Wattenmeer,
September 1648
D en ganzen September hindurch hörte Alinor nichts von James, aber sie rechnete auch nicht damit und brachte die staubigen Tage am Ende des Sommers in einem trägen inneren Frieden hinter sich. Sie stellte fest, dass sie ihm vertraute, sie glaubte, dass er zu jenem Ort fahren würde – diesem unvorstellbaren und geheimnisvollen Ort –, den er sein Zuhause nannte, und dass die Männer, die er seine Brüder nannte, ihn von seinem Gelübde entbinden würden. Alinor, die in einem Land großgezogen worden war, wo Katholiken seit beinahe einem Jahrhundert verbannt waren, konnte sich nicht vorstellen, welche Riten und Schwüre James womöglich ertragen musste, um sich von seiner gotteslästerlichen Vergangenheit zu befreien. Sie konnten ihn vielleicht mit der Androhung ewigen Fegefeuers einschüchtern, überlegte sie. Tränen stiegen ihr in die Augen, wenn sie sich ausmalte, wie er der Herrschaft Roms die Stirn bot. Doch sie vertraute darauf, dass er tapfer und selbstsicher auftrat. Er hatte gesagt, dass er es tun werde und dass er sie liebte, und sie vertraute ihm.
Größere Angst hatte sie vor dem Einfluss seiner Familie, besonders seiner Mutter, da sie sich nur zu leicht vorstellen konnte, was eine Adelsdame zu ihrem geliebten einzigen Sohn sagen würde, wenn er ihr erzählte, dass er den Priesterstand mit keinem ehrgeizigeren Ziel aufgab, als eine sitzen gelassene Frau zu heiraten, eine Kräutersammlerin, die Witwe eines Fischers, die ihren Lebensunterhalt verdiente, indem sie sich an ein schlammiges Wattgebiet in England klammerte.
James’ Eltern würden ihn mit Sicherheit eher enterben, als zuzulassen, dass er sich an eine Frau wie sie wegwarf. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass auch sie ohne Land waren, dass auch sie sich an alles klammerten, was ihnen nach sechs Jahren Bürgerkrieg noch übrig geblieben war, weit weg von ihrem schönen Zuhause, im Exil mit einer besiegten Königin. Sie waren Papisten und mit Haut und Haaren verdammt. Nach England konnten sie nicht zurückkehren: Sowohl ihr Glaube als auch ihre politische Loyalität galten als Verbrechen. Sie hatten weit über Alinor gestanden, solange ihr König auf dem Thron war und ihr Glaube akzeptiert wurde, aber jetzt taten sie es nicht mehr. Wenn der König von einer bloßen kleinen Reitertruppe der Armee gefangen genommen werden und in einem gewöhnlichen Haus in Newport auf der Insel Wight enden konnte, dann befanden Alinor und James sich nicht mehr an gegenüberliegenden Polen der Gesellschaft mit einer Kluft, so unüberbrückbar wie der Sumpf zwischen ihnen. Seine Eltern mussten wissen, dass die Welt sich verändert hatte, dass die einfachen Menschen von England sich erhoben hatten und dass die Herrscher nicht mehr in ihren Palästen wohnten. Wenn ein Bauer wie Oliver Cromwell England regieren konnte, warum sollte dann eine Fischerswitwe nicht in der Welt aufsteigen und sich etwas Besseres erhoffen?
»Der Prinz ist auf dem Meer besiegt und zurück nach Holland getrieben worden. Hast du es gehört?«, fragte Ned sie eines Abends, während er vor der Tür der Hütte saß und seine Pfeife rauchte, um die Stechmücken zu verscheuchen. Sein Hund lag im Schatten der Bank und hechelte in der Hitze.
Alinor brachte Ned einen Becher Dünnbier und setzte sich neben ihn, um ihr eigenes zu trinken. Den Stab ihres Spinnrockens hatte sie in den Gürtel geschoben, sodass der Strang Wolle auf Höhe ihres Kopfes war. Mit der freien Hand zog und drehte sie den Faden, während sie die Spindel am Ende des Fadens mithilfe sanfter Fußtritte ständig in Bewegung hielt. Der Wollstrang war heiß in ihrer Hand und fettig von dem Lanolin.
»Das hatte ich noch nicht gehört. Aber seit dem Markt in Chichester habe ich auch niemanden mehr gesehen. Ich bin nicht aus dem Brauhaus, dem Destillationsraum oder der Küche rausgekommen.«
»Du und Alys, ihr arbeitet die ganze Zeit. Hast du einen guten Preis für das Fass mit den in Salz eingelegten Fischen bekommen?«
»Zwanzig Shilling! Vom Getreidehandelsschiff. Aber was ist mit dem Prinzen?«
»Ich habe es selbst gerade eben erst gehört. Die Frau von Bauer Gaston hat einen Cousin aus London zu Besuch, und der hat es mir erzählt, als ich ihn über den Fluss gesetzt habe. Hast du gewusst, dass der Prinz von Wales eine Flotte unter seinem Kommando hatte?«
»Ja, das habe ich gehört«, bestätigte Alinor in Gedanken an den Mann, der ihr von der wartenden Flotte erzählt hatte.
»Unsere Marine, die Parlamentsflotte, hat ihn aus der Themse gejagt und den ganzen Weg bis hinüber nach Holland. Er wird nicht noch einmal vor unserer Küste lauern.« Ned lachte. »Er muss gehofft haben, sein Vater werde aus Newport entkommen und dass er ihn auf hoher See aufnehmen und nach Frankreich bringen könne. Sie müssen geglaubt haben, der König werde sein Ehrenwort brechen und wieder die Flucht ergreifen. Das ist also auch fehlgeschlagen. Die Schiffe des Königs sind fort, er sitzt in Newport fest, die Parlamentarier sagen ihm, wie die Dinge laufen sollen, und ihm bleibt nichts übrig, als zuzustimmen.«
»Die Schiffe des Königs haben ihn im Stich gelassen?«, fragte sie.
»Ja. Jetzt kann er nirgendwo mehr hin«, bestätigte Ned voller Genugtuung. »Er wird mit dem Parlament übereinkommen und nach London zurückkehren müssen. Und ich kann dir sagen, dort wird man ihm einen schroffen Empfang bereiten.«
»Aber was wird aus ihm werden? Und was ist mit all den Leuten, die ihm gefolgt sind? Die Leute in Frankreich und Holland, diejenigen, die mit der Königin ins Exil gegangen sind?«
»Wen kümmern die schon?«
»Es ist nur … ich frage mich, was mit ihnen geschehen wird.«
»Weißt du, ich glaube, sie werden den König in seine Schranken weisen«, sagte Ned nachdenklich. »Ich glaube, sie werden ihn nach London bringen und ihn zu einem König machen, wie ihn noch keiner erlebt hat, ein König, der mit dem Parlament und der Kirche zusammenarbeiten muss, und keinen, der sich darüberstellt. Ich glaube, sie werden ihm sein Haus zurückgeben, aber nicht seinen Thron. Vielleicht machen sie ihn zu Mr King!« Er lachte über seinen eigenen Scherz. »Ich würde einen Shilling darauf wetten, dass sie ihm seinen Thron nicht zurückgeben, und ganz bestimmt wird er nie mehr das Kommando über eine Armee führen. Man kann ihm nicht vertrauen.«
»Wird also die Königin nach Hause kommen, um bei ihm zu sein? Wird sie Mrs Queen sein? Und der Prinz? Und was ist mit den Lords und Ladys und denjenigen, die ihr nach Paris gefolgt sind? Was werden sie tun?«
»Sie werden alle Abbitte beim englischen Volk leisten müssen«, entschied Ned ernst. »Das würde ich sie tun lassen. Eine Strafe zahlen, schwören, dass sie nie wieder gegen Engländer die Waffen erheben werden, und dann im Privaten leben, im Stillen. Ein Ordnungsgeld und die Verbannung aus öffentlichen Ämtern.«
»Aber sie werden nach Hause kommen können?«, hakte sie nach.
»Wenn sie ein Schattenleben führen wollen«, prophezeite Ned. »Aber es wird für sie nie wieder wie früher sein. Nichts wird je wieder wie früher sein.«
Alys trat aus dem Eingang, einen Strang Rohwolle auf ihrem Spinnrocken. Sie nahm neben ihnen Platz, ließ die Spindel mit ihrem Fuß herumwirbeln und begann zu spinnen.
»Du hast Tag und Nacht eine Spindel in der Hand«, stellte ihr Onkel fest.
»Mitgift«, sagte sie nur kurz angebunden.
Er nickte. »Ich werde dir ein paar Shilling an deinem Hochzeitstag geben«, versprach er. »Zehn Stück.«
»Da bin ich dir dankbar«, sagte sie sanft. »Danke, Onkel.«
Sie sah ihre Mutter nicht an, und Alinor hob den Blick auch nicht von ihrer Arbeit. »Wir sind beide dankbar«, fügte Alinor hinzu. »Um die Wahrheit zu sagen: Wir haben mehr versprechen müssen, als wir zusammenkratzen können.«
»Es ist ein schöner Bauernhof«, räumte er ein. »Sie wollen bestimmt eine beträchtliche Summe. Wann soll die Hochzeit stattfinden?«
»Nach Ostern«, sagte Alinor.
»Vielleicht schon früher«, fügte Alys hinzu. »Wenn wir das Geld schon früher bekommen. Vielleicht am Dreikönigsabend. Eine Hochzeit am Dreikönigsabend fände ich schön.«
Ihr Onkel schüttelte den Kopf. »In der Bibel gibt es keinen Dreikönigsabend«, sagte er. »Und keinen Bedarf daran in einer gottseligen Kirche.«
»Und es ist schon zu bald!«, protestierte Alinor. »In der Zeit werden wir die Summe nicht einmal annähernd zusammenbekommen.«
Alys zuckte mit den Schultern. »Dann eben später im Januar. Oder Februar.«
»Dann wirst du schneller spinnen müssen«, erklärte Ned. »Oder spinn Gold, wie das Mädel im Märchen.«
»Wozu die Eile?«, fragte Alinor sie. »Bei schlechtem Wetter und dunklen Nachmittagen? Warum nicht auf den Frühling warten?«
Das hübsche Mädchen zeigte sein verschmitztestes Lächeln. »Weil ich bei schlechtem Wetter und an dunklen Nachmittagen ein warmes Bett haben möchte.«
Alinor runzelte leicht die Stirn und nickte ermahnend in Richtung des Onkels, damit das Mädchen seine Zunge im Zaum hielt.
»Die Ehe ist ein ernster Vertrag, der zum Ruhm Gottes abgeschlossen werden soll«, sagte Ned feierlich. »Nicht aus einer Laune jugendlicher Gelüste heraus. Du tätest besser daran, die Magd des Herrn zu sein und ihn in deinen Gebeten zu befragen, bis er sagt, dass die Zeit dazu gekommen ist.«
»Ja«, stimmte Alys ihm ernst zu. »Aber wie lang soll ich deiner Meinung nach warten, Onkel Ned?«
»Wir werden die Mitgift nie rechtzeitig zusammenbekommen, wenn du die Hochzeit vorverlegst«, warnte Alinor sie.
»Doch«, sagte Alys zuversichtlich. »Denn Richard wird sie für mich aufbessern.«
»Was?«, wollte Ned wissen. »Der Bräutigam bezahlt die Mitgift selbst?«
Alys strahlte vor Stolz. »Er liebt mich so sehr«, sagte sie. »Er möchte nicht, dass ich mir Sorgen mache.«
»Hat er seine eigenen Ersparnisse?«, fragte Alinor. »Hat er ein solches Vermögen?«
»Von seinem Großvater Stoney. Er hat es ihm vermacht. Es gehört alles ihm. Und er wird es mir geben. Er hat versprochen, den Rest wettzumachen, wenn wir nicht genug haben.«
Alinor bewegte die Schultern, als sei eine schwere Last von ihr abgeglitten. »Gott sei Dank«, sagte sie. »Ich habe mir solche …«
»Ich habe dir doch gesagt, es wird gut ausgehen.«
»Du bist dir deiner sehr sicher«, stellte Ned fest.
Alys blickte verstohlen zu ihm auf. »Ich bin mir dieser einen Sache sicher.«