London,
Januar 1649
A
ls James die Liste der Männer las, die als Richter berufen worden waren, sah er Sir Williams Namen und ging, den Hut tief übers Gesicht gezogen, zum Golden Cross, dem Gasthof, den der Landadel aus Sussex bei seinen Londonreisen gern aufsuchte. Der Wirt, in Eile wegen der Ankunft so vieler Herren vom Land, rief: »Ja! Er ist oben im privaten Salon!«, und ging weiter, ohne sich einen Namen nennen zu lassen. James konnte die Treppe nach oben gehen und an die Tür klopfen, ohne dass ihn jemand bemerkt hätte.
»Gott segne Euch«, sagte Sir William kurz bei James’ Eintreten. »Ich habe nicht damit gerechnet, Euch hier zu sehen.« Er warf einen Blick auf die Tür. »Ihr seid Euch sicher, dass Euch niemand gefolgt ist? Dies sind schreckliche Zeiten. Jedermann ist ein Spion.«
»Ich bin mir sicher, dass ich nicht verfolgt werde. Auf dieser Reise gebe ich mich als Französischlehrer aus, und ich besuche keine unserer alten Freunde. Ich sammle nur Neuigkeiten auf der Straße. Seine Gattin und ihre Freunde – Ihr wisst, wen ich meine – möchten wissen, was vor sich geht.«
»Als ob das – verdammt noch mal – irgendwer wüsste, oder?«, fragte Sir William. »Oh, nehmt Platz, nehmt Platz, wir werden uns ein Gläschen genehmigen. Walter ist mit meinem Verwalter unterwegs und sieht sich die Stadt an. Wir sind allein.«
»Habt Ihr Robert Reekie mitgebracht?«
»Nein, den Burschen hab ich auf der Insel Sealsea bei seiner Mutter gelassen.«
»Habt Ihr sie gesehen?«
»Nein.« Sir William wunderte sich über die Frage. »Nein, warum?«
»Nichts«, versuchte James, sich herauszureden. »Ich hoffe nur, sie hat sich nicht bei mir angesteckt.«
»Ich glaube nicht. Das wäre mir zu Ohren gekommen.« Sir William öffnete die Tür und rief die Treppe hinunter nach einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern. »Nun«, sagte er, während er die Tür sorgfältig schloss, »wisst Ihr, was mit dem König geschehen wird?«
»Ich glaube, das weiß nur ein Mann: Cromwell«, erwiderte James. »Er steckt hinter der ganzen Sache. Und wenn niemand etwas unternimmt, um ihm Einhalt zu gebieten, so glaube ich, dass alles nach seiner Nase gehen wird.«
»Er ist ein gerechter Mann, dieser Cromwell. Er würde kein Unrecht walten lassen.«
»Er hält das hier für Gerechtigkeit. Und er muss die Armee zufriedenstellen, wie auch das Parlament.«
»Kann er genügend Richter zusammentrommeln, um den König schuldig zu sprechen?«
James nickte. »Das muss seine Absicht sein. Er hat über einhundert Gentlemen einberufen. Werdet Ihr Euren Dienst leisten?«
»Wie denn? Soweit die Leute wissen, habe ich die Farbe gewechselt. Ich bin jetzt ein Mann des Parlaments. Ich habe meine Strafe entrichtet und meinem Sohn versprochen, dass sein Erbe sicher ist. Ich kann nicht wieder überlaufen und mich der Seite des Königs anschließen. Ich habe zu viel zu verlieren.«
Auf ein Klopfen an der Tür hin trat der Junge aus der Schankstube mit einer Weinflasche und zwei Gläsern ein. Die Männer schwiegen, während er die Gläser und die Flasche auf den Tisch stellte und das Zimmer wieder verließ.
»Aber was, wenn sie ihn für schuldig erklären?«, fragte James leise und überprüfte, dass die Tür ganz geschlossen war.
»Welchen Verbrechens denn?«, fragte Sir William spöttisch. »Und dann was? Ihn ins Exil schicken? Ich bezweifle, dass die Franzosen ihn haben wollen, und die Schotten haben ihn das letzte Mal zurückgegeben. Ihn irgendwo einsperren? Wieder in Carisbrooke Castle? Sie haben sechs Jahre lang gegen ihn gekämpft und hatten ihn zwei Jahre unter Arrest – sie müssen alles verändern, wenn sie überhaupt etwas verändern wollen.«
»Ich weiß es nicht.« James griff nach einem Glas Wein. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Sir William hielt sein Glas in die Höhe. »Auf Seine Majestät, den König«, sagte er sehr leise, und die beiden Männer stießen mit den Gläsern an und tranken. James kam in den Sinn, dass der Toast so leise und feierlich wie bei einer Totenwache war.
»Sir, ich bin mir sicher, dass niemand außer Cromwell weiß, was geschehen wird. Aber offensichtlich plant er einen Prozess, und er muss auf eine Schuldigsprechung hoffen. Warum sonst sollte er es tun?«
»Der Prozess wird nie stattfinden«, sagte Sir William entschieden voraus. »Und ich werde nicht daran teilnehmen. Ich werde ihm noch nicht einmal beiwohnen. Ich bringe Walter nach Cambridge, damit er das Frühjahrstrimester beginnen kann. Ich werde dem Prozess nicht beiwohnen, und ich werde nicht richten. Kein guter Mann wird ihm beiwohnen und richten, also werden sie ihren Prozess nicht bekommen, denn sie werden ihre beauftragten Richter nicht bekommen. Kein Engländer kann seinen König vor Gericht stellen. Ihr tätet besser daran, mit uns nach Cambridge zu kommen und Walter dort zu unterrichten.«
»Ich muss bleiben«, sagte James leise. »Seine Gattin und ihre Freunde haben mich hergeschickt, damit ich Bericht erstatte.«
»Ihr werdet nichts zu berichten haben«, versicherte Sir William ihm. »So weit wird es nicht kommen. Aber kommt zu mir, wenn das Ganze vorüber ist. Kommt Ihr in die Propstei, bevor Ihr wieder ins Ausland fahrt?«
James zögerte, da er seiner Mutter versprochen hatte, Alinor nicht aufzusuchen. »Ich soll direkt zu meinem Seminar zurückkehren.«
»Ihr könnt von der Landestelle bei der Gezeitenmühle aus in See stechen«, versicherte Sir William ihm. »Ihr könnt von dort aus ein nach Frankreich fahrendes Küstenschiff nehmen, wenn Ihr zu Besuch kommen wollt?«
»Ja«, sagte James. Er sehnte sich danach, Alinor zu sehen. »Ja, das will ich.«
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James drängte sich in die Westminster Hall, bezahlte eine Gebühr für einen Platz auf der Tribüne, damit er über die Köpfe der Hellebardiere sehen konnte, die einen freigeräumten Platz in der Hallenmitte säumten. Die Gewölbedecke ließ den Lärm der Menschen widerhallen, die sich unter Gezänk und Gedränge auf die Stehplätze schoben. Oben, in den Galerien, setzten sich die Leute und nötigten einander nachzurücken, um Platz auf den Bänken zu schaffen. In der Mitte des geräumten Bereiches stand ein großer, mit einem Gobelingewebe verhangener Tisch mit einem Schwert und einem Amtsstab, die vor dem Präsidenten des Gerichtshofes aufgestellt waren. Hinter ihm standen Bänke voller Richter, achtundsechzig an der Zahl, die feierlich als außerordentlicher Gerichtshof tagten, auch wenn über einhundert einberufen worden waren, sich aber zu kommen geweigert hatten. Vor dem Präsidenten stand ein roter Samtstuhl mit einem Beistelltisch mit Papier, Federhalter und Tinte, umgeben von einer geschnitzten Holzbalustrade. James konnte nicht glauben, dass der König, dem ganz England gehört hatte, wie ein gemeiner Mann in diesen
Gerichtshof seiner Feinde gebracht werden würde. Obwohl Richter eingeschworen, Zeugen vorbereitet und der Gerichtssaal hergerichtet worden waren, war die Hälfte der Menschen in der Erwartung gekommen, zu sehen, wie der Prozess abgesagt wurde.
Auf einmal stieg der Lärmpegel, und dann breitete sich ehrfürchtiges Schweigen von den Richtern aus, die alle gleichzeitig, wie Spieler bei einem Maskenspiel, die Köpfe drehten und in Richtung des Eingangs blickten. Sofort verstummte das ohrenbetäubende Geplapper in der steinernen Halle, da sich jeder vorbeugte und den Hals reckte, um zum Eingangstor zu sehen. Charles, der König, stand in der gewaltigen Türöffnung, wie ein Tänzer, der vor einem großen Auftritt innehielt, ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Kragen aus erlesenstem weißen Leinen mit aufwendiger Spitzenbordüre. Er kam langsam herein, als wolle er seine Anwesenheit spürbar machen, den Hut auf dem Kopf, seinen Stock in der Hand, ging auf den Stuhl in der Einzäunung zu und blieb davor stehen. Er wartete darauf, dass ihm jemand das Gatter öffnete; er ließ den Blick durch die Halle schweifen, zu den Richtern, dem Präsidenten, den Soldaten, den Zuschauern, der Galerie und den Tribünen. Es herrschte eine lange, betretene Pause, und als sich niemand rührte, um ihm das Gatter zu öffnen, schwang er es selbst auf und setzte sich ohne Einladung auf den Samtstuhl, so ruhig und gelassen, als wäre er in seinem Bankettsaal in Whitehall. Den Hut nahm er vor dem Gericht nicht ab. Er würde ihn vor niemandem ziehen. Er behielt ihn auf, als wäre es seine Krone.
James sah auf der Stelle den Unterschied zwischen dem Mann, der so ruhig vor den starrenden Richtern saß, und dem Mann, den er angefleht hatte, aus Newport zu fliehen. Der König war gealtert. Sein dichtes dunkles Haar wies silberne Strähnen auf, sein Gesicht war rundlicher und erschöpft, von tiefen Falten gezeichnet. Er war längst nicht mehr der unbeschwerte Mann, der sich sicher war, seine Feinde überlisten zu können. Jetzt sah er wie ein Heiliger aus, der sich etwas
auf seine Verfolgung einbildete. Der König, dem das Doppelspiel mit seinem Parlament ein Vergnügen gewesen war, der damit geprahlt hatte, sie hereinzulegen, hatte seine sorglose Partie zu Ende gespielt. Jetzt genoss er die Niederlage. Die Komödie war vorbei, und er erwartete die Tragödie.
»Gott, steh uns bei«, sagte James leise, da er die Anzeichen eines Mannes gewahrte, der sich nach der krankhaften Bedeutung des Märtyrertums sehnte.
Ein beunruhigtes Rascheln erklang, als der König jäh aufstand, als wolle er wieder gehen. James und jeder um ihn herum erhob sich aus gewohntem Respekt. Wenn der König so stolz hinausgehen würde, wie er hereingekommen war, würde niemand wagen, ihn aufzuhalten, überlegte James. Der Prozess würde vorüber sein, bevor er begonnen hatte.
Doch der König wandte der Richterbank den Rücken zu und sah sich in der ganzen Halle um, sah die Leute auf den Tribünen an, die Richter, die Menschen, die für ihre Sitzplätze bezahlt hatten, darunter manche, die sich bei seinem Eintreten erhoben hatten, nun wieder standen und verlegen wirkten. Er sah sie alle an, als inspiziere er eine Ehrengarde. James zog den Kopf ein, als der melancholische Blick durch die Halle schweifte. Er vertraute nicht darauf, dass der König keinen Schrei des Wiedererkennens ausstoßen würde. Er vertraute ihm nicht im Geringsten.
Der König drehte sich wieder nach vorn und nahm abermals Platz, und jeder, der zusammen mit ihm aufgestanden war und den Hut abgenommen hatte, sank ebenfalls auf seinen Sitz zurück.
Ein Mann erhob sich, um das Wort an den Gerichtshof zu richten.
»Wer ist das?«, fragte James seinen Nachbarn, einen betuchten Londoner Kaufmann.
»John Cook«, kam die gemurmelte Antwort. »Ankläger.«
Cook erhob sich und begann, eine Liste mit Anklagepunkten
vorzulesen, dem Präsidenten und dem Tisch mit dem prunkvollen Gobelin zugewandt, den Rücken dem König zugekehrt.
»Einen Moment«, sagte der König. Er hatte seit dem Tod seines Vaters James, des vorherigen Königs, niemals hinter jemandem gesessen. Die Hofetikette verlangte, dass jeder dem König zur Verbeugung zugewandt war und rückwärtsging, sich nochmals an der Tür verbeugend. Er hatte seit dreiundzwanzig Jahren keinen Hinterkopf mehr zu Gesicht bekommen.
»Einen Moment«, sagte der König mit erhobener Stimme zu Cooks Rücken.
Doch Cook las weiter die Anklagepunkte vor, als hätte er nichts gehört, ein wenig atemlos und gehetzt, um alle durchzubekommen.
»Einen Moment«, unterbrach der König abermals und beugte sich dann nach vorn, hob seinen schwarzen Ebenholzstock und stieß den Ankläger fest in den Rücken.
»Herrgott, nein«, flüsterte James vor sich hin.
Cook holte Luft, fuhr allerdings mit den Anschuldigungen fort, und der König stieß ihn noch einmal, und noch einmal, und dann, wie die langsame Entfaltung eines Albtraums, fiel die Silberspitze am Ende des Stocks mit einem satten, dumpfen Geräusch zu Boden und rollte geräuschvoll weiter, bis sie schließlich liegen blieb. Cook schenkte dem keine Aufmerksamkeit, auch nicht den Einwürfen des Königs, doch als der Silberring zum Stillstand kam, erstarrte er, so reglos wie der Ring, als fürchte er sich davor, sich umzudrehen und zu sehen, was der König als Nächstes tun würde. Er nahm einen tiefen Atemzug, als wolle er mit der Anklageschrift fortfahren. Doch er sprach nicht.
Niemand rührte sich. James merkte, dass er sich an seinem hölzernen Sitz festklammerte, um nicht aufzustehen und den Silberring für den König aufzuheben. Die Hälfte der Zuschauer verharrte reglos, um nicht verräterischerweise aufzustehen und dem Mann zu dienen, der noch niemals etwas hatte selbst tun müssen.
Niemand schenkte dem Ankläger noch die geringste Aufmerksamkeit. Jeder blickte von der glänzenden Spitze des Stocks auf dem Boden zum König, der noch nie im Leben etwas aufgehoben hatte.
Der Silberring lag auf dem Boden neben den polierten Schuhen des Anklägers, während der Ankläger wie eine Statue danebenstand. Die Richterbank war still, der Präsident erstarrt. Niemand wusste, was zu tun war, und jeder hatte das Gefühl, als sei die Angelegenheit seltsam wichtig.
Langsam erhob sich Charles unter dem langen Schweigen von seinem Stuhl, öffnete das kleine Gatter seiner Einfriedung, kam heraus, bückte sich und hob die schwere Stockspitze auf, um sie wieder an ihren Platz an dem schönen Stock zu schrauben. Er sah vom Präsidenten zum Ankläger, als sei ihm unbegreiflich, dass sie nicht alles unterbrochen hatten, um ihm zu Diensten zu sein. Sein ganzes Leben hatte sich jemand für ihn gebückt und hatte Dinge geholt und getragen, doch hier, mit über tausend Untertanen im Raum, hatte sich niemand gerührt. Er lächelte leicht, neigte den Kopf ein wenig, als habe er etwas Wichtiges und Unliebsames erfahren, und dann kehrte er unter einer so tiefgreifenden Stille zu seinem Stuhl zurück, dass James der Gedanke kam, eben sei ein Todesurteil verhängt worden.
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James verließ die Halle, als die Anhörung für den Tag zu Ende war. Er kehrte in seinen Unterschlupf zurück und schrieb unter pochenden Kopfschmerzen seinen Bericht, übersetzte ihn in den von ihnen vereinbarten Code und brachte den Brief nach Queenhithe hinunter. Ein Schiffskapitän wartete bereits auf ihn.
»Wir laufen bei Flut aus«, warnte er.
»Fahrt nur«, sagte James. »Dies ist alles, was ich zu schicken habe. Jemand wird beim Anlegen auf Euch warten. Man wird nach den Schriftstücken von Monsieur St. Jean fragen.«
»Ich gehe einmal davon aus, dass es sich nicht um gute Nachrichten handelt«, sagte der Kapitän mit einem Blick auf James’ düsteres Gesicht.
»Gebt ihm einfach den Brief«, sagte James erschöpft und kehrte dem Fluss, den auf und ab schaukelnden Schiffen und seinem eigenen Verlangen, mit ihnen zu segeln, den Rücken zu.
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Alinors Bruder Ned befand sich in der Menge, die sich am ersten Prozesstag in die Westminster Hall drängte, doch er sah James nicht. Ebenso wenig bemerkte James, der den Kopf geneigt und den Hut tief ins Gesicht gezogen hatte, den Fährmann. Die beiden Männer hielten, ohne es zu wissen, eine gemeinsame Wache ab, beide ungläubig, dass die Gerichtsverhandlung überhaupt stattfand, beide skeptisch, dass es einen Schuldspruch geben könnte. Ned hegte Zweifel daran, dass die Richter lange genug die Nerven behalten würden, um ihren König des Verrats schuldig zu befinden. Und selbst wenn sie es täten, war er sich sicher, dass ihnen der Mut zu einem Todesurteil fehlen würde. Wie konnten Untertanen ein Todesurteil über ihren König verhängen? Sämtliche Gerichte des Landes waren von ihm ernannt worden und daran gebunden, die Gesetze des Königs aufrechtzuerhalten. Wer hatte die Befugnis, den Gesetzgeber zu verurteilen? An jenem kalten Tag im Januar sah Ned zum ersten Mal seinen König in dessen halbgöttlicher Leibhaftigkeit, wie er auf einem Samtkissen saß, mit dem hohen Hut wie eine Krone auf dem Kopf. Der Fährmann dachte verwirrt, dass ein Mann, der sich durch seine arrogante Weigerung, sein gegebenes Wort zu halten, vor Gericht brachte, es verdient hatte, dass man gegen ihn vorging. Doch gleichzeitig wurde er den Gedanken nicht los, dass ein solch edler Mann, der so erlesen gekleidet und von solch trauriger Schönheit war, tatsächlich sein musste, was zu sein er behauptete: halb Gott, und gänzlich über dem Gesetz stehend.
Samstag.
Es ist unwahrscheinlich, dass ein gewaltsamer Rettungsversuch Erfolg haben würde. Er wird vor dem Betreten von Westminster auf dem Fluss zu einem Privathaus gebracht und streng bewacht. Ich glaube, seine einzige Chance auf Freiheit besteht im Beharren der Prinzen von Europa, besonders wenn sie diesem halbherzigen, halb vollständigen Parlament mit Krieg drohen. Viele Abgeordnete sind vom Parlament ausgeschlossen worden, weniger als die Hälfte der einberufenen Richter ist anwesend, das Volk ruft nicht nach einer Verurteilung des Königs. Die Entscheidung des Gerichts ist in keinster Weise sicher, der König weigert sich, ihm Rechenschaft abzulegen, und behauptet, es verfüge über keinerlei Autorität. Meiner Meinung nach könnte der Prozess ohne Urteil vertagt werden, wenn andere Monarchen und die Verwandten des Königs es verlangen. Falls der Prozess weitergeht, besteht eine reelle Gefahr, dass er »schuldig« gesprochen wird, und obwohl ein Schuldspruch noch keine Strafe ist, wäre Seine Königliche Hoheit der Prinz von Wales gut beraten, eine Zusicherung zu verlangen, dass man nicht von einem Urteilsspruch zu einer Strafe in Form von Exil oder Gefangenschaft übergeht.
Man wird Zeugen aufrufen, die aussagen sollen, Seine Majestät habe Friedensverträge gebrochen, sein Ehrenwort nicht gehalten und das Parlament belogen; und dies kann nur noch mehr Zwist heraufbeschwören. Die Stimmung in der Halle wird immer düsterer. Der König ist verhängnisvoll schlecht beraten worden, nichts zu sagen. Da er keine Erklärung gibt oder sich verteidigt, hat es den Anschein, als habe er keine Verteidigung. Schlimmer noch, er sieht aus, als genieße er die Anschuldigungen. Doch das hält sie nicht auf. Im Moment haben wir nur einen Vorteil: dass sie sich bis Montag vertagt haben. Es bleibt Euch Zeit, Forderungen zu stellen und diesen Prozess zu beenden.
James schickte seinen verschlüsselten Beraterbrief in die Dunkelheit, in den Händen eines Schiffskapitäns, der die stürmischen, winterlichen Gewässer des Kanals überquerte. Er erhielt keine Antwort, rechnete aber auch nicht damit. Es bestand kein Grund, weshalb die Lords im Exil ihn über ihre Schritte zur Rettung des Königs unterrichten sollten. Am Sonntag ging er in die Kirche zum leeren Gottesdienst der protestantischen Kommunion und betete danach inbrünstig auf seinem eigenen Zimmer weiter. Er ging dreimal nach Queenhithe hinunter für den Fall, dass ein Schiff mit einem Brief für ihn eingetroffen war. Noch nicht einmal sein Vater hatte geschrieben.
Am Montag schrieb er abermals seinen Dienstherren in Den Haag, dass das Gericht getagt habe und der König immer noch nicht Rede und Antwort stehen wolle.
Morgen werden sie ohne die Anwesenheit Seiner Majestät tagen, um Zeugen anzuhören. Es ist unbedingt erforderlich, dass jemand ihren Aussagen widerspricht. Kann einer von Euch Lords oder Gentlemen erscheinen, um die Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen? Falls sie sagen, der König sei ein Lügner, ist es nicht von Belang, dass der Gerichtshof verfassungswidrig ist – es ist etwas, das niemals gesagt werden sollte. Wenn wir dies nicht infrage stellen, bringen wir dem englischen Volk bei, dass es alles sagen und tun kann.
Während die Tage verstrichen und James tägliche Berichte verschickte, jedoch keine Antwort erhielt, bekam er immer mehr das Gefühl, dass er, genau wie der König, vergessen worden war, und dass der König und er für immer in diesem seltsamen Leben gefangen bleiben würden, in dem jedes geäußerte Wort den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachte.
Ned, der so aufmerksam wie möglich lauschte, ganz hinten im Raum
in eine Ecke gedrängt, fand es unfassbar, dass die Richter den Mut aufbrachten, über ihren König zu richten, aber nicht, ihn zum Antworten zu zwingen. Während der bitterkalte Januar sich dem Ende zuneigte, fürchtete Ned, dass der König mit der einfachen Strategie, dass niemand das Recht habe, über ihn zu richten, jeglicher Gerechtigkeit entgehen werde. Indem er schwieg, leugnete er ihr Recht, von ihm zu sprechen, ihr Recht, ihn anzuhören, ihr Recht zu existieren.
»Es ist, als wäre keiner von uns hier«, beklagte er sich am Abend bei seiner Wirtin in dem beengten kleinen Gasthaus. »Es ist, als wäre nichts davon je geschehen. Er hört sich keine Zeugenaussagen gegen ihn an. Jetzt ist er noch nicht einmal anwesend. Sie haben ihn von seinem eigenen Prozess beurlaubt. Er macht – nun, ich weiß nicht, was er macht. Spielt Golf im St. James’s Park?«
»Für ihresgleichen sind wir nichts«, sagte sie.
»Ich bin kein Nichts«, sagte Ned. »Auf meiner Fähre, auf dem Sumpf. Dort bin ich kein Nichts.«
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Am Samstagabend des 27. Januar schrieb James seinen letzten verschlüsselten Brief und schickte ihn dem namenlosen Mann, der ihm aufgetragen hatte, Bericht zu erstatten, ihm aber nicht gesagt hatte, was er im Falle einer Katastrophe tun sollte. Nun war die Katastrophe eingetreten, und James schrieb langsam, mit dem Gefühl, dass die Zeit für Dringlichkeit vorüber war: Entweder verfügten sie über einen Ausweg, ohne sich die Mühe gemacht zu haben, ihn einzuweihen, oder sie hatten seine Warnungen gehört und nichts unternommen. So oder so waren die Höllenqualen seines Elends völlig vergeudet gewesen.
Mit Bedauern berichte ich, dass sie ihn für schuldig befunden und,
mit dem Urteil, die Todesstrafe verhängt haben. Sie haben festgehalten, sie befänden ihn zum Tyrannen, Verräter, Mörder und Staatsfeind des braven Volkes der Nation, zu Tode zu bringen durch die Abtrennung seines Hauptes vom Rumpf.
Falls Ihr Einfluss oder Erbarmen oder eine Begnadigung oder einen Fluchtplan haben solltet, wäre jetzt der rechte Zeitpunkt. Sie haben noch keinen Termin für die Hinrichtung anberaumt, aber er soll seine Kinder, Prinzessin Elizabeth und ihren kleinen Bruder Henry, am Montag sehen. Seine Hinrichtung wird folgen, es sei denn, Ihr habt sie verhindert.
James hielt inne, weil er glauben wollte, dass sein Anteil an der Sache so unwichtig gewesen war, dass die ganze Zeit über ein Verschwörer mit großem Namen, ein Mann mit einem gewaltigen Vermögen, der französische Botschafter oder der Prinz von Wales persönlich mit den Richtern oder mit Oliver Cromwell gesprochen hatte und eine Vereinbarung über die Rettung des Königs getroffen worden war. Vielleicht wurde just in diesem Moment eine Geheimtür im Whitehall-Palast zum Fluss hinunter geöffnet, ein Schiff hisste die Segel und brachte ihn fort.
Ich glaube wahrlich, dass sie beabsichtigen, ihn innerhalb von Tagen hinzurichten. Selbstverständlich flehe ich Euch an, dass Ihr ihn rettet und diesen schrecklichen Märtyrertod verhindert. Schickt mir Befehle, was ich tun kann. Gebt mir wenigstens Bescheid, dass Ihr diese Nachricht erhalten habt.