Anwesende: Belinda Schwarz, polizeiliche Sachbearbeiterin, Bernhard Scherrer, Beschuldigter, sowie Pflichtverteidiger Markus Kerner
»Guten Tag, die Herren. Fürs Protokoll merke ich an, dass Herr Bernhard Scherrer fortan als Tatverdächtiger befragt und durch Rechtsanwalt Markus Kerner vertreten und begleitet wird. Als Tatverdächtiger sind Sie nicht zur Aussage verpflichtet. Ich weise Sie darauf hin, dass Ihre Handlungen und Aussagen im Beweisverfahren gegen Sie verwendet werden können. Und dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie falsche Anschuldigungen aussprechen, die Rechtspflege irreführen oder jemanden begünstigen. Haben Sie das verstanden?«
»Ich verstehe nicht, warum Sie mich verdächtigen. Das macht doch überhaupt keinen Sinn.«
»Aber haben Sie verstanden, worauf ich Sie hingewiesen habe?«
»Ja, ich habe verstanden.«
»Dann führe ich die Befragung fort. Haben Sie etwas schlafen können?«
»Sie haben mich über Nacht in eine Zelle gesteckt, als wäre ich ein Verbrecher, und dann fragen Sie, ob ich geschlafen habe? Wie soll ich da schlafen können?«
»Wir ermitteln in alle Richtungen, im Moment können wir niemanden von einem Verdacht ausschließen, auch Sie nicht. Zudem wäre es nicht sinnvoll, wenn Sie und Ihre Frau miteinander sprechen könnten und sich die Erinnerungen an die vorletzte Nacht vermischen. Darum mussten Sie hierbleiben.«
»Haben Sie schon etwas herausgefunden?«
»Wir arbeiten daran. Wenn Sie uns unterstützen wollen, beantworten Sie bitte unsere Fragen.«
»Natürlich. Entschuldigung, es ist nur … wir sind die Opfer. Nicht die Täter! Aber fragen Sie, wenn es hilft, ich will, dass Sie den Täter finden.«
»Sie haben erwähnt, dass schon früher bei Ihnen eingebrochen worden ist, noch in der alten Wohnung. Wann und wo war das?«
»Wir wohnten damals schon im Dorf, aber in der Haslerstrasse. Es wurde zwei Mal eingebrochen, das muss vor etwa sieben oder acht Jahren gewesen sein.«
»Wie war das damals? Hat man den Einbrecher gefasst?«
»Nein, leider nicht. Beim ersten Einbruch war es fast wie dieses Mal. Auch damals hat mich Vera mitten in der Nacht geweckt. Sie müssen wissen, ich habe einen tiefen Schlaf. Mich könnte man davontragen, ich würde nicht aufwachen. Sie rüttelte mich und sagte, da sei jemand. Es brannte Licht in der Wohnung. Ich griff mir meine Ordonnanzwaffe, ein Sturmgewehr, das damals unter meinem Bett lag, und stand auf. In der Wohnung herrschte eine schreckliche Unordnung, die Balkontür stand weit offen, sie war aufgebrochen worden. Meine Kreditkarte war weg, später stellte ich fest, dass noch in der gleichen Nacht Geld abgehoben worden war.«
»Wo hatten Sie den PIN-Code aufbewahrt?«
»Auf einem Zettel in der Schreibtischschublade im Büro. Ich habe die Karte dann sperren lassen, und beim nächsten Versuch, damit Geld abzuheben, wurde sie eingezogen.«
»Die Polizei hat den Täter nicht ermittelt?«
»Nein.«
»Und sonst kam nichts weg?«
»Ich glaube nicht.«
»Und beim zweiten Einbruch?«
»Da wurde gar nichts gestohlen.«
»Es wurde nichts gestohlen?«
»Nein.«
»Haben Sie den Einbrecher überrascht und vertrieben?«
»Nein, ich glaube nicht, ich hätte es zumindest nicht gemerkt.«
»Die Einbrüche waren der Grund, warum Sie umgezogen sind?«
»Ja, wir haben uns in der Wohnung nicht mehr sicher gefühlt. Und es war die Wohnung, in der Mira gestorben war. Es war gut, dort wegzugehen.«
»Über Miras Tod möchte ich mich später mit Ihnen unterhalten. Zunächst noch einmal zurück zum Einbruch von vorletzter Nacht. Ich will ganz offen zu Ihnen sein: Wir haben keine Einbruchspuren gefunden. Die Kriminaltechnik untersucht derzeit das Türschloss, die Ergebnisse liegen noch nicht vor. Aber die Spurensicherung schließt aus, dass ein Einbrecher durch das Fenster eingestiegen ist. Sie sagten, Sie hätten es schräg gestellt?«
»Ja, aber als ich aufwachte, stand es weit offen!«
»Dennoch, es gab keine Spuren. Durchs Fenster ist niemand eingestiegen. Was sagen Sie dazu?«
»Dann muss der Einbrecher auf andere Weise in die Wohnung gelangt sein.«
»Hat jemand einen Zweitschlüssel für die Wohnung?«
»Vera hat einen Schlüssel, ich habe einen Schlüssel und meine Mutter hat einen Schlüssel, sie gießt unsere Zimmerpflanzen, wenn wir mal verreisen. Und ein Reserveschlüssel hängt immer im Küchenschrank.«
»Herr Scherrer, sind Sie sicher, dass es einen Einbrecher gab?«
»Natürlich gab es einen Einbrecher! Wer sonst soll meine Kinder getötet haben? Ich war das nicht. Niemals würde ich meinen Kindern etwas antun.«
»Hatten Sie je das Gefühl, dass die Kinder Ihrer Frau im Weg waren?«
»Meiner Frau? Sie denken, dass Vera unseren Kindern das angetan hat? Niemals. Das ist undenkbar. Sie hat die Kinder geliebt. Sie haben ihr alles bedeutet. Nein, ich habe absolut nicht das Gefühl, dass die Kinder Vera im Weg waren. Sie hatte immer einen guten, schönen, herzlichen Umgang mit Noah und Sophie.«
»Waren Ihnen die Kinder manchmal lästig?«
»Nein, warum sollten sie mir lästig gewesen sein? Wir waren eine zufriedene Familie, die Familie war meine Insel.«
»Manchmal scheint eine Mutter dem Ehemann nach der Geburt der Kinder … wie soll ich sagen, irgendwie abhandenzukommen, weil sie nur noch für die Kinder da ist.«
»Nein, das war nicht so. Vera umsorgte uns, ihr war wichtig, dass es uns allen gut ging, man spürte, dass sie uns gernhat. Mir fehlen die Worte, dass Sie uns ernsthaft verdächtigen, unsere eigenen Kinder umgebracht zu haben. Wir waren das nicht. Es muss jemand eingebrochen sein. Ich bin sicher, dass Sie etwas übersehen haben. Sie müssen herausfinden, wer das war!«
»Sie zeichnen ein Bild einer perfekten Familie, aber keine Familie ist perfekt. Sie würden uns wirklich helfen, wenn Sie ehrlich zu uns sind.«
»Ich bin ehrlich zu Ihnen!«
»Es gab keine Schwierigkeiten in Ihrer Ehe, in Ihrer Familie, gar nichts? Immer Friede, Freude, Eierkuchen? Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Im ersten Ehejahr, das ist schon sehr lange her, hat mir Vera mal gesagt, dass sie die Koffer packt und geht. Wir hatten eine Krise, weil sie unter Heimweh litt, sie war unzufrieden. Das war, bevor wir Kinder hatten. Doch am nächsten Tag hat sie sich entschuldigt und war wie ein umgestülpter Handschuh, wieder sehr anhänglich, von Trennung keine Rede mehr. Das hatte sie manchmal; ein Tief. Aber es folgte stets erneut ein Hoch, sie fing sich jeweils schnell wieder. Das ist doch ganz normal.«
»Kam das oft vor? Dass sie von Trennung sprach?«
»Nein.«
»Wann zum letzten Mal?«
»Das war im November, aber nicht ernst gemeint. Noah und Sophie und ich haben herumgealbert, da hat mich Sophie ans Schienbein getreten. Vera ist schrecklich wütend geworden und hat gesagt, sie würde uns alle alleine lassen, den Koffer packen und gehen. Aber das geschah aus dem Moment heraus, ich habe sie nicht ernst genommen. Einmal sagte ich ihr im Streit, sie müsse sich entscheiden, was sie wolle. Da klagte sie, sie stemme den gesamten Haushalt und erledige die ganze Büroarbeit im Betrieb – dabei ist das kein sehr großer Aufwand. Doch es war klar, dass wir darüber reden mussten. Wir haben das in einem Gespräch geklärt, aber es war letztlich nicht mehr als ein blöder, kleiner Streit. Ich will hier keinen falschen Eindruck erwecken: Vera ist grundsätzlich ein überaus fröhlicher Mensch. Wir hatten es sehr gut miteinander.«
»Was wäre im Falle einer Trennung mit den Kindern geschehen?«
»So konkret haben wir nie über eine Trennung geredet. Nach dem Streit haben wir uns ein bisschen umorganisiert, damit sie mir weniger Arbeit abnehmen musste. Nur einmal sagte sie, sie sei mit den Kindern überfordert. Da diskutierten wir darüber, ob wir für die beiden einen Mittagstisch, also eine Betreuung über Mittag, organisieren könnten. Aber irgendwann war das dann kein Thema mehr. Dabei hätte es Vera gutgetan, wenn sie etwas mehr unter die Leute gekommen wäre. Aber sie wollte die Kinder nicht in fremde Obhut geben.«
»War sie eine überfürsorgliche Mutter?«
»Nein, sie war eine umsorgende Mutter. Sie war eine super Mutter. Und ich war ein guter Vater. Warum suchen Sie nicht nach dem Einbrecher, statt mir all die Fragen zu stellen? Ich möchte meine Frau sehen. Ich möchte, dass Sie mich zu ihr bringen. Um Himmels willen, wir haben gerade unsere Kinder verloren, und Sie erlauben uns nicht mal, dass wir uns sehen dürfen. Wo leben wir hier eigentlich? Es ist doch mein Recht, meine Frau zu sehen!«
»Herr Scherrer, Sie sind Tatverdächtiger in diesem Verfahren und Ihre Frau ebenfalls. Es besteht Verdunkelungsgefahr. Sie können Ihre Frau also vorerst nicht sprechen.«
»Das wird Konsequenzen haben. Sie können doch nicht einen trauernden Vater verhaften. Und die trauernde Mutter mit dazu.«
»Doch, genau das können wir.«