsbericht 2004 der Rhön AG, 23f: www.rhoen-klinikum-ag.com/internal/download/04GB_d.pdf.

9

zu finden auf: www.krankenhaus-management.de unter »Thema des Monats«.