TAG 9
SONNTAG - I

Ich hatte einen Alptraum.

 

Dorfstadt stand in Flammen. Von Panik ergriffen rannten alle panisch davon. Alle? Nein, nicht alle! Meine Freunde waren noch da und kämpften tapfer. Doch die Niederlage schien unvermeidbar, jedenfalls zerbrach dann auch noch Kalles Schwert.

War das eine Vorhersehung oder war das alles schon geschehen?

Vielleicht aber waren es auch nur meine eigenen Ängste, ausgelöst durch die tragische Geschichte Faolans?

Als ich aufwachte, war es noch stockdunkel. Ich schaute aus dem Fenster und meine Rüstung klapperte bei jedem Schritt. Ich sah, dass der Mond nicht mehr in seinem Zenit stand, also musste es zwei oder drei Stunden nach Mitternacht sein.

Alice und Ophelia schliefen tief und fest. Die Kellnerin war inzwischen wieder vollständig genesen und bewegte sich leicht im Schlaf. Sie hatte keinen einzigen Debuff mehr. Ich erwog kurz, sie zu wecken, aber das wäre doch ein wenig grausam gewesen, da der gestrige Tag für sie sicherlich noch schlimmer gewesen war als meiner.

Es zog mich wieder zurück in mein Bett. Weil meine Rüstung aber so laut wie ein Haufen Blechnäpfe schepperte, blieb ich sofort wieder stehen. Kennt ihr den Lärm, den ein Eisengolem verursacht, wenn er marschiert? Ja, genau so. Jedenfalls war dieser Lärm wohl auch der Grund, warum Ophelia sich in ihrem Bett bewegte.

Los, du schaffst das! Ein Ninja kann sich doch auch geräuschlos in einer Eisenrüstung bewegen und sei sie noch so alt und rostig ist wie meine! Ich machte so gut ich konnte den Creeper und schlich auf Zehenspitzen ohne das geringste Klappern durchs Zimmer.

Unglücklicherweise aber hatte Alice den Milcheimer am Fußende von Ophelias Bett abgestellt. Also bin ich, unvermeidlicherweise, gegen ihn gelaufen, ins Stolpern geraten und selbstredend hingeschlagen. Natürlich flog der Eimer durch die Luft, krachte gegen die Wand und selbstverständlich blieb er dort nicht liegen, sondern rollte mit dem metallischen Getöse einer, nein, zweier Minenloren auf Schienen über den Boden durch das ganze Zimmer.

Der Eimer weigerte sich hartnäckig, seine Bewegung einzustellen. Zuerst sprang Alice aus dem Bett und drückte sich flach an die Wand. Dann hörte ich das Knarren einer Tür auf dem Flur. Es folgten unterdrückte Schreie.

 

In diesem Augenblick drehte sich Ophelia ein letztes Mal in ihrem Bett um, erwachte allmählich und gähnte ausgiebig.

Sie schien völlig verwirrt zu sein. Man muss sich das einmal vorstellen: Sie erwacht in einem fremden Zimmer mit mir, einem Dorfbewohner in einer lächerlichen Rüstung und mit einem vermoderten Hut auf dem Kopf, der sie blöd anstarrt. Währenddessen rollt ein Eimer nervtötend über den Boden – all das begleitet von dem Gebrüll eines Zwergs auf dem Flur, das nicht immer verständlich, aber im Ganzen nicht gerade freundlich klingt. Gebetsmühlenartig wiederholt er Worte wie etwa: Kumpel eines Schleims oder Erfrier doch im Nether!

— Bist du das, Minus?

Ja, ich bin’s.

Ich stoppte den Eimer elegant mit dem Fuß. Es krachte ein letztes Mal. Die Kellnerin blickte sich um, um festzustellen, wo sie da gelandet war.

Was ist mit mir passiert? Und … Was machst du hier?

(Was ich hier mache?! Als wäre es vollkommen normal, dass sie hier war!)

Die gleiche Frage sollte ich eigentlich dir stellen, antwortete ich in ruhigem, der Situation angemessenem Ton.

— Naja, ich … Alice?!, rief sie aus, als sie über meine Schulter blickte.

Hallo Ophelia, antwortete Alice und ging auf die verdutzte Kellnerin zu. Wir haben dich hierher gebracht. Du bist gestern auf der Straße umgekippt.

Oh! Tatsächlich? Das letzte, woran ich mich erinnere, ist mein Gespräch mit Theor, dem Hotelier. Er hat mich vorgestern rausgeworfen. Er sagte, für diese Arbeit sei ich nicht geeignet, und er hatte recht. Ich habe diese Arbeit nur angenommen, um alle Gerüchte aufzuschnappen und gleichzeitig noch ein paar Smaragde zu verdienen.

Was für Gerüchte?, fragte Alice.

— Naja, die Leute hier reden ständig über Quests. Ich glaube, das sind so spezielle Aufträge. Wie bei diesem Bauern, mit dem ich gesprochen hatte: Er bot ein hübsches Sümmchen Smaragde dafür, dass jemand seinen Bauernhof von den dort eingefallenen Schleimen befreite. Es hat mit Hin- und Rückweg den ganzen Nachmittag gedauert, doch es hat sich richtig gelohnt.

— Ophelia, warum tust du das?, fragte ich sie. Du bist doch nicht hierher gekommen, um Smaragde zu scheffeln, oder?

Ophelia biss sich auf die Lippen und wies nickend auf Alice.

Ihr Vater hat mich geschickt. Einige Tage nach dem Fest hat er mir eine Karte gegeben und …

Ich sah Alice an, die ungläubig mit den Achseln zuckte. Sie war nicht weniger verwirrt als ich. Dann wiederholte ich langsam Ophelias Worte.

Ihr Vater … hat dich geschickt …

Ja, seufzte Ophelia, und ich hätte mir das wirklich lieber erspart.

Das war ganz schön hart für mich. Während ich unterwegs war, habe ich …

Sie blickte uns nachdenklich an.

— Er hat mich auf eine Mission geschickt. Es geht um die Rettung von Dorfstadt. Ich sollte eine perfekte Werkbank auftreiben, aber ich habe versagt. Ich habe Schimpf und Schande über unser Dorf gebracht …

Ihre Worte trafen mich wie ein Faustschlag, Alice offensichtlich auch. Ich kann kaum ausdrücken, wie ich mich fühlte. Wütend? Getrollt? Aber mir blieb kaum Zeit, diese Neuigkeit zu verdauen, denn wenige Sekunden später vernahm ich eine neue Stimme in unserem Zimmer.

— Es gibt einen Grund für all das, und ihr wisst es.

Vor dem Fenster begann die Luft zu flimmern, und allmählich bildeten sich die Umrisse einer Person heraus, die durch das Fenster kletterte.

Die Person entpuppte sich als Brio.

Alice stürzte auf ihn zu.

 

Papa? Was soll das bedeuten? Was hast du getan?

— Ihr werdet sehr bald alles erfahren.

Brio drehte sich um und blickte aus dem Fenster.

— Aber zuerst einmal möchte ich vorschlagen, dass wir hinunter gehen. Das Frühstück ist vorbereitet und es gibt einige, die eine sehr lange Reise auf sich genommen haben, um mit euch zu frühstücken.