3 Tage vor dem Ereignis

stand der Sprengmeister in guter Entfernung vom Gaudi-Gebäude in Spanien. Punkt 2 Uhr morgens würde er die Sprengung einleiten und das war in –

fünf Minuten.

Die Basilika »La Sagrada Família« würde nach seinen Berechnungen so kollabieren, dass sie in den gegenüberliegenden Park fallen würde, der menschenleer war. Sie würde die angrenzenden Wohnhäuser außer mit der Lärm- und Staubemission nicht belästigen.

Hoffentlich.

Jede Sprengung, Teilsprengung mitgemeint, war dem Sprengmeister wie das Explodieren eines Drogencocktails im Gehirn. Sein Herz raste, der Puls war stark erhöht, er sah die Schönheit des Viertels in der Nacht, die leeren Straßen, keine Lichter in den Wohnungen, nur ein paar Straßenlaternen mit biometrischen Kameras, gegen die sich der Sprengmeister mit einer Maske, die das Gesicht des Königs darstellte, geschützt hatte.

Der Sprengmeister erinnerte sich an die Welt. Früher, als sein Blick auf sie noch nicht von Wut und Enttäuschung getrübt gewesen war. Als er noch an das System geglaubt hatte. Und an Liebe. Und an die Möglichkeiten, die ihm scheinbar offenstanden in dieser großartig schönen Welt.

Inzwischen war er für die jungen Menschen ein alter weißer Mann, der sich seiner Privilegien als weißer Mann nicht bewusst war und an seiner Schuld, die sein Weißsein implizierte, nicht genug gearbeitet hatte. Er versuchte sich ab und zu in der Vorstellung, dass es einer schwarzen Frau in seiner Lage noch schlechter gehen würde. Aber wie sollte ein »noch schlechter« aussehen? Der Sprengmeister war Ende vierzig, und er hatte noch zu viele Jahre vor sich, als dass er sie im Bett verbringen könnte.

In welchem Bett eigentlich –

In Sekunden lief sein Leben noch einmal vor ihm ab.

Die Bewerbungsgespräche, bei denen die Algorithmen sich immer gegen ihn entschieden. Das sinnlose Sitzen im Kinderzimmer seines Bruders. Die Einschränkungen der Funktionen seiner Identitätskarte, weil er ein arbeitsloser Untermieter war. Das war doch verrückt. Das auf seinem Ausweis, obwohl es die eine Identität gar nicht gab, sondern Organismen sich ständig veränderten, nur Veränderungen im unorganischen Bereich gespeichert waren, die aber dazu führten, dass sein Organismus vom Zugang identitätserhaltender Maßnahmen entfernt wurde.

Und es war

Punkt 2 Uhr.

Der Sprengmeister atmete durch, seine Hände waren trocken. Er drückte auf den Zünder.

Ein dumpfes Geräusch, wie ein durch Empire-Jupiter-6500-Lautsprecher verstärkter Donner. Innerhalb von Sekunden fiel das Bauwerk elegant in sich zusammen. Es ging in die Knie wie ein Elefant.

Dem Sprengmeister lief etwas Harn ab.

So viel Freude muss schon mal möglich sein.

Er setzte sich auf eine der Bänke mit menschenfreundlichen Armlehnen, Bänke, auf denen keine mehr liegen konnte. Sein Herzschlag beruhigte sich nicht. Die Blaulichter und Sirenen teilten die Nacht, in Gut und Böse. Das Motto seit 9/11. Menschen riefen einander zu, die ersten kamen auf die Straßen, um das Werk des Sprengmeisters zu beklatschen. Über den Gesprächen, den Martinshörnern, dem Knattern der Helikopter-Rotoren die Signale der Push-Nachrichten des Chats.

Alle Einsätze in Europa waren gelungen. Die Börsen. Tempel der Entfesselung waren Staub. Niemand war verletzt worden, außer ein paar gesprungenen Scheiben in der Nachbarschaft und einem großen Haufen Dreck

war von den Symbolen der Märkte

nichts mehr übrig.

Es war vollbracht,

dachte die

Grundbuchamtfrau

in London, nachdem sie alle Papiere aus den Tresoren auf den Boden gelegt hatte, ein rechter Berg war das, den sie mit Benzin übergoss, ihn anzündete, ehe sie den Raum verließ.

Überall in den Kapitalzentren Europas

brannten, von eifrigen BeamtInnen entzündet,

die Eigentumsdokumente von Wohnungen, Häusern, Grundstücken, Einkaufsmeilen, Geschäften

und waren dann

weg.

Mit einem eleganten Geräusch.

Gleichsam wie eine aufgeblasene Papiertüte, die unter Wasser zerknallt wurde,

klang es in Bilbao in Spanien und in Bude in England.

Das »Grace Hopper«-Überseekabel, mit dem das Google-Netzwerk nun endlich die Infrastruktur in Europa komplett und eher – feindlich übernehmen wollte, verschwand mit einer Reihe von Unterwassersprengungen.

Ausgerechnet nach Grace Hopper hatten sie es benannt, der Frau, die neben der Basis vieler einfacher Programmiersprachen auch das Fundament für COBOL entwickelt hatte, das heute noch in den meisten Banksystemen aktiv war. Prost. Da flogen Tausende Kilometer Glasfaserkabel mit modernster Switch-Architektur in die Luft.

»Mit privaten Seekabeln können wir den zukünftigen Kapazitätsbedarf unserer Kunden und Nutzer auf der ganzen Welt effektiv planen und eine Sicherheitsebene hinzufügen, die über das hinausgeht, was über das öffentliche Internet verfügbar ist«, hatte der Google-CEO gesagt, und Europa war begeistert gewesen.

Den Einfluss der amerikanischen Internetmonopole noch weiter verstärken – das klang großartig.

Nehmt unsere Länder, also – die Macht über unsere Daten, über unsere Institutionen.

So wie Europa komplett von chinesischen Medikamenten, Rohstoffen, IT -Technik abhängig war, hatte es seine Daten erregt an die USA verschenkt. In den Ländern des alten Kontinents wurstelte man immer noch herum, um endlich die großartige Digitalisierungsschlacht zu gewinnen. Vor Kurzem war das größte europäische Rechenzentrum in Straßburg abgebrannt. Kurz vor dem Börsengang vernichtete das Feuer fast 13 Tausend Server, mit sensiblen Daten von Banken, Personen, dem Gesundheitswesen, die in einer Cloud gespeichert waren – in einer fluffigen rosa Wolke sicher beim Gott – und nun waren sie alle weg. Dutzende harte Ziele vom Netz verschwunden, Datensätze vernichtet, Unternehmen dito.

Der Plan für das paneuropäische mit Milliarden geförderte Giga-Projekt »GAIA -X« zur Errichtung einer europäischen Dateninfrastruktur mit Datenzentreten in Europa und unbeeinflusster Soft- sowie Hardware – kam zu spät.

Und