Wattenmeer,
Januar 1649
I
m Morgengrauen wurde Alinor vom Geräusch knackenden Eises und Pferden geweckt, die durch das Wasser ritten. Eine Kutsche schlitterte die Furt hinunter und durchquerte die zurückgehende Flut. Sie blickte aus dem Schlafzimmer und spähte nach links. Im Dämmerlicht erkannte sie die rumpelnden Umrisse der Peachey’schen Kutsche.
»Alys! Die Kutsche der Peacheys fährt über die Furt«, sagte sie zu dem Mädchen, das noch im Bett hinter ihr schlief.
»Ist egal«, erwiderte Alys, ohne sich zu rühren. »Er bezahlt nicht.«
»Ich frage mich, ob Rob bei ihnen ist. Und wohin sie fahren.«
»Nach London, denke ich, um dem König hinterherzujagen, wie alle anderen auch.«
»Dann werden sie Rob in der Propstei gelassen haben«, sagte Alinor. »Sie würden ihn doch gewiss nicht mitnehmen?«
Das Klappern an der Haustür beantwortete ihre Frage. »Das wird er sein!«, rief Alinor erleichtert. Sie rief die steile Treppe hinunter: »Bist du das, Rob?«
»Jawohl, Mutter!«, schrie er fröhlich. »Ich soll bis Lichtmess bei euch bleiben, und dann soll Mr Tudeley mich nach Chichester bringen. Ich soll zu Mr Sharpe gehen, dem Apotheker von Chichester. Meine Lehrzeit bei ihm fängt dann an.«
Alinor band sich ihr Tuch um die fülliger werdende Taille und
kletterte die Stufen hinunter. Sie umarmte Rob und trat zurück, um ihn zu begutachten. »Ich schwöre, du bist schon wieder gewachsen.«
»In den drei Wochen seit Weihnachten?«, neckte er sie.
»Du wirst zum Mann«, sagte sie. »Denk nur, du als Lehrling!«
Er sank für ihren Segen aufs Knie und fragte beim Aufstehen: »Habt ihr schon gefrühstückt?«
»Natürlich nicht. Alys ist noch nicht einmal aufgestanden. Hast du Hunger?«
»Ich bin am Verhungern«, antwortete er.
»Setz dich, dann mache ich es uns schön warm.« Alinor drückte ihn in den Stuhl am Feuer, hob die Abdeckung von der Glut und legte zum Anzünden Treibholz und Zweige auf das glühende Rot.
»Fährt Sir William wegen des Königs nach London?«, fragte sie.
»Ja, er ist dazu berufen, Richter zu sein. Dann bringt er Walter weiter nach Cambridge.«
»Wird dem König wirklich der Prozess gemacht?«
»Alle sagen es, aber ich glaube nicht, dass Sir William bei Gericht erscheinen wird. Er wird sehen, ob er sich entschuldigen kann.«
»Wie wird der König eine gerechte Gerichtsverhandlung bekommen, wenn die einzigen Männer, die über ihn richten, Parlamentsleute sind?«, fragte Alys, die die Treppe herunterkam.
»Das ist der Punkt«, sagte Rob. »Er wird sie nicht bekommen.«
»Nicht?«, wiederholte Alinor.
»Er wird keine gerechte Gerichtsverhandlung bekommen«, prophezeite Rob. »Das sagt Sir William. Wenn es ihnen überhaupt gelingt, ihn vor Gericht zu bringen, wird es keine Gerechtigkeit für ihn geben.«
»Also werden die Royalisten nicht dort sein?«, fragte Alinor in Gedanken an James.
»Sie werden sich fernhalten.«