Wattenmeer,
Sonntag, Juli 1648
A
m ersten Sonntag im Juli ging die ganze Gemeinde zur Kirche und betrachtete die leeren weißen Wände, während der Prediger in den nüchternen Worten betete, die seit den Kürzungen durchs Parlament noch vom Gebetbuch übrig waren. Er erzählte ihnen, der König in Carisbrooke Castle auf der Insel Wight sei gedemütigt durch seine Sünden und dass Gott sein störrisches Herz beugen werde. Sie könnten sicher sein, dass Gott nie zulassen werde, dass die Schotten nach Süden marschierten – obwohl der böse König sie gerufen habe, um unschuldige englische Städte zu plündern und zu schänden. Gott werde sie abhalten, und ganz besonders werde er die Iren schlagen, falls auch sie zur Unterstützung des Königs einfallen sollten. Die Gemeindemitglieder bräuchten sich nicht zu fürchten. Alinor, die sich verstohlen nach den Gesichtern ihrer Nachbarn umsah, stellte fest, dass diese Versicherung ihnen besonderes Unbehagen bereitete. Es waren einfache Leute: Wenn ihnen jemand sagte, sie hätten nichts zu befürchten, wussten sie, dass sie in Schwierigkeiten steckten.
Es stimme, erklärte ihnen der Pfarrer, stimme wahrhaftig, dass Verräter im ganzen Land zu den Waffen griffen, dass sich in jedem County royalistische Aufstände ereigneten und zwei ausländische Armeen einfielen. Doch die fromme Armee des Parlaments werde sie besiegen, die Royalisten würden nicht gegen ernste Männer, gute Männer, fromme Männer obsiegen. Es werde keine Papisten mehr bei
Hofe geben. Der König werde um Verzeihung bitten und wieder eingesetzt werden, seine papistische Königin werde lernen, gottselig zu sein, und ihr werde verboten, ketzerische Priester ins Land zu holen. Ihre Kapelle, die nachweislich das Zentrum von Ketzerei und Unordnung gewesen sei, werde ihre Pforten schließen, und der König werde sich von seinen Versuchungen abwenden und die Richtlinien ehrlicher Berater akzeptieren. Die königliche Familie werde wiedervereint, wie es sich für eine gottselige Familie gehörte. Der kleine Prinz und die Prinzessin, die von ihren Eltern zurückgelassen worden waren, würden ihnen wieder gebracht werden. Nichts könne dies aufhalten, versprach der Pastor, auch wenn es schlechte Neuigkeiten aus Essex und Kent gebe, wo königliche Verräter Städte für den König einnähmen. Am schlimmsten sei, dass die gesamte Flotte zum König übergelaufen sei und nun der Prinz, sein Sohn, die Schiffe befehlige und mit Englands eigener Marine in England einfallen werde. Doch trotz allem, trotz dieser zunehmend schlechten Chancen, würden die Gottseligen obsiegen. Die Schlacht sei geschlagen und gewonnen, der König müsse nun lernen die Kapitulation als seine Pflicht anzuerkennen.
Alinor bemerkte Sir William Peachey, frisch eingetroffen aus London, wo er seine neu gefundene Hingabe für das Parlament demonstriert hatte, ganz reglos und aufmerksam in seinem großen Stuhl, sein Haushalt in einer Reihe hinter ihm. Er schüttelte kein einziges Mal den Kopf, kein Schatten huschte über sein erschöpftes Gesicht, er blinzelte noch nicht einmal. Man hätte ohne Weiteres meinen können, dass er mit Leib und Seele ein Mann des Parlaments war, so still und leise, wie er dort saß, während ihr Sieg als Gottes Wille gepredigt wurde.
Der Pfarrer sprach das Schlussgebet und ermahnte sie: Auf dem Kirchhof sei das Spielen untersagt, sonntägliche Festessen gebe es nicht mehr. Der Sabbat habe jetzt heilig zu sein, und heilig bedeute
ruhig und besinnlich – keine Pfarrbierfeiern und kein Tanz an Heiligenfesten. Schlechtes Betragen vonseiten irgendeines Gemeindemitglieds solle den Gemeindevorstehern gemeldet werden. Besonders Frauen hätten gehorsam und still zu sein. Ein gottseliger Sieg setze gottselige Menschen voraus. Sie seien jetzt alle Soldaten in der New Model Army, sie marschierten im Gleichschritt ins gelobte Land.
Während sie der Reihe nach die Kirche verließen, träge vor Langeweile, stand der Verwalter Mr Tudeley am überdachten Friedhofstor hinter Sir William und nannte die Pächter beim Namen, während sie vorübergingen, sich verbeugten und Knickse machten. Alinor wartete, bis sie an der Reihe war, ihre Kinder hinter ihr. Als verlassene Frau, die an der äußersten Grenze des Sumpfes lebte, am Rande der Armut, kam sie hinter so gut wie jedem anderen. Schweigend machte sie einen Knicks vor dem Lord und seinem Verwalter. Seine Lordschaft musterte sie ernst von Kopf bis Fuß, nickte und wandte sich ab, doch Mr Tudeley winkte sie mit einem gekrümmten Finger heran.
»Sir William wird einen Kaplan ernennen, der in seiner privaten Kapelle dienen und seinen Sohn unterrichten soll«, erklärte er ihr.
Wortlos hielt Alinor den Blick zu Boden gerichtet.
»Euer Junge ist genauso alt wie Master Walter Peachey, nicht wahr?«
»Ein wenig jünger.« Sie deutete auf ihren Sohn, der stockstill hinter ihr stand.
»Welche Arbeit verrichtet er, außer, dass er Euch bei den Kräutern zur Hand geht?«
Sie antwortete ihm gelassen, ohne sich die Überraschung über sein unvermitteltes Interesse an Rob anmerken zu lassen. »Morgens geht er zur Schule, und nach der Schule arbeitet er auf der Mill-Farm: Vögel verscheuchen und Unkraut jäten. Er ist ein gescheiter Junge. Er
kann lesen und schreiben. Nächste Woche wird er mit mir in den Destillationsraum der Propstei kommen, wie Ihr es angeordnet habt, und er wird derjenige sein, der die Etiketten auf den Flaschen beschriftet. Er kennt die Namen der Kräuter auf Englisch und Latein und hat eine schöne Schrift.«
»Ist er jemals in Schwierigkeiten gewesen?«
Alinor schüttelte den Kopf.
»Er wird im Haushalt dienen«, verkündete Mr Tudeley. »Er wird mit Master Walter Unterricht erhalten, sein Leibdiener und sein Gefährte hier in der Propstei sein, bis Master Walter nach Cambridge geht. Er wird fünfzehn Shilling im Quartal erhalten, fünf Shilling Vorschuss.«
Alinor verschlug es den Atem.
»Der Tutor hat sich einen Gefährten für Master Walter erbeten«, fuhr er gebieterisch fort. »Ich habe Euren Jungen vorgeschlagen. Dies ist ein Gefallen Seiner Lordschaft, um Euch zu helfen, da Euer Ehemann als vermisst gilt. So ist es, wenn man einem guten Lord dient. Vergesst das nicht.«
Sie machte einen tiefen Knicks. »Ich bin sehr dankbar.«
Er bedachte sie mit einem strengen Blick. »Sollte jemand fragen, werdet Ihr sagen, dass Seine Lordschaft armen Pächtern gegenüber großzügig ist.«
Abermals vollführte sie einen Knicks. »Ja, Sir. Ich weiß, Sir.«
Sie drehte sich um und ging zum Friedhofstor, mit Alys auf der einen Seite, Rob auf der anderen. Die beiden Frauen, Mutter und Tochter, hielten den Blick zu Boden gerichtet, die Köpfe mit den weißen Hauben gesenkt, der Inbegriff unterwürfigen Gehorsams.
»Dann weiß er wohl nichts von dem Kaninchen«, stellte Alys voller Genugtuung fest.