11. Schlussbemerkungen

Die Auswirkungen der Christenverfolgungen auf das Selbstverständnis der neuen Religion waren beträchtlich: Unmittelbar mit den ersten Martyrien begann die Verehrung der Opfer der Verfolgungen und führte zu einem Grab- und Reliquienkult, der bis in die Gegenwart hinein anhält und für den hier auf das entsprechende Bändchen von Peter Gemeinhardt (Die Heiligen. Von den frühchristlichen Märtyrern bis zur Gegenwart, 2010, bsr 2498) in dieser Reihe verwiesen werden darf.

Im Rückblick sah man fortan die ersten drei Jahrhunderte der unterdrückten Kirche in scharfem Kontrast zur volkskirchlichen Situation der jeweiligen Gegenwart. Diese Geschichtssicht verdankt sich nicht zuletzt den Zeitzeugen und Chronisten Euseb und Laktanz. Unter Konstantin war das Christentum im Römischen Reich aus der Situation einer marginalisierten und unterdrückten Minderheit herausgetreten und hatte eine bis dahin nicht gekannte Gestaltungsfreiheit erlangt. Die psychologische Wirkung dieser unerwarteten Entwicklung ist in unseren Quellen mit Händen zu greifen. Unter den Christen herrschte das Bewusstsein vor, einen fundamentalen Epochenübergang mitzuerleben, vergleichbar etwa in unseren Tagen mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs oder des Kalten Kriegs.

Dieses psychologische Moment ist sicher auch für den panegyrischen Überschwang in Rechnung zu stellen, mit dem die beiden Autoren die Regierung Kaiser Konstantins feierten und dabei zahlreiche problematische Züge seiner Herrschaft gnädig übersahen. Die Einschätzung ihrer paganen Zeitgenossen fiel deutlich skeptischer aus, und tatsächlich wurde im weiteren Verlauf des 4. Jahrhunderts deutlich, dass sich das Blatt um 180 Grad gewendet hatte und für die traditionellen Kulte harte Zeiten angebrochen waren, die schließlich zu ihrem Verbot führten. Spätere Kirchenhistoriker, vor allem im deutschsprachigen Raum, haben darum von der «Konstantinischen Wende» gesprochen, mit der das «Konstantinische Zeitalter» angebrochen sei. Häufig verband sich damit eine negative Wertung: Gerade Protestanten sahen (und sehen) die neue Zeit gern als Beginn des Niedergangs der Kirche, die durch ein zu enges Verhältnis zur staatlichen Macht korrumpiert worden sei. Man wird sich freilich vor allzu vereinfachenden Aussagen hüten müssen: Die Kultur der jesuanischen Nächstenliebe, die sich der Schwachen ungeachtet ihrer Nationalität, Hautfarbe oder Religion annimmt, war auch in der «siegreichen» oder «triumphierenden» Kirche nicht ausgestorben. Aber es gilt auch: Aus der verfolgten Religion war eine Religion geworden, die sich bis in die Neuzeit schwer damit tat, Menschen anderen Glaubens zu tolerieren. Darin zeigt sich die Zwielichtigkeit aller menschlichen Geschichte, die auch die Kirchengeschichte kennzeichnet.