Ein unliebsamer Begleiter
Lara konnte den Anblick von Laniakea diesmal nur bedingt genießen. Marc hielt ihre Hand umklammert, während sie in atemberaubender Geschwindigkeit durch das Universum sausten. Funken, Lichter, Nebel, all das flog an ihr vorbei. Nach wenigen Sekunden wurde es dunkel. Sie spürte, wie ihr Flug sich verlangsamte, und atmete erst wieder, als sie etwas unsanft auf sandigem Boden landete.
Ein erster Blick zeigte, dass sie in einer Höhle gelandet waren. Unweit von ihnen entfernt konnte Lara einen Ausgang erkennen. Der Himmel dahinter war grau. Es donnerte leise. Sie hustete den Sand aus ihrem Mund, während sie sich aufsetzte und Marc ihre Hand grob entriss.
»Spinnst du?«, rief sie wütend. Dann fasste sie sich sofort an den Unterleib. Trotz des Aufpralls verspürte sie keine Schmerzen. Aber war diese Art der Fortbewegung wirklich unbedenklich? Lara musste sich auf Styxʼ
Versprechen verlassen.
»Komm. Ich helfe dir.« Marc wollte sie wieder an der Hand nehmen und hochziehen.
Sie funkelte ihn nur an. »Was machst du hier?«
»Ich bin nicht wegen dir hier.«
Wieder ein Donnern. Sand rieselte von der Decke. Waren das die Riesen, die sich gegenseitig bekriegten? Beim letzten Mal waren sie an einem Strand gelandet.
Sie stand leicht schwankend auf. Ihre Knie fühlten sich wie Gummi an. »Styx hat mich geschickt. Allein.
«
Marc zog den schweren Rucksack von den Schultern. In Laras Kopf ratterte es. Der Rucksack war sorgsam verpackt. Wasserfest. Natürlich. Er kannte den Weg durch den kleinen See bereits und war vorbereitet gewesen. Und es gab nur eine Sache, die ihm so wichtig sein konnte.
»Bitte sag jetzt nicht, dass du dein Tablet dabeihast.«
Er öffnete die Folie und zog ein Tablet aus dem Rucksack, das er direkt anschaltete.
»Du willst die Sternenhimmel fotografieren? Um die genaue Lage der Welten zu bestimmen?« Laras Stimme klang heiser.
Er reagierte nicht mal mehr auf sie.
Lara ging auf ihn zu und riss ihm das Tablet aus der Hand. »Ich soll Fotos verhindern! Nicht noch mehr machen!«
»Im Gegensatz zu Isa will ich die Fotos ja gar nicht veröffentlichen. Ich brauche sie nur für mich.« Er wollte sein Tablet zurücknehmen.
Aber sie hielt es fest. »Da mache ich nicht mit.«
»Habe ich dich darum gebeten?«
»Hast du vergessen, was die Weltenhüter alles mit uns angestellt haben? Der Riese hier hat Timo fast umgebracht. Sie
hat uns ausgezogen und in einen Käfig gesperrt. Der Hüter der Pflanzenwelt hätte mich fast ertrinken lassen!«
»Was diesmal nicht passieren wird. Weil du einem besonderen Schutz unterstehst. Oder?«
Lara war sprachlos.
Was Marc prompt ausnutzte, um sich sein Tablet zurückzuholen. »Styx hat den anderen doch bestimmt Bescheid gegeben, dass du vorbeikommst?
«
»Und du glaubst, dieser Schutz gilt auch für dich?«
Er erwiderte ihren Blick ungerührt. »Wenn du dich für mich einsetzt.«
Sie verschränkte die Arme und starrte ihn an. Ihre nasse Kleidung klebte unangenehm am Körper. »Warum sollte ich das tun?«
»Ich habe dir das Leben gerettet. Du schuldest mir was.« Er legte das Tablet zurück in seinen Rucksack, verschloss diesen samt der Folie darum und ging los. Lara sah ihm fassungslos nach. Er nahm selbstverständlich an, dass sie ihn schützen würde. Dabei verkomplizierte seine Anwesenheit ihren Auftrag unnötig.
»Du bist so ein Idiot!«, rief sie ihm hinterher.
»Du wiederholst dich.« Er trat aus der Höhle.
Lara stapfte ihm hinterher. »Wo ist überhaupt Susi?«
Das Grollen und die Erschütterungen des Bodens nahmen zu.
»Bei Mathilda. Eine alte Freundin von Opa. Und Timo?«, fragte er leicht provozierend. »Ist er wie immer direkt neben dir?«
»Er konnte nicht mit«, erwiderte Lara leise.
Marc sah sie kurz an, sagte aber nichts.
Sie traten zusammen aus der Höhle heraus. Diese Welt war genauso grau, wie Lara sie in Erinnerung hatte. Der Himmel unterschied sich in seiner Farbe kaum vom Horizont. Dieses Mal erstreckte sich vor Lara jedoch nicht das endlose Meer, sondern eine graue Wüste. Kein Grashalm wuchs hier. Nur Steine und Sand, so weit das Auge reichte. Und eine Erschütterung, die den ganzen Boden erbeben ließ.
Lara ging instinktiv ein paar Schritte zurück in die Höhle, während Marc völlig unbeeindruckt stehen blieb.
»Wir müssen warten, bis es Nacht ist«, stellte er mit einem Blick zum Himmel gerichtet fest.
»Ich muss auf den Weltenhüter warten. Dein Sternenhimmel interessiert mich nicht.« Lara würde diese Welt so schnell wie möglich wieder verlassen. So viel war klar.
Marc drehte sich zu ihr um. »Du brauchst keine Angst zu haben. Weißt du nicht mehr? Die haben sich das letzte Mal auch nur gegenseitig abgeschlachtet. Uns passiert nichts.«
»Mir passiert nichts!«, konterte Lara wütend.
Was Marc nur ein Lächeln entlocken konnte. »Zur Not passe ich wieder auf dich auf.«
»Ich brauche dich nicht.«
Sie konnte sein Grinsen aus den Augenwinkeln heraus erkennen. Er amüsierte sich prächtig und hatte wesentlich bessere Laune als auf der Erde. Ein Blick in die Wüste verriet Lara, dass die kämpfenden Riesen zu weit weg waren, als dass ihr und Körnchen wirklich Gefahr drohte. Sie waren nur zu hören, nicht zu sehen.
Ihre Hände wanderten an den Unterleib, als ihr in diesem Moment Timos Abwesenheit schmerzhaft bewusst wurde.
Marc musterte sie und schien genau zu wissen, was in ihr vorging. »Behauptest du immer noch, dass du ihn sehen kannst?«
Sie erwiderte seinen Blick und wollte gerade antworten, als sie Schritte hörte. Sie drehte sich um. Da stand er. Ungefähr zweieinhalb Meter groß, in seiner
silbernen Rüstung, die mittlerweile einige Dellen hatte. Sein roter Helm leuchtete in dieser grauen Umgebung. Durch den Schlitz im Helm konnte Lara seine dunklen Augen erkennen, deren Blick von ihr zu Marc wanderte.
»Es war nur von einer die Rede«, dröhnte seine Stimme und holte Lara zurück.
Diesmal war es Marc, der einen Schritt zurücktrat.
Sie konnte sich ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen, als sie Marcs Blick sah. All seine Souveränität war beim Anblick des Hünen wie weggeblasen.
»Ein Mädchen«, dröhnte der Riese weiter. »Du bist das Mädchen«, stellte er fest.
Lara erinnerte sich an das gesichtslose Wesen, das sie unter der Ritterrüstung gesehen hatte. Sie hatte nie darüber nachgedacht, ob diese Ritter ein Geschlecht hatten, war aber erleichtert, dass sie offensichtlich für ihn so deutlich zu erkennen war.
»Und wer bist du?« Der Riese ging einen Schritt auf Marc zu.
Lara ließ Marc noch einige Sekunden zappeln. Genau bis zu dem Moment, als sie die kleine Kugel in der Hand des Weltenhüters sah. Diese Kugel hatte sich bei ihrem letzten Besuch in eine tödliche Harpune verwandelt und Timo getroffen.
»Er ist zu meinem Schutz dabei«, erklärte sie mit fester Stimme.
Marc atmete sichtlich erleichtert durch, während der Weltenhüter sich zu ihr umdrehte.
»Du stehst unter dem Schutz der Weltenhüter. Du brauchst ihn
nicht.«
Lara warf Marc einen intensiven Blick zu. Er musterte sie abwartend.
»Ich bin schwanger. Und war besorgt, dass ich das Reisen in die Welten nicht gut vertrage. Er ist hier, um mich notfalls zu vertreten und mich wieder nach Hause zu bringen. Nur für den Fall.«
Der Riese zögerte einen Moment. Dann schien er ihre Erklärung zu schlucken. »Folgt mir.« Er setzte sich in Bewegung.
Marc sah Lara mit einem Blick an, den sie schwer deuten konnte. Dann ging sie dem Riesen hinterher.
»Wie lange dauert es, bis wir den Kristall erreichen?«, fragte sie, ohne eine Antwort zu bekommen. Sie beeilte sich zu folgen. Genauso wie sie sich beeilen würde, Isabel zu finden. Als Marc hinter ihr herging, musste sie sich eingestehen, dass seine Anwesenheit sie beruhigte.
»Lass mich raten. Der Kristall ist ein weiterer magischer Ort?«, fragte er leicht zynisch.
»Keine Ahnung«, erwiderte sie knapp.
Eher würde sie diesen Kristall schlucken, als Marc zu gestehen, dass sie sich über seine Anwesenheit freute. Aber wenn sie Isabel fand und überzeugen musste, mit ihr zu kommen und ihr die Fotos auszuhändigen, konnte es nicht schaden, Marc dabeizuhaben. Er kannte Isabel besser als Lara. Vielleicht würde sie auf diese Weise schneller nach Hause kommen. Zurück zu Timo. Zurück in ihr neues Leben. Sie hatte nämlich vor, ihr Versprechen Karin gegenüber zu erfüllen.