4. Die Verfolgungen in Rom
unter Nero und Domitian

Der Brand Roms und der Pogrom unter den Christen

Kaiser Nero (54–​68) gilt der christlichen Tradition als der erste heidnische Verfolger der neuen Religion. Die antiken Quellen sind freilich spärlich und widerspruchsvoll. Zwei Texte sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Der römische Historiker Tacitus beschreibt in seinen Annalen (15,44,2–​5; um 114–​120) eine Christenverfolgung, die sich an den verheerenden Brand Roms im Jahr 64 anschloss. Neros Ziel sei es gewesen, die Schuld an dem möglicherweise von ihm selbst gelegten Feuer auf die Christen abzuwälzen, die im Volk wegen nicht näher bezeichneter Untaten verhasst waren. Die Behörden hätten darum eine große Zahl von Christen festgenommen, denen man «Hass auf die Menschheit» vorgeworfen habe, ein Vorwurf, den Tacitus an anderer Stelle auch den Juden macht (Historien 5,5,1). Sie seien zum Tod verurteilt und ausgeklügelten Hinrichtungsarten unterzogen worden, die Tacitus ausdrücklich missbilligt, obwohl er sonst keinerlei Sympathien für die Christen hegt. Hierzu zählte das Zerreißen durch Hunde, die Kreuzigung und die Verbrennung, wobei die Christen als Fackeln zur Beleuchtung nach Sonnenuntergang dienten. Dieses schreckliche Schauspiel fand Tacitus zufolge in den Gärten Neros statt, wo es auch einen Circus gegeben haben soll, in dem sich der Kaiser als Wagenlenker präsentierte. Dabei dürfte es sich um einen Park auf dem rechten Tiberufer handeln, der ursprünglich Agrippina d.Ä., der Mutter des Kaisers Caligula (37–​41), gehörte und in dem später ihr Sohn und anschließend Nero eine Rennbahn errichteten. Dieser Circus befand sich nachweislich dort, wo heute der Petersdom steht. In unmittelbarer Nachbarschaft dazu existierte eine Nekropole (Friedhof), in der mutmaßlich auch der Apostel Petrus bestattet wurde (S. 31).

Hinrichtungen von Christen wegen eines «neuartigen und ruchlosen Aberglaubens» erwähnt sodann auch der Historiker Sueton, ein jüngerer Zeitgenosse des Tacitus (Nero 16,2), aber er stellt keine Verbindung mit dem Brand Roms her.

Auch wenn also nicht sicher gesagt werden kann, inwiefern die antichristlichen Maßnahmen in Rom mit dem Feuer zusammenhängen, welches weite Teile der Hauptstadt verwüstete, besteht doch eigentlich kein Zweifel daran, dass es unter Nero in der Kapitale zu einem Pogrom gekommen ist, der dann auch Todesopfer gefordert hat. Es fällt auf, dass beide Historiker, auch wenn sie den Christen keinerlei Sympathie entgegenbringen, ihnen eigentlich nichts Konkretes vorzuwerfen haben. Sie gehen davon aus, dass der «Aberglaube» der «Christusanhänger» (nichts anderes meint ja «Christen») als solcher schon strafbar sei, weil die Römer den Gründer dieser Sekte als Verbrecher hingerichtet hatten. Wer also unter der Folter dem Christentum nicht abschwor, sondern bekannte: «Ich bin Christ», machte sich eines Verbrechens schuldig, welches in seiner Art einzigartig war und mit dem Tod bestraft wurde. Darauf wird später noch zurückzukommen sein.

Der Tod der Apostel Paulus und Petrus

An dieser Stelle ist das Schicksal der Apostel Paulus und Petrus gesondert zu betrachten, da die Frage, wann und wo sie zu Tode gekommen sind, nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung, welche die beiden Apostel für die Kirche haben, bis in die Gegenwart mit großer Vehemenz diskutiert wird. Die antiken Nachrichten hierzu fließen äußerst spärlich und sind auch nicht frei von wunderhaften Elementen und Widersprüchen. Aus diesem Grund ist es in jüngster Zeit wieder zu erregten Debatten gekommen, ob die beiden Missionare überhaupt in Rom hingerichtet wurden. Die Forschungsdiskussion kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden – es mag genügen, darauf hinzuweisen, dass die Märtyrerverehrung des Paulus und Petrus stets an der Hauptstadt des Römischen Reiches gehaftet hat. Es gibt also keinen Grund, die Behauptung, die beiden Apostel seien in Rom gewaltsam zu Tode gekommen, grundsätzlich zu bezweifeln, auch wenn die Beweislage insgesamt eher dünn ist und wir nicht wissen, warum sie hingerichtet wurden.

Angesichts der Vorgeschichte – weder der Statthalter Judäas, Porcius Festus, noch König Agrippa konnten ein strafwürdiges Vergehen feststellen, und den hauptstädtischen Juden war die Angelegenheit unbekannt (S. 16f.) – hätte es keinen Anlass zur Verurteilung des Paulus, noch dazu wegen eines Kapitalverbrechens, gegeben. Da Kaiser Nero freilich ein Tyrann und Christenhasser war (S. 28f.), ist ein Todesurteil auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Dass Paulus das Martyrium erlitt, ergibt sich bereits aus dem angeblich in Rom abgefassten 2. Timotheusbrief (um 100), dessen anonymer Verfasser dem Apostel das bevorstehende Martyrium in den Mund legt (4,6–​8). Auch Polykarp von Smyrna, der vielleicht im Jahr 167/168 das Martyrium erlitt (S. 46–48) und noch einige Apostel persönlich gekannt haben soll, erwähnt in seinem (2.) Brief an die Philipper das Leiden des Paulus (9,1f). Die älteste eindeutige Nachricht von einem gleichzeitigen Martyrium des Paulus und des Petrus (in Rom?) stammt aus dem (verlorenen) Brief an die Römer des Bischofs Dionys von Korinth (um 170; Fragment bei Euseb, Kirchengeschichte 2,25,8). Irenäus, Bischof von Lyon, weiß um 180, dass Petrus und Paulus in Rom predigten und offenbar dort auch starben (Gegen die Häresien 3,1,1). Kurz danach hören wir in den legendarischen Paulusakten davon, dass Paulus unter Nero enthauptet wurde (11,5). Ein christlicher Schriftsteller namens Gaius schreibt um oder kurz nach 200, er habe auf dem Vatikan und der Via Ostiensis «Siegeszeichen» (trópaia) für die beiden Apostel gesehen, und meint damit deren Gräber (bei Euseb, Kirchengeschichte 2,25,7). Der afrikanische Kirchenvater Tertullian rühmt im Jahr 203 die römische Kirche, denn dort sei Petrus «dem Leiden des Herrn [d.h. der Kreuzigung] angeglichen» und «Paulus mit dem Tod des Johannes [des Täufers, der enthauptet worden war; vgl. Markus 6,21–​29] gekrönt» worden (Die Prozesseinrede gegen die Häretiker 36). Derselbe Verfasser bezeugt etwas später (211/212), dass Nero für die Hinrichtungen verantwortlich gewesen sei. Er habe Petrus an einem Kreuz festbinden und Paulus auf nicht näher bezeichnete Weise hinrichten lassen (Scorpiace 15,3). Euseb gibt unter Berufung auf ungenannte Quellen an, Paulus sei unter Nero enthauptet, Petrus hingegen gekreuzigt worden (Kirchengeschichte 2,25,5). Der romanhafte Bericht von der Leidensgeschichte des Petrus (Passio Petri 37[8]; vielleicht 180/190 verfasst) spricht außerdem davon, die Römer hätten den Apostel auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin kopfüber ans Kreuz genagelt. Diese Information scheint auch der alexandrinische Theologe Origenes in seinem verlorenen Genesiskommentar (um 240) überliefert zu haben (vgl. Euseb, Kirchengeschichte 3,1,2f.), und diese Form der Hinrichtung hat dann auch Eingang in die Ikonographie gefunden.

Das von Gaius erwähnte trópaion des Petrus ist nach Ansicht der meisten Archäologen noch heute in Resten erhalten und befindet sich in einer antiken Nekropole unmittelbar unter der Apsis der Kirche von Sankt Peter, deren Bau auf Veranlassung Kaiser Konstantins um 326 vollendet und später bei der Errichtung des heutigen Petersdoms abgerissen wurde. An der von Gaius erwähnten Straße nach Ostia befindet sich heute die Kirche Sankt Paul vor den Mauern (San Paolo fuori le Mura), die in ihrer ältesten Form ebenfalls von Konstantin errichtet wurde (320 bis nach 330). An der Basis des Hauptaltars wird heute das Grab des Apostels Paulus gezeigt, ein Sarkophag, der bei Grabungen zu Beginn dieses Jahrhunderts wiedergefunden wurde und die Inschrift Paulo Apostolo Mart[yri] («dem Apostel und Märtyrer Paulus») trägt. Stoff- und Knochenreste darin lassen sich in das 1. oder 2. Jahrhundert datieren. Ob es sich wirklich um die Gebeine des Apostels handelt, ist damit freilich nicht gesagt und mit archäologischen und geschichtswissenschaftlichen Mitteln auch nicht feststellbar.

Mit anderen Worten: Man kann die Petrus- und Paulustradition in Rom kaum weiter als bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts zurückverfolgen, bei Paulus vielleicht bis in die Zeit um 100. In Würdigung des gesamten Befunds wird man gleichwohl daran festhalten dürfen, dass Petrus und Paulus unter Nero am Kreuz bzw. durch das Schwert hingerichtet wurden. Dies dürfte mindestens im Fall des Paulus kaum vor 61 geschehen sein, da – wie oben gesehen (S. 16) – Paulus erst im Jahr 59 in Rom ankam und dort noch zwei Jahre im Dienst der christlichen Sache tätig gewesen sein soll. Das heißt, dass der Tod des Paulus in die Jahre 61 bis 68 zu datieren ist. Für Petrus kann man hingegen das Hinrichtungsdatum während der Regierungszeit Neros (54–​68) nicht genauer eingrenzen. Eine Hinrichtung zur selben Zeit wie die des Paulus ist schon deswegen unwahrscheinlich, weil es, wie gesehen, separate Martyriumstraditionen gibt.

Domitians Säuberungsaktionen unter Christen
in der römischen Oberschicht

Die christliche Überlieferung hat schon in der Antike Kaiser Domitian (81–​96) im Hinblick auf seine Behandlung der Christen als «kleinen Nero» (portio Neronis) beschrieben. Der bereits erwähnte Tertullian begründet diesen Beinamen damit, Domitian habe die Christen nur kurzzeitig verfolgt und später den Verbannten noch die Rückkehr erlaubt (Apologeticum 5,4). Dass es allerdings überhaupt zu Christenverfolgungen in nennenswertem Ausmaß gekommen ist, ist doch sehr zweifelhaft. In seiner Chronik beruft sich Euseb auf einen gewissen Bruttius, demzufolge «sehr viele Christen unter Domitian das Martyrium erlitten» hätten. Zu den Opfern habe Flavia Domitilla, die Nichte des Konsuls Titus Flavius Clemens, gezählt, die wegen ihres Christuszeugnisses auf die Insel Pontia (heute Ponza) westlich von Neapel verbannt worden sei (vgl. auch Kirchengeschichte 3,18,4).

Diese Auskunft steht aber auf den ersten Blick im Widerspruch zu dem paganen Historiker Cassius Dio, der in seiner zu Beginn des 3. Jahrhunderts verfassten Römischen Geschichte berichtet, Flavia Domitilla sei die Frau des Flavius Clemens, seinerseits ein Vetter Domitians, gewesen. Beide seien der «Gottlosigkeit» angeklagt worden. Domitian habe Flavius Clemens hinrichten lassen, während Domitilla auf die Insel Pandateria (heute Isola Ventotene) verbannt worden sei. Im selben Zusammenhang seien «viele andere, die zu den Sitten der Juden abgedriftet waren», desselben Vergehens beschuldigt und hingerichtet oder verbannt worden (67,14,1–​2). Von einer Christenverfolgung ist weder hier noch bei Sueton die Rede, der lediglich die Hinrichtung des Flavius Clemens erwähnt (Domitian 15,1).

Doch gibt es zwischen den Darstellungen bei Euseb und Cassius Dio Diskrepanzen: Domitilla kann kaum gleichzeitig die Frau und die Nichte des Flavius Clemens gewesen sein, und auch die Verbannungsorte sind nicht miteinander identisch. Dennoch ist das allgemeine Bild, das sich aus den Quellen herauslesen lässt, durchaus stimmig: Domitian dürfte hart gegen die Juden vorgegangen sein. Man warf ihnen «Gottlosigkeit» vor, weil sie den römischen Reichskult nicht befolgten, den Namen des Gottes Israels nicht aussprachen und Gott auch nicht bildlich darstellten. Vor allem Ersteres, das crimen laesae religionis, stellte ein schwerwiegendes Vergehen dar, weil es nach römischer Auffassung das Reichswohl, welches von einem ordnungsgemäßen Vollzug des entsprechenden Kultes abhing, gefährdete (S. 60, 91).

Unter denen, «die zu den Sitten der Juden abgedriftet waren», wird man nun aus römischer Perspektive auch die Christen zählen müssen. Die Maßnahmen gegen Flavius Clemens und seine Frau (bzw. Nichte) könnten daher durchaus mit «Gottlosigkeit» begründet worden sein, aber – mindestens im Fall der Domitilla – faktisch eine Christin getroffen haben. Sie wäre dann das erste Beispiel für das Vordringen des Christentums in die oberste Elite des Römischen Reiches, den Senatorenstand.

Kontext dieser Maßnahme war vielleicht die sog. Judensteuer, deren Eintreibung der Kaiser nach Auskunft Suetons «besonders scharf» überwachen ließ (Domitian 12,2). Sie war den Juden von Vespasian nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 (S. 12) auferlegt worden und diente der Finanzierung des römischen Kultes. Sueton erwähnt, dass auch jene betroffen waren, «die eine jüdische Lebensweise befolgten, ohne bekennende (Juden) zu sein», sowie die, «welche die ihrem Volk auferlegten Abgaben nicht gezahlt hatten, indem sie ihre Herkunft verheimlichten». In diesem Zusammenhang scheint es auch zu zahlreichen Denunziationen von Juden durch Heiden gekommen zu sein (vgl. auch Cassius Dio, Römische Geschichte 68,1,2). Bewiesen wurde die Zugehörigkeit bei Männern im Zweifelsfall durch die Beschneidung, deren Überprüfung von den Behörden angeordnet werden konnte, wie Sueton bei einem jüdischen Greis selbst miterlebt hatte. Die tributpflichtigen Gruppen umfassten somit gewiss auch die Judenchristen, die freilich subjektiv der Meinung sein konnten, infolge ihrer Abwendung vom Judentum von der Steuer befreit zu sein.

Auch über das Ende der Repressionen herrscht in den Quellen Uneinigkeit: Tertullian behauptet, wie gesehen, die Verfolgung habe nur kurz gedauert und sei von Domitian selbst wieder beendet worden (Apologeticum 5,4). Cassius Dio und Euseb setzen das Ende der Verfolgung erst unter Domitians Nachfolger Nerva (96–​98) an (68,1,2 bzw. Kirchengeschichte 3,20,8).

Insgesamt kann man somit für die Regierungszeit Domitians keinesfalls von einer umfassenderen Christenverfolgung sprechen. Im Zuge der Eintreibung der Judensteuer mögen auch Christen ins Visier der römischen Behörden geraten sein. Ansonsten richteten sich Gewaltmaßnahmen allenfalls gegen bestimmte Angehörige der römischen Aristokratie aus Gründen, die nicht primär religiöser Natur gewesen sein dürften.

Dementsprechend wird man auch der Nachricht Eusebs skeptisch gegenübertreten, «der Apostel und Evangelist Johannes» sei unter Domitian wegen «seines Zeugnisses für das göttliche Wort» auf die Insel Patmos verbannt worden (Kirchengeschichte 3,18,1). Eusebs Formulierung könnte aus einer Bibelstelle herausgesponnen sein: In der Offenbarung des Johannes 1,9 berichtet der Verfasser, er habe seine Visionen in Patmos erhalten, wo er «wegen des Wortes Gottes und des Zeugnisses für Jesus» geweilt hatte. Tertullian weiß sogar, dass der «Apostel Johannes» vor seiner Verbannung auf eine Insel «in siedendes Öl» getaucht worden war, ohne dabei Schaden zu nehmen (Die Prozesseinrede gegen die Häretiker 36,3). In einem nur fragmentarisch erhaltenen Text berichtet Papias von Hierapolis (um 130/140), Nerva habe Johannes aus seinem Exil zurückberufen, woraufhin er in Ephesos gelebt, dort sein Evangelium verfasst habe und später von Juden getötet worden sei; er selbst habe ihn noch gesehen (Frg. 13 bzw. 17; vgl. auch Klemens von Alexandrien, Welcher Reiche wird gerettet werden? 42). Papias, Tertullian und Euseb setzen dabei offenbar die Identität des Verfassers des Johannesevangeliums mit dem der Johannesoffenbarung voraus, was bereits zu Beginn des 3. Jahrhunderts bezweifelt wurde und heute als ausgeschlossen gilt. Was auch immer hinter dieser Geschichte stecken mag – eine größere Christenverfolgung lässt sich daraus jedenfalls nicht ableiten.