28
»Was an den Schildern da draußen war so schwer zu verstehen, ihr Arschlöcher?«, krächzte die Stimme ihres Gegenübers.
Giger und Chu antworteten nichts.
»Betreten verboten? Schusswaffengebrauch?«
Der Schweizer und der Vietnamese suchten fieberhaft nach einem Ausweg. Was Deutz nicht entging. »Könnt ihr vergessen. Ihr kommt hier nicht mehr raus«, rief er grinsend. Seine Stimme hallte von den Wänden der leeren Tenne wider.
So langsam wurde den beiden Gefangenen bewusst, dass er recht hatte.
»Wenn ihr wenigstens das dann mal kapiert habt, können wir uns ja ein bisschen unterhalten. Also: Wer seid ihr? BND? Militärischer Abschirmdienst?«
Giger und Chu blickten sich ratlos an.
Deutz bekam große Augen. »Mossad?« Er schüttelte den Kopf. »Leck mich am Arsch. Seid ihr echt vom Mossad? Ich hab mir ja schon immer gedacht, dass die hinter allem stecken. Aber laut darf man gegen die ja nichts mehr sagen in unserem Land.«
Jetzt fühlte Giger sich genötigt, doch etwas zu erwidern, sonst würde der Typ sie wegen irgendeiner wilden Verschwörungstheorie abknallen. Und vielleicht könnten sie sich seine Verrücktheit sogar zunutze machen. »Kamerad, ganz ruhig. Wir sind weder vom Mossad noch von einem anderen Scheiß-Geheimdienst. Wir sind auf deiner Seite.«
Der Alte ließ die Waffe ein wenig sinken. »Moment mal«, sagte er mit zusammengekniffenen Augen, »du bist doch Schweizer, so wie du klingst. Wie hängt ihr denn in der Sache drin? Seid ihr nicht neutral?«
Giger hakte sofort ein. »Genau, das sind wir, Kamerad. Wir haben alle den gleichen Feind.«
»Aha, und der wäre?«
Mist. Mit der Frage hatte Giger nicht gerechnet. Aber seine Erfahrungen im Preppercamp legten zumindest eine Antwort nahe. »Na, die da oben«, erwiderte er vage.
Deutz spuckte aus. »Scheinst ja ’n ganz Schlauer zu sein.«
»Schlau vielleicht nicht. Aber ich hab Augen im Kopf. Und kann mir so manches zusammenreimen.«
Ein leichtes Nicken von Deutz. »Was wollt ihr von mir?« Er hob das Gewehr wieder.
»Okay, nicht schießen, Kamerad, schau erst mal, was ich dabeihabe.« Ganz langsam, mit spitzen Fingern, zog der Schweizer ein Bündel Geldscheine hervor, das Wagner ihnen mitgegeben hatte, um Deutz zum Reden zu bringen. »Das ist für dich. Hätten wir Geld dabei, wenn wir dich … wenn wir mit dir kämpfen wollten?«
Der Alte schien nachzudenken. »Hm, klingt vernünftig. Aber schenken wolltet ihr mir das sicher nicht!«
Giger schüttelte den Kopf. »Nein. Wir brauchen Informationen von dir. Für … für unseren gemeinsamen Kampf. Und gute Informationen sind eben auch etwas wert.«
»Zeig doch mal genau, wie viel du hast. Los, komm ’n Stückchen näher.«
Giger ging ein paar Schritte vor, hielt sich am Gitter fest und streckte die andere Hand durch die Stäbe. Im selben Augenblick wich Deutz zurück, griff hinter sich an die Wand und legte einen Schalter um. Die Lampe über ihnen begann zu flackern, dann ertönte ein Geräusch, das an einen überlasteten Trafo erinnerte – und Giger begann zu schreien. Er krümmte sich, seine Hand öffnete sich und ließ die Geldscheine fallen. Chu verstand sofort, lief zu ihm und versetzte ihm einen Tritt, der ihn vom Gitter wegschleuderte. Schwer atmend lag der Schweizer auf dem schmutzigen Boden.
In die Stille hinein ertönte ein irres Kichern. »Ihr seid noch dümmer, als ich gedacht hab«, amüsierte sich Deutz. »Ich behalt euch als Geiseln, dann kassier ich doppelt ab.«
Giger spürte, wie die Wut in ihm aufstieg. Der Alte führte sie an der Nase herum, wie es ihm passte.
»So, jetzt mal Schluss mit dem Mumpitz. Also, was wollt ihr? Wenn ihr nicht vom Mossad seid, dann bleibt für mich nur noch eine Lösung: Ihr gehört zu dieser geheimen Kommandotruppe der Regierung. Der GSG … dings.«
»Neun«, entfuhr es Chu.
»Ha, wusste ich es!«
»Halt die Fresse!«, herrschte Giger seinen Begleiter an.
»Lass mal das Schlitzauge in Ruhe«, protestierte der Alte. »Find’s ja interessant, dass der überhaupt spricht. Vielleicht sollt ich mich lieber mit dem unterhalten als mit dir, Almöhi.«
Inzwischen hatte sich der Schweizer wieder etwas erholt. »Hör zu, Kamerad«, keuchte er, »ich versteh, dass du misstrauisch bist. Hast ja auch allen Grund dazu. Aber wir wollen wirklich nur mit dir reden. Und dir das Geld geben.«
»Das hab ich ja auch so gekriegt.« Deutz grinste und deutete auf die Scheine, die verstreut vor dem Käfig lagen.
»Aber auf das Geld kommt’s dir nicht an, stimmt’s? Wichtig ist vor allem unser gerechter Kampf.« Giger ging wieder ein paar Schritte auf die Metallstäbe zu, achtete aber peinlich darauf, sie nicht mehr zu berühren.
»Wüsste nicht, dass wir Waffenbrüder sind.«
»Doch. Doch, das sind wir. Alle drei. Das verbindet uns. Schau uns doch mal an. Ein Schweizer und ein Schlitzauge.« Chu spannte die Kiefermuskeln an, als Giger ihn so nannte, doch der gab ihm mit einem Blick zu verstehen, dass er mitspielen solle. »Mal ehrlich: Sehen für dich so die typischen Vertreter der deutschen Staatsmacht aus?«
Nun schien der alte Zausel tatsächlich ins Grübeln zu kommen.
»Na, siehst du? Du kannst uns vertrauen! Wenn wir uns gegenseitig bekämpfen, dann schaden wir nur unserer Sache. Dann haben die gewonnen. Der Mossad und … die anderen Geheimdienste.«
»Ah, ihr glaubt auch, dass der Mossad mit drinhängt.«
»Glauben? Wir wissen es!«
»Verdammte Scheiße, also doch.«
Giger entspannte sich allmählich. Jetzt hatte er ihn. Nun würde er ihn noch ein bisschen weiter bearbeiten, würde … Der Schweizer stockte. Ihm war, als habe er hinter Deutz eine Bewegung wahrgenommen. War der Alte etwa doch nicht allein? Hatte er jemanden übersehen? Oder spielten ihm seine malträtierten Nerven einen Streich?
Nervös blickte er sich zu Chu um. Der hatte es auch gesehen, das erkannte er sofort. Lauernd stand er da, die Muskeln angespannt. Wie ein Tier, das Gefahr wittert.
Wieder eine Bewegung im Dunkeln. Dann, ganz langsam und lautlos, schälte sich eine schwarze Gestalt aus dem Schatten hinter dem Alten. Sie trug eine Maske – und hielt ein Messer in der Hand.
»Pass auf, hinter dir«, schrie der Schweizer.
»Netter Versuch«, gab Deutz zurück. Die Schattengestalt war nur noch wenige Meter von ihm entfernt.
Wer zum Teufel war das? Jemand, der auf ihrer Seite stand? Wohl kaum. Plötzlich dachte Giger daran, was mit Klamm geschehen war. »Scheiße, Deutz, dreh dich um, sonst …«
Der wandte leicht den Kopf, da schlug die Gestalt bereits los. Deutz konnte sein Gewehr nicht mehr hochreißen, schaffte es lediglich, die Flinte quer zwischen sich und seinen Angreifer zu bringen. Sie rangen geräuschlos miteinander, doch die muskulöse Gestalt war dem dürren Alten haushoch überlegen.
»Stell ihm ein Bein«, schrie Giger, als er das realisierte, und Deutz tat genau das. Der Schwarzgekleidete knallte mit Wucht auf den Boden.
»Schieß!«, rief Giger so laut, dass sich seine Stimme überschlug. Doch Deutz war zu langsam. Während er noch den Lauf der Waffe herumschwenkte, traf ihn ein heftiger Fußtritt. Das Gewehr flog in hohem Bogen durch die Luft. Mit einem akrobatischen Satz war der Angreifer wieder auf den Beinen. Deutz stand wie erstarrt vor ihm. Erst ein erneuter Ruf, diesmal von Chu, löste seine Erstarrung. »Renn!«
Aber Deutz war nicht schnell genug. Kurz bevor er das Gitter erreicht hatte, warf sich der Angreifer gegen ihn und der Alte knallte, Gesicht voran, auf den Boden. Als er den Kopf wieder hob, sah Giger, dass seine Lippe aufgeplatzt war. Blut rann ihm übers Kinn, als er versuchte, sich aufzurappeln. Der andere ließ es geschehen. Wissend, dass er gewonnen hatte. Da klammerte sich der Alte an das Gitter. Sein Angreifer ging langsam auf ihn zu, packte ihn – und wurde wie von einem heftigen Schlag zurückgeworfen. Wieder flackerte kurz das Licht.
Deutz verzog die blutigen Lippen zu einem Grinsen, spuckte einen roten Fleck in den Dreck und schrie: »Isolierte Schuhe, du dummes Arschloch.«
Dann drehte er sich um, kramte aus seiner Hosentasche einen Schlüssel und öffnete den Käfig. Sofort stürmten Chu und Giger hinaus und rannten auf ihre Waffen zu, die sie vorher durch das Gitter geworfen hatten. Währenddessen kam auch der Schwarzgekleidete wieder auf die Beine. Er blickte von Deutz zu den beiden anderen, schien seine Chancen abzuwägen, machte dann auf dem Absatz kehrt und lief zurück in die Dunkelheit, aus der er gekommen war.
Chu und Giger rannten noch hinterher, doch von dem nächtlichen Angreifer fehlte bereits jede Spur.
»Ja, ja, ich glaub euch. Sollte euch wohl dankbar sein, dass ihr mir den Arsch gerettet habt.« Deutz presste sich ein schmutziges Taschentuch auf seine blutende Lippe. »Irgendwie brauch ich in letzter Zeit ziemlich oft Hilfe. Ist vielleicht das Alter.«
Giger, der neben ihm auf dem Boden kauerte, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ach was, alt. Bei uns in der Schweiz sagt man: Uf alte Pfanne lernt mer choche. «
Deutz blickte ihn verständnislos an.
»Auf alten Pfannen lernt man kochen«, übersetzte Giger und blickte zu Chu, der lediglich mit den Achseln zuckte. »Aber wieso musst du dauernd gerettet werden?«
»Neulich ist mir auch schon mal was passiert. Da waren zum Glück ein paar Leute im Wald …«
»Teenager?«
Deutz bekam große Augen. »Ihr wisst davon?«
»Ja, die … gehören zu uns. Wir müssen sie warnen, hinter ihnen ist der schwarze Typ auch her.«
»Echt? Warum sollte er denn … und wer ist das überhaupt?«
»Das können wir dir erklären, wenn Zeit dafür ist. Jetzt müssen wir die Kids warnen, bevor es zu spät ist.«
Deutz nickte. Dann erzählte er ihnen, was sie wissen wollten.
Eine halbe Stunde später hatten sie alle Informationen, die sie brauchten. Giger half dem ziemlich ramponierten Deutz, den Käfig wieder nach oben zu ziehen. Währenddessen telefonierte Chu mit Wagner, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen.
»Kommst du klar?«, fragte Giger den Alten, als sie sich zum Aufbruch bereit machten.
»Wird schon. Unkraut vergeht nicht.« Er gab dem Schweizer die Hand. Chu machte keine Anstalten, sich an der Abschiedszeremonie zu beteiligen. An ihn gewandt sagte Deutz trocken: »Schön, dass wir uns unterhalten haben.«
Giger grinste. Sie traten durch das Tor in den nächtlichen Regen, während Deutz drinnen die Spuren des Kampfes beseitigte.
»Warte noch Moment«, sagte Chu und ging noch einmal hinein.
Giger hob gerade die Hand zu einem letzten Gruß, da sah er, wie der Käfig noch einmal herunterknallte, Deutz’ Kopf nur knapp verfehlte, den Mann zu Boden riss und schließlich auf seinem Brustkorb landete.
Geschockt blickte Giger auf den Mann, der mit zuckenden Gliedmaßen unter dem tonnenschweren Metallgebilde lag. Da kam Chu wieder aus der Scheune und sagte ungerührt: »Jetzt wir können gehen.«
Der Schweizer war fassungslos. »Das war doch nicht … verdammt, hat Wagner dir das aufgetragen?«
Chu erwiderte nichts, marschierte einfach los. Giger drehte sich noch einmal um. Deutz spuckte Blut, seine Bewegungen wurden langsamer. »Ihr Arschlöcher! Ich wusste gleich, dass ihr vom Mossad seid«, presste er gurgelnd hervor.
Angewidert wandte sich Giger ab und folgte seinem Begleiter in die stürmische Nacht.