London,
Dezember 1648
O hne zu wissen, dass seine Gebete von der Frau, die er liebte, geflüstert wurden, ging James leise durch die dunklen Straßen der Londoner City, immer in der Mitte der Straße, wo er sich seinen Weg durch den gefrorenen Dreck und Abfall bahnte, um sich von den gefährlichen dunklen Eingängen und ihren Schatten fernzuhalten. Er bog in eine prächtige Einfahrt, nickte dem schweigenden Wächter zu und ging dann an der Seite des Hauses entlang, wo an einem krummen Nagel vor einer schmalen Tür eine einzelne Laterne hing.
Die Tür ließ sich öffnen, als er an der Klinke drehte, und er betrat einen mit Steinen gefliesten Flur, der in der einen Richtung zur Küche führte und in der anderen zur großen Eingangshalle des Hauses. Vor ihm befand sich eine kleine Vorratskammer mit einer brennenden Kerze auf dem Tisch. James trat ein und nahm an dem sauberen Tisch Platz.
»Ihr seid John Makepeace?« Der Mann kam so leise herein, dass James seine Schritte nicht hörte.
»Ja.«
»Losungswort?«
»Geh mit Gott.«
»Gott wird uns nicht im Stich lassen«, erwiderte der Mann. »Kommt Ihr von der Königin?«
»Ja. Ich habe das hier.« James überreichte ihm einen dicken Brief.
Der Mann erbrach das Siegel. »Er ist verschlüsselt«, sagte er verärgert. »Wisst Ihr, was darin steht?«
»Ja, mir wurde befohlen, ihn für den Fall, dass ich ihn vernichten müsste, auswendig zu lernen. Er instruiert Euch, den König zu holen und ihn nach Deptford zu bringen. Dort wartet ein Schiff auf ihn, ein Küstenhändler, der ihn nach Frankreich bringen wird. Sie heißt die Dilly . Wenn Ihr mir den Zeitpunkt nennt, kann ich eine Botschaft an die Flotte Seiner Hoheit schicken und dafür sorgen, dass Ihr von ihnen empfangen werdet, für eine sichere Überfahrt übers Meer.«
»Und die beiden königlichen Kinder?«
»Für sie habe ich keine Instruktionen.«
Überrascht blickte der Mann von dem versiegelten Brief auf. »Was? Begreifen sie, dass die Armee die Kinder niemals außer Landes lassen wird, falls er entkommt? Er wird sie niemals wiedersehen! Sollen sie inmitten ihrer Feinde zurückgelassen werden? Sollen wir sie einfach hierlassen?«
»So lauten die Anweisungen«, sagte James ungerührt.
Der Mann ließ sich auf einen Stuhl fallen und sah James zornig an. »Er sollte in Newport entkommen.«
»Das weiß ich.«
»Es ist gescheitert.«
»Niemand weiß das besser als ich.«
»Und aus dem Hurst Castle.«
»Hurst?«
»Ja, dort auch. Das ist auch gescheitert. Und in Bagshot sollte er das schnellste Pferd in ganz England bekommen, aber an dem Tag, an dem er losreiten sollte, erlahmte es, und niemand hatte ein zweites Pferd. Oder einen zweiten Plan.«
James zwang sich dazu, sich seine Verachtung für diese unausgegorenen Komplotte nicht anmerken zu lassen. »Ihr sprecht, als sei es hoffnungslos.«
»Ich glaube, das ist es. Meine Hoffnung ist Monat für Monat geschwunden. Alles, was wir jetzt tun können, ist beten, dass sie ihm einen gerechten Prozess gewähren und sich anhören, was er zu sagen hat. Dass er alles, was er getan hat, erklären kann.«
»Und dann?«
»Gott weiß. Das ist das Verrückte daran, dass er nicht weggebracht wurde. Wir wissen nicht, was sie vorhaben, oder auch nur, ob sie irgendwelche Absichten hegen, abgesehen davon, ihn zu entehren. Werden sie seine Macht nach Gutdünken beschränken? Oder wird er einwilligen, den Thron an Prinz Charles zu übergeben? Werden sowohl König als auch Prinz schwören, niemals eine Armee aufzustellen, außerhalb des Königreiches oder im Innern? Das Parlament wird sich mit nichts Geringerem zufriedengeben.«
»Das bedeutet, die königliche Macht aufzugeben. Für ihn – und für seine Söhne. Für alle Könige überall?«
»Ich glaube, ihm bleibt keine Wahl. Jetzt ist die Armee an der Macht, nicht das Parlament, und sie haben nichts übrig für einen Mann, der ihre Kameraden umgebracht hat und dann wieder hinausmarschiert ist. Sie sind Männer der Tat, nicht vieler Worte. Die Armee ist eine ganz eigene Sache. Sie sprechen eine andere Sprache, die Männer kommen aus anderen Welten.«
»Eure Befehle lauten, ihn zu retten«, sagte James mit Nachdruck. »Komme, was wolle. Ich muss eine Antwort erhalten. Was soll ich ihnen sagen, wenn ich Bericht erstatte?«
»Sagt ihnen, dass ich es versuchen werde«, antwortete der Mann niedergeschlagen. »Aber ich werde Euch keine Botschaft schicken, um Euch über den Zeitpunkt zu unterrichten. Ich werde keinen Termin festschreiben. Je weniger Männer Bescheid wissen, desto besser.«
»Ihr werdet doch wohl nicht riskieren, dass er ohne den Schutz der Flotte auf hoher See ist?«
»Welcher Schutz? Welche Flotte? Wer kann schon sagen, ob die Seeleute des Prinzen ihn nicht entführen und direkt nach London zurücksegeln würden, um das Lösegeld einzusacken? Sie haben schon einmal einen anderen Ton angeschlagen. Sie werden es wieder tun, nicht wahr?«
James schauderte vor dem verbitterten Zynismus des Mannes. »Ihr traut der königlichen Flotte nicht? Unter dem Kommando des Prinzen von Wales?«
»Glaubt Ihr, Ihr wärt der einzige Mann in England, der seinen Glauben verloren hat?«
»Ich habe nie gesagt, dass ich meinen Glauben verloren habe!«
»Es steht in Euer Gesicht geschrieben«, sagte der Mann verächtlich. »Ihr seht aus wie wir alle – besiegt.«