Kapitel 19
Logan
Ich reibe mir die Augen und verkneife mir ein Gähnen. Vielleicht habe ich mich niemals zuvor so erschöpft gefühlt. Mila wurde ein paar Tage nach der Entbindung aus dem Krankenhaus entlassen. Sie ist noch ein wenig müde und wund, aber auf dem Weg der Besserung.
Seitdem haben wir einen Großteil unserer Zeit auf der Neugeborenen-Intensivstation verbracht und unseren kleinen Jungen durch das Glas hindurch beobachtet. Es bringt mich um, dass ich ihn nicht berühren oder halten kann. Mein Sohn, mein eigen Fleisch und Blut, ist da drin und ich bin durch eine Glaswand und die Plastikbox, in der sie ihn aufbewahren, von ihm getrennt.
Er wird von Tag zu Tag kräftiger und der Arzt ist zuversichtlich, dass er bald ohne Komplikationen wird nach Hause kommen können. Ich kann es kaum erwarten und fiebere diesem Tag regelrecht entgegen.
In der Zwischenzeit muss ich mich jedoch um ein echtes Problem kümmern - um diesen Dreckskerl namens Alexander. Er ist immer noch irgendwo da draußen und ich weiß, dass er es wieder auf Mila abgesehen haben wird. Ich werde das zu verhindern wissen.
„Ja“, sage ich. „Ich hätte Hilfe gut gebrauchen können, aber dafür ist es jetzt zu spät, Mann.“
Ich sitze am Schreibtisch in meinem Büro und starre Zach über meinem Computerbildschirm hinweg an. Ich bin mir nicht sicher, wo in der Welt er sich gerade befindet, aber als er meinen Skype-Anruf beantwortete, wurde mir gleich klar, dass ich ihn geweckt habe. Angesichts meines verstörten Gesichtsausdrucks wurde er jedoch innerhalb eines Sekundenbruchteils hellwach und schenkte mir sofort seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Ich habe Mila gesagt sie solle sich ausruhen, da ich einige Anrufe zu tätigen habe. Nachdem ich Zach erzählt habe, was passiert ist, pfeift er leise und schüttelt den Kopf. „Heilige Scheiße. Geht es euch gut?“
Ich ziehe eine Grimasse, als ich auf die dünne Narbe an meinem Arm hinunterschaue. Meine größere Sorge ist, dieses Arschloch endlich von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Und zwar dauerhaft.
„Ja, wir sind in Ordnung“, sage ich. „Ich brauche hier oben wirklich etwas Hilfe. Dieses Haus ist zwar eine Festung, aber es ist nicht uneinnehmbar.“
Zach nickt. „Ich werde mir sofort den Dienstplan anschauen und eine neue Einteilung machen, Kumpel“, sagt er.
„Ich möchte rund um die Uhr beschützt werden“, sage ich. „Es ist mir egal, was es kostet.“
„Das Honorar ist meine geringste Sorge“, sagt Zach. „Es geht darum, deinen Arsch vor dem Leichenschauhaus zu bewahren. Ich weiß, wie du bist. Das Letzte, was ich will, ist, dass du zum eigensinnigen Cowboy wirst, wenn dieses Arschloch auftaucht.“
Ein schiefes Grinsen erscheint auf meinen Lippen. „Was soll ich sagen, ich bin eben ein zupackender Typ.“
„Ja, du hattest Glück, dass der Arsch diesmal nur ein Messer dabeihatte. Wahrscheinlich hat er gedacht, dass er ein leichtes Spiel mit ihr haben wird“, sagt er. „Aber was, wenn er nächstes Mal eine Knarre hat?“
Ich atme tief durch und lehne mich in meinem Stuhl zurück. Darüber habe ich bis jetzt nicht wirklich nachgedacht. Ja, ich schätze, ich hatte Glück, dass Alexander nur ein Messer bei sich hatte. Das nächste Mal könnte er durchaus mit einer echten Waffe auftauchen. Was dann? So hart im Nehmen ich auch sein mag, gegen Kugeln bin auch ich machtlos.
„Hoffentlich kommt es nicht so weit“, sage ich.
„Ja. Für den Fall, dass es passiert, solltest du dich besser vorbereiten.“
„Ich weiß“, sage ich leise. „Aber eins nach dem anderen. Als Erstes müssen wir Mila schützen.“
„Einverstanden“, sagt Zach. „Ich werde dir sechs Männer schicken. Meine Besten. Sie können rund um die Uhr für die Sicherheit von Mila und deinem Sohn sorgen, bis wir einen Weg gefunden haben, dieses Arschloch auszuschalten.“
„Gut. Das ist gut“, sage ich. „Ich kann sie in den hinteren Gästehäusern unterbringen.“
Zach nickt. „Das weiß ich zu schätzen“, sagt er. „Irgendeine Idee, wo dieser Wichser ist?“
Ich schüttle den Kopf. „Noch nicht. Ich habe aber jemanden, der daran arbeitet.“
„Gut, okay“, sagt er. „Hör zu, ich bin gerade in Frankreich, aber ich werde mir ein Flugzeug nehmen und so schnell wie möglich zur Stelle sein.“
„Ist schon gut, Zach“, sage ich. „Du musst nicht selbst kommen. Ich vertraue deinen Jungs.“
„Bitte. Du gehörst zur Familie“, antwortet er. „Als ob ich mir die Chance entgehen lassen würde, diesen Wichser dranzukriegen. Ich will dabei sein, wenn das Arschloch zur Strecke gebracht wird. Da führt kein Weg dran vorbei.“
Ich schenke ihm ein kleines, dankbares Lächeln. Die Wahrheit ist, dass ich Zachs Leuten zwar vertraue - aber nur bis zu einem gewissen Grad. Ich kenne sie nicht und weiß nicht, wie weit sie gehen werden, um Mila zu beschützen. Zach bürgt für sie, was mich ein wenig beruhigt, aber ein gewisses Maß an Misstrauen bleibt. Zach hingegen würde ich ohne zu zögern mein Leben anvertrauen - und Milas. Wie könnte ich irgendwelchen angeheuerten Typen, die ich nicht kenne, mein volles Vertrauen schenken? Für sie ist das nur ein Job - wie bedingungslos werden sie sich wirklich für Menschen wie Mila und mich einsetzen? Menschen, die sie nicht einmal kennen. Würden sie sich tatsächlich eine Klinge oder eine Kugel für uns einfangen? Wahrscheinlich eher nicht.
„Danke, Kumpel“, sage ich. „Das bedeutet mir mehr, als du dir vorstellen kannst.“
„Das ist doch selbstverständlich“, antwortet er. „Ich weiß, du wärst genauso schnell und bedingungslos für mich zur Stelle, wenn es umgekehrt wäre.“
„Gut, dass du das weißt.“
„Natürlich, Kumpel. Okay, ich muss los. Ich muss ein paar Anrufe tätigen und meine Leute in die Luft bringen“, sagt er. „Sie werden morgen früh bei dir sein. Ich schicke dir alle ihre Daten, damit du genau weißt, mit wem du worüber zu sprechen hast.“
„Klingt gut“, sage ich. „Ich weiß das zu schätzen.“
Zach lacht. „Warte damit, bis du meine Rechnung bekommst.“
Ich lächle und nicke. „Wir sprechen uns bald wieder, Kumpel“, sage ich. „Pass gut auf dich auf da drüben.“
„Da kannst du einen drauf lassen.“
Der Bildschirm wird dunkel, und aus dem Augenwinkel sehe ich eine Gestalt in der Tür stehen. Ich drehe mich um und entdecke Mila, die mit einem Bademantel, einer Yogahose und einem T-Shirt bekleidet an den Türrahmen gelehnt steht. Otis sitzt direkt neben ihr und stützt seinen großen Kopf auf ihre Hüfte, als ob er wüsste, dass er sie im Auge behalten muss. Ihre Augen sind geweitet und ihr Gesicht ist von Sorgenfalten gezeichnet. Sie sieht noch blasser aus als sonst. Die allgegenwärtige Angst in ihren Zügen ist immer noch nicht verschwunden. Wie sie so dasteht, den Bademantel eng um ihren Körper geschlungen, die Arme schützend vor der Brust verschränkt, sieht sie so klein und zerbrechlich aus. So jung, unschuldig und verängstigt, dass es meinen Beschützerinstinkt höherschlagen lässt.
„Wer war das?“, fragt sie mit brüchiger Stimme.
„Ein Freund“, sage ich. „Mein bester Freund - dem zufällig eine der besten Sicherheitsfirmen der Welt gehört. Er schickt einige seiner besten Leute hierher, um uns zu beschützen.“
„Du meinst, mich zu beschützen“, sagt sie.
Ich schenke ihr ein kleines Lächeln. „Haarspalterei.“
„Es tut mir so leid, Logan“, sagt sie, und ihre Stimme ist voller Emotionen.
Ich lege fragend meinen Kopf schief. „Was um alles in der Welt tut dir leid?“
„Dass ich dich da mit reingezogen habe“, sagt sie.
Tränen fließen aus ihren Augen und laufen ihr über ihre glatten Wangen. Otis wimmert leise und drückt sich noch ein bisschen fester an sie. Entschlossen stehe ich auf, durchquere mit zügigen Schritten den Raum und ziehe sie in eine feste Umarmung. Ich streichle ihr Haar und warte geduldig, bis sie sich ausgeweint hat und ihr Körper allmählich aufhört zu zittern. Sie schnieft laut und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht, woraufhin ich ihr Kinn anhebe, um sie dazu zu bringen, mir in die Augen zu schauen.
„Du hast mich nirgendwo mit reingezogen“, sage ich mit fester Stimme. „Ich bin genau da, wo ich sein will - an deiner Seite. Es gibt also nichts, was dir leidtun sollte. Absolut nichts.“
Ihr Lächeln ist schwach und zögerlich, aber sie gibt ihr Bestes. Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen und drückt mir einen sanften Kuss auf die Lippen, bevor sie sich langsam und kraftlos zurückzieht. Ich kann deutlich sehen, wie fest die Angst sie immer noch im Griff hat.
„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich getan hätte, wenn...“
Ich lege meine Fingerspitzen an ihre Lippen und schenke ihr ein kleines Lächeln. „Das ist nicht wichtig“, sage ich. „Dazu ist es nicht gekommen. Du bist in Sicherheit. Und ich werde dafür sorgen, dass du weiterhin sicher bist.“
„Ich weiß wirklich nicht, womit ich dich verdient habe“, sagt sie.
„Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, du musst in einem vorigen Leben ein ziemliches Miststück gewesen sein und mich nun zur Strafe aushalten.“
„Sie lacht und gibt mir einen Klaps auf die Brust. „Halt die Klappe. Du bist perfekt.“
„Wohl kaum.“
„Nun, du bist perfekt in deiner Unvollkommenheit, wie man so schön sagt.“
„Ja, das klingt schon plausibler“, antworte ich.
„Lass uns einen Kakao trinken“, sagt sie.
„Klingt nach einem guten Plan.“
Ich folge ihr in die Küche und ärgere mich darüber, dass mein Blick an ihrem Hintern hängenbleibt, der aufreizend in ihrer Yogahose wackelt. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Alles zu seiner Zeit, Mann.
„Woher wusstest du überhaupt, dass ich in dieser Nacht deine Hilfe brauchte?“, fragt sie. „Über das ganze Drama habe ich vollkommen vergessen, dich das zu fragen.“
„Das wusste ich eigentlich nicht“, sage ich. „Mein Timing war nur gut genug, mich wie ein Superheld aussehen zu lassen.“
Sie gibt mir wieder einmal einen zärtlichen Klaps auf die Brust und lacht vergnügt, bevor sie sich der Küche zuwendet. Ich setze mich auf einen der Hocker an der Kücheninsel und beobachte sie, während sie geschäftig in der Küche herumtigert, um ein paar Tassen heiße Schokolade zuzubereiten.
„Nun, du bist tatsächlich ein Held“, sagt sie leise. „Du hast mir das Leben gerettet, Logan. Und wahrscheinlich auch das unseres Sohnes.“
„Ich bin nur froh, dass ich zur Abwechslung mal da war, als ich gebraucht wurde“, antworte ich.
Sie presst ihre Lippen auf meine und gibt mir einen langen, anhaltenden Kuss. Ich kann die Erleichterung in diesem Kuss spüren. Das Gefühl, das in ihm steckt. Ich spüre, wie die Bindung zwischen uns noch stärker wird. Es ist ein gutes Gefühl, das mich mit einer Freude und Glückseligkeit erfüllt, wie ich sie schon lange nicht mehr erlebt habe.
„Aber mal im Ernst“, fragt sie. „Woher wusstest du das?“
„Weißt du noch, dass ich dir erzählt habe, dass ich einen Mann in Tampa habe, der ihn beschattet?“
Sie nickt. „Ja, ich erinnere mich.“
„Er hat mich angerufen, kurz nachdem ich dich abgesetzt hatte“, sage ich. „Er sagte mir, Alexander sei von der Bildfläche verschwunden. Spurlos. Die einzige logische Schlussfolgerung für mich war zu diesem Zeitpunkt, dass er dich holen kommen wollte. Ich wusste nicht, dass er schon hier war. Aber als ich bei meiner Ankunft den Stuhl aus deinem Fenster hängen sah konnte ich mir den Rest denken. Ich bin einfach dankbar, dass du so eine Kämpferin bist.“
Sie lächelt sanft. „Ich wünschte nur, ich wäre besser darin.“
„Daran können wir arbeiten, wenn du willst.“
Als sie mich ansieht, sehe ich, wie ihre Augen angesichts meiner Bemerkung aufleuchten.
„Wirklich?“
Ich lache. „Ja, wirklich.“
Sie kommt herübergelaufen und stellt zwei kochend heiße Tassen mit dem warmen Schokoladengetränk auf den Tisch. Nachdem ich eine gehörige Portion Schlagsahne dazugegeben habe, reiche ich ihr eine Tasse. Wir setzen uns auf die Hocker an der Mittelinsel und schlürfen ein paar Minuten lang schweigend unseren Kakao. Otis ist immer noch nicht von ihrer Seite gewichen. Es ist, als wüsste er, dass er im Dienst ist, und als würde auch er ohne zu zögern sein Leben opfern, um sie zu beschützen - gerade als ich dachte, ich könnte den großen Kerl nicht mehr lieben, als ich es ohnehin schon tue.
„Zachs Leute werden morgen früh hier sein“, sage ich.
Sie nickt und starrt betroffen in ihre Tasse. Offensichtlich kann sie sich immer noch nicht des Eindrucks erwehren, dass sie mich in ihr persönliches Drama hineinzieht. Was sie nicht begreift, ist, dass sie mir damit, dass ich für sie da sein und sie beschützen darf, eigentlich einen großen Dienst erweist. In gewisser Hinsicht hilft sie mir, einige meiner alten Dämonen zu besiegen.
„Und? Werden sie auch während meiner Arbeit auf mich aufpassen und alles?“, fragt sie.
„Du wirst nicht arbeiten“, sage ich. „Du wirst dich hier verschanzen, bis -“
„Logan, ich muss arbeiten“, antwortet sie. „Ich kann nicht einfach mein ganzes Leben abblasen. Ich habe Rechnungen zu bezahlen und -“
„Ich werde sie bezahlen.“
Mila stößt einen langen, verzweifelten Atemzug aus. „Logan, ich mag meinen Job - die meiste Zeit über zumindest“, sagt sie. „Ich möchte nicht das Gefühl haben, dass ich dir zur Last falle. Zumindest nicht mehr, als ich es ohnehin schon tue. Außerdem brauche ich die Ablenkung. Meine Gedanken können nicht rund um die Uhr um unser Baby auf der Neugeborenen-Intensivstation kreisen. Ich meine, im Moment bin ich mir zwar ziemlich sicher, dass es ihm gut gehen wird, aber man weiß ja nie. Ich brauche etwas, das mich ablenkt.“
Ich kann den hartnäckigen Trotz in ihren Augen sehen. Mila ist stolz darauf, stark und unabhängig zu sein - sie will niemandem etwas schulden. Das ist etwas, das ich immer an ihr bewundert habe. Aber man kann alles übertreiben. Stärke zu zeigen, ist eine Sache - Dummheiten zu begehen eine andere.
Aber ich verstehe auch ihr Bedürfnis nach Ablenkung. Auch meine Gedanken sind bei unserem Baby. Sich etwas zu suchen, auf das man sich konzentrieren kann und das einen von all den potentiellen Katastrophen, all den schrecklichen ‚Was wäre, wenn‘-Szenarien ablenkt, macht durchaus Sinn.
Aber angesichts der Tatsache, dass Alexander womöglich immer noch vorhat, sie sich zu schnappen, ist es verrückt, sich einem solchen Risiko für einen billigen Bar-Job auszusetzen. Dieses Risiko kann ich sie nicht eingehen lassen.
„Du bist keine Last für mich, Mila. In keiner Weise“, sage ich. „Hör zu, bis Alexander gefasst ist -“
„Alexander wird vielleicht nie gefasst, Logan“, sagt sie. „Und selbst wenn er gefasst wird, wird er vielleicht nicht lange einsitzen. Soll ich mich etwa für immer hier oben verstecken? Das kann ich nicht tun. Du weißt, dass ich das nicht kann.“
Ich atme lange aus. „Ich weiß“, sage ich. „Ich mache mir nur Sorgen. Große Sorgen.“
„Ich weiß, dass du das tust“, antwortet sie. „Aber ich kann nicht aufhören, mein Leben zu leben, nur weil er da draußen ist; wir können nicht aufhören, unser Leben zu leben.“
Ich nehme einen langen Schluck von meinem Kakao und denke über die Sache nach.
Kann ich die Kontrolle, nach der ich mich sehne, aufgeben? Kann ich akzeptieren, dass ich der Welt weder meine Ordnung noch meinen Willen aufzwingen kann? Schon gar nicht Mila, der willensstärksten Frau, die ich kenne. Können wir womöglich einen Mittelweg finden?
„Ich werde dir einen Deal vorschlagen“, sage ich.
„Einen Deal?“
Ich nicke. „Jepp. Einen Deal.“
Sie lächelt mich an. „Ich bin ganz Ohr.“
„Wir werden mit den Leibwächtern sprechen, sobald sie hier sind“, sage ich. „Zach wird sie alle über die Situation informieren, also werden wir sie eine kurze Einschätzung der Bedrohungslage vornehmen lassen. Wenn sie denken, dass es sicher ist, dich zur Arbeit gehen zu lassen, packe ich dir persönlich ein Lunchpaket und schicke dich mit einem Lächeln davon.“
„Schneide aber bitte die Kruste von meinem Sandwich ab“, sagt sie. „Die mochte ich noch nie.“
Ich kichere. „Aber wenn es nicht sicher ist und sie der Meinung sind, dass es ein zu großes Risiko ist, zur Arbeit zu gehen, dann wirst du bereitwillig hierbleiben und die Krusten von meinem Sandwich schneiden.“
Sie wirft mir einen langen Blick zu, ein sanftes Lächeln umspielt ihre Lippen.
Nachdem sie einige Sekunden darüber nachgedacht hat, nickt sie mit dem Kopf. „Wenn Sie sich so besser fühlen, dann haben wir eine Abmachung, Mr. Carter“, sagt sie.
„Gut“, sage ich. „Ich denke, das ist ein fairer Kompromiss.“
„Gerade fair genug“, antwortet sie.
Ich kichere. „Wie bei jedem guten Deal geht es darum, einen Mittelweg zu finden.“
Sie schenkt mir ein Lächeln. Wir nippen an unserem Kakao, lassen einen Moment Ruhe einkehren und tun unser Bestes, um das ganze Chaos dieser verrückten Welt für eine Weile zu vergessen.
***
Am nächsten Morgen stehen wir wieder an unserem üblichen Platz vor der Neugeborenen-Intensivstation. Wir begrüßen die Morgenschwestern und lassen uns vom Arzt einen Statusbericht geben, bevor wir uns an unseren angestammten Platz begeben und unser Baby von der anderen Seite der Glasscheibe aus begutachten.
Er ist wunderschön, hat perfekte rosa Babybäckchen und Milas weiche, sanfte Augen. Und nach der Art, wie er schreit, zu urteilen, auch ihr Temperament. Ich möchte am liebsten da reingehen, ihn aus diesem Plastikbehälter heben und dann einfach mit nach Hause nehmen. Die Vorstellung ist mehr als verlockend.
Aber ich möchte, dass er das Krankenhaus in einwandfreiem Gesundheitszustand verlassen kann. Noch nie habe ich mir etwas sehnlicher gewünscht.
„Jayden“, sagt Mila.
„Bitte?“
„Jayden“, wiederholt sie. „Ich denke, Jayden passt ziemlich gut zu ihm.“
Sie sieht zu mir auf, um zu sehen, was ich davon halte. Ich grinse sie schief an. „Ich weiß nicht. Der Name geht schon in Ordnung, denke ich.“
„Fällt dir etwas Besseres ein?“
„Ich dachte an Tiberius“, sage ich.
„Ähm, nein.“
„Tiberius Octavius Carter“, sage ich in bestem königlich-kaiserlichen Ton.
„Das wird auf keinen Fall passieren“, lacht sie.
„Oh, es wird ganz bestimmt passieren.“
„Nur in deinen Träumen.“
Es tut gut, mit ihr zu lachen. Es fühlt sich an, als hätten wir schon seit Jahren nicht mehr richtig gelacht. Uns ein wenig gehen zu lassen, ist genau das, was wir jetzt brauchen. Während unsere Angespanntheit so allmählich nachlässt, denke ich über den Namen nach. Jayden. Jayden Carter. Ich bin nicht überzeugt.
„Jayden, hm?“, frage ich.
„Ja, was hast du gegen den Namen?“
„Ach, nichts“, sage ich. „Es ist ein schöner Name, schätze ich.“
„Besser als Tiberius.“
„Nichts ist besser als Tiberius.“
„Mach dir keine Hoffnungen. Sein Name ist Jayden“, sagt sie und lacht. „Gib's auf.“
„Auf geht‘s“, lenke ich ungerührt ab. „Wir müssen Zachs Leute treffen.“
„Stimmt, ich habe eine Wette zu gewinnen.“