1 Einleitung
Am 1. Juli 2009 wurde die schwangere Ägypterin Marwa El-Sherbini im Landgericht Dresden während eines Prozesses wegen Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass mit 18 Messerstichen getötet. Sie hinterließ einen dreijährigen Sohn und einen ebenfalls schwer verletzten Ehemann. Gegen den Täter und Angeklagten hatte sie Anklage erhoben, weil er sie im Sommer 2008 auf einem Spielplatz als „Islamistin“, „Terroristin“ und „Schlampe“ beleidigt hatte (tos 2009). Laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und dem Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes (GG) darf niemand „aus Gründen der Rasse, wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ benachteiligt oder diskriminiert werden (AGG 2006, § 1). Marwa El-Sherbinis Entscheidung, ihr Recht auf Gleichbehandlung einzuklagen, endete für sie tödlich. Ihrer und ähnliche Fälle verdeutlichen, dass Diskriminierung und Rassismus in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor signifikant sind. Sie strukturieren die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Teilsysteme, wie den Arbeits-, den Bildungs- oder den Wohnungsmarkt, und dies trotz des rechtlichen Rahmens des Diskriminierungsschutzes.
Während der biologistisch begründete Rassismus als eine Ideologie oder Struktur definiert wird, die gewisse Gruppierungen auf Basis von vermeintlich naturwissenschaftlichen Wirklichkeitsinterpretationen als andersartige und minderwertige „Rasse“ diffamiert (Zuber 2015, S. 44, 55), operiert der Neorassismus bzw. der Kulturrassismus mit der Unterscheidungskategorie „höher“ oder „minderwertiger“ Kulturen auf Basis von kulturalisierenden Hierarchisierungen sowie der „Unvereinbarkeit von Kulturen“ (Zuber 2015, S. 60). Dabei hat die Rassismusforschung erkannt, dass gerade diese Zuschreibungskategorien in der Gesellschaft nicht immer die gleiche Ablehnung finden wie der biologistisch begründete Rassismus und im alltäglichen Leben zudem häufig unter der Kategorie „Meinungsfreiheit“ verharmlost werden (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2008, S. 90; siehe auch Attia 2013). Insbesondere vor dem Hintergrund eines breiten Zuspruchs für rechte Parteien und Parolen erweist sich dieser Sachverhalt als höchst problematisch (vgl. Lechner 2012, S. 2). Inwiefern schützt also das geltende Antidiskriminierungsrecht Betroffene vor rassistischer Hetze und Gewalt? Inwiefern werden rassistisches Wissen, Alltagsrassismus und institutioneller Rassismus durch rechtlich-kodifizierte Rahmensetzungen wie das in Deutschland geltende Antidiskriminierungsgesetz beeinflusst? Gegenstand dieses Artikels ist zum einen der gegenwärtig bestehende rechtliche Schutz vor rassistischer Diskriminierung in Deutschland (Abschn. 2), dem die neorassistischen Strömungen gegenübergestellt werden (Abschn. 3). Für den Neorassismus wird erörtert, inwiefern dieser mit Ausprägungen von Alltagsrassismus (Abschn. 3.1) und institutionellem Rassismus (Abschn. 3.2) in Verbindung steht. Vor diesem Hintergrund wird anschließend die Rechtswirksamkeit diskutiert (Abschn. 4). Der Beitrag schließt mit einem kurzen Fazit (Abschn. 5).
2 Geltendes Antidiskriminierungsrecht in Deutschland: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Seit 1949 ist in Art. 3 Abs. 3 GG festgeschrieben, dass niemand wegen „seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen [oder seiner] Behinderung benachteiligt oder bevorzugt werden [darf].“ Doch auch wenn dies verfassungsrechtlich schon seit 1949 geregelt ist, verabschiedete der Gesetzgeber erst 2006 ein Antidiskriminierungsgesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (vgl. Bartel et al. 2017, S. 363). Mit diesem Gesetz wurden die vier zwischen 2000 und 2004 beschlossenen Gleichbehandlungsrichtlinien der Europäischen Union in deutsches Recht umgesetzt. Die Richtlinien geben in ihrem jeweiligen Geltungsbereich Definitionen für die verschiedenen Arten von Diskriminierung vor und verpflichten zu wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen bei Verstößen gegen das Gleichbehandlungsgebot (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2017). Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist demnach zu weiten Teilen nach unionsrechtlichen Vorgaben umgesetzt. Dies gilt uneingeschränkt für das in § 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 6 ff. und § 24 AGG stehende Verbot der Diskriminierung im Erwerbsleben, dessen Etablierung und Ausgestaltung hinsichtlich aller in § 1 AGG aufgezählter Unterscheidungsmerkmale durch die Richtlinien 2000/78/EG und 2000/43/EG vorgegeben ist (vgl. Mörsdorf 2018, S. 179). Ebenfalls ist das in § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 8 und §§ 19 ff. AGG statuierte allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Merkmale Geschlecht, „Rasse“ und ethnische Herkunft unmittelbar aus dem Unionsrecht hergeleitet, während die Merkmale Religion, Alter und sexuelle Identität im deutschen Recht noch hinzugefügt wurden (vgl. Mörsdorf 2018, S. 179).
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll eine zivilrechtliche Adressierung von alltäglicher und institutioneller rassistischer Benachteiligung ermöglichen, unabhängig davon, ob diese vorsätzlich begangen wurde oder nicht. Wird das Gesetz jedoch seinem Anspruch gerecht? Um ein Geschehen als Diskriminierung ahnden zu können, greift die Zuordnung zu einer geschützten Kategorisierung in der Vorschrift voraus. Die Begriffe „Migration“, „Migrationshintergrund“ oder „Migrationsgeschichte“ werden allerdings nicht berücksichtigt. Werden Migrant*innen benachteiligt, bedarf es daher immer einer Klärung, ob dies indirekt oder direkt an eine der im AGG genannten Kategorisierungen wie ethnische Herkunft, Religion oder Ähnliches anknüpft (vgl. Dern 2018, S. 99). Da aber die Begriffe „Rasse“ und „ethnische Herkunft“ im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht näher definiert werden, ist eine Zuordnung nicht immer einfach (vgl. Mörsdorf 2018, S. 202). Als eine Diskriminierung im rechtlichen Sinne (vgl. § 3 AGG) wird eine Benachteiligung einer Person oder Gruppe aufgrund einer (oder mehrerer) rechtlich geschützter Diskriminierungskategorien ohne einen sachlichen Rechtfertigungsgrund verstanden. Diese kann durch das Verhalten einer Person, durch eine rechtliche Regelung oder durch eine Maßnahme einer Institution erfolgen. Dabei wird zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung unterschieden (vgl. § 3 AGG). Es handelt sich um eine unmittelbare Diskriminierung, wenn sie direkt an einer der Kategorisierungen anknüpft und beispielsweise potenzielle Mieter*innen wegen seines oder ihres Namens und der damit verbundenen Zuschreibungen abgelehnt werden. Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn sich scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren auf eine bestimmte Personengruppe benachteiligend auswirken, etwa wenn Einstellungskriterien eines Unternehmens pauschalisierend „inländische“ Kenntnisse wie die „deutsche Muttersprache“ fordern, über die zugewanderte Personen seltener verfügen (Dern 2018, S. 99). In der Rechtsprechung entscheidet die Art und Weise der Argumentation darüber, ob die nachteiligen Folgen sachlich gerechtfertigt und die gewählten Mittel zur Erreichung des Ziels als angemessen und erforderlich geltend gemacht werden können. Demnach kann das Qualifikationskriterium „sichere Beherrschung der deutschen Schriftsprache“ Migrant*innen nichtdeutscher Erstsprache benachteiligen, in bestimmten Fällen (etwa in Lektoraten) aber auch als Einstellungskriterium sachlich gerechtfertigt sein (Dern 2018, S. 100). Sobald eine Person oder Gruppe durch mehrere abwertend konnotierte Zuschreibungen benachteiligt wurde, wie etwa Geschlecht und Religion und ethnische Herkunft, spricht man von intersektionaler oder mehrdimensionaler Diskriminierung. Da dem Gesetz nach die Diskriminierung gegenüber einer Person oder Gruppe jedoch immer nur an eine der in § 1 AGG genannten Kategorisierungen angeknüpft werden kann, findet intersektionale Diskriminierung im Gesetz keine Berücksichtigung.
Trotzdem hat sich das deutsche Recht mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz erstmals für die Sichtweise der diskriminierten Personen und für ein Diskriminierungsverständnis geöffnet, das rassistische Diskriminierung nicht auf individuelle Vorurteile und böswillige Handlungen zurückzuführen versucht, sondern als nachteilige Effekte gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Strukturen begreifen will. Effektives Antidiskriminierungsrecht sollte nach Bartel et al. (2017, S. 363) den Fokus weg von Vorsatz und Schuld des oder der Einzelnen verschieben und den Blick hin zu benachteiligenden Faktoren, gesellschaftlichen Strukturen und Handlungsmustern richten. So kann gleichzeitig der Schwerpunkt von der Täter*innen- zur Betroffenenperspektive verschoben werden, wobei die Sichtweise von Personen, die Rassismus erfahren, nicht einfach übernommen werden sollte, sondern der Beurteilung als „reflektierende Analyse spezifischer Erfahrungen zu Grunde gelegt [werden soll]“ (Baer 2001, zit. nach Bartel et al. 2017, S. 363).
3 Neorassismus im deutschsprachigen Raum
als einen Fall ideologischer Bedeutungsbildung [definieren], in dem eine soziale Gruppe als eine diskrete und besondere, sich selbst reproduzierende Bevölkerung, konstruiert wird. Dies geschieht unter Bezugnahme auf bestimmte (reale oder vorgestellte) biologische Merkmale und durch eine Verknüpfung mit anderen, negativ bewerteten (biologischen und/oder kulturellen) Eigenschaften.
Diese Formulierung betont bereits die Relevanz des Faktors „Kultur“ und bestärkt die These dieses Artikels, dass die Definition von Rassismus über die Erklärung einer biologistisch motivierten Interpretation hinausgehen sollte, um „moderne“ Formen von Rassismus und Diskriminierung in den Blick zu nehmen (vgl. Lechner 2012, S. 17), denn mit der wissenschaftlichen Widerlegung des Begriffs „Rasse“ sind die rassistischen Denk- und Handlungsformen im alltäglichen Leben noch nicht verschwunden. Rassismus ist ein real existierendes gesellschaftliches Phänomen, das auf den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Ebenen transportiert und verbreitet wird und in seiner Komplexität begriffen werden muss. Um diese zeitgenössischen Formen von Rassismus zu verstehen, ist es wichtig hervorzuheben, dass Rassismus nicht erst bei der Diskriminierung oder Abwertung beginnt, sondern bereits als solcher als eine Unterscheidungspraxis anzusehen ist (vgl. Lechner 2012, S. 17).
Nach dem Zweiten Weltkrieg bis weit in die 1990er-Jahre hinein wurde es in Deutschland weitgehend vermieden, von Rassismus zu sprechen, und der öffentliche Diskurs wurde tabuisiert (vgl. Morgenstern 2002, S. 223 ff.). Ein Grund dafür könnte sein, dass mit dem Begriff „Rassismus“ das Konzept der sogenannten „Rasse“ impliziert ist, welches eng verknüpft ist mit der Rassenlehre, die wiederum den Nationalsozialist*innen als Grundlage diente, Menschen als Angehörige vermeintlich verschiedener Rassen zu identifizieren, sie in höher- und minderwertige Rassen zu unterteilen, Letztere zu verfolgen und zu ermorden (Diefenbach 2017, S. 837). In den Nachkriegsdekaden wurde Rassismus daher mehr oder weniger als historisches Phänomen abgetan, und er galt entweder als überwunden oder ihm wurde keine Bedeutung mehr beigemessen. Zum einen wurde die Existenz verschiedener biologischer Menschenrassen wissenschaftlich widerlegt und zum anderen hatten sich weite Teile der deutschen Nachkriegsgesellschaft politisch und psychologisch mit einem demokratischen Gegenentwurf vom Nationalsozialismus abgegrenzt. Die rassistischen Denk- und Handlungsmuster verschwanden aber keineswegs durch die wissenschaftliche Diskreditierung des Rassebegriffs. Stattdessen änderte sich die Bezeichnung, und der Rassebegriff wurde vom harmloser klingenden Kulturbegriff abgelöst (vgl. Lechner 2012, S. 26). Dieser „Rassismus ohne Rassen“ (Lechner 2012, S. 30) formierte sich und rückte auch in der Forschung zunehmend in den Vordergrund. Eine wichtige Grundlage für die Analyse und Kritik von Neorassismus und kulturellen Formen von Rassismus bilden die Studien von Pierre-André Taguieff (1991), Mark Terkessidis (1995) oder auch Étienne Balibar (1990) (vgl. Lechner 2012, S. 3). Dieser in den 1980er- und den 1990er-Jahren neu aufkommende Neorassismus „rekurriert nicht mehr auf die Biologie, sondern auf unterschiedliche Kulturen“ (Schiesser 1994, S. 65, zit. nach Zuber 2015, S. 60). Nicht die Überlegenheit von angeblichen „Rassen“ wird fokussiert, sondern die Unvereinbarkeit der Lebensweisen, Traditionen oder Religionen von unterschiedlichen Kulturen oder Menschengruppen (vgl. Diefenbach 2017, S. 838). Vor dem Hintergrund des in den 1980er-Jahren popularisierten Konzepts der multikulturellen Gesellschaft und der Entstehung neuer, von kulturellen Werten geprägten Identitäten und deren Ansprüche auf gesellschaftliche Teilhabe bei gleichzeitiger Akzeptanz der kulturellen Unterschiede konnte sich dieser neue Rassismus entwickeln (vgl. Diefenbach 2017, S. 838). Einig sind sich die sozialwissenschaftlichen Ansätze der Kritik des Neorassismus darin, dass dieser ein „Rassismus ohne Rassen“ (Bojadžijev 2015, S. 277) ist und letztendlich auf einen Separatismus von Kulturen hinausläuft. Aus „Kultur“ wurde ein Äquivalent und Ersatz für „Rasse“ und damit ist die Vorstellung eines natürlichen Unterschieds in Kultur und Geschichte einer Gesellschaft nach wie vor tief verwoben (vgl. Bojadžijev 2015, S. 277).
3.1 Alltagsrassismus – „Woher kommst Du?“
In der Rassismusforschung wird unter anderem zwischen primären und sekundären Rassismuserfahrungen unterschieden. Primäre Rassismuserfahrungen beinhalten „explizit rassistische Botschaften“, die insbesondere auch indirekt vermittelt werden können, während sekundäre Rassismuserfahrungen als „Erfahrungen der Wut, der Beschämung, der Furcht“ definiert werden, die dann entstehen, wenn eigene Erlebnisse thematisiert werden (Fereidooni 2015, S. 45 f.). Sowohl primärer Rassismus als auch sekundärer Rassismus sind im Alltag vieler Menschen Realität (vgl. Mecheril 2007, S. 5). Alltagsrassismus bezieht sich auf einen Rassismus der Normalität und produziert einen Zusammenhang von symbolischer und materieller Ungleichheit. Dies umfasst Kategorien wie Wohlstand, Bildung, Macht, Ansehen, Chancen oder soziale Wertschätzung. Dabei werden körperlichen oder kulturellen Eigenschaften von Menschen soziale Eigenschaften zugeschrieben, die gegenteilig zur Mehrheitsgesellschaft sind und als Legitimation dienen können, um Menschen von materiellen oder gesellschaftlichen Ressourcen auszuschließen (vgl. Lapp 2007, S. 73). All diese Zuschreibungen und Imaginationen werden gesellschaftlich, historisch, politisch und kulturell erzeugt (vgl. Ҫetin 2013, S. 4 f.). Das so produzierte „Andere“ weicht von der Norm ab und die Normalitätsstrukturen werden durch „Wir-Imaginationen“, also Vorstellungen, erzeugt (Lapp 2007, S. 73). Dabei nutzt die Mehrheit Rassismus, um sich ihrer selbst zu vergewissern. Nach Stuart Hall (1999, S. 93) sind „die [weißen] Engländer nicht deshalb rassistisch, weil sie die Schwarzen hassen, sondern weil sie ohne die Schwarzen nicht wissen, wer sie sind“. Wir-Imaginationen oder Identitätskategorien werden im Alltag, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Politik und in anderen Lebensbereichen innerhalb von Machtverhältnissen konstruiert und sind handlungsleitend. Rassismus hält diese Machtverhältnisse auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft aufrecht, was in Form von Ausgrenzungspraktiken, Benachteiligung bei der Verteilung knapper gesellschaftlicher Ressourcen oder in sozialen Institutionen sichtbar wird. Dabei werden Menschen hinsichtlich bestimmter Zuschreibungen von biologischen und kulturellen Eigenschaften kategorisiert und so „Rasse“ als bedeutsame Kategorie konstruiert. Auf Basis solcher Bedeutungszuschreibungen und Wirklichkeitsinterpretationen wird eine „Andersheit“ konstruiert. Damit werden Status und Herkunft der Gruppen als natürlich und unveränderlich angesehen und die als „anders“ konstruierten Menschen werden zusätzlich noch mit negativ bewerteten biologischen oder kulturellen Merkmalen markiert (vgl. Ҫetin 2013, S. 4 f.). Aus rassismustheoretischer Sicht ist die Frage „Woher kommst du?“ eine Frage, die Normalität anruft und in der eindeutig ausgesagt ist, wohin die Menschen gehören (Mecheril 2007, S. 8; siehe auch Terkessidis 2004). Solchen Dialogen liegen Normalitätsvorstellungen zugrunde, die erst durch imaginäres Wissen über Zugehörigkeit und Identität entstehen. Damit schließen diese Konstruktionen (meist unbewusst) an Rassekonstruktionen an, in denen Menschen bestimmte Eigenschaften und Gruppenzugehörigkeiten zugewiesen werden, die sie als „fremd“ oder „minderwertig“ darstellen. Es geht dabei nicht um die Frage der Intention, die hinter der Frage steckt, sondern vielmehr um eine bestimmte gesellschaftliche oder kulturelle Struktur. Durch Fragen, Wahrnehmungen, Gesprächsführung oder die Wortwahl wird sozialer Sinn produziert und reproduziert und die rassistische Struktur wird zu einem Aspekt der Normalität. Dieser Aspekt der Normalität des Rassismus zeigt sich in ganz unterschiedlichen Formen alltäglichen Rassismus, der nicht nur auf die Unterscheidung von phänotypischen Merkmalen wie der Hautfarbe oder der Haarfarbe beschränkt ist, sondern vermehrt kulturalisierende Zuschreibungen verwendet. Dadurch werden Imaginationen der Zugehörigkeit zur rassistischen Normalität gemacht (vgl. Mecheril 2007). Rassismus stellt ein die Gesellschaft durchziehendes hierarchisierendes Strukturprinzip dar. Rassismuserfahrungen prägen den Alltag vieler Menschen und sind Erlebnisse, die sich auf ihr Aussehen, ihre Sprache, ihre Namen, ihre religiöse Zugehörigkeit oder die Staatsangehörigkeit beziehen und durch die Menschen als „anders“ markiert werden (vgl. Schramkowski und Ihring 2018, S. 280).
Dabei sind die rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen diesen alltäglichen Rassismus zur Wehr zu setzen, begrenzt. Durch rassistische Normalitätsstrukturen in der Gesellschaft ist die Beweisführung für Betroffene immens schwierig. Auch wenn die Möglichkeit der Klage vor einem Zivilgericht besteht, wurden bisher kaum AGG-Streitigkeiten erfasst. Diskriminierungserfahrungen können nur selten durch Dokumente belegt oder durch Zeugenaussagen bestätigt werden, und die Erfolgsaussichten sind daher gering (vgl. Dern 2018, S. 107). Ebenfalls widerstrebt es den Betroffenen teilweise, zurück in die Opferrolle gedrängt zu werden, ihre Diskriminierungserfahrung vor Gericht preiszugeben und eine wiederholte „Viktimisierung“ zu erleben (Dern 2018, S. 108).
3.2 Rassistische Institutionen und Diskurse
[ein] Instrument der ‚Vergesellschaftung‘ der Herrschaftsbeziehungen war und daher ein Machtmittel allerersten Ranges für den, der über den bürokratischen Apparat verfügt [ist]. Denn unter sonst gleichen Chancen ist planvoll geordnetes und geleitetes ‚Gesellschaftshandeln‘ überlegen. Wo die Bürokratisierung der Verwaltung einmal restlos durchgeführt ist, da ist eine praktisch so gut wie unzerbrechliche Form der Herrschaftsbeziehung geschaffen […] (Weber 1995, S. 246, zit. nach Bukow und Cudak 2017, S. 390).
Für diesen ausbleibenden Wandel in Behörden und Verwaltung spricht ebenfalls, dass die unter dem Druck möglicher Wiedergutmachungsklagen von vielen Unternehmen in den 1990er-Jahren initiierte Erforschung ihrer Geschichte im Nationalsozialismus weitgehend an den Bundesministerien und -behörden vorbeilief und laut Annette Weinke (2020) „keine erkennbare[n] Bemühungen zu kritischer historischer Selbstbefragung“ stattgefunden haben. Nach Bukow und Cudak (2017, S. 391) weiß man heute, dass die Behörden nach dem Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik überwiegend ihre Routinen beibehalten und sich dem nationalsozialistischen Regime gegenüber sogar gefügig gezeigt hatten. Aus diesem Grund erstaunt es nicht, dass es dem Staat, seinen Behörden wie auch den Industriekonzernen bis heute schwerfällt, ihre Mitschuld im Nationalsozialismus aufzuarbeiten (vgl. Bukow und Cudak 2017). Vor diesem Hintergrund ist es daher nicht verwunderlich, dass staatliche Institutionen auch heute noch in rückwärtsgewandten Routinen verfangen sind, die durch neue kulturrassistische Deutungsmuster neu mobilisiert werden (vgl. Bukow und Cudak 2017, S. 391). Dies zeigt unter anderem der Umgang mit dem Mord an dem 39-jährigen Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık am 4. April 2005 in der Dortmunder Nordstadt.
Schon im 19. Jahrhundert, im Rahmen der Industrialisierung und des Ausbaus der Kohleförderung, kamen Arbeiter*innen aus vielen verschiedenen Regionen und Ländern in diesen Stadtteil, weshalb man aus geografischer und soziologischer Perspektive schon früh von einem einwanderungsbasierten „Urban settlement“ sprechen kann (Singh 1995, zit. nach Bukow und Cudak 2017, S. 396). Durch die politischen und wirtschaftlichen Transformationen der letzten Jahre (Erweiterung der EU, weltweite Liberalisierung der Finanzmärkte, Mobilisierung des Warenverkehrs und dadurch bedingte wirtschaftliche Krisen etc.) kam es zu vielen weiteren Mobilitätsbewegungen in ganz Deutschland und auch in dem Dortmunder Stadtviertel. Vor diesem Hintergrund ist es höchst problematisch, wie die Dortmunder Stadtverwaltung auf diese gesellschaftlichen Entwicklungen reagierte. So konnte festgestellt werden, dass die Dortmunder Nordstadt als „kommunale Herausforderung“ und als „Problem“ interpretiert wurde und man gegen die sogenannten „Armutsflüchtlinge“ vorging (Bukow und Cudak 2017, S. 397 ff.). Am Fall der polizeilichen Ermittlungen zum Mord an Mehmet Kubaşık, der in seinem Laden in der Dortmunder Mallinckrodtstraße getötet wurde, konnten diese rassistisch imprägnierten Routinen der Verwaltungsbehörden sichtbar gemacht werden. Obwohl aufseiten der Behörden bekannt war, dass sich in dieser Straße regelmäßig die Neonazi-Szene trifft, und trotz eines Hinweises einer Zeugin unmittelbar nach der Tat, dass es sich bei dem Täter um einen „Neonazi“ handeln könnte, ermittelten die Behörden nicht weiter in Richtung rechtsextremer Gewalt. Stattdessen wurde der Fall an eine andere Stelle weitergegeben, die gegen Drogenkriminalität ermittelnde Besondere Aufbauorganisation Bosporus (BAO). Damit wurde die Tat deutlich und kollektiv einem imaginierten „orientalisch-kriminellen Milieu“ zugeordnet und die Opfer (Mordopfer, Nachbarschaft und Familienangehörige) als potenzielle Täter verdächtigt. Erst Ende 2011, sechs Jahre nach Kubaşıks Tod, konnten im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) diese routiniert rassistischen Praktiken seitens der kommunalen Behörden aufgedeckt werden (vgl. Bukow und Cudak 2017, S. 397 ff.).
Um solche rassistischen Praktiken, Mechanismen und Ursachen sichtbar zu machen, müssen breitere institutionelle Arrangements und gesellschaftliche Diskurse in den Blick genommen werden, da sich Repräsentationen und Wahrnehmungen von „Anderen“ nicht direkt und unmittelbar in Vorurteile und Entscheidungen übersetzen (vgl. Gomolla 2017). Diese gesellschaftlichen Diskurse weisen eine Autonomie und Eigendynamik auf, werden von widersprüchlichen Interessen geformt, resultieren aus der Geschichte und dienen der Selbstproduktion der Gesellschaft (vgl. Gomolla 2017). Nach Mark Terkessidis (1998, S. 60) gibt es mehrheitsgesellschaftlich geteilte Wissensbestände über „die Anderen“, die in Institutionen wie dem Bildungssystem, dem Staatsangehörigkeitsregime und in der hegemonialen Kultur eingeschrieben und verankert sind und sich auf Basis institutioneller Machtpraktiken reproduzieren. Diese Wissensbestände speisen sich aus historisch gewachsenen und tradierten Ressentiments und spielen bis heute eine große Rolle für das nationale Imaginäre derjenigen, die als „fremd“ wahrgenommenen werden. Miles (1991) hebt zwei Wirkmechanismen für die Institutionalisierung von Rassismus besonders hervor: Zum einen wird ein explizit rassistischer Diskurs so verändert, dass die ursprüngliche Bedeutung auf andere Wörter übertragen wird. Dies bedeutet, dass die grundlegenden ökonomischen und politischen Verhältnisse, die dominierenden Verteilungen von Positionen, Funktionen und Ressourcen, die Charakterisierung und Hierarchisierung von Bevölkerungsgruppen, die impliziten und gelebten Selbstverständnisse der Mehrheitsgesellschaft als „normal“, als selbstverständlich wahrgenommen werden (vgl. Pühretmayer 2000, S. 85). Bei dieser „Normalisierung“ von gesellschaftlichen Prozessen und Verhältnissen greift die „Operation der Entnennung“ (Barthes 1964, S. 124). Durch die Verdrängung der historischen Genese sowie der wirksamen „stummen Gewalt“ und die Verschiebung ihrer Produktionsmechanismen auf andere „Ursachen“ und andere Erscheinungsformen werden zentrale Machtverhältnisse zu selbstverständlich vorhandenen und nicht bewusst wahrgenommenen Strukturen (Pühretmayer 2000, S. 85). Iman Attia (2013) hebt hervor, dass die biologistische Variante des Rassismus in Deutschland mehrheitlich auf Ablehnung stößt, während die kulturalistische Variante des Rassismus im gesellschaftlichen Diskurs noch nicht als Rassismus gilt und demnach der Entnennung unterworfen ist. Ein derzeit sicher prominentes Beispiel ist das des antimuslimischen Rassismus, der sich als vermeintlich statthafte „Islamkritik“ präsentiert. Ein zweiter Wirkmechanismus des institutionellen Rassismus besteht nach Miles (1991) darin, dass Rassismus de-thematisiert wird und in Handlungen oder Äußerungen nicht explizit vorkommt, aber unmittelbar wirkmächtig ist.
4 Die Wirksamkeit des Rechts innerhalb rassistischer Institutionen
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat den Anspruch, den Betroffenen von rassistischer Diskriminierung Rechtsansprüche zu verleihen, mit denen sie gegen erlittene Benachteiligung vorgehen und Kompensation der Schäden und Verletzungen erlangen können. Doch obwohl in Umfragen, Medienanalysen und Berichten von Antidiskriminierungsstellen immer wieder auf alltägliche und institutionelle rassistische Diskriminierung hingewiesen wird, gibt es im Vergleich zu anderen Diskriminierungskategorien wie Lebensalter, Behinderung oder Geschlecht kaum gerichtliche Verfahren (vgl. Bartel et al. 2017, S. 361). Solange mehrheitlich geteilte Wissensbestände über „die Anderen“ bestehen sowie ökonomische und politische Verhältnisse, Verteilungen von Positionen und die Charakterisierung und Hierarchisierung von Bevölkerungsgruppen als Normalitätsvorstellungen verankert bleiben, ist es schwierig, diese „stumme Gewalt“ (Pühretmayer 2000, S. 85) vor Gericht darzulegen. Auch Susanne Dern (2018, S. 107) verweist auf die Problematik der Beweisführung. § 22 AGG versucht diese Hürde zu senken, indem Personen, die sich auf Benachteiligung berufen, lediglich „Indizien“ vorweisen müssen. Im Falle einer Einzelklage und der Tatsache, dass die gegnerische Partei den Gegenbeweis antreten kann, ist dies in der Umsetzung jedoch oftmals schwierig (vgl. Dern 2018, S. 107). In den wenigen geführten Prozessen wurden die Kläger*innen, soweit es sich aus den veröffentlichten Urteilen ersehen lässt, fast ausschließlich von Antidiskriminierungsverbänden unterstützt. Auch Daniel Bartel, Doris Liebscher und Juana Remus (2017, S. 361) verweisen darauf, dass die Anzahl an Klagen nicht deshalb gering ist, weil rassistische Diskriminierung kein Problem darstellen würde. Vielmehr stellen die geringen Anreize bei der Inanspruchnahme des Rechts sowie großen Hürden für die eigene Interessenverfolgung mögliche Hinderungsgründe dar. Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus Antidiskriminierungsverbänden fordern deshalb ein sogenanntes Verbandsklagerecht, mit dem Verbände Gesetzesverstöße losgelöst von Einzelpersonen geltend machen können. Dadurch müssen Betroffene nicht die Opferrolle einnehmen und ihre Diskriminierung vor Gericht preisgeben, um unter Umständen eine wiederholte „Viktimisierung“ zu erleben (Dern 2018, S. 108). Verbandsklagen oder Sammelklagen würden die Rechtsverfolgung entpersonalisieren, und strukturelle Benachteiligungsmuster in der Gesellschaft könnten stärker sichtbar und aufgebrochen werden (vgl. Dern 2018, S. 108). Des Weiteren wird zunehmend deutlich, dass Menschen häufig aufgrund von Zuschreibungen diskriminiert werden, die nicht über ein einzelnes Diskriminierungsmerkmal bestimmt werden können. Als Beispiel führt Vera Egenberger (2017, S. 466) an, dass antimuslimischer oder antisemitischer Rassismus nicht allein durch die Kategorie „Religion“ oder „ethnische Herkunft“ erfasst werden kann. Darüber hinaus spielt in diesem Zusammenhang auch häufig das Geschlecht (im Zusammenhang mit z. B. dem Kopftuch) eine bedeutungstragende Rolle. Diese mehrdimensionalen oder auch intersektionalen Fälle werden bislang gerichtlich meist unter einem der in § 1 AGG genannten Diskriminierungskategorien zusammengefasst, sodass die Komplexität von Diskriminierungskonstellationen ausgeblendet wird (vgl. Egenberger 2017, S. 466).
Ebenfalls wird vor deutschen Gerichten nach wie vor eine „unsichtbare weiße Norm als objektiv gesetzt, wodurch rassistisches Alltagswissen und Alltagspraxen negiert und die Erfahrungen von nicht-weißen Personen ignoriert werden“ (Bartel et al. 2017, S. 366). Diese Wirkungsmacht der weißen Norm erklärt sich dabei aus der Interaktion von rassistischem Wissen und dessen Institutionalisierung. Dies wird zusätzlich an der Unterrepräsentation von People of Colour im Rechtssystem deutlich. So sind sie beispielsweise in deutschen Gerichten meist als Opfer und viel häufiger noch als Angeklagte, mitunter als Rechtsanwält*innen und nur in Ausnahmefällen als Richter*innen präsent. Richtende sind immer noch überproportional häufig „weiß“ und christlich sozialisiert, während Richter*innen und Staatsanwält*innen of Colour minorisiert und marginalisiert sind (Bartel et al. 2017, S. 367). „Ob Gesetz, richterliche Entscheidung oder rechtswissenschaftliche Argumentation: Recht sollte allgemein und generell, ohne Ansehung der Person gelten.“ (Bukow und Cudak 2017, S. 370) Danach sollten sich alle Rechtsanwendenden richten und sich als Person zurücknehmen, eigene Erfahrungswelten und subjektives Empfinden ausblenden und versuchen, objektiv zu entscheiden. Roscoe Pound wies schon 1908 darauf hin, dass „richterliche Entscheidungen nicht durch Methoden oder einer Objektivität des Rechts vorgegeben seien, sondern vielmehr durch soziale Verhältnisse beeinflusst wären“ (Pound 1908, zit. nach Rottleuthner und Mahlmann 2011, S. 337). So ergab eine Befragung von Klagevertreter*innen im Rahmen des Forschungsprojekts „Realität der Diskriminierung in Deutschland“, dass die richterliche Beweiswürdigung mitunter von rassistischen Stereotypen geprägt sei. „Je südlicher die Herkunft und je dunkler die Hautfarbe, desto unglaubwürdiger der Zeuge“, fassten Hubert Rottleuthner und Matthias Mahlmann (2011, S. 337) ihre Ergebnisse zusammen. Daher fordert die Critical Race Theory einen Perspektivwechsel, weg vom vorgeblich objektiven und neutralen Recht, das vorgibt, „colourblind“ zu sein, aber das Weißsein als Norm setzt, weg von einem Verständnis von Rassismus als irrational und absichtsvoll, hin zur Thematisierung von unbewusstem und institutionellem Rassismus und dessen Verschränkungen mit dem Recht (vgl. West 1996).
5 Fazit
[Wenn] Gleichheit zum Recht gegen Verletzungen der Menschenwürde, gegen den brutalen Exzess [wird], so schützt das nicht vor Diskriminierung, die weithin subtiler, alltäglicher, aber auch systematischer, struktureller funktioniert (Baer 2013, S. 3147 zit. nach Bartel et al. 2017, S. 363).
In diesem Zusammenhang ist es problematisch, dass der Begriff „Diskriminierung“ im deutschen Sprachgebrauch oftmals nur für vorsätzliche Handlungen verwendet wird und unabsichtliche, individuelle und indirekte Benachteiligungen, Diskriminierungen und rassistische Äußerungen im Alltag und in Institutionen oftmals nicht in dieses Begriffsverständnis integriert werden (vgl. Egenberger 2017). Dadurch werden viele Bereiche von Diskriminierungstatbeständen gar nicht erst erfasst. Dazu kommt, dass „Rassismus als Diagnose gegenwärtiger Verhältnisse in Deutschland noch immer verpönt [ist] […] und vor allem Hinweise auf institutionellen Rassismus […] ‚mitunter reflexartig zurückgewiesen‘“ werden (Bartel et al. 2017, S. 364). Dies hat zur Folge, dass staatliche Institutionen nach wie vor als ein statisches Gebilde wahrgenommen werden, auf teilweise rückwärtsgewandten Routinen beharren und nach wie vor von neuen sowie alten kulturrassistischen Deutungsmustern geprägt sind (vgl. Bukow und Cudak 2017, S. 391). Dazu kommt, dass im deutschen Rechtssystem zum Beispiel People of Colour unterrepräsentiert sind. Der Umstand, dass im öffentlichen Dienst überproportional häufig „weiße“ und christlich sozialisierte Menschen arbeiten, bestätigt den institutionalisierten Ausschluss von People of Colour oder Menschen mit einer anderen Glaubensrichtung. Obwohl das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz den Betroffenen weitreichende Rechtsmittel an die Hand gibt, mit denen sie gegen erlittene Benachteiligung vorgehen können, gilt, dass kulturrassistische Praktiken nicht gänzlich aus der richterlichen Praxis verschwunden sind. Die geringe Anzahl an öffentlichen Urteilen und die teilweise notwendige Inanspruchnahme von Antidiskriminierungsverbänden verweist dabei auf ein strukturelles Problem des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Solange mehrheitlich geteilte Wissensbestände über „die Anderen“ und Praktiken der Entnennung die gesellschaftlichen wie institutionellen Teilbereiche durchdringen, ökonomische und politische Verhältnisse, Verteilungen von Positionen und die Charakterisierung und Hierarchisierung von Bevölkerungsgruppen als Normalitätsvorstellungen verankert bleiben, kann geltendes Antidiskriminierungsrecht nicht vollständig greifen. Rechtsschutz gegen Rassismus wird durch institutionellen Rassismus in Polizei und Justizbehörden gebremst, geschwächt und ausgehöhlt. Der rassistisch motivierte Mord an Marwa El-Sherbini hat das Vertrauen in den Schutz durch Justiz und Polizei tief erschüttert. Vor diesem Hintergrund sehe ich die öffentlichen Institutionen und die Politik in der Pflicht, Mechanismen von strukturellem Rassismus in rechtlichen Vorgaben (z. B. Staatsangehörigkeits- und Bürgerrechte), politischen Strategien (z. B. Migrations- und Integrationspolitiken), Organisationsstrukturen oder Routinen und professionelle Normen in einzelnen institutionellen Feldern (z. B. Polizei, Gerichtsbarkeit) sichtbar zu machen und abzubauen. Dies kann aber nur effektiv geschehen, wenn sich die bürokratischen Hürden senken und für ein methodisches Umdenken öffnen. Denn ganz egal ob im Alltag, als Gesetz, richterliche Entscheidung oder rechtswissenschaftliche Argumentation – Recht sollte allgemein und generell für jeden Menschen gleich gelten.