Zur Knospe

69. Tag der Erntezeit, 17. Jahr der Kuppel

Sacht strich Woulf über das unterarmlange Stück Rinderlende, das er heute Morgen auf dem Markt des Bronzerings gekauft hatte. Der Breschentaler, der ihn berechtigte, einen Ring aufzusteigen, war sein Geld wert gewesen. Zwar hatte der barsche Fleischhauer, von dem er die Lende erworben hatte, sich während ihres Geschäfts keine Mühe gegeben zu verbergen, dass er es als unter seiner Würde empfand, einen Aufsteiger aus dem tiefer gelegenen Kupferring zu bedienen, das schön durchwachsene Fleisch war die mürrische Miene des Krämers und den hohen Preis dennoch wert. Feinstes Rind, mit exakt der richtigen Menge Fett und beinahe ohne Sehnen. Breschenfleisch von außerhalb der Kuppel. Genau die Qualität, die die Gäste des Gasthauses Zur Knospe erwarteten. Schon Woulfs Vater Beroulf hatte daraus jenen legendären Bierbraten zubereitet, dessen Geschmack man ringübergreifend in ganz Grubenstedt pries. An Woulfs vierzehntem Geburtstag hatte Beroulf das streng gehütete Rezept an seinen Sohn weitergegeben.

Das ist nun beinahe dreißig Jahre her. Woulf seufzte melancholisch. Nur selten dachte er an seinen alten Herrn, den ein Schlammschlag viel zu früh aus dem Leben gerissen hatte. Bereitete er aber Rinderbraten zu, so wanderten seine Gedanken stets zu seinem Ada. Von ihm hatte er neben der Knospe auch die roten Haare und die helle Haut samt unzähliger Sommersprossen geerbt. Von seiner Mutter, die Woulf nie kennengelernt hatte, musste er hingegen das ausgeglichene Wesen in die Wiege gelegt bekommen haben. Es gab nur wenig, das ihn die Ruhe verlieren ließ – am ehesten noch ein verbrannter Braten. Wie anders war da sein Vater gewesen. Beroulf war zu seinen Lebzeiten schneller durch Nichtigkeiten in Raserei geraten, als ein Kessel voller Fett Feuer fing. »Rotgesicht« hatten ihn die Nachbarn heimlich gerufen, weil sein Blut beständig in Wallung gewesen war. Laut hatte dies aber niemand gesagt, da die Fäuste des vormaligen Wirts der Knospe noch schneller geflogen waren, als sein Blut in Wallung geriet.

Woulf verdrängte die Gedanken an die Vergangenheit und holte sein Lieblingsbrett unter dem ausladenden Tisch hervor. Das Holz sah vom vielen Schneiden aus wie ein furchenübersäter Acker. Routiniert griff er in den Zwiebelsack und ließ ein halbes Dutzend der apfelgroßen Bollen über den massiven Eichentisch purzeln. Geschickt fing er zwei von ihnen auf, bevor sie vom Tisch rollten. »Ihr könnt es wohl kaum erwarten, was? Nur Geduld, meine Freunde, ich kümmere mich gleich um euch.«

Mit geübten Griffen schälte er das farblose Gemüse und zerkleinerte es mit einer breiten Klinge zu feinen Würfeln. Woulf hatte in seinem Leben mehr Zwiebeln geschnitten, als er je würde zählen können. Zufrieden betrachtete er sein Werk und hackte einige krumm gewachsene Möhren klein. Ein orangefarbener Würfelberg gesellte sich zu dem hellen. »Fürwahr ein wunderbares Paar.« Versonnen steckte sich Woulf ein Stückchen Karotte zwischen die Zähne. Frische Süße breitete sich in seinem Mund aus. Zufrieden brummend entzündete er das Herdfeuer und wandte sich dem deckenhohen Regal voller Steinzeugkrüge zu. »Meine liebe Butter, wo versteckst du dich? Da bist du ja!« Behutsam hob er den fettverschmierten Holzdeckel des Krugs an und schnupperte. Noch nicht ranzig. Genau wie sein Vater seinerzeit hasste er Verschwendung. Die von Essen ganz besonders. »Einige Ringe tiefer müssen die Kinder hungern«, hatte ihm Beroulf eingeschärft. Dass in dieser Ansicht auch eine gehörige Portion Geiz mitschwang, gestand Woulf sich hingegen nicht so gern ein.

Ein Knacken erklang. »Ich vernehme dich, o Feuerchen. Ich weiß, dass du bereit für deinen großen Auftritt bist.« Ohne hinzusehen, griff er über sich und spürte sogleich den eisernen Stiel seiner großen Dreifußpfanne. Er war gerade im Begriff, sie schwungvoll auf die Feuerstelle zu bugsieren, da schoss ein stechender Schmerz durch seine linke Hand. Scheppernd fiel sein wichtigstes Kochutensil zu Boden.

»Donnerlittchen«, entwich ihm einer der derbsten Flüche, zu denen er sich hinreißen ließ. Beschämt schlug er die rechte Hand vor den Mund. Fluchen war seine Sache nicht. Woulf war der Meinung, dass sein Vater so viel gewettert hatte, dass es für mindestens zwei Generationen ausreichte. Deswegen hatte er bereits als Kind beschlossen, diese Angewohnheit nicht anzunehmen. Er sah einfach keinen Sinn darin, beständig unflätige Ausdrücke zu verwenden. Weder verbesserte das irgendetwas an einer misslichen Situation, noch ging es einem anschließend besser. Im Gegenteil: Schlechte Sprache lockte schlechte Menschen an. Und genau die wollte Woulf in seiner Knospe nicht haben.

Schwerfällig hob er die Bratpfanne vom Boden und befreite sie pustend von unsichtbarem Dreck. Seine Küche war mindestens so reinlich wie sein Wortschatz. Woulf ließ das eiserne Kochgerät auf die Feuerstelle des Herds fallen. Unwillkürlich streifte sein Blick die beiden gräulichen, mit schuppiger Haut bedeckten Finger seiner linken Hand.

»Verflixt noch eins!«, entfuhr ihm der zweite Fluch an diesem Tag. Etwas, das ihm nie passierte. Aber er hatte allen Grund dazu: Ein weiterer Finger begann, sich am Grundgelenk grau zu verfärben.

Woulf seufzte. Inzwischen hatte er bestimmt ein halbes Dutzend Heiler auf den unterschiedlichsten Ringen aufgesucht, doch keiner von ihnen wusste Rat. Es blieb ihm eigentlich nur noch eine Möglichkeit: Er musste die wertvollste Ressource nutzen, über die Grubenstedt verfügte – die Unheilung. Die magische Art der Heilung, die durch die Energie der Kuppel um ein Vielfaches verstärkt wurde, war verboten, weil sie sich wie ein Schmarotzer von dem schützenden Dom nährte und diesen zum Flackern brachte. Etwas, worauf die vielen Feinde der reichen Stadt nur warteten, die dank der magischen Schutzglocke als uneinnehmbar galt. Solange die mystische Kuppel intakt war, kam keinerlei Metall hindurch, also auch keine Schwerter, Äxte oder andere Waffen. Lebewesen konnten die wabernde Kuppel zwar durchschreiten, doch dabei bewegten sie sich ganz langsam, als müssten sie durch eine Mauer aus zähem Schlamm waten. Nur über die Bresche war es möglich, Eisen und Roherz einzuführen. Wurde der Schild aber gestört, so konnte der marodierende Blutsturm oder jeder andere Heerhaufen bis auf die Zähne bewaffnet nach Grubenstedt eindringen.

Für die Reichen aus den oberen Ringen gab es Mittel und Wege, sich ihrer größeren und kleineren Wehwehchen zu entledigen, indem sie eine der wenigen offiziellen Unheilungslizenzen erwarben. Für Woulf eine aussichtslose Möglichkeit. Selbst wenn er sein gesamtes Gasthaus und sämtliche andere Habe verkauft hätte, wäre dabei nicht mal ein Bruchteil jener Summe zusammengekommen, die der Bürgermeister und der Rat der Stadt dafür verlangten. Nein, er musste einen anderen Weg gehen. »Es gibt auch inoffizielle Unheiler«, murmelte er vor sich hin. Verwegene Burschen, die sprichwörtlich am untersten Rand der Gesellschaft lebten. Vielleicht muss ich doch einmal hinabsteigen. Nur äußerst ungern begab sich Woulf einen oder gar zwei Ringe tiefer. Er traute all den zwielichtigen Gestalten, die sich im Staub- und Schlammring tummelten, nicht. Graue Aschlinge und schlammbedeckte Mineure säumten dort die Straßen – als Schlammkriecher hatte Beroulf sie bezeichnet. In jenen beiden unteren Ringen wurde so viel geflucht, dass man hätte glauben können, die dortigen Bewohner sprächen eine andere Sprache. Daher hielt sich Woulf lieber an die zivilisierteren Viertel weiter oben, obwohl er sein Lebtag nicht über den Facettring, der hauptsächlich von den reichsten Kaufleuten und Magiern der Stadt bevölkert wurde, hinausgekommen war. Dennoch empfing die Knospe sowohl Obrige als auch Untrige stets mit der gleichen Gastlichkeit.

Von der Pfanne stieg dunkler Rauch auf. »Jetzt aber schnell hinein mit dir, liebe Butter, deine Bühne ist bereitet.« Zischend verflüssigte sich das Speisefett. »Nun ist es auch Zeit für dich, mein schöner Hauptdarsteller.« Er tätschelte das Fleisch. Mit Gefühl ließ er den Rinderbraten in die Bratpfanne gleiten. Hitze, Butter und Fleisch feierten lautstark ihre Vereinigung. »Hört nur, ihr bekommt Szenenapplaus«, kommentierte Woulf. »Vergiss darüber nur nicht deinen Einsatz.« Er wendete den Braten, bevor dieser zu dunkel wurde. Nachdem das Rind an allen Seiten knusprig braun glänzte, durften ihm auch die Nebendarsteller – Zwiebeln und Möhren – Gesellschaft leisten. »Lauch und Sellerie sind das Geheimnis dieses erfolgreichen Stücks, darin sind sich die Kritiker einig.« Woulf bestreute das Ganze großzügig mit Mehl, gab einen Löffel Honig hinzu sowie einige Kräuter.

Sein Werk stand nun kurz vor der Vollendung. »Ruhe bitte!«, rief er in die leere Küche. »Jetzt kommt der Auftritt der Musiker.« Mit gebotener Achtsamkeit ließ er Bier in die Pfanne laufen. Schnell verfärbte sich der Hopfensaft dunkelbraun und schlug dicke Blasen. Woulf bedeckte den Brattiegel mit einem Deckel und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Einem imaginären Publikum zugewandt, vollführte er mit der Hand eine beschwichtigende Geste. »Nein, nein, für Applaus ist es noch zu früh. Wir führen hier ein Epos auf und kein kurzes Lustspiel.« Erst am frühen Nachmittag würde das Fleisch derart mürbe sein, dass Woulf es seinen Gästen kredenzen konnte. Dennoch war seine Arbeit hier fürs Erste getan. Er legte die Schürze ab, faltete sie zusammen und wandte sich dem Schankraum zu.

Nachdem er diesen durchgefegt und alle sechs Tische abgewischt hatte, begann er, den Tresen aus dunkler Mooreiche zu polieren. »Die Bühne muss stets präpariert sein, um die ehrenwerten Zuschauer in andere Welten entführen zu können.« Er betrachtete sein Spiegelbild in dem glänzenden Holz. Schmale Schultern, ein kantiger Schädel. Seine hagere, hochgeschossene Silhouette grinste ihn an. Leider nicht jenes heldenhafte Aussehen, das von einem Mimen gemeinhin erwartet wurde. Woulf war das egal. »Ich habe jeden Abend meinen Auftritt«, beschied er trotzig. Beiläufig schob er sich eine rote Haarsträhne aus der Stirn und wischte weiter. Er genoss die vormittägliche Ruhe in seiner Schenke. Ohne Gäste war sie ein stiller Hort des Friedens. Sein Zuhause, unter dessen Dach er lebte und arbeitete. Doch kaum öffnete er am Mittag die Türen, strömte die Welt in all ihrer Unterschiedlichkeit geräuschvoll herein. Das Gasthaus selbst wurde zur Bühne, entlockte es seinen Gästen doch stets Geschichten, neuesten Tratsch und Gerüchte, die Woulf gedanklich weit weg vom Kupferring brachten: manchmal hoch hinauf in den Palastring, meist tief hinab in den Schlamm. Ab und zu hörte er sogar Erzählungen von außerhalb der Kuppel. Mit wohligem Schaudern lauschte er aufmerksam den Beschreibungen, ohne dass sie ihn locken würden, den Kupferring oder gar die Knospe dauerhaft zu verlassen. Der wöchentliche Aufstieg zum Markt des Bronzerings war ihm Erlebnis genug.

»Genug gewienert.« Er warf den Lappen beiseite. Die Schenke war bereit für ihre Gäste. In froher Erwartung trat er hinter seinem Tresen hervor und hielt auf die Eingangstür zu. Behände hob er den dicken Eichenriegel aus den Angeln und öffnete sie.

Mit einer langen Stange klappte er ein über der Tür hängendes Kupferschild aus. Es zeigte eine stilisierte Kirschknospe. »Aufwachen!«, befahl er ihm. »Es wird Zeit, dass du deiner Arbeit nachkommst und die Gäste hereinrufst.« Warum sich sein Vater für dieses Hauswappen und den Namen Zur Knospe entschieden hatte, begriff Woulf beim besten Willen nicht. Niemals wurden den Gästen hier Kirschen gereicht. Bier, Bierbraten und Bierbrand standen seit Ewigkeiten auf dem Speiseplan des Wirtshauses; von Woulf nur durch geröstete Weizenkörner mit Honig erweitert – auch ein altehrwürdiges Schauspielhaus musste sich ab und an dem Zeitgeist anpassen.

Kurz blieb sein Blick am Schnarcher hängen. Das Tretrad und sein niemals endender gurgelnder Gesang begleiteten ihn, seit er denken konnte. Leider auch die sich direkt daran anschließende Bresche. Dem Aufstieg in die oberen Ringe hatte die Knospe zwar die meisten ihrer Gäste zu verdanken, gleichzeitig spülte er – zu Woulfs Verdruss – auch reichlich Volk aus den unteren Ebenen hoch in den Kupferring. Menschen, mit denen er ganz und gar nichts zu tun haben wollte. »Genug geträumt, Woulf.«

Als er zurück an seinem Platz war, tätschelte er den ausladenden Bauch der Heiligenfigur des Spenders, der in einem Regal hinter dem Tresen thronte. Der Gott der Händler, Gastleute und Bauern wachte mit einem beständigen Grinsen über die Knospe. »Auf gute Geschäfte und ein illustres Publikum«, raunte er dem Gott zu.

Der Tag brachte Regen und nur wenige Gäste. Heute verteilte der Spender die Gaben seines Füllhorns wohl auf den anderen Ringen. Nur zwei Tische waren besetzt. An dem vor der Küchentür saß eine Gruppe breitschultriger Fassträger, die regelmäßig in die Knospe kamen und deren Gespräche sich hauptsächlich um Muskeln, Gewichte und Fassdicken drehten – und damit an Ödnis kaum zu überbieten waren. Auch der andere Tisch trug nicht zu Woulfs Unterhaltung bei. Dort saß sein grauhaariger Nachbar Pitter, der jeden Tag kam. Wie üblich starrte der gebeugte Mann apathisch in seinen Bierkrug. Pitter bestellte, seit Woulf ihn kannte, stets nur mit Handzeichen. Da das Angebot der Knospe überschaubar war, waren diese leicht zu deuten: Daumen und Zeigefinger einen Spaltbreit geöffnet: Bierbrand. Beide Finger deutlich weiter voneinander entfernt: Bier und ein Schälchen gerösteter Getreidekörner. Hob er die ganze Hand, dann hatte er Hunger. Woulf ertrug die Langeweile mit einem stoischen Lächeln und verlegte sich wieder aufs Polieren. Gerade als er sich einem besonders hartnäckigen Fleck widmen wollte, schwang unter Geklingel die Tür auf.

Drei stämmige Männer mit schlammverschmierten Stiefeln und dunklen Umhängen traten ein. Noch bevor sie einen der freien Tische auswählten, bestellte der größte von ihnen bereits: »Drei Bier und von Eurem Braten, Wirt!«

»Gern. Sucht Euch einen Platz aus, meine Herren.« Er machte eine ausladende Geste hinein in den Schankraum.

Der schwarzhaarige Fremde gab mit einem kurzen Nicken zu erkennen, dass er verstanden hatte. Er und seine Begleiter wählten den Tisch unter den Fenstern. Der Platz bot viel Licht, allerdings zog es dort auch ein wenig. Den Neuankömmlingen schien beides egal zu sein. Kaum dass sie saßen, steckten sie die Köpfe zusammen und stürzten sich in ein Gespräch.

Woulf grinste. Hatte der Spender heute also doch noch an ihn gedacht. Die neuen Gäste sahen vielversprechend aus. Muskulöse Kerle im besten Alter. Vielleicht waren es Raubgräber, die illegal im Bruch schürften und magische Artefakte suchten. Oder gar Handelsreisende von außerhalb der Kuppel. Was auch immer sie nach Grubenstedt und in die Knospe gebracht haben mochte, Woulf war davon überzeugt, dass sie jede Menge spannende Geschichten erlebt hatten – und im besten Falle sprachen sie heute in seinem Gasthaus darüber. Als er sich umdrehte, um drei hölzerne Bierkrüge aus dem Regal zu nehmen, drangen bereits Worte an sein Ohr, die seine Hoffnung bestätigten.

»…und wenn ich es euch doch sage! Sie haben schon wieder einen gefunden.« Es war die Stimme desjenigen, der bestellt hatte. Der Schwarzhaarige. Er flüsterte, aber Woulfs gute Ohren verstanden jedes Wort. »Auch den armen Kerl hätte man fast nicht entdeckt. Seine Leiche lag schon komplett unter Schlamm begraben. Ihr wisst ja, welche Massen bei Regen durch die Bresche hinunter in die Grube gespült werden. Bei dem Wetter von gestern Nacht gleicht es einem Wunder, dass sie ihn überhaupt aufgestöbert haben.«

»Wer sind denn sie ?«, fragte einer der anderen Gäste des interessanten Tisches. Er war ein wenig kleiner als sein Vorredner und nannte eine Vollglatze sein Eigen, deren Glanz Woulfs Tresen Konkurrenz machte.

Woulf hatte inzwischen die Krüge mit einer Kelle aus dem Fass unter dem Tresen befüllt. Dienstbeflissen balancierte er sie zu seinen neuen Gästen hinüber. Noch hatten sie ihn nicht bemerkt.

»Natürlich die Schildwache«, erklärte der Schwarzhaarige mit so ächzendem Unterton, als würde diese Antwort auf der Hand liegen.

»Diese Idioten finden doch sonst kaum ihre eigenen Eier«, mischte sich nun auch der dritte Neuankömmling in das Gespräch ein. Er trug einen beeindruckenden blonden Vollbart und hatte so breite Schultern, dass sein Umhang auch als Segel getaugt hätte.

»Es waren nicht allein die schlammbraunen Einfaltspinsel vom untersten Ring, die den Körper herausgehebelt haben«, sagte der Schwarzhaarige. »Ich habe gehört, dass sie mit Adligen zusammengearbeitet haben, die den Leichnam sogar in die Hauptwache auf dem Bronzering schleppen ließen.«

»Wie bitte? Ein einfacher Schlammkriecher wird in der Gelben Burg untersucht? Wie kommt der denn zu dieser Ehre?«, fragte der Glatzkopf ungläubig.

Woulf hatte den Tisch erreicht. Schwungvoll knallte er die Biere aufs Holz. Ein alter Trick, den er von seinem Vater gelernt hatten. Dadurch schäumten sie schön, und man konnte nicht erkennen, wie voll sie waren. »Prost, die Herren! Geröstete Getreidekörner dazu? Oder verderben die nur den Appetit? Das Essen kommt sofort.«

»Danke«, nuschelten die Männer abwesend. »Nur das Essen.« Sie würdigten den Gastwirt keines Blickes.

Das störte Woulf nicht im mindesten. Er war es so gewohnt. Außerdem lockerte der Eindruck, unter sich zu sein, den Gästen die Zunge. Ein Toter im Schlammring, der zur Untersuchung in den Bronzering gebracht wurde, war das Geheimnisvollste, was Woulf seit langer Zeit gehört hatte . Was macht das Opfer so besonders?, grübelte er. Vielleicht war es ein Spion? Oder ein wahnsinnig gewordener Magier aus einem der Adelshäuser? Steckt gar eine tragische Liebesgeschichte dahinter? Hoffentlich das! Woulf liebte tragische Liebesgeschichten. Vor Aufregung und Vorfreude kribbelte es ihm am ganzen Körper. Er war begierig darauf zu erfahren, wie es weiterging. Ich muss mich beeilen, um nicht allzu viel zu verpassen. Hastig verschwand er im warmen Küchenraum. Mit dem riesigen Fleischmesser, das der ganze Stolz seines Vaters gewesen war, säbelte er drei dicke Scheiben Braten ab. Kunstfertig drapierte er sie auf je einem Holzteller und ließ reichlich braune Soße darüberlaufen. Dazu gab es große Brotstücke. Das Brot war bereits ein wenig hart, aber in die Soße getaucht würde es schon gehen. Alles andere wäre Verschwendung. Die Knospe war schließlich keiner dieser Edelschuppen auf dem Palastring, wo die Adligen und ihre Lakaien Exotisches aus allen fünf Reichen verspeisten.

Kaum dass er mit dem vollen Essenstablett wieder in den Schankraum getreten war, winkte ihn die Gruppe der Fassträger zu sich. »Wir wollen zahlen!«

»Ich komme gleich.« Ausgerechnet jetzt. Die machen beim Gehen mehr Krach als ein schlecht gefettetes Tretrad. Ich werde den besten Teil der Geschichte verpassen. Flink trug er das Essen an den Tisch der drei Fremden. »Guten Hunger, die Herren. Esst, solange es noch heiß ist«, beschied er knapp, um sich zügig um die Muskelmänner kümmern zu können.

Es stellte sich als schöner Zufall heraus, dass der lautstarke Aufbruch der Fassträger mit dem Essen am Tisch der Neuankömmlinge zusammenfiel, denn die drei Unbekannten stürzten sich wie hungrige Wölfe auf ihre Mahlzeit. Zum Reden waren ihre Münder zu voll.

Als Woulf bereits den verwaisten Tisch der Fassträger abgeräumt und gereinigt hatte, wurde die gefräßige Stille durchbrochen.

»Drei weitere Bier, Gastschenk«, forderte der Schwarzhaarige mit vollem Mund. »Jetzt nehmen wir auch die gebrannten Körner dazu.«

»Kommt sofort«, versicherte Woulf und verschwand hinter dem Tresen. Seinem aufmerksamen Blick war nicht entgangen, dass die Teller seiner drei Gäste restlos leer waren. Zeit, eure Geschichte weiterzuerzählen.

Und tatsächlich taten sie ihm den Gefallen.

»Es war kein normaler Toter, so wie man ihn immer wieder in der Grube findet«, fuhr der Schwarzhaarige fort.

Seine Kameraden beugten sich ein wenig vor, um ihn besser verstehen zu können.

Woulf tat es ihnen hinter seinem Tresen unbewusst gleich.

»Ich habe gehört, dass man ihm Pflanzen in sämtliche Körperöffnungen gestopft hat.«

Woulf wurde bei dieser Vorstellung ein wenig übel. Wer macht denn so was?

»Das ist doch Blödsinn«, gab der Vollbärtige zurück. »Warum sollte jemand so etwas Abartiges tun?«

»Willst du behaupten, dass ich lüge?«, entgegnete der Schwarzhaarige bedrohlich.

Sein Gegenüber hob beschwichtigend die Hände. »Nein. Natürlich nicht.«

»Pflanzen in den Körper gestopft, sagst du? Was ist da passiert?«, sinnierte der Glatzkopf, der die Spannungen zwischen seinen beiden Begleitern ignorierte.

Der Schwarzhaarige schien seinen Groll sofort vergessen zu haben. »Tja, das herauszufinden, scheint sich die Schildwache vorgenommen zu haben. Deswegen werden sie den Toten hoch zum Bronzering geschleppt haben.«

»Vielleicht fürchten sie einen neuen Gildenkrieg.« Der Vollbart trank einen langen Zug von seinem Bier. »Kann ja sein, dass die Diebesgilden ihre Opfer neuerdings mit Blumen im Mund bestrafen.« Er schenkte der Runde ein schiefes Grinsen.

»Oder es ist ein neuer Kult, der seine Opfer mit Pflanzen garniert, um damit irgendeinem blutrünstigen Gott zu huldigen.« Der Glatzkopf stülpte seinen leeren Bierkrug laut vernehmbar um. »Das würde dem Alten Mann mit der blutigen Axt sicher nicht gefallen.« Er lachte rau.

Woulf schauderte wohlig bei dieser Geschichte. Das wurde ja immer besser! Der Spender meinte es heute wirklich gut mit ihm. Er würde dem spendablen Gott zu Ehren später eine besonders dicke Scheibe Braten verbrennen.

»Was es auch sein mag, für mich steht fest, dass es sich um etwas anderes als die üblichen Gildenmorde und Schlägereien unter Besoffenen handelt, die dem Schlamm sonst die ein oder andere Leiche bescheren. Irgendetwas Beängstigendes ist da unten im Gange«, unkte der Schwarzhaarige und trat vernehmlich mit seinen schlammverkrusteten Stiefeln auf den Boden. Ein unschöner Haufen Dreck platzte dabei ab. Woulf würde viel sauber zu machen haben. »Es ist überfällig, dass sich die Obrigkeit darum kümmert.«

»Wenn sie sich in deine Geschäfte einmischen, bist du anderer Meinung«, erwiderte der Glatzkopf provozierend.

»Hältst du wohl dein Maul!«, fuhr ihn der Schwarzhaarige an. Er schien so etwas wie der Anführer der drei zu sein. »Wir sind hier nicht allein.«

Das war Woulfs Stichwort. Bevor der Blick des Mannes ihn streifen konnte, beugte er sich unter den Tresen und machte sich daran, die nächste Runde Bier abzufüllen. Kaum dass er wieder aufgetaucht war, buhlte Pitter um seine Aufmerksamkeit.

Die Hand seines Nachbarn hob sich für einen Moment. Daumen und Zeigefinger öffneten sich kaum merklich.

Woulf griff unter den Tresen und holte die Tonflasche mit dem Schnaps hervor.

Das entging seinen neuen Gästen nicht.

»Welch geheime Köstlichkeit versteckst du denn da vor uns, Wirt?«, fragte der Schwarzhaarige.

»Bierbrand, Herr«, antwortete Woulf mit der gebotenen Unterwürfigkeit, die man von einem bezahlten Gastgeber erwartete.

»Warum sagst du das nicht gleich? Ich und meine Freunde nehmen eine Runde. Wir haben viel zu besprechen, und das macht durstig.«

Woulf zwang sich zu einem lahmen Lächeln. Diesen däm lichen Spruch hörte jeder Gastwirt mindestens ein Dutzend Mal pro Tag. Er griff sich vier kleine Holzbecher und füllte sie.

Während Pitter seinen Schnaps nur wortlos anstarrte, schütteten die Fremden den Brand sofort in sich hinein.

»Ahh, mehr davon!«, forderte der Vollbärtige.

Woulf tat, wie ihm geheißen.

»Na, na, schenk nur nicht so sparsam ein!« Die schwielige Hand des Anführers legte sich auf den Flaschenhals. Prompt lief der Becher über, und der Schnaps ergoss sich auf den Tisch.

Woulf ärgerte sich. Seine Miene blieb dennoch eine Fassade der diensteifrigen Freundlichkeit.

»Am besten, du lässt die Flasche gleich ganz hier«, forderte der Glatzkopf.

Woulf zog skeptisch eine Augenbraue nach oben.

»Glaubst du etwa, dass wir nicht bezahlen können?« Sein bärtiger Kumpan klopfte sich auf das Wams. »Wir haben im Bruch schon vor langer Zeit unser Glück gemacht. Mach dir um die Zeche mal keine Sorgen.«

Wäre er nicht so begierig gewesen, mehr von dem Gespräch zu belauschen, hätte Woulf sich auf diesen Handel vermutlich nicht eingelassen, so aber nickte er, ließ den Bierbrand stehen und verschwand wieder hinter seinem Tresen.

Die Männer feierten die eroberte Flasche, indem sie sich eine weitere Runde genehmigten. Erneut ging dabei reichlich daneben. Woulf bedauerte die Verschwendung, obwohl er sich sicher war, dass der Schnaps den Hunger der Kinder auf den unteren Ringen auch nicht stillen würde.

Einem lautlosen Schatten gleich stand Pitter plötzlich vor ihm. Wortlos legte er einige Kupferpfennige auf den Tresen.

Woulf machte sich nicht die Mühe, sie zu zählen. Pitter beglich seine Rechnung immer korrekt. »Dann bis morgen«, verabschiedete er seinen Stammgast.

Der nickte wortlos und verschwand im Dauerregen des sich dem Ende zuneigenden Tages.

Dunkelheit stahl sich in die Knospe wie ein Dieb in die Nacht. Woulf ging in die Küche und entfachte am Herdfeuer einen Span, um die Öllampen auf den Tischen zu entzünden. Vielleicht verirrten sich heute doch noch ein paar weitere Gäste in die Knospe. Man musste als Wirt stets auf alles vorbereitet sein. Als er am Tisch der Fremden ankam, war deren Gespräch zu einem Disput über die Qualität diverser Hurenhäuser abgedriftet.

»Was kann ich den Herren noch Gutes tun?«, fragte er und stellte vorsichtig das brennende Licht auf die schnapsfeuchte Tischplatte.

Sie blickten ihn aus glasigen Augen an. Die Flasche mit dem Bierbrand lag geleert auf der Seite. Auch die kleine Schale mit den gerösteten Getreidekörnern war umgekippt und ihr Inhalt über Tisch und Boden verteilt.

»Da du keine Titten hast, leider nicht viel«, versuchte sich der Bärtige an einem geschmacklosen Scherz.

Das darauffolgende Gelächter verwandelte sich beim Glatzkopf in einen Schluckauf.

»Ich muss pissen«, rief der Schwarzhaarige und griff sich in den Schritt. »Wo ist dein Abort?«

»Der städtische befindet sich …«, begann Woulf, doch der Fremde unterbrach ihn.

»Wo das öffentliche Scheißhaus ist, weiß ich nur zu genau. Ich habe aber keine Lust, in den Regen rauszugehen. Du hast in deiner Kaschemme doch sicher ein ruhiges Plätzchen, wo du deine wirklich wichtigen Geschäfte erledigst.« Er zwinkerte seinen Kameraden zu, woraufhin die wieder zu lachen begannen.

Einen Augenblick überlegte Woulf, darauf zu bestehen, dass der Mann zu den öffentlichen Latrinen ging, entschied aber, sich nicht mit den betrunkenen Kerlen zu streiten. »Durch die Küche und dann die hintere Tür links.«

»Oho!« Der Fremde pfiff höhnisch durch die Zähne. »Das hier ist ja ein richtiges Anwesen.« Er deutete eine linkische Verbeugung an. »Dann werde ich mich jetzt zurückziehen, um mich zu erleichtern, Majestät.«

Wieder erklang dümmliches Gekicher.

Ein runtergeschlucktes Vermaledeiter Bursche auf den Lippen, blickte Woulf dem wankenden Mann hinterher. Er wandte sich dessen Begleitern zu, die er inzwischen nicht mehr interessant fand, sondern nur noch lästig. Es war an der Zeit, dass sie verschwanden. »Ich werde gleich schließen. Wollt Ihr eine letzte Runde?«

Die beiden sahen sich grinsend an. »Vielleicht noch ’ne Flasche von dem Brand?«

Dann werde ich die vor dem Morgengrauen niemals los. Bevor sich Woulf eine Ausrede einfallen lassen konnte, warum er ihnen das Gewünschte nicht servieren würde, unterbrach ein aufgeregter Ausruf seine Überlegungen.

»Bei den Gehäuteten des Blutsturms, was ist das?«, scholl die Stimme des Schwarzhaarigen durch die geöffnete Küchentür.

Seine Freunde lachten gehässig.

»›So, wie man es in sich reinschaufelt, kommt es heraus‹, hat mein alter Oheim immer gesagt«, zog der Glatzkopf den Abortgänger auf.

Woulf reichte es jetzt. »Wärt Ihr so gütig, wieder in den Schankraum zu kommen, wenn Ihr fertig seid?«, rief er durch die Tür. Es war dumm gewesen, den Mann in seine privaten Räumlichkeiten einzulassen. Erst recht in Anbetracht dessen, was er dort verbarg. »Ich möchte für heute schließen.«

Der Fremde ignorierte seine Bitte. »Ich bin nicht mehr auf dem Donnerbalken. Kommt her, das müsst ihr euch ansehen!«

Unruhe breitete sich in Woulf aus. »Ich muss doch sehr bitten!«, insistierte er. »Es war ein großzügiger Gefallen meinerseits, Euch Euren Gang hier zu erlauben, bitte dankt es mir nicht damit, dass Ihr in meinen persönlichen Dingen herumschnüffelt.«

»Nun hab dich nicht so, Wirtlein.« Wie ein Mann standen die beiden verbliebenen Gäste auf und torkelten in Richtung Küche.

»Meine Herren, ich bitte Euch inständig hierzubleiben!«

Es war zwecklos. Einen Augenblick später waren sie aus seinem Sichtfeld verschwunden. Notgedrungen folgte er ihnen. Was er dann sah, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen.

Der dunkelhaarige Anführer hockte am Boden und betrachtete entrückt die Wand. »Ich habe nur etwas gesucht, um mir den Hintern abzuwischen, und dabei diesen Vorhang zur Seite geschoben. Nie hätte ich erwartet, das dahinter zu finden.«

»Was ist das?«, fragte der Glatzkopf ungläubig. Vorsichtig streckte er die Hand nach der Entdeckung aus.

»Das würde ich lassen!«, warnte Woulf ihn.

»Warum?« Er zog die Finger zurück, als hätte er sich verbrannt. »Was versteckst du da?«

»Das geht Euch nichts an! Zahlt Eure Zeche und verschwindet. Ihr habt meine Gastfreundschaft lang genug strapaziert.«

Die Männer blickten sich kurz an. »Nicht bevor du uns verrätst, was sich hinter diesem merkwürdigen grauen Türchen verbirgt.« Der Schwarzhaarige zeigte auf die zahlreichen Riegel und Schlösser, die an der hüfthohen Tür angebracht waren. »Hältst du dir da drinnen etwa eine kleinwüchsige Aschlingsfrau?« Das Lächeln des Fremden hatte einen verzückten Ausdruck angenommen.

Er spürt es bereits. Die drei mussten augenblicklich verschwinden. »Was sich hinter der Tür befindet, geht Euch nichts an. Macht, dass Ihr fortkommt! Sofort!« Woulfs Stimme hatte einen harten Ton angenommen, den er so nicht von sich kannte. Er war entschlossen, das Geheimnis der Tür zu bewahren.

»Und was machst du, wenn wir das nicht tun, sondern uns entschließen, deine Winzlingstür aufzubrechen?«, fragte der Anführer lauernd und ließ seine Fäuste knacken.

Ohne darüber nachzudenken, griff Woulf nach dem Messer, mit dem er für gewöhnlich den Braten schnitt.

Die Augen der Männer wurden tellergroß.

Ihnen wird wohl gerade bewusst, dass Fleisch gleich Fleisch ist. Egal, ob es vom Rind oder von Hornochsen stammt.

»Nun mal langsam«, mischte sich der Glatzkopf ein. »So muss das hier nicht enden!«

»Wird es aber, wenn Ihr nicht sofort geht. Betrachtet Euch als eingeladen! Mein Lohn ist Euer Verschwinden.« Woulfs Stimme klang schärfer als das Messer.

Offensichtlich überrascht über die Entschlossenheit des Wirts grinsten sich die Männer verunsichert an.

»Also gut.« Der Schwarzhaarige gab sich großzügig. »Kommt, Jungs, wir gehen. Das Drecksloch ist unsere Anwesenheit nicht länger wert.«

Das Messer lauernd erhoben, folgte Woulf ihnen, bis sie draußen im Regen standen.

Der Anführer drehte sich noch einmal zu ihm um. »Übrigens, ich habe auf dem Abort für dich eine kleine Erinnerung an unseren Besuch hinterlassen.« Mit einem dröhnenden Lachen wandte er sich ab.

Eilig legte Woulf den Riegel vor. Mit einem schweren Seufzen und pochendem Herzen lehnte er sich gegen die Tür. Der Abend war ganz und gar nicht so verlaufen, wie er sich das ausgemalt hatte. Er hörte gern Geschichten über Gewalttätigkeiten und düstere Gestalten, wollte aber niemals Teil davon sein. Er sah ungläubig auf das Messer in seiner Hand. Zitternd legte er es auf den Tresen und warf der Statue des Spenders einen grimmigen Blick zu. Für dich werde ich nichts von meinem Braten verschwenden.

Mit langen Schritten lief er zurück in die Küche und besah sich die Sauerei auf dem Abort. »Sapperlot!«, entfuhr es ihm, bevor er sich auf die Lippen beißen konnte. Drei Flüche an einem Tag, sein Vater wäre stolz auf ihn. »Das kann aber nicht von meinem Braten gekommen sein.«

Er band sich ein Tuch vor Mund und Nase, holte einen Eimer samt Lappen und machte sich an die unaufschiebbare Arbeit. Wartete er noch länger, würde er einige der Hinterlassenschaften nur noch mit einem Spachtel von Wand und Boden bekommen. Was gab es doch für menschliche Schweine – in Charakter und Verhalten.

Er hatte bereits zweimal das Wasser gewechselt, doch das Gröbste lag noch vor ihm, als er in etwas Festes fasste. Woulf begann schon zu würgen, da begriff er, dass es nicht das war, was er erwartet hatte. Seine Finger umschlossen den Gegenstand und führten ihn näher an die kleine Öllampe heran. Jetzt war es an ihm, durch die Zähne zu pfeifen. In seiner Hand lag ein prall gefüllter Geldbeutel. Er schüttete dessen Inhalt aus. »Ich glaube es nicht.« Die Geldstücke waren mehr wert als die Einkünfte eines ganzen Mondumlaufs. Silberpfennige und sogar ein Goldpfennig. Dass die Kerle im Grunde die Zeche geprellt hatten, war damit mehr als ausgeglichen. Ebenso die furchtbare Sauerei, die ihr Anführer im Abtritt angerichtet hatte.

Woulf betrachtete das Edelmetall ungläubig. Seine grauen Finger schimmerten zwischen den Münzen hindurch und trübten seine Freude. Vorsichtig ließ er das Geld zurück in den Beutel gleiten und verschnürte ihn. Er trat aus dem Abort und ging in die Knie. Zärtlich, einem Verliebten nicht unähnlich, strich er über die graue Tür. Ihre zahlreichen Schlösser begannen daraufhin zu vibrieren. »Ich weiß, dass ich das dir zu verdanken habe.« Er hielt inne und betrachtete seine versehrten Finger. »Und ich weiß auch, was ich mit dem Geld anfange.« Woulf musste schlucken, bevor er es aussprach. »Ich werde in den Staubring hinabsteigen und mir einen Unheiler bei den Aschlingen suchen.«