Für die Rückführung der Indienarmee wurden mehrere Routen in Angriff genommen.1 Um die Versorgungsprobleme gering zu halten und den optimalen Abtransport der Verwundeten und Kranken sowie des umfangreichen Kriegsgeräts und der Beute zu bewerkstelligen, wurde die Armee in drei große Abteilungen aufgeteilt, die jede für sich den Weg nach Westen antrat. Bereits vor Alexanders Aufbruch in Richtung Indusdelta war Krateros mit einem Teil des Heeres in westlicher Richtung nach Arachosien und Drangiane abgebogen. Er hatte den Auftrag erhalten, in Karmanien mit den von Alexander selbst angeführten Truppen, welche von Süden aufrücken sollten, wieder zusammenzustoßen und dabei die Befriedung der auf seinem Weg liegenden Regionen zu vollenden.2 Diese Unternehmung galt als leichter zu bewältigen als etwa die Wegstrecke, die Alexander einschlagen wollte.
Das Hauptheer unter Alexander marschierte zunächst von der Flotte flankiert den Indus abwärts Richtung Ozean. An dessen Mündung trennten sich die Wege der Landtruppen und der Schiffe. Während Nearchos, der das Kommando über die Flotte erhielt, auf die günstigen Monsunwinde hoffte – wobei er fast drei Monate warten musste, bis er schließlich seine abenteuerliche Küstenfahrt bis zur Mündung des Euphrat beginnen konnte3 –, trat Alexander im September 325 entlang der Küste Gedrosiens die Rückkehr nach Westen an.4 Gedacht war an eine kombinierte Seeund Landoperation, wie sie bereits an der Donau, in Phönikien, in Ägypten und am Indus stattgefunden hatte. Im Unterschied zu diesen Unternehmungen galt sie jedoch als weitaus gefährlicher. Die Kenntnisse der Seefahrtsrouten im Indischen Ozean waren mangelhaft, und der Landweg durch die Gedrosische Wüste barg unkalkulierbare Risiken in sich. Doch möglicherweise sah Alexander genau dies als besondere Herausforderung an. Überdies kursierte die Legende, dass sowohl die babylonische Königin Semiramis als auch Kyros an dieser Aufgabe gescheitert wären.5 Jedenfalls ging es bei der Wahl dieser schwierigen Strecken primär darum, bisher unberührte Regionen der eigenen Herrschaft einzugliedern beziehungsweise einen neuen Seeweg vom Euphrat nach Indien zu erkunden und zu eröffnen. Alles deutet darauf hin, dass Alexander die gewaltigen Probleme ahnte, die auf ihn zukommen sollten und sie dennoch in Kauf nahm, weil er sich von deren Lösung eine Erhöhung seines angeschlagenen Prestiges erhoffte.6
Gedrosien, die Region, die zunächst durchquert werden musste, galt als eine der unwirtlichsten Gegenden der Welt. Berüchtigt war die Wüste von Makran – eine menschenleere Einöde bar jeder Zivilisation. Die logistischen Anforderungen hinsichtlich der Versorgung der großen Truppeneinheiten mit Nahrungsmitteln und Wasser waren beträchtlich. Doch bevor der Gang durch die Wüste angetreten werden konnte, beabsichtigte Alexander, die westlichen indischen Stämme der Oreiten und Arabiten zu unterwerfen. Seine Streitkräfte7 visierten zunächst den Fluss Arabios an. Die restlichen Einheiten kamen unter Hephaistion nach und deckten den Vormarsch des Hauptheeres. Unweit der Küste ließ Alexander zunächst Brunnen graben, um die Wasserversorgung für die Flottenbesatzungen, die demnächst hier ankern würden, zu sichern. Dann griff er die Oreiten an und nahm sie in die Zange. Gleiches hatten anschließend die Arabiten zu erleiden. Bis in die Nähe der Stadt Rhambakia ließ Alexander die in die Wüste fliehenden Gegner verfolgen. Hier vereinigten sich seine Verbände mit den nachrückenden Truppen des Hephaistion.8
Nun drang der gesamte Heereszug in die Wüste ein.9 Es dauerte nicht lange, bis die am Weg gelagerten oder von den Mannschaften mitgeführten Vorräte verbraucht waren. Dann folgten wochenlange Märsche unter schwierigsten klimatischen Bedingungen, welche die Moral der Truppe zersetzten. Hinzu kam der akute Wassermangel. Menschen und Tiere kämpften ums nackte Überleben. In Unkenntnis des Geländes wurde mancher Umweg eingeschlagen. Der gerade Weg entlang der Küste erwies sich als unbegehbar und so musste man notgedrungen landeinwärts einbiegen. Dabei riss die Verbindung mit der im Indischen Ozean nach Westen segelnden Flotte gänzlich ab. Beide Heeresformationen wussten nun nichts mehr voneinander, verloren jeden Kontakt und irrten jede für sich ziellos umher: Nearchos mit seinen Schiffen im Indischen Ozean und Alexander mit seinem Heer in der Wüste von Makran. Die Verlustquote stieg täglich weiter an. Über die Hälfte des Heeres soll bei diesem höllischen Wüstenmarsch auf der Strecke geblieben sein. Der Rest quälte sich, von Alexander angetrieben, im Treibsand der Dünen voran. Das Schicksal der Überlebenden hing an einem seidenen Faden.10
Es war die größte Strapaze des gesamten Feldzuges. Keine andere Aktion forderte so viele Menschenleben wie dieser katastrophal verlaufende Marsch durch die Wüste. Alexander hatte nicht nur die Wirkung der Natur auf Mensch und Tier falsch eingeschätzt, sondern unübersehbar die Versorgung seiner Truppen unzureichend geplant. Koordination und Logistik, die bisher ein Gütezeichen seiner Expeditionen bis in die äußersten Winkel der Welt gewesen waren, versagten in der Gedrosischen Wüste völlig. Alexander wurde von ihr besiegt, beinahe. Denn schließlich überlebte er, und mit ihm ein Teil seiner Begleitung, diesen traumatischen Marschweg.11
Als etwa zwei Monate nach dem Abmarsch aus Ora Ende 325 die gedrosische Hauptstadt Pura erreicht wurde, war Alexanders Heer ein Schatten seiner selbst.12 Völlig entkräftete und kranke Soldaten bedurften der Pflege und Rekonvaleszenz. Die gewaltige physische Überbeanspruchung hatte bei allen Teilnehmern sichtbare Spuren hinterlassen. Die Mühen waren jedoch keineswegs beendet, denn noch lag ein beträchtliches Stück Weg vor ihnen. Da die Verbindung zur Flotte längst abgebrochen war, schrieb Alexander sie ab. Er rechnete nicht mehr damit, sie wiederzusehen.
Belehrt durch die Erfahrungen des unseligen gedrosischen Wüstenmarsches traf Alexander die Vorbereitungen für die Bewältigung der nächstliegenden Wegstrecke Richtung Karmanien mit besonderer Sorgfalt. Boten suchten die umliegenden Satrapien auf, um alles Nötige bereitzustellen. Tatsächlich erschienen Stasanor, der Satrap von Areia und Drangiane, und Phradasmanes, der Sohn des Satrapen von Parthien und Hyrkanien, am vereinbarten Ort mit Hilfslieferungen.Auch der vor Monaten bereits abgereiste Krateros traf mit seinem Heeresverband, nachdem er Arachosien und Drangiane durchstreift und eine Reihe von Aufständen niedergeschlagen hatte, in Karmanien ein. Dort konnte endlich die Vereinigung beider Heeressäulen erfolgen. Zudem erhielten die erschöpften Truppen die dringend benötigte Erholung.13
Erheblich verbessert wurde die verheerende Bilanz der letzten Monate durch das plötzliche Auftauchen der verloren geglaubten Flotte des Nearchos in der Straße von Hormuz unweit von Kap Maketa. Ähnlich wie das Landheer mussten auch die Flottenbesatzungen erhebliche Strapazen erdulden. Von akutem Wasser- und Nahrungsmittelmangel, von Verzweiflung und Orientierungslosigkeit geplagt, driftete die mit so viel Erwartung angetretene Seefahrt oft genug am Rande des Abgrunds. Nur der Beharrlichkeit des Nearchos, der gegen den Rat des Onesikritos handelte14, Arabien zu umsegeln, war es zu verdanken, dass die Schiffe Kurs auf den Persischen Golf hielten, bis sie schließlich dort eintrafen. Schier zufällig vernahmen einige an Land gegangene Seeleute, dass sich Alexanders Landheer nur wenige Tagesmärsche entfernt befand. An der Spitze eines Suchtrupps gelangte Nearchos zum Lager des Königs, der sich über die Rettung der Flotte angeblich mehr als über die Eroberung Asiens gefreut haben soll. Jedenfalls wurde das Wiedersehen ausgiebig mit Dankopfern und Festspielen gefeiert.15 Allmählich begann man damit, das stark dezimierte Heer neu zu formieren. Die allgemeine Stimmung besserte sich zusehends. Die Landtruppen traten von Karmanien aus eine, verglichen mit den Strapazen der Vergangenheit, eher gemächliche Wegstrecke in Richtung Persis an.
Unterwegs hielt Alexander Strafgericht gegen einige von ihm eingesetzte Satrapen und Militärbefehlshaber, die sich seiner Meinung nach als illoyal oder als unfähig erwiesen hatten. Möglicherweise waren die Vorwürfe berechtigt, bedenkt man, dass die lange Abwesenheit des Königs, dazu die Nachrichten über seinen Tod beim Feldzug gegen die Maller, den einen oder anderen örtlichen Befehlshaber zu einem, aus der Sicht Alexanders, allzu selbstherrlichen Verhalten angestiftet haben mögen.16 Allerdings besteht der Verdacht, dass diese Aktionen auch als Ablenkung dienten, um den eigenen Anteil an den erlittenen Katastrophen zu überspielen. Immerhin war er der uneingeschränkte Befehlshaber seiner Truppen. Auf seinen Schultern lastete die gesamte Verantwortung für die Rückschläge der letzten Jahre, die im Kontrast zu den glanzvollen Siegen aus der Anfangsphase des Feldzuges standen.17
Mit sorgsam dosierten Strafaktionen wollte der König der Makedonen und Perser seine ramponierte Autorität wiederherstellen. Er forderte Rechenschaft, indem er als strenger Richter auftrat. Seine Verdikte ermöglichten eine systematische Überprüfung seiner bisherigen Personalpolitik. Illoyale Statthalter wurden beseitigt und durch neue Amtsträger ersetzt. Ferner erging an die Satrapen ein Verbot, Söldner anzuwerben, womit künftig die Begehrlichkeiten und Eigenmächtigkeiten der Militärbefehlshaber unterbunden werden sollten.
Den Reigen eröffnete Astaspes18, der Satrap von Karmanien, den man beschuldigte, den indischen Feldzug sowie den Rückmarsch über Gedrosien unzureichend unterstützt zu haben. Nach dessen Hinrichtung übernahm der Makedone Tlepolemos19 an seiner Statt das vakant gewordene Amt.20 Gleiches unterstellte man Abulites, dem in Susa residierenden Satrapen und dessen Sohn Oxathres. Auch sie bekamen die Wut Alexanders zu spüren; beide verurteilte er zum Tode.21 Dem verstorbenen Satrapen von Gedrosien, Apollophanes, folgte Sibyrtios im Amt22, während das am Indus liegende Gebiet des durch Söldner ermordeten Satrapen Philippos dem Taxiles unterstellt wurde.23 Auch die Militärbefehlshaber von Ekbatana, die an der Spitze ihrer Truppen zu Alexander nach Karmanien zogen, wurden wegen erwiesener Übergriffe gegen die Bevölkerung und eklatanter Misswirtschaft zur Rechenschaft gezogen und mit ihren Helfern zum Tode verurteilt.24
Kleomenes, der Statthalter von Ägypten, wurde wegen seiner Finanzpolitik angeklagt, vermochte jedoch, wenn auch mit Mühe, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.25 Am spektakulärsten war aber die Flucht des Harpalos, des Jugendfreundes Alexanders, dem die Finanzverwaltung oblag und der in Babylon ein wahrhaft ausschweifendes Leben geführt hatte. Als er von Alexanders Rückkehr erfuhr, eilte er mit seinem stattlichen Gefolge und unter Mitnahme von 5000 Talenten nach Westen, um der Bestrafung zu entgehen. Im kilikischen Tarsos endete vorerst seine Reise. Als Alexander dann immer näher rückte, setzte Harpalos seine Flucht – nicht ohne seinen Schatz – bis nach Athen fort.26
Dass die Armee diese Strafaktionen ohne jegliche Auflehnung hinnahm, darf als Hinweis für die Haltbarkeit der erhobenen Vorwürfe gelten. Neben Bestrafungen gab es auch Ehrungen. Die höchste wurde dem treuen Weggefährten Hephaistion zuteil, der nun als Chiliarch mit der Stellvertretung Alexanders betraut wurde, womit er zum zweitmächtigsten Mann im Reich avancierte.27 Einige bewährte Kampfgefährten bekamen goldene Ehrenkränze, so Peukestas und Leonnatos, jene Leibgardisten, die Alexanders Leben an der Mallerburg gerettet hatten. Auch Nearchos und Onesikritos sowie weitere bewährte Männer aus der Umgebung des Königs wurden wegen ihrer Verdienste überschwänglich gelobt und belohnt.28
Der neue Chiliarch Hephaistion erhielt von Alexander den Befehl, die Hauptmacht des Heeres nach Susa zu führen. Alexander selbst marschierte, von wenigen Abteilungen begleitet, nach Persepolis und Pasargadai. Die Maßnahmen für eine personale Reorganisation seines Reiches setzten sich in der Persis fort. Hier hatte sich der mit dem Achaimenidenhaus verwandte Orxines29 zum Satrapen erhoben, nachdem Phrasaortes, der diese Stelle versehen hatte, verstorben war. Als Alexander nach Pasargadai kam und das einige Jahre zuvor restaurierte Grab des Kyros beschädigt vorfand, steigerte sich seine Wut gegenüber Orxines, zumal dieser auch von den Bewohnern der Persis mit Vorwürfen überhäuft wurde. Alexander nahm sie ernst und ließ den selbsternannten Satrapen umbringen.30 Seine Stelle übertrug er dem Makedonen Peukestas, einem Mitglied seiner Leibwache. Diese Ernennung war ganz nach dem Geschmack des Königs. Peukestas zog nun persische Kleidung an, erlernte die Sprache des Landes und bemühte sich, ähnlich wie sein Vorbild Alexander, nach Kräften um eine intensive Kooperation zwischen Persern und Makedonen.31 Alexander befahl, die Begräbnisstätte des Kyros instand zu setzen, und brachte eine griechische Übersetzung unter der persischen Grabinschrift an, welche von den Taten des Reichsgründers kündete. Auch ließ er verlautbaren, dass er seine vor Jahren getroffene Entscheidung, den Palast von Persepolis niederzubrennen, zutiefst bedauere.32
Am Pasitigris vereinigte sich die Flotte des Nearchos mit dem Landheer. Die Zusammenkunft wurde festlich begangen.33 Als bald darauf die Landschaft Susiane erreicht wurde, trug sich eine eigentümliche Begebenheit zu, die Alexander zu denken gab. Der indische Gymnosophist Kalanos, der seit dem Indienaufenthalt zum Gefolge des Königs gehörte, erkrankte schwer. Er weigerte sich beharrlich gegen jegliche ärztliche Behandlung. Auch schlug er alle diesbezüglichen Ratschläge in den Wind. Bevor er sich auf einem Scheiterhaufen verbrennen ließ, soll er ein Wiedersehen mit Alexander in Babylon angekündigt haben.34
Im Frühjahr 324 traf Alexander endlich in Susa ein.35 Dort fielen wichtige programmatische Entscheidungen hinsichtlich der künftigen Ausgestaltung des Reiches. Sie standen unter dem Vorzeichen der makedonischpersischen Zusammenarbeit. Nach fast zehnjähriger Abwesenheit von der Heimat war Alexander dem Orient näher gerückt. Die Übernahme persischer Hofsitten, die Hochzeit mit Roxane, das enttäuschende Verhalten einiger Landsleute hatten ihn möglicherweise seiner Herkunft entfremdet. Zwar fühlte er sich stets als makedonischer König, aber seine asiatische Königswürde empfand er nicht weniger bindend als Verpflichtung gegenüber den verschiedenen Völkern seines Reiches. Daher war die Freude verständlich, die er hinsichtlich der Amtsführung des Peukestas empfand.
Der publikumswirksamste Aspekt seines Aufenthaltes in Susa bildete eine sorgfältig geplante Massenhochzeit, bei der führende Vertreter der makedonischen Aristokratie vornehme persische Frauen heirateten. Den Anfang machte Alexander selbst, der Strateira36, die älteste Tochter des Dareios III., und gleichzeitig Parysatis37, die jüngste Tochter des Artaxerxes III., ehelichte, ohne deswegen seine Verbindung mit Roxane aufzulösen. Die vornehmen persischen Damen waren in den letzten Jahren äußerst zuvorkommend behandelt worden. Sie hatten die griechische Sprache erlernt. Nun sollten diese Verbindungen nicht nur die dynastischen Bande zwischen den Häusern der Argeaden und Achaimeniden stärken, sondern auch als Vorbild für die künftigen Führungsschichten des Reiches dienen. Unter dieser Maxime heiratete Hephaistion Drypetis, eine weitere Tochter des Dareios III. Krateros verband sich mit einer Tochter des Oxyathres. Seleukos erhielt eine Tochter des Spitamenes zur Frau, Nearchos versprach man eine Tochter Memnons und der Barsine, Ptolemaios und Eumenes ehelichten jeweils die Töchter des Artabazos, Perdikkas eine Tochter des Atropates, des Satrapen von Medien. Etwa achtzig solcher hochrangiger Ehen wurden damals geschlossen. Die Truppe zog nach: Sämtliche Konkubinate der makedonischen Soldaten mit orientalischen Frauen wurden legalisiert.38
Fünf Tage lang feierte man ausgelassen in Susa die nach persischem Ritual vorgenommenen Trauungen. Bankette, musikalische und athletische Darbietungen umrahmten die Zeremonie. Üppige Geldgeschenke wurden unter die Brautpaare verteilt. Alexander ließ sich seine groß angelegte Inszenierung, die das Zusammenwachsen der makedonisch-persischen Eliten dokumentieren sollte, ein Vermögen kosten. Doch der unglaubliche Aufwand und äußere Glanz der Veranstaltung vermochten nicht die tief greifenden Divergenzen zwischen dem orientalischen Lebensgewohnheiten zuneigenden König und den demgegenüber eher skeptisch eingestellten Makedonen zu überdecken. Bei der Aufstellung einer aus persischen Soldaten bestehenden Einheit von 30.000 Mann, die nach makedonischer Kampfweise ausgerüstet wurde, den sogenannten Epigonen, traten diese Antagonismen am deutlichsten zutage.39 Die makedonischen Veteranen fühlten sich gekränkt und gaben dies ihrem König deutlich zu verstehen.
Den Aufenthalt in Susa nutzte Alexander auch, um in die politischen Verhältnisse Griechenlands einzugreifen. Angesichts der Wirren der Vergangenheit gab es eine große Anzahl Verbannter, die ein bedrohliches Unruhepotenzial in zahlreichen Städten darstellten. Alexander beschloss, diese explosive Situation für seine machtpolitischen Ziele zu nutzen, und ermöglichte in seiner Eigenschaft als Hegemon des Korinthischen Bundes den Exilierten die Rückkehr in ihre jeweilige Heimat. Er ließ zu diesem Zweck durch Nikanor40 im Sommer des Jahres 324 eine feierliche Proklamation in Olympia verlesen, in der er zur Aufnahme der Verbannten aufforderte und darum ersuchte, dass diese in ihre früheren Rechte wieder eingesetzt werden sollten. Begreiflicherweise löste diese Aktion bei den Betroffenen, ihre Zahl soll mehr als 20.000 betragen haben, Freude aus.41 Doch die Zustimmung blieb durchaus geteilt. Mancherorts wehrten sich die betroffenen Städte, indem sie das Inkrafttreten der Rückführungsmaßnahmen verzögerten. Besonders Athen, das sich der Insel Samos bemächtigt hatte, tat sich äußerst schwer damit. Es sollte Jahre dauern, bis die vertriebenen Samier wieder von ihrer Heimat Besitz ergreifen konnten. Neben den politischen, ökonomischen und sozialen Konvulsionen erzeugte diese Aktion eine Fülle sozialer Spannungen und rechtlicher Probleme, da die Städte bei der Klärung der verworrenen Eigentumsfragen und Entschädigungsansprüche völlig überfordert waren.42
Kaum eine andere Maßnahme Alexanders rief so viel Diskussionen, Zustimmung und Widerspruch zugleich hervor. Er reizte dabei seine Rolle als Hegemon aus, indem er, ohne seine Bundesgenossen anzuhören, eine Verfügung erließ, die massiv in deren Befugnisse eingriff. Rücksichtslos handelte er als der mächtigste Potentat der Welt, dessen Wunsch Gesetz war.43 Aber dieser Aspekt war nicht entscheidend. Als wichtiger erwies sich das Kalkül, das sich hinter der gesamten Rückführungsaktion verbarg. Offenbar beabsichtigte Alexander eine Destabilisierung der Makedonien feindlich gesinnten griechischen Poleis, um damit die eigene Vorherrschaft zu festigen. Vermutlich sah er in der Masse der Heimkehrer eine potenzielle fünfte Kolonne, von der er sich in Zukunft treue Dienste versprach, wenn es eines Tages darum gehen sollte, die politische Landkarte Griechenlands umzugestalten.44
In Zusammenhang mit dem Verbanntendekret, das die griechische Öffentlichkeit zutiefst aufwühlte, wird eine eigens von Alexander an die griechischen Städte gerichtete Aufforderung, wonach er göttliche Ehren verlangt habe, kolportiert.45 Doch es ist fraglich, ob diese Initiative von Alexander selbst ausging.46 Sollte er in dieser Angelegenheit tätig geworden sein, dann sicher nicht offiziell, sondern eher diplomatisch und im Stillen. Leider lässt sich die Dynamik dieses Prozesses anhand der vorhandenen Quellen nicht mehr rekonstruieren. Zwar respektierte Alexander während der verschiedenen Stationen seines Eroberungszuges demonstrativ die religiöse Welt der betroffenen Regionen, doch wurde er nirgendwo als Gott öffentlich verehrt, und er hat, jenseits aller Stilisierungen als neuer Dionysos, Herakles oder als Abkömmling des Zeus, dies auch nirgendwo verlangt. Stets passte er sich den örtlichen Gepflogenheiten an und ließ sich gemäß der dort geltenden Formen der Ehrerbietung huldigen.47 Im Gegensatz zum Orient gab es im griechischen Kulturraum vielfache Formen kultischer Verehrung lebender Menschen. Philipp II. und Alexander waren gelegentlich von solchen Praktiken vereinnahmt worden, so etwa in Ionien. Es handelte sich dabei um Stadtkulte, die in der Errichtung von Altären, Tempeln, Statuen und dem Einsetzen einer Priesterschaft mit einem eigens dafür entwickelten Ritual bestanden. Auf diese Weise wollte man den so überschwänglich Geehrten für sich einnehmen. Mit der öffentlich bekundeten Devotion verbanden sich die Dankbarkeit der Betroffenen für erhaltene Gunsterweise sowie der Wunsch der Dedikanten nach weiteren Wohltaten. Etwas Ähnliches scheint sich damals in der aufgeregten politischen Landschaft Griechenlands abgespielt zu haben. Natürlich wussten die Griechen, wie empfänglich gerade Alexander für Kultangelegenheiten war.
Aus diesen Gründen fingen die Athener, Spartaner und weitere Poleis an, Alexander durch Opfer, Tempel und Altäre zu huldigen. Sie taten dies nicht auf Anordnung, sondern ergriffen selbst die Initiative. Solche Vorstöße blieben aber innerhalb der einzelnen Poleis umstritten, wie die hitzigen Diskussionen zeigen, die man in Athen und anderswo darüber führte.48 Die Anlässe für die Vergöttlichung Alexanders waren begreiflicherweise primär eigennützig. Auf diese Weise hoffte man, den übermächtigen Herrscher für sich einzunehmen, ihn künftig milder zu stimmen. Das Erweisen göttlicher Ehren an lebende Individuen war ein politischer Akt. Durch prachtvolle Huldigungsrituale erhofften die griechischen Städte, die Megalomanie eines Autokraten, mit dem man in Zukunft auskommen musste, halbwegs zu bändigen. Kalkül und Opportunität und nicht etwa eine religiöse Stimmungslage gaben den Ausschlag dafür. Es mag aus heutiger Sicht verwundern, dass man den eher ungeliebten, vor allem aber gefürchteten Alexander, der durch sein autokratisches Verhalten die Verbanntenaffäre ins Rollen gebracht und damit eine Krise in Griechenland ausgelöst hatte, durch kultische Überhöhung gewissermaßen in die Pflicht nehmen wollte. Wenn es eines Beweises für die Ohnmacht der griechischen Poleis bedurfte, dann lieferte ihn gerade diese überaus umstrittene und rabulistische Inszenierung.
Alexander wiederum bot die öffentlich proklamierte Vergöttlichung die Gelegenheit, die Beziehungen zu den aus seiner Sicht notorisch unzuverlässigen Griechen neu zu regeln. Erkannten sie ihn als gottgleiche Herrscherpersönlichkeit an, so konnte er nun hoffen, seiner Autorität besser als in der Vergangenheit Geltung zu verschaffen: Für eine bewusste politische Instrumentalisierung seiner Göttlichkeit gibt es in der Tat einige Indizien.49
Noch in Karmanien, als er unterwegs zu den Königsresidenzen des Achaimenidenreiches war, hatte sich Alexander fieberhaft mit weiteren Eroberungsplänen beschäftigt. Im Verlauf der nächsten Monate nahmen einige Projekte deutliche Gestalt an. Arabien kam dabei eine besondere Priorität zu. Nach der Fahrt des Nearchos war klar geworden, dass dieses – trotz seiner geographischen Nähe zur Persis – relativ unbekannte Land eine Halbinsel von beträchtlichem Ausmaß darstellte. Erkundungsfahrten von Ägypten und Babylonien aus hatten bereits zu einigen Küstenabschnitten geführt, doch eine Umrundung und Durchquerung der gesamten Landmasse Arabiens war bislang unterblieben. Alexander plante eine Eroberung des Subkontinents.50 Was in Indien und Gedrosien misslungen war, musste hier gelingen: Seine Truppen sollten zu Wasser und zu Lande reibungslos operieren. In Babylon wurde eigens mit dem Ausbau eines Hafens begonnen, der die Invasionsflotte aufnehmen sollte. Seeleute aus Zypern und Phönikien wurden mobilisiert. Als Beweggrund für den Arabienfeldzug wurde neben der günstigen strategischen Lage für die Seewege nach Indien vor allem der Reichtum des Landes an Gewürzen angeführt.51
Letztlich bildete Arabien nur den Ausgangspunkt einer weit gespannten Expansionspolitik, anvisiert wurde bereits die gesamte Mittelmeerwelt. Denn nach der Beherrschung der Landmasse, die sich vom Indus bis nach Arabien und Kleinasien erstreckte, wären ohnehin die Regionen des westlichen Mittelmeers in den Blickpunkt der Begehrlichkeiten Alexanders geraten. Aus den Aufzeichnungen, die erst nach seinem Tod bekannt wurden, ging hervor, dass er eine gewaltige Flotte ausrüsten wollte, um Karthago und das Gebiet bis zur Meerenge von Gibraltar zu erobern. Es gibt keinen Grund, am einschlägigen Bericht Diodors, unserer einzigen Quelle dafür, zu zweifeln.52
Dass Alexander, nachdem er zunächst an der Donau die Nordgrenze seines Königtums überquert, danach in Indien die Ostgrenze seines Reiches abgesteckt hatte und mit der bevorstehenden Expedition nach Arabien sich anschickte, die Südgrenze seines Machtbereiches zu erweitern, schließlich auch noch die Westgrenze der bekannten Welt zu überschreiten beabsichtigte, lag durchaus im Trend seines bisherigen Verhaltens (Pothos). Nun, je näher er dem Gravitationszentrum seines Reiches kam, sich von den Strapazen seiner Rückkehr aus Indien erholte, dabei seinen Herrschaftsbereich neu ordnete und sich dessen gewaltiger Machtmittel versicherte, schien die Verwirklichung dieser außenpolitischen Herausforderungen nur noch eine Frage der Zeit.