Anwesende: Belinda Schwarz, polizeiliche Sachbearbeiterin, Bernhard Scherrer, Beschuldigter, und Pflichtverteidiger Markus Kerner
»Herr Scherrer, wie fühlen Sie sich heute?«
»Sie können sich die Frage sparen, es geht mir dadurch auch nicht besser.«
»Ich möchte in unserem Gespräch da ansetzen, wo wir das letzte Mal aufgehört haben.«
»Ich weiß nicht mehr, worüber wir sprachen, es sind sowieso immer dieselben Fragen, die Sie mir stellen, obwohl ich sie nicht anders beantworten kann, als ich es schon hundert Mal getan habe.«
»Wir sprachen über Ihre Frau.«
»Ach …«
»Sie haben uns erzählt, dass Ihre Frau in einem Schuhgeschäft gearbeitet hat.«
»Das hat sie.«
»Handelte es sich um eine Filiale von Schuhe Hoffmann?«
»Korrekt.«
»Wir haben nachgefragt. Veras Freundin bestätigte, dass sie oft im Laden war, nicht aber, dass sie dort angestellt gewesen sei. Auch die Filialleiterin erzählte uns, dass sich Ihre Frau häufig im Geschäft aufgehalten und sich mit dem Personal unterhalten habe. Aber sie hatte dort keine Anstellung.«
»Warum behaupten Sie das? Sie hat dort gearbeitet.«
»Nein, hat sie nicht. Sie hat sich manchmal aufgedrängt, Kunden zu bedienen. Das ging so weit, dass die Filialleiterin ein Hausverbot für Vera aussprechen musste.«
»Das kann nicht sein.«
»Hat Vera Ihnen nichts davon erzählt?«
»Sie hat einmal über die Filialleiterin geklagt. Das war auch der Grund, warum Vera gekündigt hat. Es stimmt nicht, dass sie rausgeschmissen worden ist.«
»Sie konnte nicht kündigen, weil sie gar nie angestellt gewesen ist.«
»Frau Schwarz, hören Sie doch auf damit. Ich durchschaue Ihre Taktik. Sie konstruieren hier erneut eine Geschichte, damit meine Frau nicht mehr glaubwürdig erscheint. Ich bitte Sie: Lassen Sie meine Frau in Ruhe. Sie hat schon zu viel durchmachen müssen.«
»Waren Sie beruflich in den letzten Monaten in Gstaad und mussten dort übernachten?«
»Nein, wie kommen Sie darauf?«
»Sie haben Ihrer Frau auch nie gesagt, sie müssten nach Gstaad?«
»Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
»Ich frage, weil Noah einer Freundin Ihrer Frau erzählt hat, dass Sie die Familie verlassen würden – Ihre Frau präzisierte darauf, dass Sie wegen eines Auftrags nach Gstaad fahren müssten.«
»Da muss Sie etwas durcheinandergebracht haben. Oder Sie sagen nicht die Wahrheit. Sie bluffen, um mich gegen meine Frau aufzubringen.«
»Ist Ihre Frau jemals von einem Betrunkenen angefahren und danach ins Spital geflogen worden?«
»Nein!«
»Auch das ist eine Geschichte, die Ihre Frau erzählt hat. Behaupten Sie noch immer, dass Ihre Frau nicht lügt?«
»Meine Frau ist keine Lügnerin. Ich kenne sie. Sie ist ein ganz anderer Mensch, als Sie sie hier darzustellen versuchen.«
»Hat Ihre Frau jemals behauptet, Mira sei gestorben, weil sie eine zu große Lunge hatte? Und dass dies niemand rechtzeitig erkannt habe? Wollte sie wegen Miras Tod einen Kinderarzt verklagen?«
»Wie können Sie es wagen? Miras Tod hat doch mit all dem gar nichts zu tun. Sie reden nur wirres Zeug und beschmutzen das Andenken an mein totes Kind. Ich bin nicht länger bereit, Ihre Fragen zu beantworten. Das bringt nichts, Sie haben sich total verrannt.«
»Herr Scherrer … es tut mir leid, dass ich Sie mit all diesen Aussagen konfrontieren muss, Aussagen, die Ihre Frau gegenüber Zeugen getätigt hat. Ich habe sie nicht erfunden. Manchmal meint man, jemanden zu kennen. Aber wir kennen den anderen nie wirklich, weil wir nicht in einen Menschen hineinsehen können. Gerade wenn man in einer Beziehung mit einer Person lebt, neigt man dazu, das Offensichtliche zu übersehen – weil man es nicht sehen will. Wir aber, die wir von außen auf das Geschehen blicken, verschließen unsere Augen nicht, wir schauen ganz genau hin und analysieren jedes Detail. Für uns gibt es keine Zweifel mehr, wer hier die Wahrheit spricht – und wer lügt.«
»Auch ich zweifle nicht daran, wer der Lügner ist, oder eher die Lügnerin: Sie sind die Einzige, die Lügen verbreitet. Wir verschwenden hier unsere Zeit. Bitte bringen Sie mich zurück in meine Zelle.«