Anwesende: Belinda Schwarz, polizeiliche Sachbearbeiterin, Bernhard Scherrer, Beschuldigter, und Pflichtverteidiger Markus Kerner
»Fürs Protokoll: Markus Kerner, Rechtsanwalt, nimmt wieder an der Einvernahme teil. Guten Morgen, die Herren. Ich möchte heute auf das Geständnis von Herrn Scherrer zurückkommen.«
»Ich halte an meinem Geständnis fest.«
»Ich habe trotzdem noch einige Fragen dazu. Weil mit Ihrem Geständnis ein paar Unstimmigkeiten aufgetaucht sind, die ich klären möchte. Wenn Sie wollen, dass wir Ihnen glauben, bitte ich Sie, mit uns zu kooperieren und die Fragen zu beantworten.«
»Fragen Sie.«
»Ich möchte das Geständnis noch einmal mit Ihnen durchgehen. Sie sagten, Sie wussten über die Liebhaber Ihrer Frau Bescheid. Sie hätten ihr Handy kontrolliert. Wann genau war das?«
»Zwei oder drei Wochen vor der Tat.«
»Sie können sich nicht an das genaue Datum erinnern? Es muss doch ein Schock für Sie gewesen sein. Der Moment muss sich Ihnen eingeprägt haben.«
»Was glauben Sie eigentlich? Dass ich in meine Agenda geschrieben habe: Heute fand ich heraus, dass meine Frau mich betrügt? Ich kann Ihnen das Datum nicht nennen.«
»Warum kannten Sie den PIN-Code Ihrer Frau?«
»Sie hat seit Jahren den gleichen. Vera hat ihn mir mal genannt. Sie reichte mir auch oft ihr Handy, wenn ich rasch was auf Google Maps oder im Internet nachschauen sollte. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander.«
»Die Liebhaber waren ein Geheimnis, bevor Sie es herausgefunden haben.«
»Ja.«
»Haben Sie mit Ihrer Frau über die Affären gesprochen, oder darüber, wer die beiden Männer waren?«
»Wie gesagt: Ich habe Sie damit konfrontiert.«
»Was heißt das, ›konfrontiert‹? Wie viel wollten Sie wissen?«
»Ich habe sie einfach gefragt, was das solle, diese Nachrichten, ob sie eine Affäre habe.«
»Haben Sie Ihre Frau gefragt, ob sie mit den Männern Geschlechtsverkehr hatte?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich ging davon aus. Eine Affäre beinhaltet meines Erachtens, dass man miteinander schläft.«
»Es hat Sie auch nicht interessiert, wo das stattgefunden hat? Ob sie die Männer mit nach Hause gebracht hat?«
»Nein.«
»Ich würde alles wissen wollen, wenn ich herausfinden würde, dass mein Mann mich betrogen hat.«
»Ich bin nicht Sie.«
»Haben Sie Ihre Frau vor eine Entscheidung gestellt: Ich oder der andere, oder die anderen?«
»Das war nicht nötig. Meine Frau hat sich zwar sofort entschuldigt, aber gleichzeitig hat sie mir gesagt, dass sie mich verlassen werde. Sie wirkte fast erleichtert, dass ich es herausgefunden hatte.«
»Sie sagte also bereits bei dieser ersten Konfrontation, dass sie sich trennen und die Kinder mitnehmen will?«
»Ja.«
»Sie wollte zurück in ihr Heimatdorf?«
»Ja. Das habe ich Ihnen alles schon erzählt.«
»Hatte Ihre Frau denn die Trennung bereits vorbereitet?«
»Wie vorbereitet?«
»Hatte sie sich zum Beispiel eine Wohnung gesucht?«
»Das weiß ich nicht.«
»Warum waren Sie sicher, dass Sie sie nicht doch noch zu einem Umdenken bewegen könnten?«
»Sie müssen wissen, meine Frau ist eine starke Persönlichkeit, sie hat einen Willen. Es war mir klar, dass sie den Schritt für sich schon länger beschlossen hatte und es nichts bringen würde, sie zum Bleiben überreden zu wollen.«
»Wann genau hat die Aussprache zwischen Ihnen stattgefunden?«
»Am 22. Dezember.«
»Warum sind Sie sich da auf einmal so sicher? Vorgestern sagten Sie, das müsse am 21. oder am 22. Dezember gewesen sein.«
»Vielleicht war es auch am 21. Dezember.«
»Können Sie mir erklären, warum Ihre Frau diese Aussprache mit keinem Wort erwähnt hat?«
»Nein. Ich kann sie auch nicht fragen. Sie erlauben mir ja nicht, mit meiner Frau zu sprechen.«
»Ihre Frau hat uns erzählt, sie habe Ihnen nichts von den Affären gesagt.«
»Es war kein schöner Moment in unserer Beziehung. Vielleicht hat sie es verdrängt. Oder sie hat es verschwiegen, um mich zu schützen.«
»Das hätte sie vielleicht zu Beginn unserer Ermittlungen getan. Aber sie änderte ihre Meinung und begann, Sie zu belasten. Warum sollte sie Sie gleichzeitig zu schützen versuchen?«
»Ich weiß es nicht, das müssen Sie Vera fragen.«
»Sie gaben an, Auslöser für die Tat sei Weihnachten gewesen – die Erkenntnis, dass dies die letzte gemeinsame Weihnacht sei …«
»Ich ertrug den Gedanken nicht, dass ich die Kinder und meine Frau verliere.«
»Darum dachten Sie: Da bringe ich sie am besten vorher um?«
»Nein, so war das nicht. Verstehen Sie doch: Ich war nicht mehr ich selbst. Ich war außer mir. Ich sah nur noch diesen riesigen, unvorstellbaren Verlust. Das Scheitern. Mein gesamtes Leben zerbrach, ein einziger Scherbenhaufen. Und auf einmal wusste ich: Das darf nicht geschehen. Gleichzeitig war da ein ganz klarer Gedanke: Wenn wir alle sterben, werden wir für immer vereint sein. Dann kann mir niemand mehr etwas wegnehmen. Darum habe ich uns alle umbringen wollen.«
»Sie haben die Tat geplant.«
»Ich habe Sie aus diesen Gedanken heraus begangen. Hätte ich sie konkret geplant, wäre ich vielleicht wieder zur Besinnung gekommen, bevor ich es tun konnte.«
»Sie haben mir erzählt, dass Sie aufwachten, als Vera in der Nacht die Geschenke unter den Baum legte. Dann warteten Sie, bis sie wieder eingeschlafen war. Was haben Sie in dem Moment gedacht, als Sie ihrem Atem lauschten und auf ihren Schlaf warteten?«
»In meinem Kopf war nur dieser eine Gedanke: Ich gehe in die Zimmer der Kinder, ersticke sie, hole ein Messer, bringe erst Vera und dann mich selbst um.«
»Wann beschlossen Sie, einen Einbruch vorzutäuschen?«
»Nachdem ich die Kinder getötet hatte.«
»Warum, was sollte das bringen? Dachten Sie wirklich, die Polizei könne nicht erkennen, dass Sie sich zum Schluss selbst mit dem Messer verletzt hätten?«
»Ja, das dachte ich. Man geht in einem Moment wie diesem nicht sehr rational vor.«
»Vorgestern sagten Sie, ich zitiere: ›Erst in dem Moment, als ich ihn‹ – gemeint ist Ihr Sohn Noah – ›in seinem Bett liegen sah, war mir klar, dass ich es tun musste.‹ Jetzt erklären Sie, Sie hätten schon die ganze Zeit daran gedacht, während Sie warteten, bis Ihre Frau wieder eingeschlafen war.«
»Ja, ich habe daran gedacht. Aber dass ich es wirklich tun würde, war mir erst klar, als ich an Noahs Bett stand.«
»Warum gaben Sie Ihren Kindern einen Kuss, bevor Sie ihnen das Kissen aufs Gesicht drückten?«
»Zum Abschied.«
»Sie drückten also erst Noah und dann Sophie ein Kissen auf das Gesicht, um sie zu ersticken.«
»Ja.«
»Können Sie mir erklären, warum wir auf Sophies Gesicht einen Abdruck gefunden haben?«
»Was für einen Abdruck?«
»Einen Abdruck, der mit der Unterseite des roten Badezimmerteppichs übereinstimmen könnte.«
»Das kann nicht sein. Ich habe sie mit dem Kissen erstickt.«
»Es sieht aber viel eher danach aus, dass jemand Sophie den Teppich auf das Gesicht gedrückt hat.«
»Sie müssen sich irren.«
»Warum haben wir nur an einem Kissen eine DNA-Mischspur von Ihnen gefunden?«
»Das weiß ich nicht.«
»Warum fanden wir an den Gegenständen, die Sie angeblich aus den Schränken geräumt haben, einzig DNA-Spuren Ihrer Frau?«
»Ich habe Handschuhe getragen.«
»Als Sie den Einbruch nachstellten oder schon vorher, als Sie die Kinder töteten?«
»Erst als ich den Einbruch nachstellte. Und das Messer holte.«
»Sie haben sich also nach dem Töten der Kinder extra die Mühe gemacht, nach Handschuhen zu suchen?«
»Ja.«
»Warum eigentlich hat die Polizei das Messer nicht gefunden? Sie behaupteten, es lag unter dem Bett.«
»Ich habe es wieder in die Küchenschublade zurückgelegt.«
»Wann?«
»Als wir auf die Polizei gewartet haben.«
»Vor den Augen Ihrer Frau?«
»Sie saß im Treppenhaus, sie hat es nicht mitbekommen.«
»Sie sagten, als Vera aufgewacht sei, hätten Sie die Tat nicht zu Ende bringen können, ich zitiere, es sei ›vorbei gewesen‹. Gleichzeitig haben Sie beschlossen, Ihrer Frau und der ganzen Welt etwas vorzumachen, statt sofort einzugestehen, dass Sie die Kinder umgebracht haben?«
»Ja.«
»Warum?«
»Das war kein rationaler Entschluss. Und auf einmal gab es kein Zurück mehr.«
»Sie hätten es mir viel früher sagen können, Sie hätten schon vor drei Monaten gestehen können, als klar war, dass es nie einen Einbrecher gegeben hat. Stattdessen leugneten Sie, obwohl Sie wussten, dass auch Ihre Frau in Untersuchungshaft saß, zu Unrecht, wie Sie behaupten.«
»Ich konnte die Tat vor mir selbst nicht eingestehen, es tut mir leid. Es ging einfach nicht früher. Es tut mir auch für meine Frau sehr leid.«
»Ich komme noch einmal auf die Tatnacht zurück. Sie haben ausgesagt, Noah habe gezappelt, aber er habe sich nicht wirklich wehren können, Sie seien zu stark gewesen.«
»Das ist korrekt.«
»Die Ergebnisse der Obduktion von Noahs Leiche ergeben ein anderes Bild.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sein Körper war schon relativ steif, steifer als jener von Sophie. Die Rechtsmedizinerin ist darum zum Schluss gekommen, Noah müsse sich stark zur Wehr gesetzt haben, sodass er alle noch verfügbare Energie in der Muskulatur verbraucht hatte, als er starb. Daraufhin setzte die Totenstarre eher ein. Die Rechtsmedizinerin sagte, ich zitiere: ›Ich glaube sogar, dass er sich wie wahnsinnig gewehrt hat.‹ Das ist deutlich mehr als ein bisschen zappeln.«
»Ich habe nicht gesagt: ein bisschen. Das haben Sie mir in den Mund gelegt. Ich sagte, er hat gezappelt.«
»Sie sagten auch, er habe sich nicht richtig wehren können. Erklären Sie mir den Widerspruch.«
»Ich erkenne keinen Widerspruch.«
»Ein heftiger Kampf ist mehr als ein Zappeln. Überdies sagten Sie, Sophie habe sich ähnlich stark gewehrt. Das widerspricht klar den Ergebnissen der Obduktionen.«
»Dann hat sich Ihre Gerichtsmedizinerin vielleicht geirrt.«
»Das schließe ich aus.«
»Er hat sich gewehrt. Vielleicht war es auch heftiger, als ich es in Erinnerung habe. Wie gesagt, ich war nicht ich selbst, ich war wie von Sinnen.«
»So sehr von Sinnen, dass Sie daran dachten, Handschuhe zu suchen und einen Einbruch nachzustellen, um eine falsche Spur zu legen.«
»Das war ein spontaner Einfall.«
»Der Ihnen kam, nachdem Sie Ihre Kinder getötet hatten.«
»Weil ich mich geschämt habe. Weil ich wollte, dass die Leute denken, das hätte uns ein Fremder angetan. Ich wollte nicht als Selbstmörder in Erinnerung bleiben, der seine ganze Familie ausgelöscht hat. Vor allem meine Eltern sollten mich in anderer Erinnerung behalten.«
»Das ist Ihnen nun aber nicht gelungen.«
»Ich kann es nicht rückgängig machen.«
»Bereuen Sie, Ihren Plan nicht zu Ende gebracht zu haben?«
»Ja.«
»Mehr, als dass Sie bereuen, Ihre Kinder umgebracht zu haben?«
»Nein, das bedaure ich am allermeisten. Ich hätte einfach nur mich selbst umbringen sollen.«