70. Tag der Erntezeit, 17. Jahr der Kuppel
Jetzt war alles aus! Dieser trottelige Wirt hatte die Schildwache direkt vor Ramis Tür geführt. Jeder noch so ausgeklügelte Fluchtplan half eben nichts, wenn man mit Stümpern zusammenarbeitete.
»Wen haben wir denn hier? Einen Aschling, der gegen die heiligsten Riten seines Volkes verstößt?« Der blonde Mann trat über die Schwelle und sah sich im Raum um. Hinter ihm folgten zwei finstere Schergen mit bunt zusammengewürfelten Rüstungen unter den braunen Umhängen. Treffsicher flogen die Blicke ihres Anführers von dem viel zu großen Berg Kohlen neben dem Herd zu den Tiegeln voller Felsensalz und Schwefel auf dem Tisch.
Dieser Kerl hatte etwas Beunruhigendes an sich – mehr noch als seine Bluthunde. Auf den ersten Blick wirkte er mit seinem ordentlich gekämmten Haar wie ein harmloser Höfling. Ein Schreiber vielleicht oder ein Apotheker. Sah man aber genauer hin, so bemerkte man nicht nur die wache Intelligenz unter seinen schweren Lidern, sondern deutlich besorgniserregendere Details wie die abgeschnittene Hasenpfote an seinem Schwertgurt. Rami kannte einige Menschen, die solch abergläubischen Kram bei sich trugen. Sie waren allesamt entweder verrückt oder gefährlich – oder beides. Auf der anderen Seite bot sich dadurch eine vage Chance, seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
»Verzeiht, Herr«, sagte er freundlich. »Doch es ist kein Verbrechen, weniger religiös als andere meines Volkes zu sein.«
Der Fremde zog eine geschwungene Augenbraue nach oben und tippte auf seine Hasenpfote, ob nun bewusst oder unbewusst. »Nein, wahrlich nicht. Aber für Mord und Unheilung landet man in Grubenstedt am Galgen.«
Rami musste sein Entsetzen nicht spielen. Hatte der Mann gerade wahrhaftig von Mord gesprochen? Er glaubte doch nicht im Ernst, dass ein einfacher Aschling wie er zu so etwas imstande war! Vielleicht hatte Woulf das schändliche Verbrechen begangen und die Schildwache zu ihm geführt, um von sich selbst abzulenken. Oder noch schlimmer … Rami kam jener seltsame Moment während der Heilung des Wirts in den Sinn, als sein Facett ihm den Dienst verweigert hatte. Was, wenn in dem Stein noch weitere – wahrhaft unheilvolle – Kräfte erwacht waren und einen anderen Siechen in den Tod gerissen hatten? Immerhin war es kein Facett, wie es die hochrangigen Magier aus der Nadel trugen. Kein gereinigtes, von allen Unwägbarkeiten befreites Kleinod, sondern ein echter Wildwuchs, der nicht im Facetterium stand. Rami hatte den Stein für zwei Goldpfennige von einem halb verhungerten Schlammkriecher erstanden, bevor dieser ihn an die Magier ausliefern konnte. Der Mann war sich darüber im Klaren gewesen, dass er bei den Obrigen nicht halb so viel Geld als Entschädigung bekommen hätte. Zudem besaß er selbst keinerlei magisches Talent, weshalb ihm das Facett ohnehin nichts genützt hätte. Und so hatte er sich bereit erklärt, es entgegen den geltenden Gesetzen an einen Aschling zu verkaufen.
Während des letzten Mondes hatte Rami den Zauberstein noch weitere zwei Male eingesetzt: bei einem verkrüppelten Alten aus dem Kehrichtviertel und einem verletzten Schlammkriecher aus dem untersten Ring. Beide hatte er seither nicht mehr gesehen. Konnte es möglich sein, dass einer von ihnen an seiner Unheilung gestorben war?
»Wie furchtbar!«, sagte er bestürzt. »Ich hoffe, Ihr findet den Schuldigen bald.«
»Nun … womöglich habe ich das schon.« Der Mann blickte unentschlossen zwischen Woulf und Rami hin und her.
Rami wedelte abwehrend mit den Händen vor seiner Brust. »Ihr meint Wirt Woulf? Das kann ich mir nicht vorstellen. Der kann keiner Fliege etwas zuleide tun.« Er zwang sich, seine Beine still zu halten, reckte das Kinn in die Höhe und fragte selbstbewusst: »Mit wem habe ich eigentlich die Ehre?«
»Gunter Hyazinth vom Adlerstein, Hauptmann der Schlammwache. Das sind meine Leibwachen Rutger und Klas.« Er deutete auf die beiden Gestalten hinter ihm, die nun angefangen hatten, jede Schublade und Truhe im Raum zu öffnen. Die massigere von beiden tunkte sogar ihre Finger in das Aschefass neben dem Eingang und schnüffelte daran.
»Ihr seid ein Hauptmann?« Rami wäre beeindruckt gewesen, hätte seine Furcht nicht jedes andere Gefühl in ihm erstickt.
Der Blondschopf nickte. »Und wer bist du?«
»Rami Verglimm«, nannte er seinen Namen, eine Spur zu leise.
»Verglimm«, wiederholte vom Adlerstein, und es war nicht auszumachen, ob ein Hauch Spott in seiner Stimme lag oder nicht. »Wahrlich, niemand kennt so viele Namen für das Löschen von Feuer wie ihr Aschlinge. Mich würde interessieren, warum das so ist, wo ihr doch einen Feuergott anbetet.«
»Ihm allein obliegt die Macht über Flammen und Glut«, spulte Rami die Worte des Priesters herunter. »Wir jedoch sind Asche, Staub und Schuld.«
»Ihr habt doch nicht allen Zunder im Nest«, ließ der grimmige Rutger verlauten, woraufhin Woulf ein anbiederndes Lachen entschlüpfte.
Falls der Wirt gehofft hatte, ihrer Unterhaltung dadurch ein wenig Leichtigkeit zu verschaffen, wurde er enttäuscht, denn der Hauptmann schien nicht viel Sinn für Humor zu haben. Er kräuselte seine bartlosen Lippen, ohne das geringste Lächeln hervorzubringen. »Ich habe von Fällen gehört, in denen Aschlinge sich von selbst entzündet haben sollen. Wie ein Haufen in Öl getränkter Lappen. Sieht ganz so aus, als bekäme euch der Umgang mit Feuer nicht gut.« Sein Kopf ruckte in Richtung des knisternden Kohleofens.
Mangels einer anderen zündenden Idee verfolgte Rami nun ebenfalls die Strategie des Wirts, das Gespräch in eine unverfängliche Richtung zu lenken. Doch bevor er zu einem Monolog über die skurrilen Sitten der Aschlinge ansetzen konnte, kam vom Adlerstein unvermittelt auf sein eigentliches Thema zurück.
»Woher kennst du diesen Gastwirt aus dem Kupferring?« Er deutete auf Woulf.
Rami seufzte. »Er kam zu mir, um seine verfaulte Hand heilen zu lassen.«
»Ah, wusste ich es doch. Du gestehst die Unheilerei also?«
»Aber nicht doch! Ich bin ein ehrlicher Heiler und habe versucht, das Leiden durch Umschläge aus Schafgarbe und Spitzwegerich zu lindern. Doch wie ich sehe, hat es leider nicht geholfen.«
»Nein«, sagte Woulf mit einem tiefen Seufzen. »Es ist kein Stück besser geworden. Vielleicht musst du ein anderes Mittel verwenden.«
»Womöglich.« Pflichtbewusst griff Rami nach der Hand des Gastwirts und besah sie sich von allen Seiten. »Ein Balsam aus Hauswurz könnte helfen. Oder vielleicht braucht Ihr einen Glücksbringer wie der werte Herr Hauptmann.« Er wies auf die baumelnde Hasenpfote.
»O ja, das ist eine phantastische Idee!« Woulf hüstelte gequält.
Was für ein schrecklich schlechter Schauspieler er doch war!
Vom Adlerstein ließ sich natürlich nicht an der Nase herumführen. Anstatt auf das Geplänkel einzugehen, wandte er sich direkt an das offensichtlich schwächste Glied in der Kette – den rothaarigen Wirt. »Sonst was?«
»W… wie meinen?«, nuschelte der.
»›Die Schildwache ist uns auf die Spur gekommen! Du darfst ihnen nicht erzählen, dass ich bei dir war, sonst …‹«, wiederholte der Hauptmann Woulfs verräterische Worte und traf dabei erstaunlich gut die Stimmlage des Wirts. Dann fügte er in normalem Tonfall hinzu: »Niemand wird wegen Spitzwegerich und Schafgarbe gejagt.«
Röte stieg in Woulfs Gesicht. Er presste die Lippen aufeinander und schwieg.
»Natürlich nicht«, murmelte Rami. Dann senkte er den Kopf und sagte leise: »Wir müssen unseren Fehler eingestehen, mein Freund. Alles andere lenkt nur einen viel schlimmeren Verdacht auf uns.«
Der Wirt brachte kein Wort heraus, sondern nur ein hysterisches Japsen. Also oblag es wohl Rami allein, die Situation zu retten. Er seufzte schicksalsergeben, ging zu seiner Sitzbank und klappte das Polster hoch. Darunter kam ein verstecktes Fach zum Vorschein, in dem er allerhand Krimskrams verwahrte. Die meisten dieser Dinge hatte er aus dem Besitz des vorherigen Wohnungsmieters übernommen, der ebenfalls abergläubisch gewesen war, einige stammten aber auch vom Graumarkt und dienten praktischeren Zwecken. Ihnen allen gemeinsam war die Tatsache, dass ihr Besitz nicht ganz rechtmäßig war: eine Phiole voller Schierlingsessenz, der verschrumpelte Finger eines Gehängten, getrocknete Xafror-Blutegel, ein fleischfressender Wolfskäfer, Fliegenpilzsamen und ein Einweckglas voller Tollkirschen. Rami griff nach einem reichlich mitgenommenen Gegenstand, der auf den ersten Blick wie ein schmaler Staubwedel aussah.
»Was ist das?«, fragte der Hauptmann interessiert und kam einen Schritt näher.
»Ein Katzenschwanz«, antwortete Rami mit hängenden Schultern. »In Arakim glauben die Menschen, er würde gegen unheilbare Krankheiten helfen. In Grubenstedt jedoch ist es verboten, Katzen etwas zuleide zu tun, denn wir brauchen sie dringend. Wegen der Ratten, wie Ihr wisst …«
Vom Adlerstein nahm ihm den vertrockneten Schwanz aus der Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. »Also hast du verbotenerweise eine Katze verstümmelt, um den Wirt zu heilen.«
Rami atmete auf. »Genau. Es tut mir leid. Ich gestehe mein Verbrechen und nehme die Bestrafung auf mich.«
»Soso …« Der Hauptmann gab ihm die Trophäe zurück, dann ging er zu der Sitzbank und wühlte darin herum. »Hier liegen genügend unzulässige Besitztümer, um dich für längere Zeit festzusetzen, Aschling. Aber den Wirt hast du nicht damit behandelt, denn das Tier, zu dem dein verdorrtes Amputat gehört, ist vermutlich lange vor der Gründung Grubenstedts an Altersschwäche gestorben. Dafür habe ich etwas anderes, sehr Interessantes, gefunden!«
Aus dem Sammelsurium an verbotenen Substanzen zog er ein unscheinbares Säckchen hervor und hielt es in die Höhe. Rami wunderte sich, denn der Inhalt war zwar verboten, doch den Besitz des Schierlings hätte er als deutlich schlimmer eingeschätzt. Es handelte sich um Schwarzroggen – längliche Körner, die sich gelegentlich an den Ähren bildeten und deren Genuss in größeren Mengen tödlich war. In sehr geringer Dosis halfen sie gegen Bauchschmerzen.
»Ich nehme dieses Getreide an mich«, verkündete vom Adlerstein, während er das Säckchen in seinem Münzbeutel verschwinden ließ. »Der Besitz ist nicht nur strafbar, sondern macht dich auch zum Mordverdächtigen. Und nun wirst du dich ausziehen.«
»A… ausziehen?« Rami konnte nicht fassen, was er da hörte, und auf den Widerspruch des stummen Woulfs brauchte er gar nicht erst zu warten.
»Ja. Oder du rückst dein Facett freiwillig heraus.«
»Wie kommt Ihr darauf, ich hätte –?«
»Wie du willst.« Vom Adlerstein machte einen Schritt auf Rami zu. Obwohl er für einen Menschen nicht sonderlich groß war, wirkte er in diesem Moment wie ein Hüne aus dem Blutsturm, bedrohlich und zu allem entschlossen. Seine Rechte griff nach dem Kragen von Ramis Kutte. »Soll ich nachhelfen? Oder lieber Rutger?« Sein Kopf ruckte zu dem Riesen hinüber, der sogleich gehässig die Faust in seine Hand schlug. Offensichtlich hatten diese Kerle auch noch Spaß daran, Schwächere zu quälen.
Ehe der Aschling sich ihm entwinden konnte, hatte vom Adlerstein bereits die Kette mit dem Facett erwischt und zog sie aus seinem Ausschnitt hervor. Ein starker Ruck, und das Lederband riss. Mit unverhohlener Faszination starrte der Hauptmann auf den bernsteinfarbenen Zauberstein in seiner Hand.
»Gebt das wieder her!«, forderte Rami lautstark. »Es gehört mir!«
»Damit du mit seiner Hilfe unsere Kuppel zum Flackern bringst und Grubenstedts Wehrhaftigkeit untergräbst? Oder um noch weitere arme Seelen in den Schlamm der Grube zu befördern?«
»Ich habe nichts dergleichen getan!«
»Willst du mir erzählen, das hier sei kein Facettstein? Welche Zauberkraft könnte ihm innewohnen, wenn nicht jene des Unheilens? Bringst du damit vielleicht deinen Schwarzroggen zum Wachsen?«
»Weder das eine noch das andere!« Breitbeinig, die Arme vor der Brust verschränkt, blickte Rami zu ihm auf. »Aber ich sage Euch nicht, wozu es dient. Kein Magier darf gezwungen werden, seine Fähigkeiten preiszugeben, so ist es Gesetz!«
Unter Kopfschütteln wandte sich der Hauptmann an Woulf, der sogleich noch eine Spur bleicher wurde. »Aber Ihr werdet es mir gewiss sagen, nicht wahr? Wer die Hilfe eines Unheilers in Anspruch nimmt, kommt mit fünf unbezahlten Schichten in einem Tretrad davon. Ihr könntet Euch sogar freikaufen oder wahlweise einen Ersatztreter schicken. Denkt daran: Auch in Eurem Haus habe ich Getreidekörner gefunden.«
Was für ein Problem hatte dieser Kerl nur mit Getreidekörnern?
Woulf war anzusehen, dass er schwankte. Er war kein Verräter, zumindest schätzte Rami ihn so ein. Aber vom Adlerstein bot ihm gerade eine perfekte Möglichkeit, um halbwegs ungeschoren aus der ganzen Sache herauszukommen.
Ach, soll dir doch die Hand abfallen!, verwünschte Rami ihn, denn der verfluchte Gastwirt nickte seufzend und setzte zu einem Geständnis an. Kleinlaut und mit bebender Stimme erzählte er, wie er sich nach einem Unheiler umgehört und schließlich an Rami verwiesen worden war. Wie er ihn aufgesucht und überredet hatte, woraufhin sie einige Viertel weiter die kriminelle Handlung vollzogen hatten.
»Ich weiß allerdings nicht, ob es etwas gebracht hat«, schloss er seine Beichte. »Meiner Hand geht es keinen Deut besser.«
»Das könnte daran liegen, dass ich gar kein echter Unheiler bin und dich nur um dein Gold erleichtern wollte!«, sagte Rami patzig.
Woulf riss die Augen auf. »Wirklich?«
Ebenso wenig, wie der Wirt überzeugend lügen und schauspielern konnte, war er in der Lage, die Lügen und Schauspiele anderer zu verstehen, erkannte Rami. Dieser Umstand hätte ihm Woulf beinahe sympathisch gemacht, hinge nicht sein Leben an einem seidenen Faden, an welchem der Gastwirt gerade riss.
»War der Aschling je in der Knospe und hatte Gelegenheit, seinen giftigen Roggen unter Eure gerösteten Körner zu mischen?«, fragte vom Adlerstein.
Woulf schüttelte den Kopf. »Ich merke mir alle meine Gäste. Aschlinge sind nie dabei.«
»Nun gut, ich habe genug gehört«, beschloss der Hauptmann. »Woulf Randstätt, Ihr könnt vorerst zurück in Euer Gasthaus gehen. Ich suche Euch bald wieder auf, denn ich habe noch so einige Fragen. Du jedoch, Rami Verglimm, bist verhaftet, wegen Unheilerei und Verdacht auf Mord. Ich bringe dich in die Gelbe Burg, wo du einem erweiterten Verhör unterzogen wirst.«
Es gab Momente im Leben, da zählte nur noch eines: Würde bewahren. Dies war ein solcher. Rami schaffte es, sich nicht vor Angst einzunässen, indem er jedes Gerücht über die Verhörmethoden der Schildwache in der Gelben Burg aus seinen Gedanken verbannte. Denn von diesem Augenblick an hatte er nur noch eine einzige Wahl: aufrecht mit dem Hauptmann mitzugehen oder von seinen Schergen durch die Straßen geschleift zu werden. Er entschied sich für Ersteres.
»Sollte ich wirklich ein Leben genommen haben, so geschah dies nicht in böser Absicht«, sagte er, während er sich seinen grauen Umhang um die Schultern legte. »Aber an deiner Stelle, Wirt«, er funkelte Woulf böse an, »würde ich mir Sorgen machen, ob du der Nächste bist, der an den Auswirkungen meiner Behandlung zugrunde geht. Vielleicht ist das besser, als langsam zu verfaulen.«
Im ersten Moment befriedigte Rami der Umstand, dass Woulf kreidebleich wurde. Doch nachdem er das Haus an der Seite der Schildwachen mit gefesselten Händen verlassen hatte und sich dem Sturm der empörten Aschlingsblicke auf der Straße entgegenstemmte, bereute er, dem naiven Wirt eine solche Bürde aufgelastet zu haben. Tatsache war: Woulfs Geständnis hatte seine Festnahme zwar beschleunigt, doch er wäre ihr ohnehin nicht entgangen. Bereits damals, als er sein Zeichen in das Facett geritzt hatte, war ihm klar gewesen, wie ein solches Abenteuer in Grubenstedt enden konnte. Aber er hatte es dennoch getan, weil das Brennen in seinem Herzen ihn dazu getrieben hatte. Nun musste er zusehen, dass er an diesem Feuer nicht zugrunde ging.
Die Katakomben der Gelben Burg waren mit Abstand der schlimmste Ort, den Rami je gesehen hatte. Und das musste etwas heißen, denn in seinen hundertdreiunddreißig Lebensjahren war er viel herumgekommen. Bevor die Aschlinge sich in Grubenstedt zusammengefunden hatten, waren sie in kleinen Nomadengruppen über den Kontinent gezogen. Dann hatte ein Bauer beim Pflügen seines Ackers nahe des Sterbenden Flusses Raseneisenerz entdeckt, und die ersten primitiven Rennöfen wurden gebaut. Wenig später hatte jemand die glorreiche Idee gehabt, das Erdreich aufzugraben, und war dabei auf Kupfer gestoßen. Nicht nur zahlreiche Bergleute fanden sich in dieser Zeit auf dem Grund und Boden des heutigen Grubenstedts ein, sondern auch mehr und mehr Aschlinge. Was die Sippe von Ramis Eltern damals an diesen Ort gezogen hatte, vermochte er nicht zu sagen. Genau wie überall auf dem Kontinent wurden auch hier die Aschlinge nicht als ebenbürtig akzeptiert. Und anstatt gewaltsam eigene Schürfrechte einzufordern, ließen sie sich demütig als Hilfsarbeiter verpflichten – so wie es seit jeher in ihrer Natur lag.
Unter der Kupferader verlief eine Silberader, was die Bergleute dazu veranlasste, weiterzugraben und einen zweiten Ring zu erschaffen. Doch damit nicht genug: Je tiefer sie schürften, desto wertvoller wurden die Metalle, die sie dort fanden. Ring um Ring entstand. Facettsteine und magische Artefakte tauchten auf. Und schließlich das Staunenswerteste von allen: der Schildkristall. Rami erinnerte sich noch gut an dessen Entdeckung vor siebzehn Jahren, als ein bettelarmer Schlammkriecher am untersten Grund der Grube seinen Meißel in einen durchsichtig schimmernden Stein gerammt hatte. Womöglich hatte der arme Kerl noch ganz kurz von einem Leben in Reichtum und Sicherheit geträumt, bevor er dem Tod in die Arme fiel. Doch im selben Moment, als er das Bruchgestein beiseitegeräumt und den Kristall berührt hatte, begann dieser zu leuchten und legte einen magischen Schutzschild um die gesamte Stadt, der von keinem metallischen Gegenstand durchdrungen werden konnte. Gleichzeitig hörte auch das Herz des Schlammkriechers auf zu schlagen.
Fast zwei Jahrzehnte waren seither vergangen, und Grubenstedt hatte sich zum wichtigsten Knotenpunkt des Königreichs Evenbor entwickelt. Keine andere Stadt war so uneinnehmbar, keine so reich an magischen Gegenständen und wertvollen Bodenschätzen. Und in keiner sonst waren je Facetts gefunden worden, jene unverstandenen Wunder der modernen Magie! Zahlreiche Menschen kamen von nah und fern, um ihr Glück in den Minen zu suchen, doch nur die wenigsten verließen Grubenstedt mit goldenen Ringen an den Fingern. Viel höher war die Wahrscheinlichkeit, sein Leben in einem einstürzenden Schacht auszuhauchen, in einem Streit um Schürfrechte die Kehle durchgeschnitten zu bekommen, vor Schwäche aus einem Tretrad zu fallen oder schlicht zu verhungern. Oder – und dieses Schicksal schien Rami zu blühen – in einem Folterkeller der Gelben Burg zu enden.
Das Geräusch, das die rostige Eisentür am Ende einer sehr langen Treppe nach unten von sich gab, klang wie das Seufzen eines Totengeists. Hier in den Katakomben war der gelbe Sandstein des Mauerwerks von Schmutz und Ruß überzogen, doch an einigen Zellenwänden blühte auch Felsensalz, wie Rami im Vorbeigehen bemerkte. Er hatte das Gefühl, durch einen endlosen Tunnel geführt zu werden, der jedes Geräusch außer dem Pfeifen in seinen Ohren dämpfte. Wie von weit her nahm er das Stöhnen der Gefangenen in ihren Zellen wahr. Vom Adlerstein schwieg, seit sie das Kehrichtviertel verlassen hatten, aber seine beiden Begleiter unterhielten sich schon geraume Zeit über eine Hure aus dem Roten Haus, der sie regelmäßig Besuche abstatteten und die angeblich in der Lage war, allein mit ihrer Zunge einen Kirschkernstiel zu verknoten.
Beide verstummten, als sich eine der Türen auf der rechten Seite des Flures öffnete und eine rothaarige Frau über die Schwelle trat. Anders als der Hauptmann und seine Männer trug sie einen ockerfarbenen Mantel, was sie als Schildwache aus dem Bronzering auswies. Reichlich steif kam sie herbeigeeilt und salutierte vor Gunter vom Adlerstein. Offenbar war er ihr Vorgesetzter, und die Schlammwache hatte keine passenden Kleidungsstücke mehr für ihre Wächter.
»Hauptmann! Wir müssen reden.«
»Nicht jetzt, Trabantin Genoveva. Ich habe einen Verdächtigen dabei«, erwiderte der missmutig.
Nur kurz flog der Blick der Rothaarigen über Rami hinweg, dann stakste sie eifrig neben ihrem Dienstherrn her. »Der Obrist von Bliesenberg hat Gerüchte über den Toten gehört. Jetzt will er persönlich kommen, um ihn sich anzusehen … Aber das besprechen wir wohl besser unter vier Augen.«
»Wer mag wohl der verruchte Schwätzer in unseren Reihen sein, der unsere Geheimnisse sofort bis in die höchsten Ringe trägt, Trabantin?«, fragte vom Adlerstein schneidend.
»Womöglich Eure Base Nasiima, diese undurchsichtige Magierin?« Sie rümpfte übertrieben die Nase.
Der Hauptmann würdigte diese Bemerkung keiner Antwort, doch es war offensichtlich, dass die beiden noch kein eingespieltes Gespann bildeten. Anscheinend wussten sie nicht recht, ob sie einander trauen konnten oder nicht.
Vom Adlerstein blieb stehen. »Dieser Aschling hier scheint in den Fall verwickelt zu sein. Er hat eine Unheilung durchgeführt – an genau dem Wirt, zu dem die Spur uns geführt hat.«
»Also hat er nicht den Toten geheilt?« Im fragenden Blick der rothaarigen Genoveva lag Unverständnis. »Und wieso habt Ihr den Wirt nicht auch arretiert? Er war es doch, auf den die Totenrede Eurer Nichte Hinweise geliefert hat.«
Vom Adlerstein bedachte sie mit einem strengen Blick. Offenbar war es ihm zuwider, kritische Fragen von einer Untergebenen gestellt zu bekommen. »Randstätt ist unbedarft. Dieser Aschling hingegen hat mehr als nur eine Unheilung auf dem Kerbholz, das spüre ich.«
»Auch für eine droht ihm bereits der Galgen.«
Für einen kurzen Moment hatte Rami gehofft, die Menschenfrau würde ein wenig Mitleid für ihn aufbringen. Aber in ihrer Miene lag keine Spur von Nachsichtigkeit oder Wärme. Ganz im Gegenteil – sie schien ein noch härterer Brocken als ihr Hauptmann zu sein. Sich einfach so über seinen Tod zu unterhalten, während er neben ihnen ging … Er versuchte verzweifelt, sich einzureden, dass sie ihn damit nur einschüchtern wollten und das leere Worte waren.
»Sicher ist: Das Opfer war kurz vor seinem Ableben zu Gast in der Knospe. Woulf Randstätt serviert dort geröstete Getreidekörner, die Bauchschmerzen bei unserem Opfer verursacht haben. Alle anderen Gäste blieben jedoch verschont. Also muss jemand gezielt diesen einen Gast vergiftet haben. Und nun ratet einmal, was ich in einem Geheimfach des Aschlings entdeckt habe?«
Genoveva zog die Augenbrauen hoch. »Was?«
Triumphierend holte der Hauptmann den Beutel mit dem Schwarzroggen hervor und warf ihn ihr zu. Ramis Herz klopfte ihm bis zum Hals, während die Trabantin darin herumwühlte. Zu seiner Überraschung schüttelte sie jedoch den Kopf.
»Das ist giftiger Roggen. Wer ihn isst, der halluziniert und ihm fallen Finger und Zehen ab. Ich habe aber noch nie gehört, dass jemandem deshalb Weizen aus dem Mund gewachsen wäre.«
»Was sagt Ihr da? Der Tote hatte Ähren im Mund?«, hakte Rami nach.
»Nicht nur dort«, antwortete Genoveva kurz angebunden, ehe sie sich wieder an den Hauptmann wandte. »Wir sollten wirklich allein weiterreden.«
»Ihr habt recht.«
Vom Adlerstein steckte den Beutel mit dem Getreide weg und packte Rami grob am Oberarm. Wortlos schleifte er ihn zu einer freien Zelle, öffnete die Tür und schob den Aschling hinein.
»Du tätest gut daran, im Verhör die Wahrheit zu sagen!«, gab er ihm noch mit. »Unser Obrist ist daran interessiert, schwierige Fälle möglichst schnell und ohne aufwendige Gerichtsverhandlungen zu klären. Die meisten Befragten brechen ohnehin irgendwann ein. Es ist also nicht nötig, die Sache hinauszuzögern.«
»Aber ich … ich habe keine Ahnung, was Ihr von mir hören wollt!«, rief Rami. »Ich habe nichts getan, was einen menschlichen Körper zum Nährboden für sprießendes Getreide macht!«
Das hoffe ich zumindest, fügte er in Gedanken hinzu. Seit dem Abend mit Woulf misstraute er seinem Facett. Und nun hatte er keine Gelegenheit mehr, sich in ein inneres Zwiegespräch mit seinem Zauberstein zu begeben, denn der Hauptmann hatte ihn einbehalten.
Krachend flog die Tür ins Schloss. Draußen entfernten sich die Schritte der beiden Schildwachen.
Von Panik ergriffen blickte Rami sich in seiner Zelle um. Durch das kleine Gitter in der massiven Tür fiel fahles Fackellicht herein, das gerade so ausreichte, um das schmutzige Stroh auf dem Boden und die Ratte hinter dem Eimer in der Ecke zu sehen. Jeder Stein im Mauerwerk schien vom Leid der Gefolterten durchdrungen zu sein, und jeder Fingerbreit des Pflasters musste Blut aufgesogen haben. Dies war die letzte Station der Gefallenen von Grubenstedt. Er würde hier nie mehr lebend herauskommen. Kraftlos ließ er sich zu Boden sinken und gab sich der Hoffnungslosigkeit hin, die von allen Seiten nach ihm griff.
Rami hatte längst jegliches Zeitgefühl verloren, als sich irgendwann die Tür seiner Zelle öffnete und die Silhouetten dreier Menschen darin erschienen. Es mochte früher Abend sein oder bereits der nächste Morgen – in der Finsternis einer Kerkerzelle, die mit jedem Atemzug enger zu werden schien, war das nicht von Belang.
Der Schein der Fackeln blendete ihn. Im Flur war das Klappern von Metall zu hören, was darauf hindeutete, dass sich weitere bewaffnete Wachen vor der Kerkertür postierten. Grobe Hände zerrten ihn hoch. Jemand drückte ihn gegen die Rückwand der Zelle. Ketten klirrten, und kalte Eisenschellen legten sich um seine Handgelenke. Sie waren kaum zugeschnappt, da rutschten Ramis Hände wieder heraus.
»Herr Obrist, der Aschling passt nicht in die Schellen!«, schnarrte die Stimme des Handlangers, der ihn hätte fesseln sollen. Sein Atem stank schlimmer als die Kloake des Kehrichtviertels.
»Dann treib Aschlingseisen auf, du Hornochse. Und bis du welche gefunden hast, binde ihn anderweitig fest!«
Stinkmaul trat von einem Bein aufs andere. In Ermangelung einer besseren Möglichkeit nahm er seinen Gürtel ab, schlang ihn um Ramis Handgelenke und führte das Ende durch den Ring in der Wand. Um die Schließe einzuhaken, war der Gürtel allerdings nicht lang genug. Notgedrungen knotete er ihn fest. »Ha! Passt perfekt!«
Mittlerweile hatten sich Ramis Augen an die blendenden Fackeln gewöhnt. In ihrem Schein erkannte er Hauptmann vom Adlerstein, der mit teilnahmsloser Miene neben dem fremden Mann stand, der laut Handlanger Stinkmaul der Obrist von Grubenstedt war. Er hatte ein rundliches Gesicht mit hängenden Wangen, die von einem Backenbart kaschiert wurden. Sein glasiger Blick und die rote Nase zeugten davon, dass er dem Genuss eines guten Weines nicht abgeneigt war. Passend dazu wurde sein schneeweißer Waffenrock durch einen kugelförmigen Bauch ausgebeult. Der will garantiert bloß schnell nach Hause zu seinem Schweinebraten, dachte Rami.
Der Hauptmann bestätigte diesen Eindruck, indem er verkündete: »Obrist Wilderich von Bliesenberg ist persönlich erschienen, um dich zu vernehmen, Aschling. Ihm ist daran gelegen, diese Morde zügig und ohne großes Aufheben aufzuklären.«
Zügig und ohne großes Aufheben. Das war in den Katakomben der Gelben Burg gleichbedeutend mit Rede sofort, oder wir beginnen mit der Folter. Gern hätte Rami diesen Kerlen alles gesagt, was er wusste – wenn er nur etwas gewusst hätte!
»Du bist also Rami Verglimm aus dem Kehrichtviertel des Staubrings«, begann von Bliesenberg sein Verhör.
»Ja, Herr.«
»Und du gestehst, eine Unheilung bei einem Gastwirt namens Woulf Randstätt durchgeführt zu haben?«
Rami biss sich auf die Lippen. Galgen und Streckbank tanzten einen grotesken Reigen in seinen Gedanken. Nun musste er wohl eine Wahl treffen, ob er lieber schnell oder langsam sterben wollte.
»Herr … ich habe lediglich versucht, ihn mit Hilfe einiger Kräuter auf normalem Weg zu heilen.«
»Und das hier?« Der Obrist griff in seinen Beutel, zog Ramis Facett hervor und schwang es wie ein Pendel vor seinem Gesicht hin und her. »Nur unbedeutender Schmuck?«
»Ein Erbstück meines Vaters. Ich trage es in Erinnerung an ihn, habe selbst jedoch keine magische Begabung.«
»Zuvor hat er etwas anderes ausgesagt«, mischte vom Adlerstein sich ein. »Angeblich steht das Zeichen in dem Facett nicht für Unheilerei, sondern für einen anderen Zauber.«
»So ist es auch!«, beeilte Rami sich zu sagen. »Mein Vater wirkte einen Verteidigungszauber damit.«
»Aha. Und welchen?« Wilderich von Bliesenberg verschränkte die Arme vor der Brust.
»Schockwellen.«
Der Hauptmann rollte mit den Augen. »Na klar. Ausgerechnet der am weitesten verbreitete Zauber unter den Magiern. Kaum einer, der keine Schockwellen aus seinen Händen schleudern kann, um seine Gegner niederzuwerfen. Was anderes ist dir wohl auf die Schnelle nicht eingefallen?«
»Mit Verlaub, werte Herren, aber wir Aschlinge sind nicht gerade außergewöhnlich in unseren Begabungen.«
»Wenigstens hat er eine gesunde Selbsteinschätzung«, be merkte von Bliesenberg wie ein freundlicher Onkel. Würde so jemand ihn foltern lassen? Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, widersprach vom Adlerstein. »In seinem Quartier sah es eher so aus, als treibe er genau die Experimente, die bei seinem Volk nicht gern gesehen sind. Ich glaube, er lügt, sobald er den Mund aufmacht.«
»Das ist nicht wahr! Ich bin unschuldig!«, brach es aus Rami heraus.
»Und wieso sammelst du dann tödliche Essenzen in einem Geheimfach?«
»Weil jede einzelne davon in der richtigen Dosierung heilen kann!«
Der Hauptmann lachte auf. »Schierling, Fliegenpilzsamen, Schwarzroggen und Tollkirschen?«
»Erfolgreich eingesetzt gegen Gicht, Mondsucht, Bauchschmerzen und Nervenleiden.«
Der Obrist gab einen abschätzigen Laut von sich, doch vom Adlerstein sah auf einmal nachdenklich aus. Womöglich lag das nur an dem schlechten Licht in der Zelle. Rami war mittlerweile der Verzweiflung so nah, dass er sich an den winzigen Ausdruck von Zweifel in den Zügen des Hauptmanns klammerte. »Bitte, Herr, so glaubt mir doch!«
Der Gürtel, mit dem Stinkmaul ihn an den Ring gefesselt hatte, war im Laufe ihres Gesprächs beinahe aus dem provisorischen Knoten gerutscht und hatte Rami dadurch etwas mehr Spielraum ermöglicht, um seine Hände zu bewegen. Das sah der Handlanger natürlich, woraufhin er angewetzt kam, um die Fessel rüde wieder festzuziehen. Rami stöhnte auf.
»Hast du in letzter Zeit jemandem aus dem Schlammring deinen Schwarzroggen verabreicht?«, fragte der Hauptmann, ohne das schmerzverzerrte Gesicht des angeblichen Missetäters zu beachten.
Nein, aber ich habe eine Unheilung an einem Siechen aus dem Schlammring vorgenommen, schoss es Rami durch den Kopf. Gleichzeitig kam ihm ein gefährlicher, aber womöglich rettender Gedanke. Mit etwas Glück konnte er dem Galgen entkommen und die Streckbank knapp umschiffen. Oder beidem nur noch schneller zum Opfer fallen. Doch dies war seine einzige Möglichkeit, den Kerker der Gelben Burg jemals wieder zu verlassen.
»Ja«, sagte er und senkte den Blick.
»Ha!«, platzte der Obrist heraus. »Er ist der Mörder. Und der bösartige Grauschädel gibt es sogar zu! Ich wusste immer, dass die Aschlinge die Geißel Grubenstedts sind.«
Rami suchte vom Adlersteins Blick. »Wenn Ihr mir Euren Toten zeigt, kann ich Euch sagen, ob es derselbe Mann war, den ich behandelt habe. Und vielleicht finde ich etwas über den Weizen heraus, von dem Ihr glaubt, er sei meiner schwarzen Roggensaat entsprungen.«
Dies war der Moment der Entscheidung. Entweder wurde dem Hauptmann endlich klar, dass er nicht den Mörder, sondern einen unschuldigen Heiler gefangen hatte, der ihm vielleicht sogar helfen konnte, seinen sonderbaren Fall aufzuklären. Oder er beschloss stattdessen, seinen grausamen Vorgesetzten zufriedenzustellen, um der Stadt einen Schuldigen zu präsentieren. Lange ruhten ihrer beider Blicke aufeinander, bis vom Adlerstein den Kopf schüttelte und ein leises Seufzen ausstieß.
Wilderich von Bliesenberg rieb sich die Hände wie einer, der es nicht erwarten konnte, zum Festschmaus an seine reich gedeckte Tafel mit dem mundigen Rotwein zu kommen. »Lassen wir den Galgen aufstellen. Wir hatten lange keinen Aschling mehr als Hauptdarsteller einer Hinrichtung.« Sichtlich gut gelaunt, das Rätsel um die Morde so schnell gelöst zu haben, wandte er sich zum Gehen. Auf der Türschwelle drehte er sich noch einmal um und sah Rami an. »Oder nein … warten wir noch einen Tag. Vielleicht gibt der Täter unter der Folter die Namen seiner Komplizen preis. Denn allein hat er den Toten sicherlich nicht in den Schlamm hinuntergetreten.«
Verzweiflung brach über Rami herein. Also werde ich erst gefoltert und dann aufgehängt. Der Zünder musste wahrlich sehr empört über den Diebstahl des Felsensalzes gewesen sein, wenn er einem seiner Schützlinge ein derart schreckliches Schicksal zuteilwerden ließ.