Offene Fragen

74. Tag der Erntezeit, 17. Jahr der Kuppel

Die weitläufige Tiefe der Bresche breitete sich vor Nasiima aus, als wäre Grubenstedt in den letzten Tagen nicht dem Abgrund entsetzlich nahe gekommen. Händler boten zwischen den Toren der Ringebenen ihre Waren feil, aus Bauchläden oder eilig zusammengezimmerten Ständen, wohlhabende Bürger und Adlige hasteten auf den beiden Schuhstiegen zu ihren dringenden Angelegenheiten, und die Masse der Schlammschlepper trug auf ihren Rücken den Abraum gen Breschentor.

»Wie schnell die Menschen vergessen«, murmelte Nasiima. »Es sind erst fünf Tage vergangen, seit die Unheilerin –«

»Sie hatte einen Namen«, schnarrte Gunter neben ihr, der mit seinem finsteren Blick und seinem Schlammwachenumhang dafür sorgte, dass sich die entgegenkommenden Passanten von ganz allein zur Seite schoben, um ihm und Nasiima Platz zu machen. »Und Vergessen gehört in Grubenstedt zu den Fähigkeiten des Überlebens.« Verdruss troff aus seinen Worten, bittere Medizin, die er nicht schlucken wollte. »Von mir wird zum Beispiel erwartet, dass ich den eiligen Ratsbeschluss vergesse, der einen gerechten Richterspruch ersetzt und Artemisias Leben an einem verregneten Morgen auf einem schäbigen Hinterhof beendet hat.«

Gunter hat einen neuen Knochen gefunden, auf dem er herumkauen kann, dachte Nasiima, und Mitgefühl für ihn durchströmte sie. Natürlich hatte sie nichts anderes von den Oberen der Stadt erwartet als einen kurzen, möglichst geheimen Prozess. Ihre Mutter hatte bereits vor der Ratsversammlung angedeutet, wie sie stimmen würde. Artemisia mochte noch so gutgläubig gehandelt haben, ihre verbotene Magie hatte ganz Grubenstedt gefährdet.

»Sie hat sich zu viele Feinde gemacht«, sagte Nasiima sanft. »Der Bürgermeister brauchte einen Sündenbock, der die alleinige Schuld trägt, der Obrist wollte Blut für seinen verstorbenen Weggefährten sehen, und dem Aldermann war daran gelegen, dass die Trägerin eines wilden Facetts gerichtet wurde, um die Daseinsberechtigung der Nadel zu unterstreichen.« Nasiima unterbrach sich, um nicht zu offenbaren, dass sie in diesem Punkt mit dem pompösen Kerl einer Meinung war. Wilde Facetts waren gefährlich. Ihr Entschluss, Rami durch strengen Unterricht vor den Gefahren seiner Magie zu beschützen, war daher folgerichtig. Auch wenn der Aschling noch nichts von seinem Glück wusste, doch das war nur ein unbedeutendes Detail.

»Aber es waren noch so viele Fragen offen, die Artemisia uns hätte beantworten müssen«, raunte Gunter mit jenem Unterton, mit dem er auch über Gefahren aus den Tiefen des Himmels, hochintelligente Rattenschwärme oder eine Verschwörung der Schuhmacher Grubenstedts schwadronierte. »Von wem hatte diese mittellose Frau ihr Facett? Wer ist dieser angebliche Menschenfreund, von dem sie sprach? Unter ihren Schlägern waren ein paar Kerle, wie dieser Fechtmeister Wolfram, die ganz bestimmt nicht ihr Leben für die gute Sache gaben, sondern nur für gutes Gold. Dazu kommen noch die beiden Meuchler, die den Fehler begangen haben, sich von dir berühren zu lassen. Das alles sind sicherlich keine Personen, die ein Menschenfreund um sich versammelt.«

Nasiima öffnete den Mund, um Gunter von seiner neuesten Obsession abzubringen, aber kein Wort kam über ihre Lippen. Das waren in der Tat sehr gute Fragen. »Es steckt mehr hinter diesem Zwischenfall, als es den Anschein hat.« Kaum hatte sie die naheliegende Schlussfolgerung ausgesprochen, als sie sie auch schon bereute.

»Ganz recht«, sagte Gunter mit einem Mal munter. Der Glanz in seinen Augen machte ihr klar, dass er in ihr nun eine Gläubige sah, die endlich den Wert seiner abstrusen Theorien wertschätzte.

Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn, dachte sie. Sie könnte ihn nun einfach abweisen und ihre Ruhe haben – wäre da nicht dieser nagende Verdacht, der mit den Stimmen all jener schrie, die im Totenfeld des Schlammrings verscharrt worden waren, um Artemisias fehlerhaftes Facett zu verschleiern. »Es passt zu vieles nicht zusammen«, gab sie zu und besiegelte damit ihr Schicksal als Komplizin eines in Ungnade gefallenen Hauptmanns. »Auf der einen Seite eine gütige Unheilerin und auf der anderen Seite die Vertuschung Dutzender Todesfälle.«

»Hier wird es spannend«, raunte ihr Gunter zu. »Was, wenn sie nur ein Werkzeug war? Ein Mittel zum Zweck?«

Nasiima sah ihn blinzelnd an. Ihr Verstand bewegte sich nicht auf jenen Pfaden kurioser Phantasien, die Gunters Geist bereits ausgetreten hatte. »Worauf wollt Ihr hinaus?«

»Ach, liebe Base«, sagte der Hauptmann mit einem bedauernden Schnalzen. »Ihr lamentiert über das Vergessen, obwohl Ihr selbst bereits verdrängt, dass Artemisias Heilungen so stark und zahlreich waren, dass sie die Kuppel zum Versagen brachten, als der Blutsturm praktisch schon vor unserer Haustür lauerte.«

Nasiima brauchte noch einen Moment, um die nötigen Gedankensprünge zu machen, die Gunter bereits in Fleisch und Blut übergegangen waren. »Ihr meint, jemand hat unsere wohlmeinende Unheilerin benutzt, um Grubenstedts Verteidigung zu schwächen?«

Der Hauptmann sah sie so stolz an, als hätte sie gerade zum ersten Mal in ihrem Leben fehlerfrei das Alphabet aufgesagt. Nasiima hätte ihn am liebsten erwürgt.

»Diese Methode erscheint mir ausgesprochen umständlich.«

»Wirklich? Die einzige bekannte Schwachstelle der Kuppel sind die Unheilungen. Und Grubenstedt hat genug Feinde in seiner unmittelbaren Umgebung, die sich die Hände reiben würden, sollte unser magischer Schutz dauerhaft verschwinden.«

Nasiima fröstelte es. Laut den besten Analysemagiern der Nadel war der Schildstein unter der Stadt genauso machtvoll und mysteriös wie vor seinem Ausfall. Doch niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob sich die Kuppel wieder erholt hätte, wenn die Unheilerin mit ihrem Treiben hätte fortfahren dürfen. Sollte Gunters Theorie stimmen, hätte ihr unbekannter Gönner sicher Mittel und Wege gefunden, um die Frau weiter gewähren zu lassen, auf einem anderen Ring, unter einem anderen Namen …

»Tach, Hauptmann.« Rutgers kernige Stimme schallte ihnen entgegen, der hochgewachsene Doppelsöldner ragte einige Dutzend Schritt unter ihnen aus der Menge wie eine hochgewachsene Eiche aus einem Wäldchen schmächtiger Erlen. Rutger deutete mit einer Pranke ringabwärts. »Der blinde Zausel sitzt an seinem Lieblingsplatz. Soll ich mitkommen?«

Nasiima ertappte sich dabei, dass sie auf ein Ja hoffte, aber Gunter schüttelte nur den Kopf, und Rutger zuckte mit den Schultern.

»Meine Schicht ist jetzt zu Ende, aber wenn Ihr mich braucht, ich bin im Roten Haus. Die Damen dort vermissen schon mein schönes Gesicht.« Selbstgefällig strich er über die nicht mehr vorhandene Wunde, die Rami geheilt hatte, und grinste Nasiima provokant an, bevor er sich trollte.

»Vielleicht solltet Ihr Euren Männern weniger anstößige Zeitvertreibe empfehlen«, sagte sie spröde.

»Das habe ich schon, und ich war dabei ausgesprochen erfolglos.«

»Habt Ihr es schon mit etwas mehr Nachdruck und Autorität versucht?«

Zu Nasiimas Überraschung lächelte Gunter, als hätte er etwas entdeckt, was ihr verborgen blieb. »Wenn ich Rutger verbiete, seinen Rüssel nass zu machen, dann bin ich derjenige, den man als Nächstes in Grubenstedts Schlamm suchen muss. Aber Ihr, werte Base, könnt ihm ja gerne ins Gewissen reden. Vielleicht fallen Euch bessere Argumente ein.«

Nasiima schnaubte. »Als ob mich interessiert, was Euer großer Ochse so treibt und mit wem.«

Gunter lächelte noch immer, und so wechselte sie mit einem unleidigen Seufzer das Thema.

»Mal angenommen, also nur angenommen, jemand hat Artemisia tatsächlich benutzt, um Grubenstedt für eine mögliche Invasion zu schwächen, dann müssen wir herausfinden, wer.«

Endlich schwand das Grinsen von Gunters Zügen. Nasiima wünschte nur, der Preis dafür wäre nicht eine geheime Bedrohung für die Stadt gewesen. »Wir haben nicht einen Anhaltspunkt. Der Aldermann hat das fehlerhafte Facett zerstören lassen, damit es keinerlei Gefahr für die Stadt mehr darstellen kann, und die Minenkammer, in der Artemisia ihren Unheilungen nachging, ist eingestürzt.«

Nasiima verzog unwillig die Mundwinkel. »Wohl kaum ein Zufall.« Gunters kleine Theorie entwickelte sich mehr und mehr zu … ja, wozu eigentlich? Zur Tatsache?

»Was tun wir jetzt?«, fragte sie.

»Ich halte Augen und Ohren offen«, sagte er. »Und damit meine ich, alle Augen und Ohren, die mir zur Verfügung stehen.«

Nasiima nickte. »Eure Spitzel.«

»Dieser Woulf ist mir einen gehörigen Gefallen dafür schuldig, dass ich in meinem Bericht nicht erwähnt habe, dass es die gescheiterte Unheilung seiner fauligen Hand war, die die Kuppel zum Erlöschen gebracht hat. Er bekommt in seiner Knospe vieles von dem mit, was in der Stadt vorgeht – und sein Bierbraten ist wirklich gut.« Gunter runzelte die Stirn. »Wenigstens hatte Artemisias schnelle Hinrichtung etwas Gutes. Wäre sie ausführlicher befragt worden, hätte Woulf gleich neben ihr am Galgenstrick gehangen.«

»Rami könnte ebenso nützlich sein«, sagte Nasiima, die an ihren Entschluss dachte, dem Aschling bei seiner magischen Ausbildung unter die Arme zu greifen. Sie musste nur noch einen geeigneten Ort finden, wo sie das unbemerkt bewerkstelligen konnte.

Gunter schürzte nachdenklich die Lippen. »Ja, einen Verbündeten im Kehrichtviertel zu haben, wäre ein Vorteil. Aschlinge bleiben gerne unter sich.«

»Warum wohl?«, erwiderte Nasiima trocken. »Wo die Schildwache sie doch so gerne und häufig in ihren Heimstätten besuchen kommt.«

Gunter sah betreten drein, und sie bereute ihren Kommentar. Er musste nicht noch einmal an die Untaten erinnert werden, die seine Brüder und Schwestern der Schildwache verübt hatten.

»Ich rede ab und zu mit Rami«, sagte sie versöhnlich. »Und was immer er zu berichten hat, gebe ich an Euch weiter.«

Gunters Lächeln wirkte so ehrlich dankbar, dass Nasiima sich ihm beinahe so nahe fühlte wie einem Verwandten, der den Familiennamen nicht dreimal am Tag in den Schlamm zog.

Der Schatten des Kupfertors fiel auf sie und löschte die fröhliche Miene des Hauptmanns. »Wir sind bald da«, sagte er. »Müssen wir denn wirklich den armen Wacker …?«

Nasiima durchbohrte Gunter mit ihrem Blick. »Ja, müssen wir«, sagte sie. »Manchmal erstaunt mich Euer für die ganze Welt blutendes, weiches Herz.«

»Wir sind Freunde«, warf der Hauptmann ein. »Unsere Kameradschaft reicht zurück bis in eine Zeit, als wir beide andere Leben lebten.«

»Und was genau würden der Aldermann oder Euer Obrist auf diese Art Sentimentalitäten geben?«, erwiderte Nasiima gereizt. »Ihr habt es mir selbst gesagt: Er war im Besitz eines geraubten Artefaktes. Entweder wir zwei tun, was getan werden muss – oder die Facettwache wird diese unliebsame Aufgabe übernehmen.«

Gunters Schultern sackten herab. Nasiima konnte sehen, wie schwer sie an den Wahrheiten der Welt zu tragen hatten, zumal für ihren Verwandten auch noch jene hinzukamen, die er sich nur einbildete.

Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinanderher, bis Gunter schließlich auf eine im Schneidersitz kauernde Gestalt deutete, deren Erscheinung sich kaum von der der vielen anderen Versehrten unterschied, die in Grubenstedt um Almosen baten. Nur dass der Blinde den Kopf in ihre Richtung drehte, kaum dass sie sich ihm auf fünf Schritte genähert hatten.

»Gunter«, sagte Wacker mit einem flüchtigen Lächeln. »Was kommst du mir denn schon wieder unter die Augen? Erst sehe ich dich jahrelang nur einmal pro Mond, und jetzt scheint es mir, als würdest du täglich meinen Weitblick benötigen.«

Nasiima musste schmunzeln. »Redet der immer so?«

Gunter antwortete mit einer Grimasse, die alles und nichts aussagte.

Wackers Kopf neigte sich zu einer leichten Verbeugung. »Leichte Schritte, die nach hervorragend verarbeiteten Kalbslederschuhen klingen.« Er schnüffelte kurz. »Ein edles Duftwasser, das einen armen alten Mann eine blühende Blumenwiese im tiefsten Herbst sehen lässt.« Dann tippte er sich an ein Ohr. »Und eine befehlsgewohnte Stimme, die einen Hauch fremder Gestade in sich trägt.« Sein Gesicht mit den verwüsteten Augenhöhlen strahlte in diesem Moment echte Weisheit aus, und Nasiima fragte sich verwundert, wie Wacker diesen Trick hinbekam. »Ihr müsst die Base unseres geschätzten Hauptmanns sein, über die er Erstaunliches berichtet. Ich möchte anmerken, dass Eure Stimme gar nicht wie ein unrundes Tretrad klingt, dessen Krächzen gestandene Männer in den Wahnsinn treibt.«

Gunter räusperte sich hastig. »So etwas würde ich niemals sagen.«

»Aber laut genug flüstern, damit gespitzte Ohren es hören können«, erwiderte Nasiima verschnupft.

Wacker lachte, und ihr Vetter richtete sich auf, die Hände am Saum seines Umhangs. »Ich will deine gute Laune ja nicht schmälern, alter Freund, aber die ehrenwerte Dame Feehlenwerk und ich sind in offiziellem Auftrag hier.«

Wacker nickte, sein zerstörtes Gesicht ein Spiegel stoischer Gelassenheit. Der Mann wäre ein phantastischer Höfling gewesen! »Ich kann mir schon denken, warum Ihr hier seid. Die Schlammwache und der Aldermann der Nadel wollen mir wegen dieser Kette die Augen auskratzen.«

Nasiimas Mundwinkel zuckten wie von selbst. »Du hattest Diebesgut in deinem Besitz, das potenziell gefährlich für dich und die ganze Stadt war …«

Wacker kicherte. »Seit wann sind ein paar Sterne am Himmel eine Gefahr?«

Gunter zuckte bei diesen Worten zusammen, aber Nasiima ignorierte ihren irren Vetter und starrte Wacker ungläubig an. »Du hast sie angelegt

Wacker zuckte mit den Schultern. »Sie wurde nur für mich geklaut«, gestand er freimütig. »Da fand ich es unhöflich, sie nicht zu tragen.«

»Genug Wortklaubereien!« Nasiimas Geduld schmolz dahin. »Was ist passiert, als du die Kette anlegtest?«

»Ich konnte wieder sehen«, sagte Wacker verträumt und deutete gen Himmel. »Die Sterne haben sich über mir ausgebreitet wie in der klarsten Sommernacht.«

Nasiima blinzelte. »Und sonst ist nichts geschehen?«

»Reicht das nicht? Für mich war es ein Wunder.«

Nasiima blinzelte wieder. Noch einmal. Sie würde ernst bleiben, versprach sie sich. Dann lachte sie doch, so lange und laut, dass ihr die Tränen kamen.

»Fühlt Ihr Euch nicht wohl, werte Base?«, fragte Gunter verdutzt.

Nasiima konnte vor lauter Heiterkeit nicht antworten.

»Ihr wisst schon, dass Ihr mit Eurem Verhalten den Namen Feehlenwerk in Verlegenheit bringt«, fügte ihr Vetter voller Genugtuung hinzu.

»All …«, brachte Nasiima mühsam keuchend zwischen Kichern und Prusten hervor. »All die Sorgen … die nächtliche Jagd auf Kröte … meine Ängste um die Stadt, den Ruf der Familie.« Sie lachte erneut, diesmal mit einem Hauch Bitterkeit. »Meine Hoffnungen auf die Rückkehr zum Königshof. Alles vergebens. Die Macht der Sterne bedeutet demnach nichts weiter als ein Werkzeug, mit dem der Träger bei jedem Wetter der Astrologie frönen kann.«

Gunter sah sie stirnrunzelnd von der Seite an. »Was bedeutet das im Hinblick auf unser weiteres Vorgehen?« Er machte eine Kopfbewegung in Wackers Richtung.

Nasiima wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, bevor sie in ihre Robe griff. Hervor holte sie ein schwarzes Seidentuch. Sie drückte es samt Inhalt in die verblüfften Hände des blinden Mannes.

»Aber …« Die Sprachlosigkeit des ungewöhnlichen Bettlers war für Nasiima äußerst wohltuend.

»Das sollte deine Fernsicht steigern«, sagte sie mit mehr Wärme in der Stimme, als sie hatte zeigen wollen. Schließlich galt es, einen Ruf zu wahren.

»Dürft Ihr denn ein Artefakt einfach so weggeben?«, fragte Gunter verwundert.

»Wo wäre es besser aufgehoben als in den Händen eines Blinden? Es ist ja nicht so, dass Wacker mehr mit seinen Augen anzufangen wüsste, als den Lauf der Sterne zu verfolgen.« Sie erwiderte Gunters skeptischen Blick und bemühte sich um Kälte in der Stimme. »Außerdem steht zu vermuten, dass die Kette bereits auf Wackers Aura eingestimmt und somit für andere wertlos ist.«

Gunter sah Nasiima eindringlich an. Es war klar, dass er ihr nicht glaubte. Sie erwiderte mit dem Hauch eines Augenzwinkerns: »Ihr seid nicht der Einzige, der seine Berichte sinnreich auslegen kann. Und ich bin mir sicher, der Aldermann wird froh sein, wenn nie wieder jemand über die Kette und vor allem deren Diebstahl redet.« Dabei sah sie zu Wacker hinab, der ihren Blick auf sich zu spüren schien.

»Kröte hat ihren kleinen Spaziergang eine gewisse Wand hinauf nicht an die große Glocke gehängt und wird es auch zukünftig nicht tun«, versprach er und schlug das Tuch auf. Mit zitternden Fingern legte er sich das Artefakt um den Hals. Seinem Blick in den Himmel folgte eine gehauchtes »Wunderschön«.

»Versprich mir nur, dass du Kröte zu mir schickst, wenn du etwas Interessantes in den Sternen siehst«, sagte Nasiima, obgleich sie nicht glaubte, dass dies jemals geschehen würde.

»Also sind wir hier fertig?«, fragte Gunter misstrauisch. »Keine Verhaftung oder weitere Befragung?«

Nasiima nickte. »Es sind vorerst keine Fragen mehr übrig.«

Sie verabschiedeten sich und wandten sich aufwärts dem Himmelsweg zu, den tagträumenden Wacker mit seinem persönlichen Wunder zurücklassend. Die Sonne schien die Bresche herab, die sich vor ihnen auftürmte, mit all den emsigen Bewohnern, die Grubenstedt sein pulsierendes Leben einhauchten.

Was immer auf die Stadt mit ihren Minen voll schlummernder Macht zukommen würde, Gunter, Nasiima und alle, die ihnen helfen wollten, würden bereit sein.

Zumindest hoffte sie das.

 

 

 

Das Abenteuer in Grubenstedt gehen weiter in Band 2 „Der Formbrecher“.