Kapitel 18
Mila
Ich trete in das abgedunkelte Haus, in meinem Kopf dreht sich alles und mein Herz klopft in meiner Brust. Es war so ein tolles Wochenende, wie aus einem Märchen. Das Aquarium, die Kleider, die Shopping-Tour und der ganze Rest - so etwas gibt es normalerweise nur im Film, nicht im wirklichen Leben. Und schon gar nicht in meinem.
Ich schleppe alle Taschen ins Haus und stelle sie neben der Tür ab, während ich sie hinter mir verriegele, bevor ich in die Küche gehe, mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank greife und einen großen Schluck nehme. Das Gefühl der kühlen Flüssigkeit, die meine Kehle hinunterrinnt, ist erfrischend und wohltuend.
Ich lehne mich im Dunkeln an den Küchentisch, trinke in Ruhe meine Flasche Wasser aus und genieße die Stille im Haus. Lara hat mir während meines Aufenthalts in Tampa geschrieben, dass sie und ein paar Freunde einen Ausflug nach New Orleans machen und sie bald zurück sein wird. Bei Lara kann es sich bei ‚bald‘ jedoch um einen beliebigen Zeitraum zwischen einem Tag und ein paar Wochen handeln.
Aber das ist schon okay. Ich bin froh, dass sie ein wenig aus dem Haus kommt, um sich zu amüsieren. Sie hat es verdient.
Das bedeutet natürlich, dass ich die ganze Zeit über, in der sie unterwegs ist, alleine in der Wohnung sein werde. Sie hat mir noch nicht beigebracht, wie ich ihre Waffe benutze. Normalerweise würde es mir keine Sorgen machen, alleine hier zu sein. Nicht im Geringsten. Aber mit Alexander, der da draußen herumläuft, und allem, was passiert ist, gefällt mir der Gedanke nicht.
Ich hätte zu Logan gehen können - er hat mich erneut gebeten, bei ihm zu bleiben, bis die Sache mit Alexander geklärt ist -, aber ich habe die Einladung abgelehnt. Ich will nicht, dass er denkt, ich hätte Angst. Ich meine, das habe ich zwar. Und wahrscheinlich sollte ich das auch. Aber ich will keine Schwäche zeigen. Ich will nicht, dass er sich Sorgen macht. Jetzt denke ich, dass das vielleicht eine voreilige - oder vielleicht sogar eine sture und stolze - Entscheidung war. Das sieht mir ähnlich.
Ich muss mir einfach weiter einreden, dass ich paranoid bin. Ich meine, die Wahrscheinlichkeit, dass Alexander tatsächlich weiß, wo ich bin, ist gering. Das ist mir klar. Aber der Gedanke, dass er es trotzdem wissen könnte, jagt mir kalte Schauer über den Rücken. Ich weiß, wenn er mich jemals findet, wenn er mich jemals wieder in die Finger bekommt, dann wird es sehr, sehr schlimm für mich ausgehen.
Der einzige Hoffnungsschimmer in diesem ganzen Desaster ist die Tatsache, dass Logan Leute hat, die ein Auge auf Alexander werfen. Ich weiß zwar, dass das keine langfristige Lösung sein kann und dass wir so oder so sehr bald eine Entscheidung treffen müssen. Aber die Gewissheit, dass jemand weiß, wo er ist, und Logan vermutlich einen Tipp geben wird, wenn er hinter mir her ist, lässt mich wenigstens nachts ruhig schlafen.
Apropos Schlaf - ich bin erschöpft. Es war ein unglaubliches Wochenende, und ich hatte mehr Spaß als je zuvor in meinem Leben - ganz zu schweigen von dem besten Sex aller Zeiten -, aber jetzt zahle ich den Preis dafür. Alles, was ich will, ist eine heiße Dusche nehmen, ins Bett kriechen und die nächsten drei Tage ohne Pause durchschlafen.
Ich werfe die Wasserflasche in den Papierkorb und schalte das Licht ein, so dass das Wohnzimmer hell erleuchtet ist, als ich von der Küche aus eintrete - und erstarre vor Entsetzen. Meine Augen weiten sich und mein Herz klopft in meiner Brust, während mir Blitze der Angst ins Mark fahren.
„Hey, Baby“, sagt Alexander. „Hab dich vermisst.“
Er sitzt in dem übergroßen Sessel im Wohnzimmer und hält ein großes, gefährlich aussehendes Messer in der Hand. Er dreht die Klinge, so dass das Licht auf der ihr glitzert und meine Aufmerksamkeit auf sie lenkt - was wahrscheinlich beabsichtigt ist. Er hat ein grausames Lächeln auf den Lippen und einen Blick aus purem Hass und Verachtung in seinen Augen.
„W - was machst du hier, Alexander?“, bringe ich krächzend hervor.
„Ich habe dir gesagt, dass ich dich holen komme, Baby“, sagt er. „Ich habe dir gesagt, dass wir uns bald sehen werden. Dachtest du, ich mache Witze? Glaubst du, ich stehe nicht zu meinem Wort? Als ich dich vor Kurzem zum ersten Mal wieder gesehen haben, dachte ich, du wärst fett geworden oder so. Stell dir vor, wie überrascht ich war, als ich erfahren habe, dass du einen kleinen Bastard in dir trägst.“
„R - Raus aus meinem Haus“, sage ich und erschaudere angesichts der Schwäche in meiner Stimme.
„Du hast einen neuen Mann gefunden, was?“, fragt er. „Ein reicher Kerl, nehme ich an, wenn man bedenkt, dass er einen Fahrer hat. Und du siehst aus, als hättest du eine neue Garderobe. Ja, ich wusste schon immer, dass du nichts weiter als eine wertlose, geldgeile kleine Hure bist. War ja klar, dass du dir einen Sugar Daddy suchst, der dir schöne Sachen kauft im Gegenzug dafür, dass du ihm deinen kleinen Knackarsch hinhältst. Was ich nicht glauben kann, ist, dass du dich schwängern lassen hast. Wie oft habe ich dir gesagt, dass ich ein Kind mit dir will? Aber dann taucht ein Typ mit einem Haufen Geld auf und plötzlich lässt du dein Höschen fallen und trägst sein Kind aus?“
„S - so ist es nicht“, sage ich und weiß nicht einmal, warum ich das Bedürfnis habe, mich zu verteidigen.
„Natürlich ist es das“, zischt er. „Du lutschst seinen Schwanz, er kauft dir ein Kleid. Du trägst sein Kind aus und du hast für den Rest deines Lebens ausgesorgt. So funktioniert der Scheiß doch, oder? Ich meine, ich hab's verstanden. Ich bin nicht mal sauer, wirklich. Ich kann mir vorstellen, wie schön es ist, im Überfluss zu leben. Ohne Frage. Also kann ich es dir nicht wirklich verübeln, dass du dich zur Hure machst.“
„Fick dich, Alexander.“
Ein breites Lächeln breitet sich auf seinem schmierigen Gesicht aus. „Oh nein, das wirst du für mich tun“, sagt er. „Nur werde ich dir danach keine Kleider kaufen.“
Er steht auf und beginnt, im Raum auf und ab zu gehen, wobei er das Messer immer noch bedrohlich in seiner Hand dreht und dafür sorgt, dass ich es nicht übersehen kann. Ich schaue auf meine Handtasche, die auf dem Küchentisch liegt. Darin befinden sich mein Pfefferspray und mein Handy. Aber wenn man bedenkt, wie nützlich beide im Moment dort für mich sind, könnten sie genauso gut eine Million Meilen weit weg sein. Ich werde auf keinen Fall an meine Tasche herankommen, bevor Alexander mich erwischt.
Verdammt. Was soll ich nur tun? Wie, zum Teufel, komme ich aus dieser Scheiße unversehrt heraus? Warum zur Hölle bin ich nicht einfach mit Logan nach Hause gegangen? Ich nehme einen tiefen Atemzug und stoße ihn langsam aus. Mich mit solchen Fragen zu quälen, ist im Moment zwecklos. Ich sollte nichts anderes tun, als mich mit der Herausforderung des Moments zu beschäftigen - Alexander.
Das Letzte, was ich mir leisten kann, ist, in seiner Gegenwart Schwäche zu zeigen. Ich muss stark sein und ihn glauben machen, dass ich keine Angst habe. Ein Kerl wie Alexander respektiert nur die, die stärker sind als er selbst. Diejenigen, die ihn zu Fall bringen können. Ich bin vielleicht nicht in der Lage, das zu tun, aber ich kann mich auf jeden Fall auf das Schlimmste vorbereiten und mich mit Händen und Füßen gegen ihn wehren. Für mich, und mein Baby.
„Weißt du, als du gegangen bist, hast du mir eine schlimme Gehirnerschütterung verpasst“, sagt er.
„Du hast Glück, dass ich dir nicht den Schädel eingeschlagen habe“, zische ich. „Das hätte ich tun sollen. Ich hätte dich einfach zu Tode prügeln und uns beiden dieses ganze Elend ersparen sollen.“
Er grinst bösartig. „Ja, vielleicht hättest du das tun sollen“, sagt er. „Ich bin aber irgendwie froh, dass du es nicht getan hast.“
„Was willst du, Alexander?“
„Ist das nicht offensichtlich? Ich will dich zurück, Baby“, sagt er. „Wir hatten etwas Kostbares miteinander, und ich will das zurück.“
„Nein, wir hatten nichts Kostbares“, sage ich. „Und ich werde nie wieder zu dir zurückkommen. Ich bin fertig mit dir. Punkt. Ich dachte, das wäre klar angesichts der Art meines Abgangs.“
Er lacht. „Ach, komm schon, Baby“, sagt er. „Klar, wir haben unsere Höhen und Tiefen. Das hat jedes Paar. Aber wir können uns da durcharbeiten. Wir kriegen das schon auf die Reihe. Oder?“
„Verschwinde aus meinem Haus und lass mich verdammt noch mal in Ruhe, Alexander.“
Er hört plötzlich damit auf, wie ein Irrer auf und ab zu gehen und starrt mich mit einem wilden Blick an, der mir einen Schauer über den Rücken jagt.
„Oder was?“, fragt er bedrohlich.
„Mach weiter mit deinem Leben, Alexander“, sage ich. „Finde eine Frau, die dich wirklich will.“
„Aber ich will dich“, sagt er.
„Ich will dich nicht“, schnauze ich. „Schon sehr lange nicht mehr.“
„Das tut wirklich weh, Mila“, sagt er. „Ich dachte, wir wären ein Team.“
„Geh“, sage ich mit kalter und fester Stimme. „Jetzt.“
Er sieht mich an und seufzt. „Ist das deine endgültige Antwort?“
„Mehr als endgültig.“
Er schüttelt den Kopf, und als er mich ansieht, sehe ich echtes Bedauern in seinen Augen aufblitzen. Das verwirrt mich. Was hat das zu bedeuten?
„Also gut“, sagt er. „Ich liebe dich wirklich und wollte das klären, Mila. Das wollte ich wirklich. Aber ich denke, angesichts deiner Weigerung muss ich zu Plan B übergehen.“
„Plan B?“
Er nickt. „Ja. Ich bringe dich zurück nach Tampa. Da führt kein Weg drumherum“, sagt er. „Sobald wir zu Hause sind, übergebe ich dich den Cobras und dem Bordell, das sie betreiben. Ich denke, du bist noch jung und hübsch genug, um eine ihrer besten Verdienerinnen zu werden. Das wird mir zumindest helfen, endlich richtig bei ihnen einzusteigen.“
„Du Widerling“, keuche ich vor blankem Entsetzen darüber, was er mit mir vorhat.
Ich drehe mich um und sprinte zur Tür, aber Alexander kommt mir zuvor und rammt die Spitze seiner Klinge in das Holz neben meinem Kopf. Er packt mich am Arm und schleudert mich zurück. Ich stolpere und lande auf meinen Füßen, einige Meter von ihm entfernt. Keuchend und nach Luft ringend blicke ich zu ihm auf und sehe ihn auf mich zukommen, mit einem bedrohlichen Ausdruck im Gesicht.
Da ich weiß, dass mein Überleben auf dem Spiel steht, rappele ich mich auf und laufe auf den Gang zu, der zu den hinteren Räumen führt. Doch Alexanders Hand umklammert schnell wieder meinen Arm und er wirbelt mich herum.
„Ich sag dir was“, sagt er. „Ich werde dich einfach hier rausschleifen.“
Er greift nach unten und packt eine Handvoll meiner Haare. Ich erwische ihn jedoch unvorbereitet mit einem schnellen, harten Ellbogenschlag gegen seinen schwabbeligen Bauch. Seine Augen weiten sich, und er stößt mit einem schmerzhaften Zischen den Atem aus. Ahnend, dass ich mir nur einen kurzen Moment Luft verschafft habe, also nutze ich die Gelegenheit und stürme davon. Ich weiß, dass ich es nicht bis zur Haustür schaffen werde, bevor er mich erwischt. In Ermangelung von Möglichkeiten springe ich hinter den Esszimmertisch, um eine Barriere zwischen uns zu bringen, während er sich weiter nähert.
Zu spät fällt mir ein, dass ich nach meiner Handtasche hätte greifen sollen, wo ich mein Pfefferspray und mein Handy hätte an mich nehmen können. Jetzt ist sie allerdings näher bei ihm als bei mir, also wird es mir nichts nützen. Alles, was ich jetzt noch tun kann, ist, sicherzustellen, dass der Tisch zwischen uns ist, bis mir ein anderer brillanter Plan einfällt.
„Du Schlampe“, zischt er. „Du verdammte Hure. Das wirst du mir büßen.“
„Verpiss dich von hier, Alexander.“
„Nur wenn du mit mir kommst, Schlampe.“
„Einen Teufel werde ich tun.“
Alexander täuscht immer wieder Bewegungen an, um mich zu verunsichern und mich um den Tisch herum vor ihm herzutreiben. Er lächelt eklig, seine Zähne sehen vergilbt und ungepflegt aus. Dieses psychotische Katz-und-Maus-Spiel macht ihm offensichtlich Spaß. Auf dem Tisch steht ein Glas, ich nehme es und werfe es nach ihm. Er weicht schon zur Seite aus, bevor das Glas auch nur in seiner Nähe kommt. Es zerschellt an der Eingangstür in einem Haufen von Scherben.
„Du musst dir was Besseres einfallen lassen, Baby“, sagt er. „Glaub mir, wenn ich dich erwische - und ich werde dich erwischen - werde ich nach allen Regeln der Kunst durchficken - besser, als es dieses alte reiche Arschloch je getan hat.“
„Bitte“, zische ich ihm zurück. „Er ist männlicher, als du es jemals sein könntest, du jämmerlicher Versager. Du kannst ihm nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen. Nicht in einer Million Jahren - vor allem nicht mit diesem winzigen Minischwanz in deiner Hose. Du könntest nicht mal eine Komapatientin befriedigen, die seit drei Jahrzehnten nichts mehr zwischen den Beinen hatte, du Nichtsnutz.“
Ich weiß, dass ich ihn wahrscheinlich nicht provozieren sollte, aber ich hoffe, dass er irgendetwas Dummes tut und mir eine Gelegenheit zur Flucht bietet, wenn ich ihn nur genug reize. Wenn ich erst einmal zur Tür hinaus bin, wo ich um Hilfe schreien kann, stehen meine Chancen schon wesentlich besser.
Alexanders Gesicht verfinstert sich und verzieht sich zu einer wütenden Grimasse. Er packt einen der Esszimmerstühle und schleudert ihn in meine Richtung. Der Stuhl bricht durch das Fenster, wo er Glas- und Holzsplitter über die Einfahrt verstreut. Alexanders Atem ist rast jetzt wie der eines wütenden Stiers und seine zusammengekniffenen Schweinsaugen sind hasserfüllt auf mich fixiert.
„Du reitest dich immer tiefer in die Scheiße“, sagt er. „Weißt du, ich muss nicht nett zu dir sein auf dem Weg zurück nach Tampa.“
„Du bringst mich nie wieder nach Tampa!“, schreie ich. „Krieg es in deinen verdammten Schädel rein. Wir sind fertig miteinander, Arschloch.“
Er brüllt vor Wut, packt das Ende des Esszimmertisches und schleudert ihn mir entgegen. Ich weiche aus und der Tisch kracht gegen den noch halb im Fenster hängenden Stuhl. Das Geräusch hört sich an wie ein Kanonenschuss. Jetzt gibt es nichts mehr zwischen uns, was mich vor Alexander schützen würde.
Mit gestörtem Blick starrt er mich an, während das Messer in seiner Hand gefährlich funkelt. Er leckt sich über die Lippen und macht einen Schritt auf mich zu. Es gibt keinen Ausweg. Ich kann nichts tun, um mich zu retten. Ich stoße einen wilden, furienhaften Schrei aus, als er sich mir nähert, und stürze mich auf ihn, mit den Nägeln meiner erhobenen Finger als einziger Waffe. Ich gebe nicht kampflos auf. Nur über meine Leiche wird mich dieser Dreckskerl zurück nach Tampa bringen.
Er heult laut auf vor Zorn, als ich meine Fingernägel in seine Wangen vergrabe und lange, blutige Kratzer in seine Haut hinterlasse. Das Blut rinnt über sein Gesicht, als er mir zur Strafe einen heftigen Rückhandschlag versetzt, der mich ins Wohnzimmer stolpern lässt, wo ich gegen eine der Lampen auf dem Beistelltisch stoße. Mit einem lauten Klirren fällt sie zu Boden.
Und just in diesem Moment wird die ganze Szene noch surrealer, als sie es bislang ohnehin schon war.
Die Eingangstür bricht auf, die Schlösser zerbersten und Metallstücke fliegen durch die Luft. Logan schreitet in den Raum, die Hände zu Fäusten geballt, und in seinen Augen glänzt eine mörderische Absicht.
„Wer zum Teufel bist du?“, keucht Alexander.
„Alles in Ordnung, Mila?“, fragt Logan, ohne mich dabei überhaupt anzusehen.
„Ich - mir geht es gut“, antworte ich.
Ein wissendes Lächeln breitet sich auf Alexanders Gesicht aus, und er nickt bedächtig. „Ahh, ich verstehe“, sagt er. „Du bist derjenige, der sie jetzt fickt. Du bist ihr Sugar Daddy.“
„Ich gebe dir jetzt die Chance, von hier zu verschwinden“, sagt Logan kühl und ohne jegliche Emotion in der Stimme.
Alexander stürzt sich daraufhin auf Logan, das Messer offen im Anschlag. Logan weicht der Attacke aus, aber Alexander sticht hinter ihm zu, als er an ihm vorbeistolpert. Ich höre Logan stöhnen und sehe, dass sich eine kleine Schnittwunde an seinem Oberarm aufgetan hat. Logan legt seine Hand auf die Wunde und sieht Alexander an, sein hübsches Gesicht verzieht sich zu einer hasserfüllten Grimasse.
Alexander stürzt sich wieder auf ihn, aber Logan ist vorbereitet. Er fasst Alexander am Handgelenk und biegt es in einem unnatürlichen Winkel nach hinten. Alexander heult vor Schmerz auf, als Logan ihm einen Schlag gegen die Kehle versetzt. Er würgt halb erstickte Schreie hervor und ringt verzweifelt nach Luft.
Das Messer fällt klappernd auf den Boden, während Logan das Handgelenk seines Kontrahenten noch weiter nach hinten biegt. Alexander fällt auf die Knie, sein Gesicht vor Schmerz verzogen. Einen Moment später höre ich ein lautes Knacken und Knirschen, als Logan ihm einen harten Schlag direkt ins Gesicht versetzt. Er fällt nach hinten und fasst sich an die Nase, Blut rinnt zwischen seinen Fingern hervor.
Logan dreht sich um und sieht mich auf dem Boden sitzen, von wo aus ich die Szene fassungslos verfolge. Nachdem er Alexander noch einen harten Tritt in die Magengegend verpasst, der ihm ein gequältes Stöhnen entlockt, durchquert er schnell den Raum und fällt neben mir auf die Knie. Er hebt mich auf, trägt mich aus dem Haus und schleppt mich zum Geländewagen, wo er mich auf den Rücksitz schiebt.
„Passen Sie gut auf sie auf“, bellt er den Fahrer an. „Lassen Sie niemanden in ihre Nähe. Nicht eine verdammte Menschenseele. Haben Sie das verstanden?“
„Verstanden, Sir“, sagt er und schlägt die Tür zu, wo ich von Dunkelheit eingehüllt werde.
Durch das Fenster beobachte ich, wie Logan wild entschlossen ins Haus zurückgeht. Mir dreht sich der Magen vor Angst um, weil ich nicht weiß, was er vorhat und was mit ihm passieren wird. Ich schlage aufgeregt gegen das Fenster des Geländewagens und rufe verzweifelt seinen Namen, Tränen laufen mir dabei über die Wangen.
Ein paar Minuten später stoße ich einen Seufzer der Erleichterung aus, als Logan wieder mit einem finsteren, wilden Ausdruck im Gesicht aus dem Haus gestürmt kommt. Die Tür öffnet sich und die kühle Nachtluft strömt über meine Haut.
„Er ist weg“, sagt Logan. „Der Hurensohn ist durch die Hintertür abgehauen.“
Seine Augen sind verengt und sein Kiefer fest zusammengebissen. Logans Groll ist mit Händen zu greifen. So wutentbrannt habe ich ihn noch nie gesehen - selbst nach der Sache mit Randy in der Bar. Mit seinen stählernen Augen, den harten Gesichtszügen und dem dunklen, stoppeligen Kiefer macht Logan eine sehr imposante, beinahe furchteinflößende Figur, wenn er so wütend ist.
„Okay, es reicht“, sagt er. „Du kommst jetzt mit zu mir nach Hause.“
Ich öffne meinen Mund, um abzulehnen, aber er wirft mir einen vernichtenden Blick zu, so dass ich ihn schnell wieder schließe und lieber schweige.
„Keine Widerrede“, sagt er in festem, entschlossenem Ton. „Ich diskutiere das nicht mit dir. Du wirst nicht hierbleiben. Nicht wenn dieses Arschloch da draußen herumläuft. Du wirst bei mir bleiben, wo ich dich beschützen kann. Punkt.“
Ich mag es nicht, wenn man mir sagt, was ich zu tun habe. Mein Bauchgefühl rät mir immer unwillkürlich dazu, mich gegen Befehle oder Autoritätsansprüche von Seiten anderer aufzulehnen. Aber jetzt, da ich weiß, was Logan mit seiner Verlobten durchgemacht hat, verstehe ich, warum er mich so sehr beschützen will. Ich verstehe auch, warum er sich so vehement dafür einsetzt, für meine Sicherheit zu sorgen.
Es gibt mir außerdem einen Hinweis darauf, was er für mich empfindet. Das erfüllt mich mit einer Wärme und Geborgenheit, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Zugegebenermaßen ist es ein ziemlich schlechter Zeitpunkt, mir über meine Gefühle Gedanken zu machen, während Alexander da draußen frei herumläuft und plant, mich zu entführen - und Schlimmeres. Ich weiß, der Zeitpunkt ist nicht ideal, aber ich kann mir nicht helfen.
Ich weiß auch, dass es aus praktischer Sicht sinnvoll ist, bei ihm zu wohnen. Nicht nur, dass Alexander nicht weiß, wer Logan ist oder wie man sein Haus findet, auch die Tatsache, dass sein Anwesen hohe Mauern und alle möglichen Sicherheitsmaßnahmen aufweist und nicht zuletzt über einen Wachmann verfügt - ein 2 Meter großer Berg von einem Mann, der einer Kröte wie Alexander mit Leichtigkeit die Scheiße aus dem Leib prügeln könnte -, lassen an dem Sinn und Zweck dieser Entscheidung keinen Zweifel.
Hoffentlich gewinnen wir dadurch auch Zeit, um herauszufinden, was wir mit Alexander machen werden - denn im Moment habe ich keinen blassen Schimmer. Er ist ein Problem, für das wir dringend eine Lösung benötigen, aber ich weiß nicht einmal ansatzweise, wie diese aussehen könnte. Das Wichtigste ist, dass wir zuallererst einmal den Sheriff anrufen.
Während wir im Auto sitzen, werde ich von den stärksten Schmerzen gepackt, die ich je in meinem Leben verspürt habe. Mein Bauch krampft sich zusammen, und ich schreie gequält auf. Logan ist im Nu an meiner Seite. Mein ganzer Körper schmerzt, aber der intensivste, stechendste Schmerz kommt aus meinem Unterleib.
„Mila, was ist los?“, fragt Logan mit Panik in der Stimme.
„Ich - ich weiß es nicht“, sage ich und stoße einen erstickten Schrei aus. „Irgendwas stimmt nicht, Logan. Ruf einen Krankenwagen.“ Er sieht sich hastig um, panisch, zögernd. Eine Sekunde später verhärten sich seine Züge und in seinen Augen blitzt es entschlossen. „Wir haben keine Zeit, auf einen Krankenwagen zu warten“, sagt er.
Er ruft nach dem Fahrer, und schon einen Moment später rasen wir in die Nacht hinaus in Richtung Krankenhaus.
***
Einige Stunden später - ich weiß nicht einmal, wie viele, um ehrlich zu sein, da die nach der Anästhesie jegliches Zeitgefühl verloren habe - liege ich in einem Krankenhausbett. Ich bin ausgepowert und erschöpft - körperlich, geistig und seelisch. Logan ist an meiner Seite, streichelt mein Haar und drückt mir sanfte Küsse auf die Stirn.
Scheinbar hat der Stress mit Alexander dazu geführt, dass ich vorzeitig in die Wehen gekommen bin. Wir sind sicher im Krankenhaus angelangt und ich habe das Baby in einem langen, zermürbenden Prozess entbunden. Ich sollte traurig, wütend oder sogar glücklich sein, aber ich stehe zu sehr unter Schock, um irgendetwas zu fühlen. Mein Kopf und mein Körper sind wie betäubt.
„Es wird alles gut“, sagt Logan. „Alles wird wieder gut.“
Ich schenke ihm ein schwaches Lächeln und wünschte, ich könnte seinen Worten Glauben schenken. Dem Klang seiner Stimme nach zu urteilen, weiß ich nicht einmal, ob er seinen eigenen Worten glaubt. Sein Gesicht ist verkniffen und die Spuren der Anspannung zeigen sich deutlich um seine Augen. Aber er tut sein Bestes, um für mich ein tapferes Gesicht aufzusetzen - und dafür liebe ich ihn.
Nachdem ich unser Baby entbunden hatte, nahmen die Krankenschwestern es mir sofort weg. Ich konnte es nicht einmal halten und weiß weder, welches Geschlecht unser Kind hat - wir wollten immer, dass es eine Überraschung wird - noch, ob das Baby die Geburt überhaupt unbeschadet überstanden hat. Eine Frühgeburt kann zu vielen Komplikationen und sogar zum Tod des Kindes führen. Wenn ich darüber nachdenke, krampft sich mein Herz zusammen und ich kann die Tränen nicht zurückhalten.
Logan hält mich fest und flüstert mir beruhigende Worte ins Ohr. Ich weiß, dass er genauso verängstigt ist wie ich, aber er schafft es viel besser, seine Angst im Zaum zu halten. Ich wünschte, ich hätte im Moment auch nur ein Quäntchen seiner Stärke.
„Wir wissen nicht einmal, ob das Baby lebt“, murmele ich kläglich. „Wir wissen nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Ich habe unser Baby nicht einmal in den Armen halten können, Logan.“
Ich schluchze leise, und Logan zieht mich in eine enge Umarmung, als wüsste er, dass das genau das ist, was ich jetzt im Moment brauche. Ich bin gerade so aufgewühlt, dass ich nicht einmal klar denken kann.
Es klopft leise an der Tür und einen Moment später tritt die Ärztin ein, eine Frau mittleren Alters mit einem freundlichen Gesicht und traurigen Augen. Sie zieht einen Stuhl zu meinem Bett heran und drückt mir sanft den Arm.
„Wie geht es Ihnen, Mila?“, fragt sie.
Diese Frage erscheint mir wirklich albern. Wie kann es mir schon gehen?
„Wie geht es meinem Baby?“, frage ich. „Sie haben es so schnell hier weggebracht, dass ich -“
„Ihn“, sagt sie leise.
„Bitte?“
„Ihn“, wiederholt sie. „Ein Junge.“
Logan und ich tauschen einen bangen Blick aus. Einen Sohn. Haben wir einen Sohn? Wir tauschen ein hoffnungsvolles Lächeln aus, aber die schrecklichen Befürchtungen von eben sind noch nicht verschwunden. Die Ärztin hat nicht gesagt, ob er überlebt hat.
„Bedeutet das, er ist am Leben, Doktor?“, fragt Logan.
„Ja, er ist am Leben. Es tut mir leid. Das hätte ich zuerst erwähnen sollen“, entschuldigt sie sich.
„Und wie geht es ihm?“, frage ich.
„Er ist ein Kämpfer, dieser Kleine. Von der hartnäckigsten Sorte“, lächelt sie.
„Aber wie geht es ihm?“, drängt Logan.
Sie seufzt. „Nun, er ist noch nicht über den Berg. So früh geboren zu werden, bringt einige Herausforderungen mit sich, wie Sie sich sicher vorstellen können“, sagt sie. „Wir werden ihn also noch eine Weile auf der Neugeborenen-Intensivstation behalten müssen. Wir müssen einfach sicherstellen, dass alles in Ordnung ist, bevor wir ihn entlassen können.“
„Wie lange?“, frage ich. „Wie lange wird er hierbleiben müssen?“
Sie schüttelt den Kopf. „Ich weiß es im Moment wirklich nicht“, sagt sie. „Aber wie gesagt, er ist ein Kämpfer und ich bin sehr optimistisch, dass er eher früher als später zu Ihnen nach Hause kommen kann. Sie sollten bedenken, dass die meisten Babys mit sieben Monaten bereits lebensfähig sind. Vierundneunzig Prozent der Babys, die mit sieben Monaten geboren werden, überleben ohne jegliche Folgeschäden. Wir wollen nur sicherstellen, dass er sich richtig entwickelt und keine dauerhaften Komplikationen auftreten, bevor wir ihn raus in die Welt schicken. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Ich persönlich habe das Gefühl, dass alles in Ordnung ist und dass Ihr Sohn bald zu Ihnen nach Hause kommen wird.“
Erleichterung macht sich in meiner Brust breit, und ich stoße einen langen Seufzer aus, von dem ich nicht einmal wusste, dass ich ihn so lange in mir gehalten habe. Die Ärztin lässt uns allein und obwohl ich immer noch bange bin, beginne ich, ein wenig optimistischer zu werden.
Logan schenkt mir ein warmes Lächeln. „Siehst du? Alles wird wieder gut.“
„Sie sagte auch, er sei noch nicht über den Berg.“
„Lass uns den Teufel nicht an die Wand malen“, sagt er und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Unser Junge wird bald nach Hause kommen.“
„Unser Junge“, sage ich fast träumerisch. „Wir haben einen Jungen.“
„Ja, das haben wir“, sagt Logan.
Ich möchte unbedingt den Optimismus und die Hoffnung spüren, die ich in seiner Stimme höre. Aber ich habe Angst, mir zu viele Hoffnungen zu machen. Nicht angesichts all der Katastrophen, die mir in meinem Leben widerfahren sind.
Und natürlich habe ich angesichts der Tatsache, dass Alexander immer noch auf freiem Fuße ist, keine Garantie, dass die Sache gut enden wird. So sehr ich mich auch nach einem märchenhaften Happy End sehne, mein Leben liest sich bislang eher wie ein Märchen der Gebrüder Grimm - und das beunruhigt mich gewaltig.