Wattenmeer,
September 1648
V on der Landestelle bei der Mühle aus gingen James Summer, Rob und Walter an Bord eines Küstenhandelsschiffs, das zur Insel Wight, nach Southampton und weiter westwärts fuhr. Alys, Richard und zwei Mühlenmädchen blickten ihnen nach. Während der zweimastige Frachtsegler langsam den tiefen Kanal hinunterfuhr und die Besatzung auf beiden Seiten nach Sandbänken Ausschau hielt, winkte Rob so übertrieben wild, als breche er nach Übersee auf und werde möglicherweise niemals zurückkehren.
James ging nach Steuerbord, um nach der kleinen Hütte Ausschau zu halten, die auf dem Hafendamm stand. Die Tür stand offen, und er fragte sich, ob Alinor das Schiff aus dem Innern heraus beobachtete. Er ging davon aus, dass ihr Robs Segelfahrt missfiel, doch sie hatte ihn nicht gebeten, den Jungen zurückzulassen. Sie hatte überhaupt nicht mit ihm gesprochen. Noch nicht einmal nach der Kirche, als sie ihren Knicks vor Sir William gemacht und beim Aufrichten festgestellt hatte, dass James’ braune Augen auf ihr ruhten. Sie hatte eine eisige Zurückhaltung an den Tag gelegt, als hätte sie ihn nie gekannt, als hätte sie ihn nie im Arm gehalten, als hätte sie seinem fordernden Mund nie die Lippen geöffnet. Er hatte darum gebetet, freizukommen, und sie hatte ihn auf der Stelle gehen lassen, als wäre nichts geschehen. Selbst als sie einen Knicks vor ihm machte, sah sie durch ihn hindurch. Es hatte den Anschein, als bedeutete er ihr nichts, als hätte er ihr nie etwas bedeutet. Es hatte den Anschein, als wäre er unsichtbar.
Und natürlich, sobald sie sich von ihm zurückgezogen hatte, wollte er ihre Hand fassen, ihren Namen rufen, diese grauen Augen dazu bringen, ihn wieder anzusehen. Doch es war, als sei er Luft für sie. Er musste an der Seite von Sir William stehen und geschehen lassen, dass diese Frau von ihm wegging, als wäre er nichts.
Nun, da der Wind die Schiffssegel blähte und sich das Gefährt vorwärtsbewegte, suchte sein Blick die ärmliche Hütte, die ihr Zuhause war. Eine Rauchfahne stieg aus dem Kamin, und als er genauer hinsah, konnte er im dunklen Innern sogar Bewegung erkennen: das Aufblitzen ihrer weißen Haube. Dann trat sie aus der Tür und hob die Hand, um die Augen abzuschirmen. Er konnte es kaum fassen: Sie hielt nach ihm Ausschau. Sie sah das Schiff, das ihren geliebten Sohn in Gefahr brachte, der ihm als Tarnung diente, als Alibi für den unglaublichen Hochverrat, den zu verüben er im Begriff stand. Sie musste ihn verfluchen dafür, dass er das tat, wovor ihr graute – Rob mitzunehmen auf hohe See. Doch dann sah er, wie sie die Hand in Richtung seines Schiffes hob, zu einem Segen, wie jede Seemannsfrau einem Segel zuwinkte und flüsterte: »Behüte dich Gott! Komm unversehrt nach Hause!« Er sah sie dastehen, ihn beobachten. Es war unverkennbar. Sie liebte ihn. Und ihre Liebe war größer als seine, denn sie vergab ihm und wünschte ihm Gottes Schutz auf dieser Reise, obwohl er ihren Jungen übers Wasser mitnahm.
Er sprang hoch auf die Reling, hielt sich an der Takelage fest, beugte sich über das dunkle Wasser, das unter dem Bug hindurchströmte. Er konnte das unheimliche Zischen der sich zurückziehenden Flut hören, während sie das Schiff zur Hafenmündung sog, doch er wollte, dass Alinor ihn sah. Er streckte den Arm aus, um ihr zu winken. Sie sollte wissen, dass beim Verlassen von Foulmire der einzige Gedanke in seinem Kopf weder seiner Sache galt, die er über sie gestellt hatte, noch dem König, der über allem stehen sollte, sondern ihr: Alinor.