Kapitel 2
Mila
Ein Jahr zuvor...
„Wo zum Teufel hast du gesteckt?“
Seine dröhnende Stimme hallt durch das Haus und lässt mich zusammenzucken, als ich durch die Tür trete. Er hat getrunken. Schon wieder. Oder besser gesagt, wie immer. Wenn Alexander nicht arbeitet, neigt er dazu, noch mehr zu trinken als gewöhnlich. Und das will etwas heißen.
„Ich war unterwegs“, sage ich. „Musste ein paar Besorgungen machen.“
Ich höre, das Klappern umfallender Bierdosen, als er von der Couch aufsteht und schwankend in die Küche gestürmt kommt, um mich dort abzufangen. Sein Gesichtsausdruck ist finster, und seine einst strahlend blauen Augen sind glasig und stumpf. Wütend. Alexander ist grundsätzlich wütend. Das ist er schon, so weit ich zurückdenken kann.
„Besorgungen“, speit er verächtlich. „Erzähl doch keinen Schwachsinn.“
Ich antworte nicht und tue mein Bestes, ihn zu ignorieren, während ich schnell die wenigen Lebensmittel verräume, die ich unterwegs finden konnte. Wir brauchten etwas zu essen im Haus und ich kann mich in dieser Hinsicht einfach nicht auf ihn verlassen. Das letzte Mal, als ich ihm Geld für Einkäufe gegeben habe, kam er mit nichts anderem als Bierkästen zurück. Seitdem habe ich gelernt, unsere Einkäufe besser selbst zu erledigen.
„Ich rede mit dir, Mila“, lallt er.
„Ich habe dir nichts zu sagen“, sage ich und mache mir nicht die Mühe, ihn anzuschauen. „Du bist weder mein Vater noch mein Aufpasser.“
„Ich bin dein Mann, du undankbare kleine...“
„Mein Mann?“, zische ich. „Das ist eine ziemlich großzügige Beschreibung von dir, findest du nicht?“
„Provoziere mich nicht, oder ich schwöre bei Gott -“
Ich schaue ihn mit mörderischem Blick an, und er beißt sich wohlweislich auf die Zunge.
„Oder was, Alexander? Komm schon. Spuck es aus. Du wirst mich schlagen? Mich ohrfeigen? Mich treten? Was ist diesmal im Angebot?“
Wir stehen da und starren uns einen Moment lang an, die Luft um uns herum scheint elektrisch geladen. Ich kneife die Augen zusammen und beiße die Zähne zusammen, Auge in Auge mit Alexander, der mir einen giftigen Blick zuwirft. Ich merke, dass er mich ohrfeigen will, aber alles in seiner Macht Stehende tut, um sich zurückzuhalten.
Ich habe es mehr als satt, wie er mich erniedrigt. Mich misshandelt. Mich niedermacht. Mit jedem Wort, das er spricht, wächst meine Wut exponentiell. Ich bin es leid, dass er nur nutzlos herumliegt und auf meine Kosten faulenzt, während ich schufte. Dass er nicht arbeitet - dass er nicht einmal versucht, einen Job zu finden. Ich habe genug von seinen abfälligen Bemerkungen, seinen Beschimpfungen und seinen Psychospielchen.
Ich habe ihn im Allgemeinen schlicht und einfach satt.
Alexander war nicht immer so. Einst hielt ich ihn für einen guten, anständigen Mann. Wenn ich jetzt zurückblicke, kann ich nicht fassen, wie ich jemals so dumm sein konnte. Jetzt weiß ich, dass ich schon früh einige offensichtliche Warnsignale übersehen habe. Ich ignorierte sie jedoch oder hielt sie für Ausnahmen, für kleine Ausrutscher entlang des Weges ohne Aussagekraft im Hinblick auf seine Person.
Wenn ich jetzt daran zurückdenke - an all die Dinge, die ich übersehen, wegrationalisiert oder anderweitig ignoriert habe - möchte ich mich am liebsten selbst ohrfeigen.
Ich meine, es war nicht schwer, die Warnzeichen am Anfang unserer Beziehung zu ignorieren - er war ein vorbildlicher Freund. Sanft und rücksichtsvoll. Nachdenklich. Er brachte mir sogar regelmäßig kleine Geschenke mit, um mich wissen zu lassen, dass er an mich dachte. Man konnte gut mit ihm reden, und es machte wirklich Spaß, Zeit mit ihm zu verbringen.
Aber etwas zwischen uns hat sich verändert. Er hat sich verändert. Wir sind jetzt seit etwa anderthalb Jahren zusammen, aber in den letzten Monaten ist er ein vollkommen anderer Mensch geworden. Jemand, den ich verachte. Ein Mensch, vor dem ich Angst habe - und ich hasse es, dass er es schafft, solche Macht über mein Gefühlsleben auszuüben.
Genauer gesagt, ich hasse mich dafür, dass ich ihm diese Macht gegeben habe.
Dann schlug er mich. Er heulte und entschuldigte sich zwar, nachdem er mir das erste Mal eine Ohrfeige verpasst hatte, aber der Schaden war angerichtet in dem Moment, als er Hand an mich legte. Ab diesem Zeitpunkt waren die Dinge zwischen uns nicht mehr zu reparieren. Damals wurde mir klar, dass er nicht mehr zu retten war. Dass der sanfte, freundliche Mann, in den ich mich verliebt hatte, Vergangenheit war. Oder womöglich überhaupt nie existiert hatte.
Da wusste ich, dass es für mich an der Zeit war, zu gehen.
Es war nicht leicht, aber in den letzten Monaten - seit der Nacht, in der er mich geschlagen hat - habe ich so viel Geld wie irgend möglich beiseitegelegt. Ich habe im Stillen Dinge verkauft, um meinen Bargeldvorrat aufzustocken. Ich brauche genug, um mich aus dem Staub machen und irgendwo ein neues Leben anfangen zu können. Ein Neustart.
Irgendwo weit, weit weg von Alexander.
Ich schließe den Abstand zwischen uns, und er sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Er wiegt locker mindestens 50 Kilo mehr als ich. Es ist nicht so, dass ich viel Schaden anrichten kann, wenn es darum geht, Schläge auszuteilen.
Die einfache Tatsache, dass ich ihm die Stirn biete - dass ich es wage, mich mit ihm anzulegen - ist für Alexander schwer erträglich. Er mag das nicht. Er ist es nicht gewohnt. Ich habe mich viel zu lange von ihm einschüchtern lassen, aber ich bin von Natur aus nicht gerade ein Gänseblümchen. Nicht im Entferntesten. Ich kann ziemlich ‚direkt‘ und ‚temperamentvoll‘ sein - Sie wissen schon, die üblichen Codewörter, die die Leute benutzen, wenn sie einen eigentlich ein ‚Miststück‘ nennen wollen.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich mit dem Feuer spiele. In Anbetracht der Tatsache, dass Alexander angefangen hat, mit einer Gruppe von Bikern, den so genannten Steel Cobras , herumzuhängen, fürchte ich manchmal um meine Sicherheit. Nach den Geschichten, die ich gehört habe, fürchte ich, dass seine neuen ‚Freunde‘ ihn überreden könnten, mir etwas anzutun - oder sich selbst darum kümmern könnten.
Ich wende mich von ihm ab, verräume die letzten Einkäufe und dränge mich dann an ihm vorbei. Ich bin regelrecht angewidert von seinem bloßen Anblick und will daher so viel physischen Abstand zwischen uns bringen wie irgend möglich. Die Wut in mir nähert sich ihrem Gipfel, und das Letzte, was ich jetzt brauche, ist, zu explodieren und auf ihn loszugehen. Das würde die Büchse der Pandora öffnen und darauf habe ich jetzt wirklich keine Lust. Bis jetzt konnte ich eine solche Eskalation vermeiden - Gott sei Dank - aber er treibt mich jeden Tag näher an meine Grenze.
„Lauf nicht einfach so davon“, knurrt er.
Ich gehe unbeirrt weiter und schaffe es bis zum Schlafzimmer, wo ich die Tür hinter mir zuschlage und verriegele. Alexander hämmert wie wild dagegen und schreit wutentbrannt durch das billige, dünne Holz. Er könnte sich den Weg freischlagen, wenn er wollte. Aber zum Glück tut er das nicht. Er steht nur da und brüllt - die üblichen Drohungen und Beleidigungen. Es fällt mir leicht, ihn auszublenden - das tue ich nun sowieso schon seit Monaten.
Ich schalte das Radio ein, drehe es laut genug auf, um Alexanders Tiraden zu übertönen, und lasse mich wieder auf das Bett fallen, wo ich versuche, meinen Atem zu verlangsamen und mich zu beruhigen. Ich hatte ein Rezept für Xanax, aber da ich so viel Geld wie möglich sparen wollte, habe ich es nicht eingelöst und stattdessen auf natürlichere Methoden gesetzt, um meine Ängste zu bekämpfen - wie Meditation und achtsames Atmen. Das ist zumindest besser als gar nichts.
Ich greife mir mein Handy und rufe die Banking-App auf, um das geheime Konto zu überprüfen, das ich seit einiger Zeit führe. Der Kontostand ist nicht überragend, aber auch nicht gerade schäbig. Dafür, dass ich erst seit wenigen Monaten daran gearbeitet habe, habe ich mir bereits einen anständigen Notgroschen angespart.
Wenn ich so weitermache, muss ich nur noch ein oder zwei Monate durchstehen, dann kann ich gehen. Noch ein oder zwei Monate, und ich werde der Sache ein Ende bereiten, neu anfangen und ein Leben beginnen, das ich wirklich führen will. Zu meinen eigenen Bedingungen. Ein Leben für mich ganz allein und niemanden sonst.
Noch ein oder zwei Monate, dann bin ich diesen elenden Nichtsnutz los.
Für immer.
***
Ich wache aus einem Albtraum auf, der mir Herzrasen verursacht hat. Ohne zu realisieren, dass ich überhaupt eingeschlafen bin, schaue ich auf die Uhr. Ich stöhne auf, als ich sehe, dass es nach zwei Uhr morgens ist. Die Party im vorderen Zimmer hat etwa dreißig Minuten, nachdem ich mich im Schlafzimmer eingeschlossen habe, angefangen. Sie sind laut und benehmen sich prollig und unausstehlich wie immer. Ich höre, wie da draußen etwas zu Bruch geht - und kann nur hoffen, dass es ihre Bierflaschen sind. Wenn diese Schläger irgendetwas von mir kaputt machen, werde ich fuchsteufelswild werden.
Oder zumindest ein bisschen saurer als ich ohnehin schon bin. Es ist ja zugegebenermaßen nicht gerade so, dass ich viele Dinge von Wert besitze.
Ich drehe mich um und versuche, die Geräusche auszublenden und wieder einzuschlafen, aber die dröhnende Heavy-Metal-Musik und ihre überlauten Stimmen machen es mir unmöglich. Ich liege ein paar Minuten lang da und habe das Gefühl, dass mein Blut zu kochen beginnt. Ich versuche, mich mit meinen üblichen Methoden zu beruhigen, aber nichts scheint zu funktionieren. Meine Anspannung und meine Wut steigen immer weiter an, und ich weiß, wenn ich jetzt nicht irgendetwas unternehme, werde ich explodieren.
Ich stehe vom Bett auf und stapfe durch den Raum. Der Zorn in mir baut sich auf wie eine dunkle Flut. Ich schließe die Tür auf, reiße sie auf und marschiere rot vor Wut durch den Flur ins Wohnzimmer. Alexanders Biker-Kumpels liegen kreuz und quer über das Wohnzimmer verteilt, unübersehbar berauscht - und teils unbekleidet. Der Alkohol fließt in Strömen, und in der Ecke kniet eine Frau und lutscht einem großen, haarigen Kerl den Schwanz. Wahnsinn. Sieht aus, als hätten alle eine tolle Zeit.
Alle außer mir.
Ein paar glasige Augen folgen mir, als ich zur Stereoanlage gehe und den Stecker aus der Wand reiße. Wütend hebe ich die Anlage aus dem Regal und werfe sie mit voller Wucht auf den Boden. Ich kann es nicht leugnen - die Anlage zersplittern zu sehen und der darauffolgende Moment fassungsloser Stille verschafft mir einen kurzen Moment der Genugtuung.
Aber natürlich ist es nur ein Moment.
„Was zum Teufel ist hier draußen los?“, ruft Alexander in den Raum hinein.
Er torkelt aus der Küche und schnallt sich die Hose zu. Eine betrunkene Tussi mit wasserstoffblonden Haaren folgt ihm nach draußen und wischt sich den verschmierten Lippenstift aus ihrem Gesicht. Sie kann nicht älter als neunzehn sein. Wahrscheinlich ein dummes Biker-Groupie. Ja, man muss kein verdammter Stephen Hawking sein, um zu wissen, was in der Küche vor sich ging. In meiner gottverdammten Küche.
Alexanders Blick trifft den meinen, und die Stille im Raum wird tief und abgründig. Die Wut in mir kocht so gefährlich hoch, dass ich zu zittern beginne. Ich bin nicht sauer, dass Alexander mich betrügt. Ich habe es schon lange vermutet. Ehrlich gesagt stößt mich schon seine bloße Berührung ab, deshalb bin ich froh, dass seine kleine Begleiterin ihn in dieser Hinsicht unterhält. Das hält ihn von mir fern.
Nein, was mich ankotzt, ist die eklatante Respektlosigkeit des Ganzen. Dass er sie in meinem eigenen Haus vögelt. Sie ist total high, merkt überhaupt nicht, was um sie herum passiert und schaut Alexander nur mit verträumten Augen an. Ich kann mich nicht weiter zurückhalten.
„Ernsthaft, Alexander?“, zische ich ihn fassungslos an.
„Was, Baby?“, säuselt er und versucht, sich zu fangen und ungerührt zu klingen. „Es ist ja nicht so, als hättest du dich in letzter Zeit um mich gekümmert. Ein Mann hat Bedürfnisse.“
„Vielleicht habe ich dich nicht gepoppt, weil ich Vibratoren habe, die das besser machen als du“, höhne ich. „Und wenn du mich noch einmal Baby nennst, schneide ich dir ohne zu zögern deinen winzigen Schwanz ab.“
Sein Gesicht verfinstert sich, und ein leises Keuchen geht durch den Raum. Einige seiner Kumpels versuchen nicht einmal, ihr Lachen zu unterdrücken. Ja, das muss ein amüsantes Schauspiel für sie sein. Besser als Reality-TV. Alexanders Kiefer krampft sich zusammen und seine Augen verengen sich. Er wirft einen eisigen Blick in den Raum, der die meisten verstummen lässt, aber die Belustigung in ihren Gesichtern ist deutlich zu erkennen.
Alexander ist stolz darauf, ein ‚echter Kerl‘ zu sein. Darauf, den größten Schwanz und die dicksten Eier zu haben. Offensichtlich mag er es nicht, wenn seine Männlichkeit in Frage gestellt wird. Vor allem nicht vor seiner Crew.
Ups. Mein Fehler.
„Was zum Teufel ist dein Problem?“, brüllt er. Er versucht sein Gesicht zu wahren und die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen - und das Beste, was ihm diesbezüglich einfällt, ist, mich anzuschreien.
„Die Party ist vorbei!“, rufe ich in die Runde. „Ihr müsst alle aus meinem Haus verschwinden. Und zwar sofort.“
„Was zum Teufel?“, schreit Alexander. „Das ist auch mein Haus, und ich -“
„Ist es das?“, frage ich. „Wann hast du denn das letzte Mal deinen Anteil an der Miete bezahlt? In Anbetracht der Tatsache, dass ich seit - ich weiß nicht einmal, wie lange schon - keinen einzigen Penny von dir bankrottem, wertlosem Stück Scheiße gesehen habe, würde ich sagen, dass dies eher mein Haus ist als deins. Und jetzt verschwindet, alle miteinander. Es gibt Menschen, die sind erwachsen und müssen morgens früh zur Arbeit gehen.“
Das kaum verhohlene Kichern und amüsierte Gemurmel geht weiter, während die Partygäste einer nach dem anderen aufstehen und langsam hinausschlurfen. Alexander sieht aus, als stünde er kurz vor einem Schlaganfall, und versucht, einige von ihnen zum Bleiben zu bewegen. Mir ist jedoch klar, dass sie nicht in einen Streit zwischen Alexander und seiner ‚Alten‘ verwickelt werden wollen. Sie sind offenbar um einiges schlauer als er selbst.
Die Blondine schaut verdutzt zwischen Alexander und mir hin und her. Als ich mich zu ihr umdrehe und sie unverwandt anstarre, färben sich die Wangen des Mädchens mit einem Mal tiefrot. Sie sprintet aus der Haustür und lässt mich mit Alexander allein. Wir stehen uns jetzt im Wohnzimmer gegenüber und starren uns an wie Revolverhelden bei einem Showdown in einem dieser bescheuerten Western, die er so gerne sieht.
„Du hast kein verdammtes Recht -“
„Ich habe jedes gottverdammte Recht“, schnauze ich zurück, ohne ihn ausreden zu lassen. „Du hast seit Monaten nicht mehr gearbeitet, Alexander. Ich bezahle die Rechnungen hier. Und zwar alle -“
„Es ist nicht meine Schuld, dass ich keine Arbeit finde“, murmelt er.
„Es ist deine Schuld, weil du dir nicht einmal die Mühe machst zu suchen!“, schreie ich. „Du verbringst den ganzen Tag mit deinen Jungs und trinkst. Du hast nicht einmal versucht, einen Job zu finden. Du hast dich daran gewöhnt, bequem auf meine Kosten zu leben.“
„Auf deine Kosten? Wovon zum Teufel redest du?“
„Ich werde das jetzt nicht mit dir durchdiskutieren“, sage ich. „Ich gehe ins Bett. Im Gegensatz zu dir habe ich Verantwortung zu übernehmen. Ich muss morgen früh aufstehen und zur Arbeit gehen. Du kannst auf der Couch schlafen. Wie immer.“
Ich mache mich auf den Weg in mein Schlafzimmer, weil ich unbedingt ein paar Stunden Schlaf brauche. Als ich an Alexander vorbeilaufe, stolpert er nach vorne, packt mich und schleudert mich gegen die Wand. Mein Kopf prallt gegen den Beton, und ich zucke angesichts des plötzlichen Schmerzes heftig zusammen. Er tritt nahe an mich heran und packt mich. Sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und er hat ein psychopathisches Leuchten in seinen Augen. Sein fauliger Atem bläst mir ins Gesicht und lässt mich erschaudern.
„Das ist auch mein Haus“, sagt er mit tiefer, bedrohlicher Stimme. „Du bist meine Frau. Und du wirst alles tun, was ich dir sage, verdammt noch mal. Hast du das verstanden?“
Verzweifelt wehre ich mich gegen seinen Griff. Mein Herz klopft schwer vor Wut und Angst. Ich habe ihn noch nie so gesehen, und der Ausdruck auf seinem Gesicht lässt ihn erscheinen wie einen Psychopathen. Angestrengt versuche ich, mich aus seiner Fixierung zu winden, aber er ist zu stark. Ich habe nicht den Hauch einer Chance.
„Nimm deine Griffel von mir, du Wichser“, sage ich und hoffe, dass es selbstbewusster klingt, als ich mich fühle.
Er drückt mich jetzt noch fester gegen die Wand. Meine verzweifelten Versuche, mich aus seinem Griff zu befreien, scheinen ihn nur noch mehr anzuspornen. Seine Hände legen sich wie eiserne Schraubstöcke um meine Handgelenke.
Ein finsteres Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, während er mit der Zungenspitze anzüglich über seine trockenen, rissigen Lippen fährt. Das verrückte Licht in seinen Augen scheint jetzt noch heller zu brennen, sein Atem beginnt zu rasen, und er kann seine Erregung nicht verhehlen.
„Lass mich in Ruhe, Alexander“, zische ich. „Das ist nicht lustig.“
„Da hast du verdammt Recht“, sagt er. „Es war schon lange nicht mehr lustig.“
„Lass mich los, Alexander!“
Er drückt sich fester an mich, der entfesselte Blick in seinen Augen wird mit jeder Sekunde furchterregender. Ich zappele und strample und versuche, mich zu befreien, aber er packt meine Handgelenke fester und drückt mich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Wand.
Er lässt ein Handgelenk los, packt dafür aber eine Handvoll meiner Haare und zieht so fest an ihnen, dass ich einen gequälten Schrei ausstoße, während er mich zurück ins Wohnzimmer zerrt. Ich schreie und kämpfe wie wild, um mich aus seinem Griff zu befreien, scheitere dabei jedoch kläglich.
Alexander zwingt mich über die Armlehne des Sofas nach unten. Sein Griff um mein Haar wird fester. Er zieht meinen Kopf unbeholfen und schmerzhaft zurück und lässt dabei ein bedrohliches, unheilversprechendes Gelächter verlauten.
„Alexander, hör auf“, schreie ich. „Hör auf damit. Das kannst du nicht machen. Tu das nicht, verdammt!“
Er rammt mir seine Faust so brutal in die Seite, dass mir die Luft wegbleibt. Ich stoße ein leises, röchelndes Röcheln aus und kämpfe darum, wieder zu Atem zu kommen.
„Hör auf, Alexander“, krächze ich und Tränen kullern über mein Gesicht. „Bitte tu das nicht.“
„Halt die Klappe“, knurrt er. Alexander lässt mein Haar los und greift mit der anderen Hand in seine Gesäßtasche. Wofür, weiß ich nicht. Eine Pistole? Ein Messer?
Das ist es, Mila. Das ist deine Gelegenheit. Jetzt oder nie.
Mit aller Kraft, die mir noch bleibt, werfe ich mich nach hinten. Er verliert den Halt und taumelt, als wir beide zu Boden gehen. Ich lande auf seinem Unterleib. Ihm bleibt dabei die Luft weg und er stöhnt vor Schmerz auf. Ich nutze die Gelegenheit, stoße meinen Ellbogen in seinen Schritt und klettere eilig wieder auf die Beine. Alexander keucht und stöhnt, während er sich gequält an die Eier fasst.
„Du Miststück“, knurrt er, während er es irgendwie schafft, auf die Knie zu kommen. „Du dreckige Schlampe.“
Ohne zu zögern, nehme ich eine Flasche billigen Wodka vom Couchtisch und schlage zu. Die Flasche trifft seine Stirn und macht dabei ein hohles, klirrendes Geräusch. Ich betrachte die Flasche einen Moment lang und bin überrascht, dass sie nicht zerbrochen ist, wie in den Filmen. Zu meinem Glück fällt Alexander trotzdem auf nach vorne, eine Hand auf seinem Schritt, die andere an seinem Kopf. Blut sickert aus der offenen Wunde an der Seite seiner Stirn und überzieht die sichtbare Hälfte seines Gesichts mit einer rötlich schimmernden Maske.
„Oh, das wirst du bereuen“, keucht er. „Das wirst du verdammt noch mal bereuen.“
An der Wand neben der Eingangstür liegt ein Baseballschläger - unsere Waffe der Wahl gegen Einbrecher. Obwohl er noch auf wackligen Beinen steht, kommt er langsam zu sich und eine mörderische Absicht brennt in seinen Augen. Ich drehe mich um und renne zur Tür, Alexander ist mir dicht auf den Fersen. Schnell schnappe ich mir den Schläger und springe zur Seite, gerade so außerhalb seiner Reichweite.
Dann reiße ich meine Arme nach hinten und hole zum Schlag aus. Der Schlag trifft seinen Ellbogen und er heult vor Schmerz laut auf. Alexander dreht sich um, umklammert seinen Arm und schreit, als hätte ich ihn gerade abgestochen.
„Schlampe“, knurrt er. „Du gottverdammte Schlampe, ich werde -“
Er kommt nicht dazu, seinen Satz zu beenden, bevor ich ihm einen weiteren Schlag versetze, diesmal auf den Kopf. Ich habe auf seinen Arm gezielt, am Ende aber sein Kopf erwischt. Wie auch immer. Ich werde deswegen nicht schlecht schlafen. Ein hohes, singendes Geräusch ertönt, als der Aluminiumschläger an seinem Schädel abprallt und Alexander sofort zu Boden fällt. Er liegt still. Regungslos. Er war bewusstlos, noch bevor er den Boden berührt hat.
Zumindest glaube ich, dass er bewusstlos ist. Ich beuge mich über ihn und kann ehrlich gesagt nicht sagen, ob er tot oder lebendig ist.
„Alexander?“, frage ich nervös und stoße ihn mit dem Fuß an.
Ich komme näher, mein Körper ist angespannt, mein Herz rast, ich warte nur darauf, dass er sich erhebt wie Jason Voorhees oder Michael Myers in diesen verdammten Horrorfilmen. Aber Alexander bewegt sich keinen Zentimeter. Nicht einmal jetzt, wo ich weniger als 30 Zentimeter von ihm entfernt bin.
Ich stoße den Bastard erneut mit dem Fuß an, und er reagiert immer noch nicht. Er liegt da, völlig still - wie eine Leiche. Mit einem Gefühl der Übelkeit in der Kehle lege ich den Schläger vorsichtig auf den Boden und gehe auf die Hände und Knie. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und lehne mich so nah wie möglich an ihn heran, um auf seinen Atem zu horchen.
Es dauert eine Minute, aber schließlich höre ich ihn. Sein Atem ist schwach, aber er ist am Leben. Gott sei Dank. Die Erleichterung, die ich spüre, ist überwältigend. Nicht weil es mich kümmert, ob er überlebt oder abkratzt. Nein, ich bin erleichtert, dass ich nicht wegen Totschlags belangt werden kann. Natürlich, wenn ich noch hier bin, wenn dieser Mistkerl aufwacht, werde ich mit einer viel schlimmeren Realität konfrontiert sein als dem Gefängnis.
Das alles ist alles andere ideal und macht meinen gesamten bisherigen Plan zunichte, aber meine Zeit hier ist abgelaufen. Ich muss gehen. Und zwar sofort. Wenn er aufwacht und ich noch hier bin, wird er mich umbringen. Nicht nur schlagen oder bedrohen, sondern tatsächlich umbringen. Da ich wirklich keine Lust habe, in diesem Drecksloch zu sterben, muss ich meine Sachen packen und von hier verschwinden. Und zwar schnell.
Ich stehe auf und eile ins Schlafzimmer, wo ich ein paar alte Seesäcke und den einzigen echten Koffer, den ich besitze, aus dem Schrank hole. Mit der Anmut eines Elefanten im Porzellanladen fange ich an, meine Kleidung und ein bisschen Schnickschnack in die Taschen zu werfen und so viel wie möglich mitzunehmen. Als ich aus dem Schlafzimmer trete, jogge ich den Flur entlang, um nach Alexander zu sehen, halb in der Angst, dass er sich erholt hat und auf mich wartet. Ich stoße einen kleinen Seufzer der Erleichterung aus, als ich um die Ecke biege und ihn auf dem Boden liegend vorfinde, weiterhin so weggetreten wie zuvor.
Ich habe allerdings keine Ahnung, wie lange er noch bewusstlos sein wird. Ein Teil von mir wünscht sich fast, ich hätte ihn umgebracht. Aber das würde nur Probleme und Komplikationen für mich bedeuten. Und das ist das Letzte, was ich im Moment gebrauchen kann.
Ein letztes Mal flitze ich durch das Haus und gehe dabei im Kopf meine Checkliste durch, doch ich bin ziemlich sicher, dass ich alles habe, was ich brauche. Ich hebe meine Taschen auf, eile in das vordere Zimmer und schnappe mir meine Schlüssel vom Tisch neben der Tür, bevor ich nach draußen renne und sie hastig auf den Rücksitz werfe. Ich bin fast soweit.
Ich renne noch einmal ins Haus, sehe nach Alexander und gehe in Gedanken noch einmal alles durch. Ich habe meine Flucht schon vor Monaten minutiös geplant und dachte eigentlich, ich hätte jede Eventualität einkalkuliert.
Aber ich hätte nie voraussehen können, wie der heutige Abend verlaufen ist. Mein Plan ist urplötzlich einfach über den Haufen geworfen worden und ich war gezwungen, zu improvisieren. Aber das ist schon in Ordnung.
Obwohl ich mich im Bann des Chaos befinde, das mich umgibt, muss ich mich zusammenreißen. Ich darf mich nicht davon überwältigen lassen. Ich muss klar denken und darf keine Fehler machen. Ich darf nichts vergessen, was Alexander einen Hinweis darauf geben könnte, wo ich hinwill. Die kleinen Notizblätter, auf denen ich meine Pläne skizziert habe? Entsorgt. Mein beschissenes Handy und mein klappriger Laptop? Eingepackt. Das heißt, das Haus sollte frei von jeglichen verräterischen Details sein.
Es vergehen ein paar Minuten, bis ich endlich davon überzeugt bin, dass ich alles habe, was ich brauche. Was soll’s, wenn ich etwas vergessen habe, was mir lieb und teuer ist, denke ich. Ich kann mir später immer noch neue Sachen besorgen. Nichts von dem, was ich besitze, ist es wert, zu riskieren, so lange hier zu bleiben, bis Alexander aufwacht. Ich hebe den Baseballschläger vom Boden auf und werfe einen letzten Blick auf seine ohnmächtige, erbärmliche Silhouette.
„Gut, dass ich dich los bin, du Stück Scheiße.“
Ich lasse die Tür weit offen und gehe zu meinem Auto hinaus. Die ständige Angst, die ich zu Hause hatte - die nicht nur bedrückend, sondern regelrecht erdrückend war - verschwindet mit jedem Schritt, den ich mache, ein Stückchen mehr. Ich werfe den Schläger auf den Rücksitz, bevor ich ins Auto steige, und als ich schließlich hinter dem Steuer sitze, fühlt es sich an, als würde ein zentnerschwerer Stein von meinem Herzen fallen.
Ich schnuppere endlich wieder - seit sehr langer Zeit - den Duft der Freiheit.
Als ich in das Dunkel der Nacht hineinfahre, drehe ich die Musik auf und stimme aus voller Kehle singend ein - so glücklich, wie schon lange nicht mehr.