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Eben im strömenden südfranzösischen Regen mit sechs Kameraden den Exerzierplatz mit der Zahnbürste gereinigt. Was für ein Scheißtag. »Corvée Quartier« nennen sie das hier, »Schinderei in der Kaserne«. Immer noch besser als »Corvée Chiotte«, da geht es mit der Zahnbürste an die Scheißhäuser.
Das also ist jetzt mein Alltag. Damit wollen sie uns brechen. Könnte kotzen. Warum hab ich mich nur freiwillig in diese Hölle begeben? Einen Monat lang kein Ausgang, nur Schinderei. Und dann diese dummen Lieder. Ab und zu gibt es einen Coopertest, einen Wettlauf, ständig irgendwelche Psychofragen. Alles auf Französisch, das nervt.
Sonst immer nur putzen. Was hat das mit Militär zu tun? Sie sagen, das kommt noch. Ob ich dann noch dabei bin?
Habe das Gefühl, unter lauter Irren zu sein. Versuche aber, mich aus den krassen Konflikten rauszuhalten. Besonders die Jungs aus Osteuropa sind gefährlich. Die würden sich am liebsten gegenseitig totprügeln. Vor allem, wenn sie gesoffen haben.
Vor einer Woche, als wir mit Ausrüstung und voller Montur vom Bahnhof zur Kaserne gelaufen sind, sah alles anders aus. Verheißungsvoll. Erhaben. Und jetzt? Fühle mich wie der Bodensatz. Schütze Arsch im letzten Glied in der gottverlassensten Armee der Welt.
Kaum ein Auge zugemacht, seit wir in Aubagne sind. Im Schlafsaal ist es laut, die Typen schnarchen oder labern, es stinkt nach Pisse und Schweiß. Ständig Reibereien. Immerhin hatte einer von den Ungarn ganz passables Gras dabei. Keine Ahnung, wie er das bekommen hat. Die Wachoffiziere haben ihn gestern hopsgenommen, mal sehen, wann er wieder aus dem Knast kommt. Oder … ob?
Der schlimmste von den Ausbildern ist »Kalinka«. Diese kleine russische Ratte. Ein echter Schinder, nicht mal einsfünfundsechzig groß. Mein Französisch ist nicht berauschend, aber seins ist so schlecht, dass man ihn kaum versteht. Wenn man aber nicht sofort macht, was er brüllt, und er brüllt ständig, gibt es eine Ladung »pompes«, Liegestütze. Gern auch mit seinem Stiefel im Nacken. Er und sein spanischer Kumpel Raúl haben im Hof Kippen auf den Boden geworfen und Rotze ausgespuckt. Und dann gesagt, wir hätten nicht richtig sauber gemacht. Schweine!
Soll ich mich wehren? Macht alles vielleicht noch schlimmer. Einige sind schon in den Bau gewandert – und kamen nicht gerade fit zurück. So wie »Fire«, der Schotte. Schläft unter mir im Stockbett. Völlig durchgeknallt. Hat sich neulich ein Branding mit einem zurechtgebogenen Eisenstück gemacht, in den eigenen Arm. Die Granate mit Flammen, das Symbol der Legion. Das Ding hat rot geglüht, so heiß war das. Er hat keine Miene verzogen. Vielleicht daher sein Name, keine Ahnung. Vorgestern hat er vor Kalinka ausgespuckt, dann ist er in den Bau gewandert. Kam heute Morgen raus, völlig fertig. Redet nicht drüber.
Bin völlig am Ende. Auch körperlich. Fast alle anderen sind fitter als ich. Sogar Goran, noch nicht mal halb so schwer wie ich, aber zäh. Eine richtige Kampfsau. Macht freiwillig pompes, bis er an den Fingern blutet. Hat auf dem Balkan viel Scheiße erlebt. Arme Sau.
Und ich? Auch eine arme Sau. Aber nicht zäh.
Habe gerade mit Georges gequatscht. Einzig gute Nachricht des Tages: Weil er schon weiter ist, wird er mein Binôme, mein Buddy. Wir üben zusammen Französisch, auch da ist er fitter. Der Buddy ist für den anderen verantwortlich. Wenn ich also Scheiße baue, kriegt er auch Ärger. Ich werde ihm keinen Ärger machen. Er ist so was wie ein großer Bruder. Ein besserer, als ich es für Lena jemals war. Er kennt die ganze Geschichte.
Hab ihm gesagt, dass ich hinschmeißen will. Georges sagt, ich hab den »Cafard«. Legionsblues. Geht vorbei, meint er. Schwer zu glauben. Er ist in Ordnung. Wird sicher mal Karriere machen, bei der Legion. Elitesoldat werden, das will er. Er ist auf dem Weg dahin, auf jeden Fall. Kommt gut mit den Ausbildern klar, auch wenn er kein Arschkriecher ist.
Georges hat ein Buch gelesen, von ’nem Ex-Legionär. Hat einen Satz auswendig gelernt, den er aufsagt, wenn es ihn ankotzt: Wenn Paris will, dass die Legion in den Krieg zieht, dann sind sie die besten Soldaten der Welt. Und wenn der Staat entscheidet, dass sie alle Scheißhäuser in Paris putzen sollen, sind sie die besten Scheißhausputzer der Welt.
Will ich das sein?
Georges kommt aus einfachen Verhältnissen. Hat viel Mist durchgemacht. Er will es weit bringen. Sagt, durch die Scheiße in Aubagne muss jeder, aber danach weiß man, wofür. Und ich? Georges meint, ich kann es schaffen. Keine Ahnung, ob er recht hat.