Erwacht!
Lara öffnete die Augen. Über ihr der blaue Himmel. Sie fröstelte. In ihrer Hand spürte sie eine andere liegen. Sie setzte sich auf. Neben ihr im Gras lag Marc und hielt ihre Hand fest umklammert. Seine Augen waren geschlossen, als würde er schlafen.
Sie waren zurück auf der Hornisgrinde. Auch Ayse, Cem und Tonka lagen im Gras. Die Klänge des Steins hatten aufgehört. Lara hörte nur den Wind. Die Sonne war aufgegangen.
Timo war weg, genau wie Philipp. Sie drehte sich um, als sie ein Bellen hörte. Susi kam zu ihnen gelaufen und leckte Marc über das Gesicht. Der kam langsam zu sich.
Außer ihnen war niemand mehr da. Was war geschehen?
Die Decken, das Teleskop, die Musikinstrumente, alles lag herum, wild durcheinandergewirbelt, als hätte hier ein Sturm gewütet. Wo waren die anderen? Wo war Johanna?
Langsam kamen alle zu sich. Während sie aufstanden, bellte Susi und rannte vor zur Straße. Dann wieder zurück.
»Sie will, dass wir ihr folgen«, erkannte Marc noch leicht benommen.
Gemeinsam folgten sie Susi den Weg hinunter. Die Beine noch wackelig, die Gemüter noch sprachlos von dem eben Erlebten. Als der Mummelsee in ihr Gesichtsfeld rückte, blieben sie sprachlos stehen.
Die Menschen hatten sich um den See versammelt. Die Steine, die ihn blockiert hatten, waren weg
.
Einfach weg!
An ihrer Stelle sprudelte wieder Wasser in den See. Er war schon zur Hälfte gefüllt.
»Da sind sie!«, rief eine Stimme.
Alle sahen zu ihnen hoch. Ein Moment der Stille, dann brachen die Menschen in Jubel aus.
Lara sah verwirrt hinunter, als Karin und Jo mit Johanna auf dem Arm zu ihnen hochgelaufen kamen. Lara eilte ihnen entgegen und nahm Johanna auf den Arm, die fröhlich gluckste.
»Es war unglaublich!«, rief Karin.
»Ihr habt diesen Kreis gebildet«, fuhr Jo fort. »Und dann ist mitten in euch eine Kugel entstanden. Golden und leuchtend. Unfassbar schön!«
»Da war eine Energie ... Unglaublich!«
»Ihr seid abgehoben«, berichtete Jo weiter. »Hoch in die Luft. Ihr habt dabei einen ziemlichen Wind produziert. Die Kugel hat sich immer weiter gedreht, und irgendwann war der Wind so stark, er hat alles durcheinandergewirbelt. Man hat euch gar nicht mehr gesehen. Nur noch ein Leuchten.«
»Dann war plötzlich eine Pause«, berichtete Karin aufgeregt. »Die Kugel hat aufgehört, sich zu drehen. Alles stand still. Wir dachten schon: Das war es jetzt. Aber dann hat sie sich wieder gedreht, und plötzlich war es, als würde sich Energie entladen. Als würde ein Beben durch die ganze Welt gehen.«
»Dann war alles vorbei. Ihr wart weg.«
»Wir hörten ein Rumpeln und sind hergerannt. Die Steine, die sie in den See gelegt haben, sie waren einfach weg. Wusch!
«
»Es ist fantastisch!«, rief Jo.
Lara konnte seine Begeisterung nicht teilen. Sie sah zu Marc, Tonka, Ayse und Cem. Tränen rannen ihre Wangen hinunter. »Es tut mir so leid!«, rief sie. »Ich hätte fast alles kaputtgemacht.«
Jo und Karin blickten verwirrt, während die anderen nur lächelten. »Ruhig, Goldi. Warst ja nicht allein. Sie hätte es niemals zugelassen.«
»Wer hätte was nicht zugelassen?«, fragte Karin.
Lara drehte sich zu Karin und Jo um. »Mila! Sie war da. Die ganze Zeit. Sie war nie weg. Sie hat mich an das Gute erinnert. An das Vertrauen. Ohne sie wäre ich verloren gewesen. Und ihr alle mit.«
Karin und Jo waren von ihren Worten sichtlich bewegt. Aber Lara ließ ihren Tränen freien Lauf. Die anderen kamen und drückten sie fest, baten sie, endlich mit dem Weinen aufzuhören. Sie war so erschrocken über sich selbst, so erschrocken über den Hass, den sie gefühlt hatte. Nichts schien sie trösten zu können, als sie plötzlich ein altbekanntes Gefühl an den Beinen spürte.
Das Schnurren einer Katze.
Lara sah an sich herunter. »Styx!« Ihre Stimme war nur noch ein Schrei.
Da war sie, die hässlichste ... Nein! Die schönste Katze auf der ganzen Welt. In ihrer alten Form, wenn nicht sogar noch dicker! Lara ließ sich mit Johanna auf dem Arm in die Knie sinken. »Styx! Du bist wieder da!«
Die Katze sah sie an. »Dank dir. Ich bin wieder gut versorgt. Mit gutem Willen.«
Lara lachte. »Waren die Menschen willenlos, weil das Gute aus der Welt verschwunden ist?
«
»Nein. Der Wille ist verschwunden, weil ihr die Verbindung zu den Welten aus Angst blockiert habt. Auch wenn ihr es nicht gewusst habt, wart ihr mit der Energie der anderen Welten verbunden. Ohne diese Verbindung verliert ihr das Wesentliche, das, was euch ausmacht. Ohne diese Verbindung seid ihr wie ein Boot ohne Hafen. Ihr taumelt umher, ähnlich wie du, als du die Verbindung zu deinem Körper verloren hast«
Lara sah zum Mummelsee, der nun wieder freigelegte Eingang. Den sie hoffentlich nie wieder mit Steinen füllen würden.
Gemeinsam gingen sie zum See hinunter. Die Leute empfingen sie lachend und klatschend. Lara sah Leo und Malik, die neben dem Professor standen. Hand in Hand. Da waren Eva und Dany und die Frauen. Auch sie lächelten glücklich. Lara fühlte das Glück, das nun alle miteinander teilten.
Nervös, ob der Wille die Kranken wieder geheilt hatte, zerstreute sich die Gesellschaft zunehmend. Die Ortsansässigen wollten nach ihren Freunden und Verwandten sehen.
Gemeinsam mit den anderen ging Lara ins Tal hinunter. Sie erreichten den oberen Teil von Sasbachwalden, ohne dass sie einem Menschen begegnet wären. Dann aber, auf halber Höhe im Dorf, traten die Ersten aus ihren Häusern. Unrasiert, abgemagert und deutlich mitgenommen. Sie waren aufgestanden und fühlten die Sonnenstrahlen auf der Haut.
Sie blinzelten, als wären sie aus einem langen Schlaf erwacht.