TAG 10
MONTAG - IX

So fanden wir den Platz vor, als wir eintrafen.

Auf einer Seite standen die edlen Helden aus Rittern, Legionären und Dorfbewohnern mutig nebeneinander.

Auf der anderen Seite befand sich der Feind. Durch den Rauch konnte man nicht viel erkennen, aber sie mussten zahlreicher sein als wir, mindestens fünfmal so viele. Ich hatte nur einen kleinen Teil derer geschlagen, die sich hier eingefunden hatten.

Wundersamerweise stand unsere Schule noch. Ja, es war ein Wunder, denn alles andere war … verschwunden! Der schöne Marmorbrunnen? Verschwunden. Der Pilzstand? Auch verschwunden, was mich allerdings nicht allzu sehr betrübte. Und der Eisstand? Naja, von hier aus kann man ihn nicht sehen, er befindet sich 300 Blöcke weiter westlich, in der Nähe des Parks. Aber wahrscheinlich ist auch er verschwunden. Oh, und was war mit meinem Lieblingsrestaurant? Ich habe euch doch davon erzählt, als ich euch damals meine Schule gezeigt habe? Die Verlorene Legion hat ihn in eine Art Bunker umfunktioniert. Die Leute brauen dort vor allem Tränke. In Zeiten wie diesen sind Tränke der Heilung noch viel wertvoller als Diamanten. Ich schwöre euch, wir würden einen ganzen Sack Enderkarotten für einen einzigen Trank bekommen, vorausgesetzt natürlich, es gäbe Enderkarotten. Aber es gibt sie ja nicht. Oh nein, es tut mir leid, eure Träume auf diese Weise zerstören zu müssen. Außerdem tut es mir leid, dass dieser Absatz so lang geraten ist. Aber vielleicht sollte ich das ganze Tagebuch so schreiben? Ein einziger langer Absatz! Wie weit würdet ihr wohl lesen, bis ihr verrückt oder sauer werden würdet? Ihr würdet sagen: Alter, warum beendet Minus diesen Absatz nicht? Wann hört dieser Absatz auf? Was ist, wenn er niemals endet? Wie kann es da nur sein, dass Minus der coolste Dorfbewohner ist, der jemals gelebt hat? O.k., ist ja gut, ich höre schon auf. Solltet ihr den Absatz bis hierher gelesen haben, seid ihr jetzt vielleicht genauso wütend wie ich, der ich soeben begriffen habe, dass … es nie mehr Eiscreme geben wird.

Ich stieg von Alices Pferd ab und wischte mir dabei verstohlen eine Träne weg, was es jedoch noch schmerzhafter machte, da ich dadurch an das Eis mit Ghasttränengeschmack erinnert wurde. Was tun uns diese Monster nur Schreckliches an! Es ist einfach zu viel …!!

Minus!!, schrie Mastoc. Alter! Ich habe versucht, dir zu folgen, aber mein Pferd geriet in Panik!

— Du hättest nicht einfach so losziehen dürfen, wetterte Esmeralda.

Du hast ja keine Ahnung, was hier für verrückte Monster herumlaufen?!

Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern.

— Macht ihr euch denn keine Sorgen um eure Eltern, ihr …?

Sie sind in Sicherheit, sagte Kalle, der gerade hinzukam, jedenfalls so weit dies zurzeit überhaupt möglich ist. Ophelias Freunde haben alle in eine Zuflucht in die Minen geführt, wo sie sich verstecken.

Das schien zu stimmen, denn außer Ophelia war kein Mitglied des Teams Flower Power anwesend.

Dagegen konnte ich sehr viele meiner alten Klassenkameraden ausmachen. Die Helme rutschten ihnen ins Gesicht und die meisten Rüstungen waren wild zusammengewürfelt. Viele nickten mir grüßend zu, andere sprachen mich an. Ich weiß nicht mehr genau, wer was gesagt hat, es waren zu viele Stimmen und zu viele Fragen zu allem Möglichen. Allerdings erinnere ich mich noch, was gesagt wurde. Also vergesst nicht, dass jeder der folgenden Sätze von einem meiner Klassenkameraden stammte.

Minus?! Gelobt sei Entity, du bist da! Etwas Furchtbares wird bald geschehen! Ich spüre es!

— Hast du wirklich eine Schmiede der Ewigkeit gefunden? Kann sie … uns retten … ?

— … Bin ich jetzt in Sicherheit?

— Minus, Alter! Der Bürgermeister ist fast ermordet worden! Er ist jetzt mit unseren Eltern in den Minen.

Perce? Er verfolgt mit Kaileb, dem Ozelot und anderen eine Art Schweinezombie mit dunkelroter Robe.

— Wir haben sie zurückgedrängt, jedenfalls für den Moment.

— … G-glaubst du, wir werden entkommen?

— Minus, ich weiß nicht, was ich in einem Moment wie diesem sagen kann, also sage ich nur … das war echt cool.

Schönes Schwert, Minus. Ist es aus Obsidian?

— Minus! Bist du‘s? Das soll deine Rüstung sein? Die ist ja total verrostet. Und dieser Hut! Der ist wohl aus Schimmel, was?

— Also, wie war deine Quest?

— Ich habe gehört, du hast Pierre getroffen. Wie geht es ihm? Es wäre schön, wenn auch er hier wäre.

— Wir könnten seine Unterstützung gut gebrauchen.

— Mastoc hat erzählt, dass du eine Elfe gesehen hast. Stimmt das? Ich möchte auch mal eine sehen. Man erzählt sich, dass die Mondelfen im Silberwald leben und die Elfen der Dämmerung an der Küste.

— He, Alter! Du hast hier echt was verpasst. Jemand hat eine neue Baumart im Park gepflanzt, Mooseichen. Ich wüsste gern, wer das war?

— Hallo Minus! Nur eine kleine Frage: Bist du auf deiner Reise zufällig Redstonegolems begegnet? Ich frage nur, weil ich gehört habe, dass es in der Hauptstadt welche geben soll. Oh, du warst gar nicht in der Hauptstadt? Das tut mir leid, ich dachte nur.

— He, Minus. Sorry, dass ich dich nochmal störe, aber ich muss ständig an dieses Obsidianschwert denken. Was hat es für Verzauberungen? Darf ich mal die Stats sehen?

Minus! Wir haben uns ja ewig nicht gesehen! Mastoc sagt, du hättest ein Verlies mit mehr als einer Kammer gesehen. Der hat doch nur einen Witz gemacht, oder?

— Äh … warum löchert ihr ihn jetzt alle mit Fragen? Das darf doch nicht wahr sein! Wir stehen kurz vor der Ausrottung! Hebt eure Schilde!

 

Das war mehr oder weniger alles, an das ich mich erinnern kann.

Falls ihr euch durch diese Textlawine etwas eingeschüchtert fühlen solltet, könnt ihr euch ja sicher vorstellen, wie es mir erging. (Ach ja, die letzte Wortmeldung kam von Esmeralda, aber das habt ihr sicher schon erraten.)

Schluss jetzt!, sagte Kalle. Lasst ihn in Ruhe. Er hat schon genug getan.

Er lotste mich aus der Menge und klopfte mir auf die Schulter.

Schön, dich wiederzusehen, Junge. Du hast gute Arbeit geleistet. Wie ich gehört habe, ist es dir gelungen, eine Schmiede der Ewigkeit aufzutreiben.

Dann fügte er noch lächelnd hinzu:

— Ich wünschte, wir hätten uns in einer anderen Situation wiedergetroffen. Wir haben sicherlich viel zu … besprechen.

Ich blickte mich suchend nach Alice um. Sie stand etwas weiter weg und unterhielt sich mit Elric. Ihren Gesichtern nach zu urteilen, sprachen sie wohl über etwas Ernstes. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, also wandte ich mich wieder an Kalle.

— Und was genau ist das jetzt für eine Situation?

— Ich denke, sie haben sich gedacht, dies sei der perfekte Augenblick für einen Angriff, da viele von euch nicht da waren. Die Nethermanten haben mithilfe ihres Zaubers einen Teil der Mauer zerstört. Zum Dank dafür haben wir sie fast alle eliminiert. Kaileb hat sie in einen Hinterhalt gelockt und macht grade Jagd auf die, die entkommen sind.

Jetzt gibt es nur noch einen, der uns Ärger machen kann.

Siehst du den da hinten? Das ist ihr Boss.

Auf der anderen Seite des Platzes erkannte ich eine Gestalt, die um einige Blöcke größer war als alle anderen Monster. Sie trug eine schwarze, mit leuchtend roten Runen verzierte Rüstung und hielt ein mindestens zwei Blöcke langes, schwarzes Schwert in der Hand. Die Rüstung schien mir ein wenig übertrieben zu sein. War das nicht zu dick aufgetragen? Es sah aus, als wolle er der ganzen Welt zeigen, dass er der große, ultimative Bösewicht ist. In Urg der Barbar gibt es übrigens einen Bösewicht, der ganz genauso so aussieht.

— Ist das ein Underlord?, fragte ich.

Ja. Unter dieser Rüstung befindet sich ein Eisenfangzahn, der in der Schwarzen Magie bestens ausgebildet ist. Die meisten Untoten stehen unter seinem Befehl. Er ist unser Hauptziel. Sobald wir ihn besiegt haben, wird die Schlacht zu Ende sein. Es wird jedoch nicht ganz einfach, ihn zu fassen, denn dazu müssen wir uns einen Weg durch seine Lakaien bahnen. Pfeile können ihm nichts anhaben, also denk gar nicht erst darüber nach. Seine Rüstung ist verzaubert und sie prallen einfach von ihm ab.

— Was ist ein Eisenfangzahn?, fragte Mastoc. Ist das so etwas wie ein … Schweinezombie?

Sigurd warf ihm einen finsteren Blick zu.

— Das kann man so sagen, allerdings sind sie doppelt so stark und fast hundertmal schwerer zu töten. Ich hasse diese Dinger.

— Offensichtlich haben wir den Augenlosen ernsthaft erzürnt. Da alle seine bisherigen Versuche gescheitert sind, hat er uns dieses Mal seine Elite-Einheiten geschickt, um sicherzugehen, dass Dorfstadt wirklich zerstört wird.

In diesem Augenblick kamen Elric und Alice zurück. Der Ritter nickte uns zu.

— Das war aber jetzt völlig umsonst. Das Dorf wird standhalten … weil wir jetzt hier sind.

Er wandte sich an Kalle.

— Es ist eine sehr schwere Zeit, aber ihr solltet wissen, dass es für die Ritter von Aetheria eine Ehre ist, an eurer Seite zu kämpfen.

Wir stehen tief in der Schuld der Verlorenen Legion. Ich weiß nicht, wie viele Dorfbewohner im Westen dank euch gerettet wurden, aber es müssen sehr viele gewesen sein.

Kalle reichte dem Ritter die Hand.

— Auch für uns ist es eine Ehre.

Kalle drehte sich zu mir um.

Hmm, Minus. Deine Schwerter sehen ganz schön mitgenommen aus. Du solltest sie unbedingt reparieren. Im Bunker gibt es einen Amboss, und, wenn du schon mal da bist, bring auch ein paar S-III sowie Milch mit! Irgendwo in dieser Armee versteckt sich ein hochkarätiges Phantom, eine Unterart von einem Geist. Diese Kreaturen können dir die verschiedensten unangenehmen Debuffs verpassen.

S-III? Was ist d…? Oh! Heilung III. Mist!

Wie hat er bemerkt, dass meine Schwerter am Ende ihrer Haltbarkeit sind? Ihm entgeht aber auch wirklich nichts …

Ich gab mir die größte Mühe, ebenso heldenhaft auszusehen, wie die umstehenden Ritter:

— Auch mir ist es eine große Ehre, an eurer Seite zu kämpfen.

Dann kniete ich mich hin:

Sir.

Hätte in diesem Augenblick jemand einen Witz gemacht oder angefangen zu weinen, glaubt mir, ich hätte sofort wieder den Geschmack meines Lieblingseises auf der Zunge gespürt.

Bevor ich zu meinen Reparaturarbeiten loszog, bemerkte ich, dass Kalles Schwert nicht beschädigt war. In der Halterung auf seinem Rücken steckte ein gewaltiges Diamantschwert in perfektem Zustand. Esmeralda hatte gesagt, dass sein anderes unbrauchbar sei. Er muss es irgendwo versteckt haben.