«Exitus.» Ein Wort, das messerscharf den frühen Morgen zerriss. Der Amtsarzt sah auf seine Armbanduhr. «Fünf Uhr und dreizehn Minuten.»
Abschied, Erlösung.
Das Lebensende.
Auf einmal ist es da, unwiderruflich. Der Schalter auf «Aus» gekippt. Der Nullpunkt.
Anthony spürte, wie sich sein Herzmuskel zusammenzog und er nicht das Geringste dagegen tun konnte. Aus seinen Augen löste sich eine Flut von Tränen. Alles, was sich in den letzten Tagen und Wochen angestaut hatte, brach in diesem Moment Bahn. Er wandte sein Gesicht ab und verharrte still, vergass sogar zu atmen, um nicht überzuschnappen. Nur die Stimme seines Sohnes vermochte ihn aus dieser Starre zu erwecken.
«Mammina, hast du bemerkt, Tinka ist vom Teufel besessen.»
«Scht … sei leise. Deine Mutter ist eingeschlafen. Der liebe Gott hat sie zu sich geholt.»
Der Arzt warf Anthony, die Brauen hebend, einen Blick zu, der alles sagte, und wies auf seinen Sohn, der neben dem Totenbett stand. «Sie sollten ihn jetzt aus dem Zimmer bringen.»
Anthony wischte sich über die Augen, gebot sich zur Beherrschung. Er nahm den Kleinen sanft am Arm. «Komm, ich mache dir eine heisse Schokolade.» Noch einen letzten Blick auf das Antlitz seiner Frau, die aussah, als schliefe sie. Trotz der vergangenen dramatischen Stunden hatte sie ihr Engelsgesicht behalten. Es sah blass aus, und um den Mund hatte sich ein heller Schatten wie ein Dreieck gelegt. Anthony bekreuzigte sich und dachte an die Heilige Dreifaltigkeit. Es musste ein Zeichen des Himmels sein. Eine letzte Hoffnung, dass alles gut würde.
«Ja, mit ganz viel Zimt, wie Mammina es immer macht.» Der Kleine ging vor ihm aus dem Schlafzimmer Richtung Küche. Dann drehte er sich nach seinem Vater um. «Hast du Tinkas Augen gesehen?»
«Was ist mit ihren Augen?» Anthony ging zum Kochherd und setzte Milch in einer Pfanne auf. Vor zwei Monaten war ihnen ein Kätzchen zugelaufen. Anthony hatte gezögert, das Tier bei sich aufzunehmen. Als er jedoch die glänzenden Augen seines Sohnes gesehen hatte, konnte er dem Betteln nicht widerstehen.
«Sie hat Augen wie der Teufel.»
Anthony war es nicht recht, wenn der Kleine diesen Vergleich zog. «Viele Katzen haben eine schmale, senkrechte Pupillenform, aber deswegen sind sie lange nicht vom Bösen besessen.»
«Seit Tinka bei uns ist, geht es Mammina schlecht.»
«Jetzt geht es ihr gut. Sie ist im Himmel und musiziert mit den Engeln.»
«Darf ich mein Büsi trotzdem behalten?»
Anthonys Gedanken kreisten um seine Frau, die nicht einmal den dreissigsten Geburtstag erlebt hatte. Was hatten sie Pläne geschmiedet, damals, als sie sich das Jawort gegeben hatten. «Natürlich darfst du es behalten.»
«Auch wenn es vom Teufel besessen ist?»
«Es ist nicht vom Teufel besessen.» Um dem Satz die negative Kraft zu nehmen, bekreuzigte Anthony sich ein weiteres Mal. Das, was seine Gedanken beherrschte, lag ihm schwer auf der Zunge. «Jetzt ist es vorbei.» Er musste sich zusammenreissen, um nicht laut zu weinen. Nicht vor seinem Sohn. «Mammina muss nicht mehr leiden.»