Liebe statt Pudding
»Dein Baby ist nun so groß wie eine Avocado.«
Avocado. Das wäre jetzt auch lecker. War nicht noch eine in der Küche? Zusammen mit Tomaten, Reis und Schafskäse wäre das ein toller Salat.
»Sie sollten jetzt noch eine Reise machen.«
Lara sah irritiert von ihrer Tätigkeit auf. Sie zupfte Kräuter auseinander, um sie zu trocknen. Tonka saß auf einem der Kissen und las aus der Baby-App vor.
»Eine Reise?«
»Ja, weil du später nicht mehr rumfliegen sollst.«
»Aha.«
Pinienkerne dazu wären auch lecker. Ihr Magen knurrte.
»Sanft tupfen statt fest rubbeln.«
»Was?«
»Beim Duschen. Du sollst tupfen und nicht rubbeln.«
Lara gab ein ratloses »Aha« von sich. Erstaunlich, worauf man in der 15. Woche alles achten sollte.
Tonka konnte fließend Texte vortragen. Sehr zum Leidwesen von Lara und Marc, da Tonka in ihrer Begeisterung nicht zu bremsen war. Lesen war ja noch besser als Fernsehen, hatte sie festgestellt. Sie hatte ihr Wissen diesmal nicht durch Singen erhalten, denn auf ihren Gesang reagierte diese Welt leider immer noch nicht, aber sie hatte es sich selbst beigebracht. Sie brauchte dafür kein ganzes Schuljahr, weil die Nutzung von 65 Prozent des Gehirns wesentlich effektiver war als eine Nutzung von 10, und sie wurde nicht müde zu betonen, dass die Welt mit diesen 65 Prozent jetzt nicht in dieser misslichen Lage stecken würde.
Noch immer gab es keine Spur von den verschwundenen Menschen. Kaum jemand rechnete noch damit, dass sie lebend zurückkommen würden. Wie auch? Der Mummelsee war dicht und mittlerweile ausgetrocknet. Das Wasser, das von der Hornisgrinde ins Tal floss, wurde um den See herum geleitet.
Lara war noch drei Mal verhört worden. Sie hatte sich an Marcs Hinweis gehalten und behauptet, sich auch weiterhin an nichts erinnern zu können und nichts von den Welten zu wissen. Die Tatsache, dass mehrere Zeugen das Gegenteil behaupteten, tat Lara vor der Polizei als Unsinn ab. Sie habe zwar behauptet, dass es gefährlich sei, in den See zu hopsen, aber nur, weil das Wasser so kalt sei. Und bestimmt nicht, weil es sich um einen Zugang in andere Welten handelte.
Am liebsten hätte sie etwas ganz anderes in die Welt hinausgeschrien. Dass die Welten eigentlich gar nicht gefährlich waren, sondern wunderschön. Und dass nur die durchaus berechtigte Angst vor den Menschen dazu geführt hatte, dass die sechzehn Personen vermutlich nicht über die Welt der Krieger hinausgekommen waren.
Auch davon hielt Marc sie ab. Gerade in dieser Phase konnte man nicht abschätzen, wie die Menschen auf Laras Rede reagieren würden. Die Mehrheit hatte eine unfassbare Angst vor den Welten entwickelt. Anfangs waren sie noch zum Hotel gekommen oder hatten Lara auf dem Weg zur Schule abgefangen. Irgendwann war sie nur noch in Marcs Begleitung aus dem Haus gegangen. Sie wurde von der allumfassenden Angst angesteckt. Aber nicht vor den Welten. Sondern vor den Menschen. Und was sie ihr in ihrer Angst und Sorge antun könnten.
Die letzte Nachricht vom Silbergründle hatte Lara zu denken gegeben. Die Wissenschaftler hatten den Strudel entdeckt und untersucht. Sie hatten Gegenstände hineingeworfen, die genau wie die verschollenen Menschen verschwunden waren. Als jedoch ein Taucher den Weg antreten wollte, hatte der Sog mit einem Mal aufgehört. Das Licht war ausgegangen.
Während die Wissenschaft noch rätselte, was das zu bedeuten hatte, war es Lara längst klar. Der Riese hatte den Zugang zu seiner Welt ebenfalls dichtgemacht.
Die Welle von Angst und Misstrauen nahm immer weitere Ausmaße an. Andere Nationen schickten Delegierte, um sich ein Bild zu machen. Zahlreiche Behauptungen von Wanderern, seltsame Gegenstände außerirdischen Ursprungs in der Nähe des Mummelsees entdeckt zu haben, taten ihr Übriges.
Andere wiederum warteten gar nicht mehr auf Nachrichten. Sie steigerten sich in ihre Ängste hinein, und wie bei einer stillen Post waren am Ende bereits Aliens auf der Erde, die in Menschengestalt daherkamen und sie ausspionierten, um sie alle zu vernichten. Die Gespräche in der Schule und das Social Network waren voll mit Verschwörungstheorien. Unterschiedliche Meinungen prallten aufeinander. Immer weniger hörte man die Stimmen, die zur Geduld mahnten und betonten, dass abgesehen von dem Verschwinden noch gar nichts passiert sei. Immer lauter wurden die Stimmen, die das Ende der Welt ankündigten. Dass im Vorfeld der Tod für einige Wochen ausgesetzt hatte, unterstützte ihre Weltuntergangsszenarien.
Tamara und Jonas waren längst nicht mehr die einzigen Schüler, die die Ängste mit ihren Vorstellungen verstärkten. Immer mehr verzerrte Willensblasen hatte Lara in der Schule entdeckt. Manche kamen nicht mal mehr, da die Eltern zu besorgt um ihre Kinder waren und sie zu Hause festhielten. Und die, die kamen, musterten Lara mit zunehmendem Misstrauen.
Natürlich war durchgesickert, was sie am Eingang zur Höhle gesagt hatte und ihre Aussage hatte sich von Schüler zu Schüler immer mehr verändert. Bis hin zu der Theorie, dass Lara selbst von einer anderen Welt kam.
Cem stand Lara zur Seite und verteidigte sie gegen diese absurden Anschuldigungen, die besonders von Seiten der Zwillinge kamen. Da Lara tatsächlich mehr wusste, als sie preisgeben konnte, hüllte sie sich in Schweigen, was sie in den Augen vieler Mitschüler noch verdächtiger machte. So gewöhnte sich Lara an, den Unterricht hinter sich zu bringen und dann schnell den Weg nach Hause zu suchen.
Wie gern hätte sie ihren Mitschülern die Angst genommen. Denn in Wirklichkeit passierte gar nichts. Niemand kam auf die Erde. Aber Realität spielte keine Rolle. Die Angst dominierte alles. Auch wenn sie nicht auf Erfahrungen, sondern auf reinen Spekulationen beruhte.
Und diese Ängste veränderten den Willen der Menschen. Waren die Bilder in den Willensblasen zuvor verzerrt gewesen, so verblassten sie zunehmend. Die Blicke der Menschen waren voller Sorge. Es war, als würde die Angst den Willen überschatten. Langsam aber sicher auslöschen.
Mila und Styx hatten recht behalten. Die Menschen waren noch nicht bereit, von der Existenz anderer Welten zu wissen oder sie gar zu erkunden.
Styx ... Bei dem Gedanken an sie legte Lara die Kräuter zur Seite. Die Katze lag neben Tonka auf einem Kissen. Sie war nicht mehr die Katze, die sie noch vor ein paar Wochen gewesen war. Sie nahm nichts zu sich. Weder Flüssigkeiten noch feste Nahrung. Laras Annahme, dass Styx sich ohnehin von etwas anderem ernährte, hatte sich insofern bestätigt, dass die Katze auch jetzt weder verhungert noch verdurstet war. Allerdings hatte sie weiter abgenommen. Von der einstigen Körperfülle war bestimmt die Hälfte zurückgegangen. In einem anderen Fall hätte man sich gefreut. Wenn eine Katze wie Styx so sehr abnahm, machte Lara das Sorgen. Wenn sie kein Fett durch weniger Essen verlor ... Was verlor sie dann?
Jeden Tag saßen sie bei ihr zusammen. Sie hielten sie warm und erfreuten sie mit ihrer Gegenwart, dem Einzigen, was Styx eine Reaktion entlocken konnte. Ab und zu zuckten ihre Augen, wenn sie sie ansprachen. Oder es war sogar ein leises Schnurren zu hören. Besonders an Lara schien die Katze zu hängen. Wenn sie in ihrem Zimmer war, hatte sie sich sogar schon manches Mal zu ihr geschleppt. Und Tonka betonte, dass Styx immer besonders schwach war, wenn Lara in der Schule war und fast ein bisschen auflebte, wenn sie zurückkam.
Nicht nur die Katze machte Lara Sorgen. Ihr Plan, Tonka heimlich zum Silbergründle zu bringen, war weiterhin unmöglich. Nun, da der Riese den Eingang versperrt hatte, war Tonka hier gestrandet.
Sie musste bleiben. Und genau wie bei Styx bemerkte Lara bei Tonka eine beginnende Veränderung. Schleichend und kaum zu beobachten, wenn man sie jeden Tag sah. Ihre Gestalt war dieselbe geblieben. Aber das Farbspiel ihrer Haut hatte nachgelassen. Nur ganz schwach konnte Lara Tonkas Gefühle noch an deren Haut ablesen. Und auch nur noch dann, wenn Tonka ganz besonders aufgeregt war, was oft genug vorkam. War sie jedoch ausgeglichen, konnte man ihre Farben nur noch beim genauen Hinsehen erkennen. Es war, als würde sie aufhören, in ihrer eigenen Sprache zu kommunizieren. Sie trug nun Kleidung, die Lara ihr gegeben hatte. Um peinliche Momente zu vermeiden. Auch wenn sie sich nicht so richtig wohl darin zu fühlen schien.
Wenigstens einen Vorteil hatte das Verblassen der Willensblasen. Das Interesse an Lara und Marc hatte nachgelassen, sodass Tonka und Susi wieder ins Hotel gezogen waren. Susi lag jeden Tag bei Styx und stupste sie immer wieder mit der Schnauze an. Was bei der Katze ein kaum vernehmbares Schnurren hervorrief. Oft betrachtete Lara ihre kleine Gemeinschaft mit Freude. Auch wenn Tonka sie nicht selten mit ihren ständigen Ratschlägen und Hinweisen zum Thema Schwangerschaft in den Wahnsinn trieb. Mit ihrem bestens funktionierenden Gehirn und jeder Menge Zeit hatte Tonka etliche Schwangerschaftsbü cher gelesen und voller Sorge erkannt, was alles schiefgehen konnte.
»Sie sollten sich mit Ihrem Partner darüber Gedanken machen, wer in der Erziehung welche Rolle übernimmt«, las sie gerade aus der App vor.
Lara schluckte. Welche Rolle hätte Timo gern eingenommen? 
»Das war jetzt ein blöder Kommentar, richtig?«, fragte Tonka verunsichert.
»Richtig«, tönte eine Stimme. Marc, mit Einkaufstüten beladen, kam ins Zimmer gelaufen. »Denn selbst als Geist hätte Timo keine elterlichen Funktionen erfüllen können.«
»Doch«, entgegnete Lara. »Lieben und glücklich sein.«
Marc musterte sie und warf ihr etwas zu, das Lara reflexartig auffing. Sojapudding Karamell.
»Deine Lieblingssorte.«
Sie riss sofort den Deckel auf, während Tonka ihr bereits einen Löffel hinhielt.
»Hau rein, Scuti.«
Sie warf Marc einen bösen Blick zu, den dieser ignorierte. Ihr neuer Spitzname gefiel Lara überhaupt nicht. Scuti . Das war der Name der größten Sonne, die im Universum existierte. Ihr Radius war 1708 Mal größer als der der Erdsonne und eine wenig subtile Anspielung auf Laras zunehmendes Körpergewicht.
»Viereinhalb Kilo in der fünfzehnten Woche ist gerade noch okay«, murmelte sie, während sie den Geschmack von Karamell auf der Zunge genoss. »Ich bin gar nicht so dick! «
»Das sind mehr als viereinhalb«, behauptete Marc. »Wann hast du dich das letzte Mal gewogen? Und wenn du so weitermachst, bist du irgendwann wirklich die größte Sonne. Also kann ich dich auch jetzt schon so nennen.«
Lara schielte böse zu Marc und öffnete einen zweiten Pudding.
»Großer Appetit kann ein Hinweis darauf sein, dass Sie sich Liebe und Zuneigung wünschen«, las Tonka aus der App vor.
Lara hielt im Essen inne, als Tonka sie mit großen, mitleidsvollen Augen ansah.
»Wünschst du dir Liebe und Zuneigung?«
»Ähm ...«
Für einen Moment sah sie zu Marc, der schnell auf seine Einkäufe blickte.
»Wenn wir in unserer Welt Liebe wollen, dann singen wir«, erklärte Tonka. »Was macht ihr?«
»Wir umarmen uns«, erklärte Marc zu Laras Überraschung.
Sofort stand Tonka auf, ging auf Lara zu und nahm sie in den Arm. »So?«
»Genau so«, erwiderte Marc amüsiert.
»Du auch, Marc«, rief Tonka. »Sie braucht Liebe statt Pudding.«
»Liebe statt Pudding«, sinnierte er. »Wäre auch ein guter Spruch für einen Strampler.«
Er hatte ein neues Hobby entwickelt. Er ließ online etliche Strampler mit irgendwelchen Sprüchen bedrucken. Lara hatte schon einen ganzen Schrank voller Babyklamotten. »Scuti-Baby« oder »Alien« waren noch die harmlosesten. Auch wenn Lara sich jedes Mal betont aufregte, freute sie sich über seine Anteilnahme.
Sie würde niemals für ihn fühlen, was sie für Timo empfand. Aber Marc war mehr als ein Freund geworden. Genau wie Tonka. Mit ihnen konnte sie die Tage überstehen. Die Nächte allerdings waren weiterhin unerträglich, da Lara sich von ihrem Gedankenkarussell nicht ablenken konnte. Wo war Timo? Ging es ihm gut? Würde sie ihn wiedersehen?
Ihn zu vermissen, war Teil ihres Lebens geworden. Und würde es immer sein.
Am nächsten Tag ging Lara nach der Schule zu Karin in die Waldapotheke. Das war ihr neues Ritual. Jeden Nachmittag verbrachte sie zwei bis drei Stunden in dem kleinen Hinterzimmer. Sie las Bücher über Botanik und Chemie, beides Fächer, die sie neben einigen anderen bei ihrer zweieinhalbjährigen Ausbildung zur PTA studieren würde. Wann immer Karin eine freie Minute hatte, kam sie zu Lara und beantwortete Fragen, zeigte ihr, wie man Salben und Öle herstellte und welche Kräuter welche Wirkung hatten. Lara genoss diese Stunden mit Karin und hatte das Gefühl, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte.
Karin hatte Tonkas Anwesenheit nicht verraten, sie sprach das Thema nie wieder an. Auch Mila war eine Tabuzone. Lara hatte mit Fragen gerechnet, aber die Vorstellung, dass ihre eigene Tochter als unsichtbare Energie durch die Welten sauste, schien Karins Auffassungsvermögen zu übersteigen. Lara respektierte das .
»Ich muss noch das Johanniskraut trocknen«, erinnert sich Karin, als sie zu Lara nach hinten trat.
»Hast du denn noch was da?«
»Heute kam eine neue Lieferung.«
Karin stellte selbst ein Öl her, das gegen depressive Verstimmungen helfen sollte. Wirkung zeigte es bei Jo bisher nicht. Er verbrachte die Tage im kleinen Hexenhaus. Manchmal schleppte er sich ins Wohnzimmer und starrte in den Kamin. An manchen Tagen verließ er das Bett überhaupt nicht. Sämtliche Lebensfreude hatte ihn verlassen, und seine Willensblase war gänzlich verblasst. Ihn so zu sehen, war unerträglich. Aufgrund der Tatsache, dass er keine Energie mehr für seine Wut hatte, konnte Lara jedoch ab und zu an seiner Seite sein. Er ertrug ihre Nähe stillschweigend, immer noch davon überzeugt, dass Lara an allem schuld war.
Karin musste ihn füttern und ihn umsorgen wie ein kleines Kind. Sie hatte Lara erklärt, dass die Trauer ähnliche Symptome wie eine Depression haben konnte. Trauer war eine gute Erklärung für Jos Symptome. Auch wenn Lara den Verdacht hatte, dass etwas anderes dahintersteckte. Etwas, das immer mehr Menschen betraf.
Selbst wenn Lara sich die meiste Zeit wie gelähmt fühlte, gab es eine Sache, die sie für die Kunden der Apotheke tun konnte. Die Gabe, die Willensblasen zu sehen, hatte Lara dazu verleitet, die Menschen auf ihren Willen hinzuweisen. Sie hatte festgestellt, dass nur diejenigen ihren Willen verloren, die zuvor zwei Blasen mit sich herumgetragen hatten. Menschen wie Karin oder Eva, die einen starken Willen hatten und diesem bereits folgten, waren von dem Verblassen nicht betroffen. Lara tat alles, um den Willen der Menschen stärker zu machen. Ihre Skrupel, den Willen zu betrachten, waren verflogen. Ihre Gabe kam ihr nun wie ein Geschenk vor. Auch Mila hätte die Menschen in die für sie richtige Richtung geschubst, so entschuldigte Lara ihre Indiskretion vor sich selbst. Solange sie sah, dass ihre Gabe Gutes bewirkte und die Menschen vor Sinnlosigkeit und Depression bewahrte, würde sie weitermachen.
Mathilda hatte sich dank Lara daran erinnert, wie gern sie mit Pferden gearbeitet hatte. Sie hatte die Alten im Pflegeheim den Pflegern überlassen und fuhr jeden Tag auf eine Pferderanch, wo sie mit den Tieren arbeitete. Begeistert hatte sie anderen von Laras Rat erzählt und diese Gabe begann, sich herumzusprechen.
Auch Timos Mutter hatte damit begonnen, kleine Schmuckstücke herzustellen. Die Kette, die Lara um ihren Hals trug und ein vergoldetes Skateboard war, kam von ihr. Unsicher, woher Lara ihre Kenntnis nahm, kamen immer wieder Leute vorbei, die sie baten, ihnen in die Augen zu sehen. Und ihnen zu sagen, was ihnen fehlte.
Als Lara an diesem Abend nach Hause kam, blieb sie erstaunt in der Tür zum Speisezimmer stehen. Styx lag auf ihrem Platz. Tonka und Marc saßen vor dem Fernseher. Susi schleckte aufgeregt Tonkas Hand. Tonkas ganzer Körper bebte.
»Was ist passiert?«, fragte Lara besorgt.
Marc sah sichtlich erleichtert auf. »Endlich. Kannst du dich da bitte drum kümmern?«
Lara ging zu Tonka, der Tränen über das Gesicht liefen.
»Sie hat eine Doku gesehen«, erklärte Marc. »Über einen Hund, der weggelaufen ist und sich verirrt hat.«
»Er sah aus wie Susi«, schluchzte Tonka.
Lara betrachtete interessiert die Tränen. »Ich wusste nicht, dass du weinen kannst.«
Tonka trocknete sich ihre Tränen. Lara legte den Arm um ihre Schulter. Tonkas Haut gab so gut wie keine Farben zu erkennen.
»Ich weiß jetzt, was Trauer ist«, schniefte sie.
»Aber wie ist das möglich?«
Tonka schwieg.
Und Lara traf die Erkenntnis wie ein Hammerschlag. »Du verwandelst dich in einen Menschen!«, rief sie.
Marc warf erst Lara, dann Tonka einen fassungslosen Blick zu. »Ist es, weil sie zu lange auf der Erde ist?«
»Nein«, erklärte Tonka leise.
Lara musterte sie fragend. »Was ist es dann?«
»Ich weiß, wie Luxus Isabel verwandelt hat. Ich habe es ihm nachgemacht. In der Hütte. Ich ... habe mich selbst verwandelt.«
Diese Nachricht war mehr, als Lara verarbeiten konnte.
Nur Marc reagierte schnell. »Bist du jetzt total durchgedreht?«
Tonka sah ihn an.
»Das ist nicht möglich, oder? Lara, bitte sag mir, dass das nicht möglich ist.«
»Ähm ...«
»Ich will nicht mehr weg!«, rief Tonka. »Ich gehöre hierher. Das habe ich die ganze Zeit schon gefü hlt. Aber ich kann als farbenfroher Alien nicht überleben. Also werde ich ein Mensch!«
»Luxus hatte als Weltenhüter die Gabe. Du bist doch nur ... ein ganz normaler Weltenbewohner.«
»Ich habe gesungen.«
»Was?«, schrie Marc.
»Ich habe gesungen. Es hat funktioniert. Ich verwandle mich. Jeden Tag ein bisschen mehr. Bis ich ein Mensch bin.«
Marc packte Tonka bei den Schultern. »Warum?«
»Ich will nie wieder zurück. Ich will hierbleiben. Du weißt, warum!« Sie stand auf und lief davon.
»Was meint sie damit?«, fragte Lara.
Er schwieg.
»Marc?«
Er fluchte laut und ging dann ebenfalls.
Verwundert sah Lara zu Styx, die regungslos neben ihr lag. Sie setzte sich neben die Katze. Zum einen erschüttert über Tonkas Maßnahmen. Zum anderen ... »Ist es sehr egoistisch, dass ich mich freue?«, fragte sie mit leisem Schuldbewusstsein.
Sty Ohr wackelte.