Den Haag, Niederlande,
Dezember 1648
J
ames verbrachte Weihnachten in Den Haag bei den Beratern des Prinzen von Wales und versuchte, sie davon zu überzeugen, dass die Flucht des Königs zur Vermeidung eines Prozesses keineswegs ausgemacht war.
»Warum nicht? Es ist sein Wunsch«, sagte einer der Lords ungeduldig zu James. Sie saßen zu zehnt um einen großen Holztisch. Zu viele, fand James: zehn Männer, die jedes Wort dieses Gesprächs ihren Ehefrauen, ihren Dienstboten, ihren Geliebten und ihren Kindern weitererzählen würden. Einst hatten sie ein Land beherrscht – sie konnten nicht widerstehen, ihre Bedeutung zur Schau zu tragen.
Einer von ihnen beugte sich vor. »Früher hat Seine Majestät geglaubt, man könne unsere Feinde möglicherweise zu einer Vereinbarung bringen. Jetzt wissen wir, dass sie durch und durch falsch sind, also ist er bereit, das Land zu verlassen. Ihr habt unsere Anweisungen übergeben?«
»Es geht nicht darum, Anweisungen zu erteilen.« James unterdrückte seine Ungeduld. »Ich habe die Botschaften übergeben, aber der Mann hat mir nichts anvertraut. Er wollte mir nicht trauen, und sonst auch niemandem. Er wollte nicht mit mir oder mit Euren anderen Gesandten zusammenarbeiten. Viele sind nicht mehr übrig. In London stehen sämtliche Freunde Seiner Majestät unter Beobachtung. Viele von ihnen haben aufgegeben. Erst vor einem
halben Jahr habe ich mich mit Männern getroffen, die mir jetzt nicht mehr die Tür öffnen wollen.«
»Sir William Peachey?«, wollte einer von ihnen wissen.
James warf einen Blick zur Tür. »Ich werde keine Namen nennen«, sagte er.
»Nun, Ihr wisst, wen ich meine. Wird er nicht helfen? Er hat einen schönen kleinen Hafen auf seinen Ländereien, nicht wahr?«
»Nichts weiter als eine Landestelle bei Flut«, sagte James und dachte an die Gezeitenmühle und Alinors Hütte, die auf der anderen Seite des Sumpfes lag. »Wie dem auch sei, er hat genug getan.«
»Ihr habt Geld«, stellte einer der Männer verbittert fest. »Wir haben uns an den Bettelstab gebracht, um Geld aufzutreiben. Könnt Ihr niemanden anheuern?«
»Ich habe getan, was Ihr mir aufgetragen habt. Ich habe Euch über die Unterbringung Seiner Majestät und die Vorkehrungen für seinen Prozess aufgeklärt. Ich habe Euer Gold dem Mann gegeben, der eingewilligt hat, einen Rettungsversuch zu unternehmen. Aber ich warne Euch, dass er vielleicht nicht erfolgreich sein wird. Seine Majestät wird gut bewacht, und die Männer, die ihn bewachen, sind nicht käuflich. Früher haben die einfachen Soldaten das Königtum respektiert, aber jetzt nicht mehr. Ich glaube nicht, dass sie sich bestechen lassen. Also weiß ich nicht, ob die Flucht gelingen wird. Ich flehe Euch an, in Verhandlungen mit der Regierung Cromwell einzutreten. Das ist der einzige Weg, um sicherzugehen, dass Seine Majestät freikommt.«
»Freikommt? Mit ihrer Einwilligung?«, fragte ein Mann fassungslos. »Vergesst Ihr, dass er der König von England ist? Ich werde nicht mit Verbrechern feilschen!«
»Mit Cromwell verhandeln?« Einer der Lords zog eine schön gezupfte Augenbraue in die Höhe. »Mit Cromwell? Oliver Cromwell aus Ely?«
Noch ein Mann lachte spöttisch. »Wo würden sie ihn ins Gefängnis werfen? In den Tower? Das ist ohnehin ein königlicher Palast! Ihr vergesst, dass es sich hier um eine Majestät handelt. In dem Moment, wenn sie ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten, werden sie auf die Knie fallen.«
James nickte, während er seinen Zorn zügelte. »Aber was, wenn nicht? Sie könnten ihn sehr wohl gefangen nehmen. Es wäre nicht das erste Mal. Die Zeitungen und Skandalblätter in London sind voll von Geschichten über Henry VI
. und Edward II
., und dass sie gefangen genommen und ihnen ihr Thron weggenommen wurde.«
»Henry VI
.!« Ein Mann lachte. »Wer schert sich schon um Henry VI
.?«
James ließ nicht locker. »Falls sie sich entscheiden, ihn im Tower unterzubringen, wird es sehr schwierig sein, ihn fortzuschaffen.«
»Herrgott noch mal!« Einer der Männer sprang vom Tisch auf. »Brauchen wir einen Priester, der herkommt und uns Geschichtsunterricht erteilt? Ihr! Summers oder Avery oder wie auch immer Euer Name lautet, haben wir Euch gebeten, herzukommen und uns zu enttäuschen?«
»Es tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten für Euch habe«, sagte James, wobei er seine ansteigende Wut bezähmte. »Ich habe mich freiwillig für diese Arbeit gemeldet, und es ist eine undankbare Aufgabe. Wenn Ihr mich entlasst, werde ich ohne ein weiteres Wort gehen. Ich bitte lediglich darum, dass Ihr nicht von mir, meinem Namen oder denjenigen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, sprecht.«
»Nein, geht nicht, geht nicht«, sagte der erste Berater. »Übereilt nichts. Fühlt Euch nicht angegriffen. Wir arbeiten alle für die Sicherheit Seiner Majestät. Es ist sicher, wenn wir hier Namen nennen. Dies ist unser Palast, alle Diener sind loyal. Ihr versteht unsere Lage nicht. Wir tun alles, was wir können. Genau wie Ihr vorschlagt, redet
die Königin mit all ihren königlichen Verwandten, darunter dem französischen König; und Prinz Charles ruft sämtliche gekrönten Häupter Europas dazu auf, Seine Majestät zu beschützen. Wir verlangen zudem die Befreiung der königlichen Kinder: Prinzessin Elizabeth und Prinz Henry. Vor allem müssen wir den Prinzen aus England herausschaffen.«
»Beide Kinder«, sagte James mit Nachdruck. »Sie hätten niemals zurückgelassen werden dürfen. Sie ist erst dreizehn und lebt wie eine Gefangene, während sie versucht, sich um ihren kleinen Bruder zu kümmern. Beide Kinder sollten wieder zu ihrer Mutter gebracht werden.«
»Nur der Prinz ist von Bedeutung. Und wenn sie ihm die Krone auf den Kopf setzen und einen Marionettenkönig aus ihm machen? Man kann nicht darauf vertrauen, dass er den Thron seines Vaters nicht an sich reißt. Wirklich, Ihr solltet zu Prinz Henry gehen und ihm sagen, er solle jegliches Angebot ablehnen …«
»Er ist acht!«, rief James. »Meint Ihr, Ihr könnt einem Achtjährigen Befehle erteilen? Was erwartet Ihr von einem Kind? Er hätte nie in ihrer Gewalt zurückgelassen werden dürfen.«
»Wir tun hier alles, was wir können«, wiederholte der Hauptberater. »Und wir machen uns natürlich ebenfalls Sorgen um die Kinder. Erst die Flucht des Königs, dann ihre. Wir wollen, dass Ihr hinfahrt, für uns die Augen offen haltet und Bericht erstattet.«
»Ich habe versprochen hinzufahren, Gold abzuliefern, mich mit Eurem Mann zu treffen und zurückzukommen, um Euch Bericht zu erstatten. Ich bin zu nichts anderem verpflichtet«, sagte James kalt.
Kurz herrschte Schweigen. »Ich bitte um Verzeihung«, sagte der Mann, der ihn Summers oder Avery genannt hatte. »Ich hätte Euch nicht mit Namen nennen noch mich darüber beklagen sollen, was Ihr getan habt. Denn … um die Wahrheit zu sagen … wir haben keinen anderen. Keinen anderen, der fahren kann. Wir sind darauf
angewiesen, dass Ihr es tut.«
»Ihr seid nicht als Spion enttarnt worden?«, fragte der Hauptberater.
»Nein«, antwortete James widerwillig. »Ich glaube nicht.«
»Dann müssen wir es Euch abverlangen. Dies wird das letzte Mal sein.«
James ließ den Blick durch die Runde am Tisch schweifen und betrachtete die nervösen Gesichter, spürte die vertraute Mischung aus Ärger und Verzweiflung. »Wie Ihr wünscht.«
»Kehrt nach London zurück und schickt uns Nachricht. Wir müssen wissen, wo sie ihn festhalten und was sie mit ihm vorhaben. Wir werden Eure Berichte dem Prinzen persönlich zukommen lassen, und er wird sich damit an den König von Frankreich wenden. Wir werden auf Grundlage Eurer Berichterstattung eine Rettungsaktion planen.«
James neigte den Kopf. »Wie Ihr wünscht. Ich werde hinfahren und Bericht erstatten.« Er stand auf.
Der Hauptberater erhob sich ebenfalls und kam um den Tisch herum, um dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter zu legen. Dann geleitete er ihn zur Tür. »Ich bin Euch sehr dankbar. Ihr werdet belohnt werden. Prinz Charles wird Euren Namen erfahren und was Ihr für seinen Vater tut.«
James blickte zur Seite, sein Gesicht angespannt und verschlossen. »Ich danke Euch, aber es wäre mir lieber, wenn mich niemand beim Namen nennt«, sagte er. »Nicht, während ich in England bin und mich als Franzose ausgebe. Es ist sicherer für meine Mutter und meinen Vater und auch für unsere Ländereien, wenn mein Name geheim gehalten wird.«
»Wie Ihr wünscht. Berichtet uns. Täglich, wenn nötig. Und gebt uns in dem Augenblick Bescheid, wenn Ihr glaubt, dass es schlecht um ihn steht.«
»Oh, das kann ich gern tun«, sagte James bitter. »Der Augenblick
ist jetzt. Es steht schlecht um ihn.«