26

Sie lagen einander zugewandt im Bett. Evelyn ließ die Spitze ihres Mittelfingers zärtlich über Tillmanns Brust wandern und folgte mit dem Blick dem Weg, den ihre Hand nahm. Sie fühlte sich wohlig ermattet.

»Jasper Kriebich war heute Abend in Oldenburg«, sagte sie.

»Kriebich? Was hat der denn in Oldenburg gemacht?«

»Er ist wegen mir gekommen. Er wollte mich zum Essen einladen.«

Tillmann zuckte zusammen. »Du warst mit ihm essen?«

»Nein, wir waren nur auf ein Glas im Schalander

»Was wollte er?«

»Er hat mir angeboten, mir zu helfen, nach Fabian zu suchen.«

»Moment … du hast ihm von Fabian erzählt?«

»Ja, und lass uns jetzt bitte nicht darüber diskutieren.«

»Also gut, warum auch immer du … Was hast du dazu gesagt?«

»Nichts. Ich bin gegangen und zu dir gefahren.«

»Also ich finde, hierherzukommen war eine hervorragende Idee. Zumal du ihn ja überhaupt nicht kennst.«

»Das stimmt zwar, aber er hat eine jüngere Schwester, mit der ihn ein enges Verhältnis verbindet, so wie es zwischen Fabian und mir war. Und er hat auch einiges mit ihr erlebt. Deswegen versteht er, glaube ich, ganz gut, was in mir vorgeht.«

»Ich glaube zwar nicht, dass man jemanden wirklich verstehen kann, den man kaum kennt, aber zumindest hat er Eier in der Hose.«

Evelyn hob den Kopf und sah Tillmann überrascht an. »Was?«

Sein Mund verzog sich zu einem angedeuteten Grinsen. »Es gehört schon was dazu, einfach so dazwischenzugehen, wenn man sieht, dass jemand einen anderen mit einem Messer angreift. Die allermeisten würden schnellstens und möglichst unbemerkt verschwinden. Er hat diesem Mann wahrscheinlich das Leben gerettet. Er hat Eier. Und obendrein ein unverschämtes Glück.«

»Was meinst du?«

»Ich meine, dass er fast unverletzt aus dieser Geschichte herausgekommen ist. Der Killer hatte ein Messer und war sicher vollgepumpt mit Adrenalin. Dass er recht schnell und fast ohne Gegenwehr getürmt ist und Kriebich dabei nicht nennenswert verletzt hat, das nenne ich Glück.«

Evelyn setzte sich auf, und es störte sie nicht, dass Tillmanns Blick über ihre nackten Brüste glitt.

»Ja, das stimmt. Aber vielleicht wollte der Täter einfach schnell entkommen.«

»Dennoch muss ihm klar sein, dass es nun schon eine zweite Person gibt, die ihn beschreiben kann. Ich finde es seltsam, dass das so reibungslos abgelaufen ist.«

»Wie du schon sagtest, Kriebich hatte wohl tatsächlich Glück.«

Tillmann richtete sich ein wenig auf und stützte sich auf dem Unterarm ab. »Wie dem auch sei: Tu mir bitte den Gefallen und sei vorsichtig. Irgendetwas sagt mir, dass mit diesem Jasper Kriebich etwas nicht stimmt. Du kennst ihn gerade mal zwei Tage, und schon kommt er extra wegen dir nach Oldenburg, will dich zum Essen einladen und bietet dir seine Hilfe in einer sehr persönlichen Sache an. Das geht alles ein wenig schnell.«

»Bist du etwa eifersüchtig?«

Tillmann schüttelte den Kopf. »Nein, ich mache mir Sorgen um dich und versuche, dich davor zu bewahren, vielleicht einen Fehler zu begehen.«

Evelyn streichelte ihm über den Kopf. »Das ist sehr lieb von dir, aber wie du siehst, bin ich hier und nicht bei Jasper Kriebich. Ob das allerdings mit Vorsicht zu tun hat, sei dahingestellt.«

Tillmanns Mund verzog sich kurz zu einem Lächeln, dann wurde er wieder ernst. »Sagst du mir, wie ich das hier einordnen soll?«

»Das hier?«

»Ich meine, dass wir hier zusammen in meinem Bett liegen.«

»Wie wäre es mit: schön?«

Eine Weile sah er sie fragend an, dann schien er einzusehen, dass er nichts anderes von ihr hören würde. Er küsste sie auf die Stirn und zog die Decke hoch bis zum Kinn. »Ja, das ist eine gute Idee.«

 

Als Evelyn aufwachte, war das Bett neben ihr leer. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es kurz nach sieben war. Sie stand auf, zog sich ihren Slip und ihr Shirt an und verließ das Schlafzimmer. Aus der Küche war Klappern zu hören. Als sie den kleinen Raum betrat, hantierte Tillmann gerade an der Kaffeemaschine herum. Er war komplett angezogen, und seine Haare waren noch nass. Offensichtlich hatte er schon geduscht.

Als er sie bemerkte, kam er auf sie zu und küsste sie auf den Mund. »Guten Morgen. Ich wollte dir einen Kaffee machen, aber leider lässt mich diese eigensinnige Maschine mal wieder im Stich. Hast du gut geschlafen?«

Evelyn hatte das Gefühl, dass Tillmann nicht so guter Laune war, wie er ihr weismachen wollte.

»Ja, habe ich. Stimmt etwas nicht?«

»Ein Kollege vom Präsidium hat mich eben angerufen.«

»So früh? Ich habe gar nichts gehört.«

»Ich hatte mein Telefon ins Bad mitgenommen.«

»Gibt es Neuigkeiten?«

»Der Chef interessiert sich für meine kleine Unterhaltung mit Kleinbauer. Er will mich um acht Uhr in seinem Büro sehen.«

»Oh!«, entfuhr es Evelyn. »Wie hat er davon erfahren?«

»Das weiß ich nicht.«

»Bekommst du deswegen Ärger?«

Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Kann schon sein. Hagemeier ist ein Paragraphenreiter. Er besteht auf die absolute Einhaltung der Dienstvorschriften. Und wenn man es genau nimmt, war das eine oder andere, das ich Kleinbauer gesagt habe, vielleicht nicht ganz nach Dienstvorschrift.«

»Und alles nur wegen mir, das tut mir leid.«

»Nein, nicht wegen dir, sondern wegen Kleinbauer, diesem kranken Mistkerl.«

»Ja, aber wenn er mich nicht …«

Tillmann schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Du hast daran keine Schuld.«

»Da fällt mir ein: Sagtest du nicht, dieses Gespräch sei nicht aufgezeichnet worden?«

»Nein, das sagte ich nicht.«

»Ich habe dich nach den Videoaufnahmen gefragt, und du sagtest: Welche Videoaufnahmen

»Genau. Ich habe aber nicht gesagt, es gäbe keine, oder?«

Als Evelyn die Mundwinkel nach unten zog, sagte Tillmann: »Okay, halten wir fest, dass ich dich nicht angelogen habe. Ich habe das nur deshalb offengelassen, damit du dir keine Sorgen machst. Ich würde dich nie anlügen.«

»Also gut.«

Tillmann sah auf die Uhr. »Tut mir leid, aber ich muss in zehn Minuten los.«

»Ich brauche nur fünf«, sagte Evelyn und wandte sich ab.