Die Mädchen freuen sich und tanzen, Jung und Alt sind
fröhlich. Ich werde sie trösten; ich verwandle ihre Trauer in
Jubel, ihren Kummer in Freude. – Jeremia 31,13 GN
Wir kennen Klaus seit etlichen Jahrzehnten. In einer Ehekrise fanden er und seine Frau zu Team.F.1 Ihre Ehe wurde heil und auch persönlich erlebten sie viel innere Heilung. Aus Dankbarkeit Gott gegenüber wurden sie treue Mitarbeiter. Es macht ihnen große Freude, andere Menschen in Nöten zu begleiten und ihre innere Heilung mitzuerleben. Doch eines Tages hatte Klaus überraschend ein Erlebnis, das uns vor Augen führte, dass all diese guten Erfahrungen die tiefe Scham und das Minderwertigkeitsgefühl in ihm nicht erreicht hatten. Da war immer etwas offengeblieben. Klaus hatte keinen Trost erlebt und keine Wiederherstellung seiner Würde, weil uns das Thema „Scham“ lange unbekannt war. Für die Bewältigung dieser Beschämungserfahrung hatte es nicht gereicht, seinem Vater zu vergeben.
Als Klaus überraschend Heilung von seiner Kindheitsscham erlebte, war er bereits 70 Jahre alt. Seit seiner Pubertät hatte er sich mit einem schamvollen Erlebnis herumgeschleppt, ohne dafür Heilung zu finden. Sein Erlebnis machte uns hellhörig. Wir beschäftigten uns intensiver mit dem Thema „Heilung von Scham“ und machten gute Erfahrungen in unserer Beratung. Gerne lassen wir Sie an Klaus' Erfahrung teilhaben, denn in seiner Geschichte finden sich alle typischen Merkmale einer kindlichen Beschämungserfahrung, aber sie zeigt auch, wie eine Begegnung mit Jesus Trost schenkt und die verlorene Selbstachtung wiederherstellt.
In einem Seelsorgeseminar ging es um Gottes Vaterliebe. Als wir ein Lied sangen, in dem es um Freiheit von Scham geht, die der Geist Gottes bewirkt, klickte etwas in mir und mich erfasste eine tiefe Sehnsucht danach. Ich wusste erst nicht, warum. Ich wusste nur: Das habe ich nicht, aber da will ich hin. Plötzlich wurde mir bewusst: Da ist noch tiefe Scham in meinem Leben. Ich fühlte mich wie im Nebel, es war da etwas Unklares, Bedrückendes, das zwischen mir und Gott und mir und den Menschen stand. Und dann eine plötzlich aufflammende Hoffnung: Ich kann da heraus!
Das Gefühl einer zutiefst empfundenen Verlassenheit, Einsamkeit und Unsicherheit hat mich seit der Pubertät geprägt, dieser stumme Schrei nach meinem Papa, der zwar da war, aber nicht für mich erreichbar: Er sprach nicht mit mir. In mir war die angstbesetzte Annahme: „Ich bin es nicht wert, dass man mit mir über meine Gefühle spricht“, und die Überzeugung: „Über so etwas spricht man nicht, ich bin nicht normal.“ Und es gab die Vorstellung: „Damit muss ich allein fertig werden.“
Nun stand mir plötzlich ein ganz bestimmtes Ereignis vor Augen, eine Situation, in der mein Vater mich besinnungslos geschlagen hatte. Ich dachte: „Nein, das kommt aus meinem Verstand, das habe ich in der Seelsorge doch längst bearbeitet.“ Nachdem ich mich wiederholt vergeblich gegen diese Erinnerung gewehrt hatte, wusste ich: Der Heilige Geist will dorthin gehen. – Was war geschehen?
Als 11-Jähriger hatte ich mit einem Draht einen Weidezaun unter Strom gesetzt. Leider bekam der angesehene Gutsverwalter einen Stromschlag und beschwerte sich bei meinem Vater. Mit schlechtem Gewissen stand ich in der Küche, als mein Vater hereinkam. Ohne ein Wort zu sagen, holte er aus und schlug mich nieder. Ich spürte keinen körperlichen Schmerz, denn ich war sofort besinnungslos. Jetzt sah ich mich auf dem Boden liegen und empfand einen tiefen Schmerz.
Mein Vater hatte nicht mit mir gesprochen, auch später nicht, die Situation wurde einfach totgeschwiegen. Es hat mich sehr verletzt, dass ich, sein einziger Sohn, ihm nicht ein Gespräch darüber wert war. Ich war seitdem tief verunsichert, fühlte mich wertlos, verachtet, überflüssig und verwirrt,. Ich schämte mich sehr. Als mein Vater starb, ich war damals 33 Jahre alt, da war mir so, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen, und in mir war ein tiefer Schrei: „Papa, du hast vergessen, mir meine Identität zuzusprechen.“
Aber jetzt nahm ich innerlich wahr, dass Jesus damals in der Küche bei mir stand und einfach sagte: „Komm, steh auf.“ Er streckte seine Hände aus und nannte ganz zärtlich meinen Namen: „Klaus.“ Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, hat mich zutiefst berührt, sodass ich weinen musste vor Glück. Jesus nannte mich nicht „Sohn“ oder „Kind“, sondern er rief mich bei meinem persönlichen Namen. Das traf mich in meinem tiefsten Inneren und ich spürte: Ich bin rehabilitiert, alle vermeintlichen Lügen über mich sind entlarvt.
Es war so, wie es die Bibelstelle sagt: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein! Klaus, du bist verzeichnet im Buch des Lebens! – Meinen Namen von höchster Stelle zu hören, war wie ein Festmachen meiner Zugehörigkeit, ein Verankertsein, sodass ich nicht mehr wie ein heimatloser Schmetterling herumflattern muss. Nun ist keine Schamröte mehr auf meinem Gesicht, wie es in dem Lied heißt, sondern: „Mercy and grace – die Herrlichkeit Gottes“. Nicht mehr das Elend von Scham und Schande sollen mein Leben bestimmen. Mein Herz ist weich geworden durch die geoffenbarte Liebeserklärung Jesu, ganz persönlich für mich. Diese erlebte Zärtlichkeit ließ mich unerwartet in Tränen ausbrechen, als ich in unserer Gemeinde vorne stand und ganz souverän berichten wollte, was ich erlebt hatte.
Die negativen Früchte der Beschämung sind im Alltag, im Denken und Handeln präsent. Bevor uns die Begriffe Scham und Beschämung geläufig wurden, sprachen wir von seelischer Verletzung, von Ablehnung und Liebesmangel. Diese Aspekte sind wichtig, aber Beschämung, Scham und Schamangst sind in vielen Fällen die treffenderen Begriffe. Verletzt zu sein hat vielleicht noch etwas Heldenhaftes, denn Wunden erhält man im Kampf. Bei Scham jedoch assoziiert man sofort Ohnmacht, Schwäche, Verachtung, Versagen und Selbst-daran-schuld-Sein. Wenn das so ist, wer mag dann zu seiner Scham stehen oder über seine beschämenden Erlebnisse reden?
Aber wir sollten die Fakten konkret benennen, damit deutlich wird, welche Heilungsschritte für einen Betroffenen angebracht sind. Auch von einem Arzt erwarten wir eine exakte Diagnose und dann den entsprechenden Behandlungsplan, um schnellstmöglich gesund zu werden. Genauso verhält es sich mit unseren seelischen Wunden. Vergebung ist wichtig, um heil zu werden, aber kaum jemand spricht darüber, dass es auch Befreiung von der tief verinnerlichten Scham gibt.
Durch das Erlebnis von Klaus haben wir entdeckt, dass und wie man für erlebtes Unrecht heilsamen Trost empfangen kann und dass Gott die verlorene Würde und Selbstachtung wiederherstellt. Bei Klaus war es überraschend, aber in unserer Gebetsseelsorge führen wir Menschen bewusst in eine heilsame Jesusbegegnung. Die Resultate begeistern uns so sehr, dass wir mit diesem Buch verletzte und beschämte Menschen ermutigen möchten, diesen wunderbaren Trost für ihre verletzte Seele zu suchen und selber zu erfahren.