Douai, Frankreich,
Dezember 1648
J ames’ Eltern verließen das Gästehaus in Douai. Ihre Pferde, die draußen in der feuchten Kälte des frühen Dezembers warteten, stampften mit den Hufen und bliesen Atemwolken in die eiskalte Luft. In einen Reiseumhang mit fellgesäumter Kapuze gewickelt, kam Lady Avery aus dem Haus. Ihr Sohn half ihr die Stufen des Aufsteigeblocks nach oben auf ihr ruhiges Pferd. Sie ritt im Damensitz und drapierte ihr Reitkostüm aus grüner Wolle so, dass es über ihre Lederstiefel fiel. Er selbst stieg auch auf den Block, damit sie auf einer Höhe waren, Kopf an Kopf, und sie sein bußfertiges Flüstern hören konnte.
»Ich flehe Euch an, mir zu vergeben, Lady Mutter«, sagte er, doch sie wollte ihm noch nicht einmal in die Augen sehen. Sie wandte den Kopf ab und streichelte die Mähne ihres Pferdes. »Ich kann mich nicht von dieser Frau zurückziehen. Sie hält mein Herz gefangen. Das tut sie wirklich. Ich kehre zu ihr zurück, und ich werde sie heiraten, wenn sie frei ist. Ich flehe Euch an, mir zu vergeben und mir zu erlauben, sie als Eure Tochter zu Euch zu bringen.«
Sie drehte den Kopf zu ihm, und an ihrem blassen, erschöpften Gesicht und den roten Augenlidern konnte er sehen, dass sie eine schlaflose Nacht durchgemacht hatte. »Ich habe Euch nicht zur Welt gebracht und der Heiligen Kirche übergeben, damit Ihr ein Fischweib beschlaft.«
Er neigte den Kopf zu ihrem Segen und spürte kaum die leichte Berührung ihrer Hand auf seinem dichten Haar.
»Vergebt mir«, sagte er. »Ich bin ihr versprochen.«
»Ihr seid der Kirche versprochen«, sagte sie tonlos. »Ihr habt versprochen, mir und Eurem Vater gegenüber gehorsam zu sein, und wir verbieten es.«
»Ich werde Euch schreiben«, bot er an.
»Nicht, wenn Ihr von ihr schreibt«, sagte sie fest.
Die Tür des Gästehauses der Abtei öffnete sich, und Sir Roger kam rasch heraus, den dicken Umhang schwer auf den Schultern. Doctor Sean eilte hinter ihm her, ein Blatt Papier in der Hand.
»Etwas ist passiert«, sagte Sir Roger kurz angebunden zu seinem Sohn. »Das ändert alles.« Er trat an das Pferd seiner Frau, griff nach dem Zaumzeug und sagte leise zu ihr: »Wir können jetzt nicht abreisen. Steigt ab und kommt ins Haus.«
»Ist es der König?«, fragte sie und stieg sofort ab.
Er nickte, doch seine düstere Miene warnte sie, dass das, was Doctor Sean in der Hand hielt, keine Kunde von einer erfolgreichen Flucht des Königs von der Insel Wight war. Ohne ein weiteres Wort reichte sie James die Hand, kletterte vom Aufsteigeblock herunter, und sie eilten ins Haus.
»Was ist passiert?«, wollte sie wissen, als Doctor Sean die Tür hinter ihnen schloss.
»Die Armee hat das Parlament an sich gerissen«, sagte er. »Ich habe das hier von einem unserer Spione in London. Einer der radikalsten Colonels hat das Tor des House of Commons mit seinem Regiment eingenommen und nur diejenigen Parlamentsabgeordneten eingelassen, die einen Eid auf Cromwell geleistet haben. Solch ein Haus wird niemals eine Vereinbarung mit Seiner Majestät treffen. Die wahren Abgeordneten wurden hinausgeworfen, die Armee hat Besitz vom House of Commons ergriffen.«
Lady Avery wandte sich an ihren Ehemann. »Geschieht dies, um dem König eine Vereinbarung aufzuzwingen?«
»Gott weiß, was sie Übles im Schilde führen!«, entfuhr es Doctor Sean.
Sir Roger nickte. »Meine Liebe, wir kehren besser an den Hof zurück. Die Königin und der Prinz von Wales werden nicht zulassen, dass der König in die Hände der Armee fällt. Dies ist schlimmer als zu der Zeit, als wir aus Hampton Court davongelaufen sind. Damals hatte die Armee ihn zwar in ihrer Gewalt, aber wenigstens konnte das Parlament ihn verteidigen. Jetzt gibt es niemanden mehr, der für ihn sprechen kann. Nichts dergleichen hat sich jemals auf der Welt zugetragen. Ein Parlament, das einen König regiert? Es ist wie die Apokalypse.«
»Es könnte schlimmer kommen. Vielleicht erwägen sie einen Prozess«, warnte James.
Sein Vater ging auf ihn los. »Einen Prozess? Was meint Ihr damit?«
»Als ich in Sussex war, bin ich einem Mann begegnet, einem Veteranen aus Cromwells Armee, der gesagt hat, die Radikalen unter ihnen, Gleichmacher und Männer dieses Schlags, seien der Meinung, dass sie den König für den Krieg zur Rechenschaft ziehen sollten.«
»Das ist undurchführbar!«, sagte sein Vater mit einem Stirnrunzeln. »Wie würden solche Männer jemals eine Anklage gegen den König vorbringen?«
»Wer war dieser Mann?«, wollte seine Mutter in scharfem Tonfall wissen. »Einer ihrer Freunde?«
Beschämt errötete James.
»Werdet Ihr nach England zurückkehren und für uns Bericht erstatten?«, wandte sich Doctor Sean unverblümt an James. Er wies auf das Papier in seiner Hand. »Der junge Mann, der das hier geschickt hat, befindet sich bereits auf dem Rückweg hierher. Er hat sich bei einem der Parlamentsabgeordneten versteckt, dem gerade sein Sitz verweigert wird. Er hat London bereits verlassen, das hier kam aus …« Er brach ab. »Einem anderen Hafen. Er wird zu uns zurückkehren, sobald er eine Passage bekommt.«
James wurde von heftiger Angst gepackt. Er sah von seiner Mutter und seinem Vater zu seinem Tutor. »Ihr wisst, dass ich meinen Glauben verloren habe«, sagte er. »Ich kann nicht gehen.«
»Dies ist eine Angelegenheit des Königs, nicht Gottes«, sagte sein Vater schroff. »Ihr könnt Eure Pflicht dem König gegenüber erfüllen. Dies sind weiß Gott irdische Schwierigkeiten. Wir müssen wissen, was sie im Schilde führen. Falls Ihr recht habt – falls ein Prozess irgendwie möglich sein sollte –, dann müssen wir ihn befreien.«
»Ich habe ihn beim letzten Mal nicht dazu bewegen können mitzukommen«, rief James ihnen in Erinnerung. »Ich bin gescheitert. Er hat sich mir verweigert.«
»Jetzt wird er mitkommen«, prophezeite Doctor Sean. »Er weiß, dass er nicht in die Gewalt der Armee fallen darf. Abgesehen davon ist alles, was Ihr tun müsst, die Stelle unseres jungen Mannes einzunehmen: etwas Geld abliefern, einen Brief, und hierher Bericht erstatten.«
»Ist es sicher für ihn, nach England zurückzukehren?« Lady Avery wandte sich an ihren Sohn. »Und wenn diese Frau Euch verrät?«
»Sie kommt nicht nach London. Sie verlässt Sussex niemals.«
»Ihr sollt nur nach London reisen, das Geld und die Befehle abliefern, herausfinden, was vor sich geht, und nach Den Haag Bericht erstatten«, sagte Doctor Sean.
»Geht nicht zu ihr«, fügte seine Mutter hinzu. »Nicht, wenn Ihr in Angelegenheiten des Königs unterwegs seid, nicht, wenn Ihr in Gefahr schwebt. Ich traue ihr nicht.«
»Ich werde Euch die Briefe, die Adresse des geheimen Unterschlupfes in London und das Gold besorgen.« Doctor Sean eilte in sein Privatgemach. »Ich werde alles in der nächsten Stunde fertig haben.«
»Ihr könnt mein Pferd nehmen«, sagte James’ Vater. Er trat auf seinen Sohn zu und umarmte ihn fest. »Lasst es im Gasthof in Dunkirk zurück. Hier, nehmt auch meinen Umhang. Es ist ein kalter Tag, und auf See wird es schlimmer sein. Geht, mein Sohn, ich bin stolz auf Euch. Erfüllt Eure Pflicht gegenüber dem König, dann werden wir weitersehen. Ihr seid ein junger Mann, und dies sind Zeiten, die sich mit jeder Tide ändern. Versprecht niemandem etwas. Wir wissen nicht, wo wir nächstes Jahr sein werden! Kommt sicher zurück.«
James spürte den schweren Umhang seines Vaters wie eine zusätzliche Last auf seinen Schultern, sah das bekümmerte Gesicht seiner Mutter.
»Kommt zurück«, sagte sie nur. »Geht nicht zu ihr.«