Gewissensbisse, Geschenke und gelebte Leidenschaft
Als ich an diesem Donnerstagvormittag aus dem Behandlungszimmer kam, einen Packen unterschriebener Rezepte in der Hand, sah ich zunächst nur Blumen: Rosen, durchsetzt mit Grünzeug, Brombeeren und dekorativ vergoldetem Blattwerk. Der Strauß stand in einer Vase auf dem Rezeptionstisch und versperrte mir die Sicht auf meine Sprechstundenhilfe.
Von Werner? Die Frage lag mir auf der Zunge, doch ich verkniff sie mir. Erstens hatte ich Gerlinde nicht wegen ihres Liebeslebens auszufragen. Zweitens war der verkappte Rockmusiker, der seine musikalische Berufung nach Feierabend und am Wochenende mit seiner Band auslebte, absolut nicht der Typ, der Blumensträuße überreicht.
»Der Strauß ist für dich.« Gerlinde war hinter der Blütenpracht aufgetaucht und hatte meinen überraschten Blick bemerkt.
»Für mich?«
Wäre mein Magen anfälliger, hätte ich sicher sofort eine stressbedingte Gastritis bekommen. Mir fielen nur zwei Frauen ein, die mir Blumen schicken mochten: Von der einen ersehnte ich es als Zeichen, dass sie mir meinen Fehltritt verziehen hatte und zumindest Freundschaft anbot. Bei der anderen …
Gerlinde holte Luft, um mich aufzuklären, doch wie auf ein Stichwort schoss eine kleine, dralle Person aus dem Wartezimmer und legte los, noch ehe ich überhaupt Grüß Gott sagen konnte.
»Frau Doktor, das tut mir wirklich leid! Ich muss mich in aller Form entschuldigen. Sie hatten recht, diese Tropfen sind ganz sicher Teufelszeug! Der Anton wird sie nimmer nehmen, und ich auch nicht! Wir nehmen jetzt nur noch, was Sie uns aufschreiben!«
Maria Pangerl, die Frau meines vom Ausschlag geplagten Patienten, rückte ihren graubraunen Dutt zurecht und zerrte an ihrer Strickjacke, die sie wie immer über einem bunten Hauskleid trug. Ihre Beine steckten in dicken Wollstrümpfen.
»Woher der plötzliche Sinneswandel, Frau Pangerl?« Ich runzelte irritiert die Stirn. »Gestern waren Sie von den tollen Tropfen noch so überzeugt!«
»Ja, jetzt nicht mehr. Teufelszeug!« Die Bäuerin zog aus den Tiefen einer Seitentasche ein bräunliches Fläschchen, wie ich es für selbstgemischte Tinkturen aus Apotheken kannte, und streckte es mir entgegen. Unwillkürlich nahm ich es an mich.
»Das ist leer«, stellte ich fest.
»Ja, weil mein kleiner Toni alles ausgetrunken hat!«
Ein paar Sekunden verstrichen, ehe ich begriff, dass sie vom Enkel sprach. In den traditionell geprägten Familien der Region war es nach wie vor üblich, den Erstgeborenen nach dem Vater zu benennen. Wie viele Anton Pangerls es auf diese Weise schon gegeben hatte, wollte ich gar nicht wissen …
»Über Nacht hat er dann genauso einen Ausschlag gekriegt wie sein Opa. Das hat so furchtbar gejuckt, dass er nachts auf die Notaufnahme im Krankenhaus gekommen ist!«
»Warum haben Sie mich denn nicht angerufen?«
Eigentlich war es üblich, dass sich meine Patienten erst einmal an mich wandten, auch nach Ende der Sprechzeiten und in dringenden Fällen sogar nachts. Nach einem Telefonat entschied ich dann, ob ich mich für einen Hausbesuch ins Auto setzte oder an den Notdienst oder ein Krankenhaus verwies. Letzteres lag immerhin knapp dreißig Kilometer entfernt – eine Fahrt, die ich kranken Leuten gerne ersparen wollte.
»Aber das geht doch nicht!« Maria Pangerl sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Der Toni war doch längst wieder in München, als es mit den Pickeln losging!«
Wie sich herausstellte, waren Tonis Eltern mit den Kindern nachmittags kurz dagewesen. Vor der Abfahrt am Abend hatte der Kleine dann wohl Omas Tropfen erwischt und ausgetrunken wie Limo. Was mich wunderte, denn als ich den Schraubverschluss aufdrehte, roch es eher bitter.
»Jedenfalls – es tut mir leid, dass ich gestern so unhöflich zu Ihnen war«, kam Maria Pangerl zum Thema zurück. »Bitte, nehmen Sie die Blumen als kleine Entschuldigung!«
»Danke, aber das wäre doch nicht nötig gewesen«, sagte ich, weil ich ein höflicher Mensch war. Innerlich sonnte ich mich in Genugtuung. Wann gestand mir schon mal ein Patient seine Fehler ein?
»Naaa, bitte, Frau Doktor, nix für ungut.« Die Bäuerin wirkte erleichtert. »Und wo ich schon da bin … Der Rücken schmerzt mich auch wieder. Aber die Gerlinde weiß es schon.«
»Ich habe Sie schon in die Liste eingetragen, Frau Pangerl«, erklang Gerlindes Stimme aus den Rosen, während Oya Güzel, eine meiner türkischen Patientinnen, die mit Schwiegermutter und drei Kindern im Anhang gerade die Praxis betreten hatte, nach einer Möglichkeit suchte, ihre Versicherungskärtchen über den Tresen zu schieben, ohne dabei die Vase umzustoßen.
Während Maria Pangerl angesichts des Kopftuchs und des bodenlangen Rocks missbilligend das Gesicht verzog, obgleich der Kleidungsstil der türkischen Schwiegermutter ihrem eigenen letztendlich gar nicht so unähnlich war, griff ich nach Vase und Strauß und brachte beides in mein Büro, ehe das Blumenwasser über unser Terminbuch und Gerlindes Tastatur laufen konnte.
Als ich an die Rezeption zurückkam, saß Maria Pangerl wieder im Wartezimmer, während Gerlinde gleichzeitig am Telefon hing, sich um die Familie Güzel kümmerte und mir die Kartei des nächsten Patienten reichte. Wir führten aus Sicherheitsgründen neben der elektronischen Erfassung der Patientendaten noch klassische Unterlagen. Gerade wollte ich den Mann aufrufen, als Gerlindes Hand als wedelndes Signal in die Luft fuhr.
»Ja, ja, sie wird gleich kommen! – Ja, selbstverständlich wird das diskret behandelt! – Nein, sie kommt sofort.« Sie legte auf. »Drüben im Rathaus … ist was passiert. Du sollst kommen.«
»Und was genau? – Ich habe ein volles Wartezimmer!«
Gerlinde warf einen schnellen Blick auf Oya Güzel und ihre Sippschaft. Während das Jüngste noch selig im Kinderwagen schlummerte, begannen der sechsjährige Bub und seine zwei Jahre jüngere Schwester sich gegenseitig zu schubsen und an den Haaren zu ziehen. Dass ihre Omi sie auf Türkisch zurechtwies, war ihnen herzlich egal. Oya, die in Aichendorf aufgewachsen war, stand ihre Neugierde jedoch offen ins Gesicht geschrieben.
»Es ist wirklich wichtig«, beteuerte Gerlinde eindringlich. »Ein Notfall. Es gibt Gründe, dass du gerufen wurdest … weil du schon Erfahrung damit hast, sagt die Frau Bürgermeister.«
Spontan dachte ich an meine erste Leiche in Aichendorf. Damals hatte sich eine gewisse Barbara Kerschitz in Hollys Geräteschupfen erhängt …
»Geh einfach hinüber! Ich vertröste solange die Patienten.«
Gerlindes autoritärer Tonfall machte mir Beine. Als ich mich wieder erinnerte, dass eigentlich ich hier der Boss war, hatte ich schon meinen Parka übergezogen und den Arztkoffer in der Hand. Im kalten Novemberregen wechselte ich die Straßenseite und eilte über den kleinen Platz, an dessen Ende das Rathaus stand – ein Zweckbau aus den Siebzigern, der zwar saniert worden war, außen wie innen aber weiterhin den Charme einer Behörde besaß.
Liese Brauninger empfing mich auf den Stufen vor der ehemaligen Portiersloge, die aufgrund personeller Einsparungen längst nicht mehr besetzt war. Inzwischen konnte jeder nach Belieben im Rathaus ein- und ausgehen.
»Frau Hofmann, gut, dass Sie da sind!« Die Bürgermeisterin schüttelte mir die Hand. »Wir haben sie einstweilen in mein Büro gelegt, da steht ein Sofa …« Zügig ging sie die Treppe voran in den ersten Stock. Ich folgte ihr.
»Sie hat sich während der Gemeinderatssitzung so dermaßen aufgeregt«, fuhr die Brauninger fort. »Natürlich haben wir gemerkt, dass sie schon nicht im besten Zustand war, als sie ankam. Aber dann sprach die kleine Gärtner vor, wegen dieses neuen Biotops am Schulgelände, und dann ist sie unglaublich in die Luft gegangen … und plötzlich umgekippt.«
Auf einen Schlag wurde mir klar, wen ich auf Frau Brauningers Sofa vorfinden würde und warum. »Moment«, entfuhr es mir ungewohnt scharf, ehe die Bürgermeisterin die Türe öffnen konnte. »Sie holen mich aus meiner Sprechstunde, nur weil Frau Doktor Habler mal wieder betrunken ist? – Sie ist nicht einmal meine Patientin!«
Die Brauninger blinzelte verwirrt. »Aber … aber Sie … kümmern sich doch um sie, oder nicht?«
Die Art, wie sie das sagte, ließ für mich keine Fragen offen: unser One-Night-Stand hatte in gewissen Kreisen Aichendorfs die Runde gemacht. Ich konnte mir schon denken, wer die Geschichte in Umlauf gebracht hatte. Hollys Mutter war noch nie meine beste Freundin gewesen und verzieh mir wohl zuallerletzt, dass ich fremdgegangen war. Wenn wir uns beim Einkaufen zufällig über den Weg liefen, grüßte sie mich nicht einmal mehr.
Da ich keine Lust hatte, mit Liese Brauninger meine Beziehung zu Katharina Habler zu diskutieren, betrat ich ohne Erwiderung ihr Büro. Katharina lag auf einem Sofa im hinteren Bereich des Raumes. Sie war nicht alleine.
An ihrer Seite kniete der CSU-Parteikollege Albert Reiter und tätschelte ihre Hand. Als er uns sah, erhob er sich ruckartig – fast so, als hätten wir ihn bei etwas Verbotenem ertappt.
»Also, Albert … dann lassen wir die Frau Doktor einfach ihre Arbeit tun und machen unten weiter. Wenn Sie etwas brauchen, Frau Doktor – Sie finden uns im Sitzungssaal.«
Ich nickte, doch eigentlich wollte ich das hier schnell abhandeln und zurück zu meinen Patienten.
Katharina roch nach einem blumigen Parfum und leicht nach Alkohol. Ihren Atem Fahne zu nennen, wäre jedoch übertrieben gewesen. Soweit ich wusste, hatte sie im Alltag immer gut funktioniert und ihre Sucht zu verschleiern gewusst.
Als ich meine Finger an ihre Halsschlagader legte, um ihren Puls zu fühlen, schlug sie die Augen auf.
»Bist du jetzt Mitglied im Gemeinderat?«
Ihre Aussprache hörte sich erstaunlich klar an.
»Nein, und du bald auch nicht mehr, wenn du so weitermachst«, konterte ich. »Du bist umgekippt, da hat man mich gerufen.«
Sie runzelte die Stirn, schien kurz nachzudenken. Dann setzte sie sich mühsam auf. »Anna hasst mich! Sie will mich ständig bloßstellen …! Wenn ich A sage, sagt sie prinzipiell B – und umgekehrt. Ich mache immer alles verkehrt in ihren Augen!«
Für mich hörte sie sich nicht wesentlich anders an als andere Mütter, deren Töchter sich mitten in der Pubertät befanden. Nur dass Anna eben bei den Gärtners lebte und mit ihrer leiblichen Mutter wenig Kontakt hatte. Oder irrte ich mich?
»Wegen diesem blöden Tümpel. Mir doch wurscht, ob er erweitert wird und wie viele Kröten, Goldfische, Regenwürmer und Kanarienvögel da beheimatet sind!« Katharinas Hand fuhr so heftig in die Luft, dass sie meine Wange streifte. Ich fuhr unwillig zurück, musste dann aber über die Kanarienvögel lachen. »Ich will nur nicht, dass diese Schüler glauben, dass sie alles geschenkt bekommen, verstehst du? – Das ist Gemeindegrund! Und wir sprechen über fast hundert Quadratmeter! Da bauen andere ein Haus drauf. Und die müssen ihr Grundstück kaufen und mit armseligen Kreditraten abstottern. Deshalb ist es falsch, wenn die Marktgemeinde diesen jungen Leuten vermittelt, dass sie mal eben ein Grundstück kriegen, nur weil sie eine der ihren vorschicken zum Bittebitte sagen!«
Während Katharina sich in Rage redete, fragte ich mich, weshalb die Brauninger mich überhaupt gerufen hatte.
»Katharina.« Ich setzte mich zu ihr auf die Couch und atmete tief durch. »Wir sprechen von Schülern, die einen Schulbiotop erweitern wollen. – Das ist dir schon bewusst, oder?«
Sie presste die Lippen aufeinander und starrte geradeaus.
»Ich habe auch nichts geschenkt gekriegt im Leben«, stieß sie dann hervor.
Ich unterdrückte ein Seufzen. Anscheinend waren wir mal wieder bei ihrem Lebensthema angelangt. Die Geschichte von der kleinen Katharina, die im Heim aufwachsen musste, weil ihre Mutter bei einer verpfuschten Abtreibung gestorben war.
»Und das lernen sie dadurch, dass eine alkoholisierte CSU-Gemeinderätin wie Rumpelstilzchen im Saal herumtobt?«
Katharina strafte meine Worte mit einem vernichtenden Blick. Dann griff sie nach ihrer Handtasche, erhob sich und stolzierte zur Türe, ohne sich nach mir umzudrehen. Weit kam sie nicht. In Höhe von Liese Brauningers Schreibtisch knickte sie ein und sackte zu Boden. Ihr Kopf verfehlte nur knapp die Tischkante.
Ich sprang hinzu und half ihr auf die Beine. »Warum bist du eigentlich immer so verdammt stur?«
Sie stützte sich auf mich. Etwas anderes blieb ihr wohl auch nicht übrig. »Ich will heim und schlafen«, murmelte sie. »Ich bin müde.«
Katharinas Haus war in rund zehn Minuten zu Fuß von hier erreichbar. Allerdings würde sie den Weg in diesem Zustand wohl kaum bewältigen können. Mit einem innerlichen Seufzer dachte ich an mein gefülltes Wartezimmer. Ich konnte nur hoffen, dass meine Patienten ausreichendes Verständnis für meinen Noteinsatz aufbrachten.
»Warte hier. Ich hole meinen Wagen und bringe dich heim.«
»Nimm meinen.« Sie angelte ihren Autoschlüssel aus der Handtasche. »Steht direkt vor der Tür.«
Kurz darauf parkte ich vor dem Krüppelwalmdachhaus und half seiner Bewohnerin die zwei Stockwerke hinauf in ihre Wohnung. Ich kam mir vor, als hätte ich ein Déjà-vu. Auch in der Nacht des Italienerfestes hatte ich sie nach oben begleitet, doch diesmal wirkte sie eher müde und schwach als betrunken.
»Kommst du alleine zurecht?«, fragte ich skeptisch, als ich ihr die Türe aufgesperrt hatte.
»Ja, ja. Ich lege mich hin. Du kannst schon gehen.«
Als würden sie ihre eigenen Worte Lügen strafen, taumelte sie erneut. Ich fing sie auf, half ihr aus dem Mantel und begleitete sie ins Schlafzimmer. Dort ließ sie sich rücklings auf das Bett fallen, breitete die Arme aus und schloss die Augen.
Aus ärztlichem Pflichtgefühl heraus zog ich ihr die Stiefel aus und deckte sie zu. Katharina bekam davon nichts mehr mit. Sie schlief tief und fest.
Dann zog ich leise die Türe hinter mir zu und ging.
Als ich am nächsten Morgen zehn Minuten vor Beginn der Sprechstunde meine Praxis betrat, prallte ich fast gegen den Labordienst.
»Du bist aber stürmisch!«, sagte Werner überflüssigerweise. Schließlich war er es, der kopflos ins Treppenhaus gestürzt war.
»Was machst du denn hier, an einem Freitag?«, kam es mir über die Lippen – ebenfalls überflüssigerweise und kopflos. Im Grunde konnte ich mir ja denken, dass er Gerlinde einen frühmorgendlichen Turtelbesuch abgestattet hatte.
»Na, ich war wegen der wichtigen Sache hier!« Zum Beweis hob er den kleinen Koffer mit den Laborproben in die Höhe. Dabei machte er ein verschwörerisches Gesicht. »Keine Sorge. Bleibt unter uns. Ich krieg das hin. Meine Lippen sind versiegelt!«
Er verschloss sich mit dem Finger die wulstigen Lippen, grinste mich an – und war auch schon verschwunden.
Verwirrt betrat ich die Praxis. Da vor der Rezeption bereits eine Schlange von Patienten wartete und Gerlinde alle Hände voll zu tun hatte, stieg ich im Büro eilig in die weiße Kluft, in Gedanken bei den Turteltauben. Für mich war die Vorstellung, dass Gerlinde, seit Jahren von ihrem Ex-Mann geschieden und Mutter zweier Teenager, mit Hobby-Rock-Musiker und Botenfahrer Werner eine Affäre-Beziehung-Was-auch-immer begann, nach wie vor befremdlich. Es passte einfach nicht: Auf der einen Seite die verantwortungsbewusste, akkurate Gerlinde, Marke pflichtbewusste Hausfrau, auf der anderen Seite dieser vermutlich zehn Jahre jüngere Typ mit seinen zahlreichen Tätowierungen und dem langen Zottelhaar, der sich mit einem Fahrerjob zufriedengab, um auf irgendwelchen Bühnen eine Horde Landmädchen zum Kreischen zu bringen.
Gleichzeitig war ich reflektiert genug, mir einzugestehen, dass ein Teil meiner kritischen Analyse auch daher rührte, dass ich neidisch war. Nicht neidisch darauf, dass Gerlinde mit diesem Typen herummachte – Gott bewahre! –, aber neidisch darauf, dass es immerhin jemanden gab, der ihr den Hof machte.
Als ich mein Büro verließ, hatte Gerlinde die erste Patientin schon ins Behandlungszimmer geschickt, während sie noch mit dem Ausdrucken von Rezepten beschäftigt war. Der Tag nahm seinen Lauf und ließ mich Werners kryptische Worte vergessen.
Als ich am frühen Abend meine Hausbesuchsrunde beendete, spürte ich den üblichen Freitagsfrust in mir aufkeimen. Es regnete, war kalt und schon dämmrig, als ich von der Garage zum Haus ging. Schon am Gang empfing mich eine Wolke Hundefutterduft. Arcos freudige Begrüßung konnte nichts daran ändern, dass ich am liebsten gleich wieder den Rückzug angetreten hätte.
»Ah, da bist du ja.« Onkel Gustav kam aus der Küche, begleitet von noch mehr Gestank. Ein paar Sekunden lang wollte ich mich auf der Stelle zu übergeben. »Deine Freundin war hier und hat etwas für dich dagelassen …«
Er streckte mir eine bauchige Flasche mit goldenem Verschluss entgegen. Unwillkürlich nahm ich sie an mich und studierte das üppig gestaltete Etikett. Schottischer Single Malt Whisky, über zwanzig Jahre alt.
»Und? Hast du sie wieder mit Schnaps abgefüllt?«, kam es mir bissig über die Lippen.
»Katharina ist eine sehr unterhaltsame, charmante Person.« Gustav wirkte fast beleidigt. Offensichtlich waren die beiden jetzt schon beim Du angelangt. Ich wollte mir lieber nicht vorstellen, wie diese Verbrüderung abgelaufen war.
Der üble Geruch, der das Haus füllte, das teure Geschenk und Gustavs Unverständnis ließen mich einen schnellen Entschluss fassen. Das alles musste aufhören!
Um die Sache mit dem Hundefutter würde ich mich später kümmern. Es würde eine längere und unangenehme Diskussion mit meinem Onkel werden. Etwas anderes ließ sich da wohl schneller abstellen.
Zehn Minuten später stand ich mit vom Nieselregen feuchtem Haar und einer Jeans, die jeden einzelnen Mikrotropfen Wasser in sich aufgesogen hatte wie ein Schwamm, vor Frau Doktor Katharina Hablers Wohnungstüre. Noch etwas außer Atem vom Treppensteigen, streckte ich ihr wortlos die Flasche entgegen, als sie mir öffnete.
»Hallo.« Ein amüsiertes Lächeln lag auf ihren Lippen. »So früh hatte ich gar nicht mit dir gerechnet. Wie gut, dass ich das Essen quasi schon fertig habe.«
Sie trat zur Seite und machte eine einladende Geste.
Ich verharrte stocksteif auf der Schwelle.
»Ich trinke keinen Whiskey.«
»Na ja, das stimmt nicht ganz.« Katharina ließ meine abwehrende Haltung völlig unbeeindruckt. »Vor einem Jahr …«
»Katharina, hör auf damit!«, fuhr ich ihr ins Wort. »Was soll das alles? – Erst das Tuch, jetzt der teure Whiskey! Was willst du eigentlich?«
»Mich bedanken – dafür, dass du mich nach Hause gebracht hast.« Ihre Stimme klang völlig neutral. »Ich bin eben ein höflicher Mensch. – Aber bitte, wenn du ihn nicht willst, trinke ich ihn eben selbst!«
Sie nahm mir die Flasche ab, und ich fühlte mich auf seltsame Weise schuldig. Trug ich nun die Verantwortung, wenn sie sich zu Tode soff?
»Also.« Sie stellte die Flasche auf den Boden. Dann sah sie mich mit vor der Brust verschränkten Armen einfach nur an. Mir fiel es schwer, den Blick von ihr abzuwenden. In dem bordeauxroten Baumwollkleid, das die Konturen mehr unterstrich als verbarg, wirkte sie auf elegante Weise sexy. Ihr dezentes Make-up und aparter Silberschmuck unterstrichen ihre Attraktivität. Ich biss mir auf die Lippen. Ob ich es wollte oder nicht – sie gefiel mir nun mal. Rein optisch zumindest.
»Willst du mir am Gang darlegen, für wie unmöglich du mich hältst, oder nicht doch hereinkommen?«
Ich kämpfte mit mir, gab mir einen Ruck und trat ein. Sie trug Seidenstrümpfe mit einem raffinierten Muster und dazu schwarze High Heels. Kein Mensch stolzierte in seinen eigenen vier Wänden an einem Freitagabend so herum, wenn er nicht noch etwas vorhatte. Gewiss wollte Katharina ausgehen. Das bedeutete, sie hatte ohnehin wenig Zeit. Um meine Botschaft rüberzubringen, würden ein paar Minuten genügen.
»Das, was vor einem Jahr passiert ist, wird sich nicht wiederholen«, begann ich entschlossen, während ich ihr ins Wohnzimmer folgte. »Ich habe kein Interesse an einer …«
Ich verstummte, als ich auf ihrem Couchtisch eine Platte mit Austern entdeckte, dazu zwei Sektgläser. Die Vorhänge waren zugezogen. Diesmal roch es weder nach Ölofen noch besonders stark nach Zigaretten. Angenehme Wärme erfüllte den Raum. Die feuchten Hosenbeine meiner Jeans fühlten sich gleich weniger klamm an. Im Hintergrund lief dezente Jazzmusik.
Aha. Sie erwartete Besuch. Besser, ich verschwand wieder, bevor mir einer der verheirateten Männer Aichendorfs über den Weg lief.
»Magst du Austern?«
Katharina zündete mit ihrem Feuerzeug die Kerze an, die in der Mitte des Tisches stand. Ich runzelte die Stirn. Was sollte das? War ich doch nicht nur der Pausenfüller?
»Ich weiß nicht, ob ich sie mag, da ich sie noch nie probiert habe«, antwortete ich widerwillig. »Katharina, ich gehe …«
»Bitte, setz dich.« Sie wies auf ihr weinrotes Sofa mit den vielen Kissen. »Ich hole den Champagner aus dem Kühlschrank.«
Okay, nun reichte es.
Ich musste mich innerlich selbst ermahnen.
»Nein«, stellte ich klar, während eine leise Stimme in mir lechzte: Champagner. Nette Gesellschaft. »Vergiss es! Ich werde hier sicher nicht mit dir –«
»Was auch immer du nicht wirst, Gesine«, fiel sie mir hart ins Wort. »Im Gegensatz zu dir verleugne ich zumindest nicht die Fakten: Wir sind zwei alleinstehende Frauen über vierzig, die nicht dem hier üblichen Standardmodell Verheiratet, zwei Kinder entsprechen, und wir wohnen auf dem Dorf. Es ist nicht gerade so, dass wir viel Auswahl hätten, was unsere Abendgestaltung mit anderen Leuten betrifft, oder?«
Ich sagte nichts, weil ich wusste, dass sie den Nagel auf den Kopf traf.
»Wenn du etwas anderes vorhast, dann geh.« Sie wies mit dem Kinn in Richtung Türe. »Wenn nicht, hör endlich auf mit diesem obermoralischen Getue und nimm Platz.«
Ich dachte an den Onkel, den Geruch von Hundefutter und die Einsamkeit meines Zimmers, dann gab ich auf und ließ mich nieder.
Mit einem zufriedenen Lächeln kehrte Katharina wenig später mit dem Champagner zurück und schenkte ein. Sie wollte mir gerade eines der Gläser reichen, als ihr Blick auf meine Jeans fiel.
»Ich würde dir ja gerne eine trockene Hose von mir anbieten, aber das wird wohl nicht funktionieren.«
Damit hatte sie recht – uns trennten im Moment schätzungsweise drei Kleidergrößen.
»Daher schlage ich vor, du ziehst das Ding aus und ich bringe dir eine Decke.«
Ich widersprach nicht, auch wenn ich mich kurze Zeit später in meinem improvisierten Wickelrock aus karierter Wolle neben ihr endgültig wie ein mieser Abklatsch von Aschenputtel fühlte. Augenblicke später perlte der Champagner auf meiner Zunge und ließ mich meinen Aufzug vergessen.
Die glibberigen Meeresfrüchte, die ich nach Katharinas Anweisung mit einer speziellen Gabel aus der Schale löste, schmeckten interessant. Satt machten sie nicht. Ich hielt mich daher an das Weißbrot, auch um eine Grundlage zu schaffen, da sie großzügig nachschenkte.
Dem Champagner dafür die Schuld zu geben, dass wir uns später küssten und die Geschehnisse ihren Lauf nahmen, wäre allerdings zu plump. Im Gegensatz zu meinem ersten Besuch bei ihr war ich diesmal nicht betrunken, als wir schließlich ins Schlafzimmer wechselten. Ich war sexuell ausgehungert – und Katharina gab mir, was ich derzeit von niemand sonst bekam!
Ich träumte von einer Sintflut, die ganz Aichendorf erfasste und alles wegspülte, mich inbegriffen. Seltsamerweise ließ ich mich einfach mitreißen und versuchte nicht einmal, mich festzuhalten. Als ich in den Fluten meine Schwester Tabea entdeckte, die mit ihren geliebten rotsohligen Louboutin -Schuhen in einem Ruderboot saß und aussah, als wäre sie auf Kreuzfahrt, zwang ich mich, diesem Zustand zwischen Halbschlaf und beginnender Wachheit zu entrinnen.
Diesmal wusste ich sofort, wo ich mich befand. Auch wenn es jetzt keine Holly mehr in meinem Leben gab und ich im Grunde niemandem Rechenschaft schuldig war – ein Hauch schlechten Gewissens umhüllte mich dennoch, als ich mich aufsetzte und mir den Schlaf aus dem Augen rieb. Ich war bei ihr . Hatte ich nicht genau das zu vermeiden versucht?
Regen trommelte gegen das Fenster. Jetzt wusste ich, wo mein lebhafter Traum seine Wurzeln hatte …
Das Schlafzimmer wirkte in der Morgendämmerung merkwürdig kahl. Erst auf den zweiten Blick wurde mir bewusst, weshalb: Die Unordnung war fort. Katharina hatte offensichtlich gründlich aufgeräumt.
Überhaupt … Katharina …
Die Bettseite neben mir war leer. Von irgendwoher drangen rockige Töne an mein Ohr. Ich sammelte Slip und Pullover vom Boden auf. Mit nackten Beinen und zerzaustem Haar folgte ich der Musik. Katharina saß im Seidenkimono an dem kleinen Esstisch in der Küche, vor sich eine Tasse Espresso und eine aufgeschlagene ZEIT .
Mein Blick fiel auf die digitale Anzeige am Backofen. 6:58 Uhr. Kein Wunder, dass ich mich alles andere als taufrisch fühlte.
»Schläfst du eigentlich nie?«, wandte ich mich an die Frau, die sich zu dieser Stunde bereits in den Politikteil vertieft hatte. Ich musste gegen die laute Musik anschreien, damit sie meine Anwesenheit überhaupt bemerkte. Sie griff nach der Fernbedienung und stellte die Anlage leiser.
»Doch, nachts. Abgesehen davon, dass ich generell früh aufwache, muss ich ja zurzeit pünktlich um halb sieben meine Tropfen einnehmen.«
Ich runzelte die Stirn.
»Welche Tropfen?«
»Die Tropfen, die ich einnehme, um meine Nikotinsucht loszuwerden.« Katharina stand auf und ging zur Kaffeemaschine. »Magst du einen Espresso?«
»Gerne.« Ich ließ mich auf dem zweiten Stuhl nieder. »Du machst eine Raucherentwöhnung?«, erkundigte ich mich interessiert. »So richtig zu helfen scheint das ja nicht. Gestern hast du geraucht.« Den Zusatz konnte ich mir nicht verkneifen.
Sie warf einen kurzen, schwer deutbaren Blick über die Schulter, ehe sie weiter an der Maschine herumhantierte. »Ich habe gestern genau zwei Zigaretten geraucht«, stellte sie dann klar. »Heute noch gar keine. Weißt du eigentlich, was das für mich bedeutet? – Es gab Abende, an denen ich eine ganze Schachtel weggeraucht habe wie nichts!«
Sie servierte mir einen aromatisch duftenden Espresso, nahm Platz und wollte schon wieder nach der Zeitung greifen, als ich neugierig nachhakte: »Was sind das für Tropfen?«
Katharina verdrehte die Augen, stand aber auf und brachte ein braunes Fläschchen, das mir nur allzu vertraut war. Auch dieses trug keine Aufschrift. Ich schraubte die Flasche auf. Ihr Inhalt roch leicht nach Zitrone.
»Wo hast du das her?«
Ein neues Musikstück setzte ein. Katharina drehte die Lautstärke hoch und schloss die Augen. Wild thing … you make my heart sing … Ihre Lippen sangen den Text mit, während die Gitarrenklänge die Wände erzittern ließen. Diese Frau hatte wirklich Glück, als einzige in diesem verlassenen Haus zu wohnen. Ansonsten wäre Dauerstreit mit den Nachbarn vorprogrammiert. Ich schnappte mir die Fernbedienung und fuhr Jimi Hendrix auf Zimmerlautstärke herunter.
»Hej!« Katharina riss entrüstet die Augen auf. »Das ist die Originalaufnahme vom Monterey Pop Festival! Am Schluss zündet Hendrix seine Gitarre an und erklärt der Welt: The time I burned my guitar it was like sacrifice. You sacrifice the things you love. I love my guitar.«
Ihre Aussprache war so amerikanisch-ursprünglich, dass ich mich wieder einmal nur wundern konnte. Dr. Katharina Habler, Summa-cum-laude-Abschluss, tadelloses Englisch, unterbeschäftigte Rechtsanwältin in einem niederbayerischen Kaff.
»Wo hast du die Tropfen her?«, wiederholte ich meine Frage.
»Bist du in der Früh immer so nervig?«
»Ja, und wenn du mir weiterhin ausweichst, kann ich sogar noch nerviger werden!«
»Du lieber Himmel.« Wieder verdrehte sie die Augen. »Bloß weil wir nicht denselben Musikgeschmack haben. Eigentlich wollte ich dich bei dem Wetter erst später rausschmeißen, aber du treibst mich mit deiner Fragerei zum Äußersten.«
Ich schüttelte den Kopf. »Lass mich raten: Du hast die Tropfen von einer Frau, darfst aber nicht verraten, von wem!«
»Was nervst du mich, wenn du es sowieso schon weißt?« Sie klang unwirsch. »Trink endlich deinen Kaffee, und dann geh.«
Rausschmiss à la Habler. Zum ersten Mal seit Stunden fühlte ich mich an unsere erste Nacht erinnert. Die Zärtlichkeit, mit der wir dieses Mal miteinander geschlafen hatten, hatte sich davon so unterschieden, dass mir entfallen war, wie rasch ihre Launen wechseln konnten.
»Kaum will man was von dir, wirst du aggressiv«, stellte ich nüchtern fest, ohne mich von der Stelle zu bewegen. Mich einfach abservieren zu lassen, kratzte an meinem Stolz. Außerdem schüttete es draußen noch immer, wie ich an der grauen Regenwand vor dem Küchenfenster erkannte.
»Na und? – Ich bin eben so.« Katharina stand auf und schickte sich an, ihre leere Espressotasse neu zu füllen. Während sie die Kapsel einlegte, warf sie mir einen abweisenden Blick über ihre Schulter zu. »Wenn du mich nicht akzeptierst, wie ich bin, dann geh. Ändern wirst du mich nicht mehr.«
Interessant. Das klang in meinen Ohren mehr nach einer Herausforderung als nach Endgültigkeit. Zudem war sie in dem bis zu den Knien reichenden Seidenkimono, der sich um ihre Taille schmiegte, ein appetitlicher Anblick. Ich vergaß meinen schlechten Atem, fasste sie an den Schultern und drehte sie zu mir. Noch auf dem Weg ins Schlafzimmer streifte ich ihr den Kimono ab.
Ihren Espresso trank Katharina knapp zwei Stunden später im Bett. Auch mich hatte sie mit koffeinhaltigem Nachschub versorgt und dazu ein Croissant serviert, das allerdings wie von vorgestern schmeckte. Dass ihre Küche keiner prall gefüllten Speisekammer glich, hatte ich tags zuvor schon bemerkt. Dafür konnte es ihr Vorrat an alkoholischen Getränken mit der Ausstattung einer Hotelbar aufnehmen …
»Veleda«, sagte Katharina plötzlich unvermittelt.
Ich stand – oder lag – auf der Leitung.
»Von ihr habe ich die Tropfen«, schob sie ungeduldig nach. »Das wolltest du doch wissen.«
»Veleda Mayerhofer?«
»Ja, oder kennst du etwa noch eine andere Veleda?«
»Nein«, gab ich zu, in Gedanken bereits bei Veledas wildromantischem Bauernhof in Deggenbach. »Ich frage mich nur gerade, woher sie die Tinkturen bezieht. Und warum man nicht offen darüber reden darf, dass sie das Zeug vertreibt.«
Katharina bedachte mich mit einem Blick, als hätte ich mir gerade ein intellektuelles Armutszeugnis ausgestellt. »Ich brauche dir wohl nicht aufzuzählen, welchen Personengruppen laut Deutschem Arzneimittelgesetz die Herstellung und der Vertrieb von Arzneimitteln gestattet ist und welchen nicht!«
»Esoteriktanten fallen jedenfalls in die zweite Kategorie«, stimmte ich zu. »Folglich ist das, was Veleda tut, illegal.«
»Hör zu, ich will nicht, dass sie Ärger kriegt, weil du meinst, dass du deinem Polizistenfreund was davon stecken musst. Mir helfen die Tropfen ausgezeichnet.«
»Anderen nicht. Die kriegen einen unschönen Ausschlag davon.« Ich stellte meine leere Espressotasse neben das Bett. »Im übrigen hat Jörg derzeit andere Probleme, als sich um die Hausapotheke einer Wahrsagerin zu kümmern.«
Katharina lächelte flüchtig. »Der Mord an der jungen Frau in Dipolding«, sagte sie dann. »Gibt es schon eine heiße Spur?«
»Nicht dass ich wüsste.«
Und wenn, dürfte ich wohl kaum mit dir darüber reden.
»Soviel ich weiß, steht ja noch nicht einmal die Identität der Frau fest«, setzte ich hinzu.
»Und das, wo ihr Foto in den überregionalen Medien veröffentlicht wurde! In der SÜDDEUTSCHEN war es jedenfalls schon abgedruckt.«
Katharina stellte ihre Tasse aufs Nachtkästchen und ließ sich zurück in die Kissen fallen. Splitternackt lag sie neben mir, mit der blassen Haut einer eigentlich Rothaarigen, die sich ihr Haar brünett färbte, um die optische Ähnlichkeit mit der eigenen Tochter zu mildern. Ihr Schamhaar verriet die wahre Farbe, was ihr selbst offenbar nicht bewusst war – oder auch egal. Mir im Grunde ebenfalls. Wer mit Katharina im Bett lag, hatte anderes im Kopf, als über ihre Haarfarbe zu grübeln …
Lust flammte in mir auf, als ich meine Hand auf die Brust legte, die mir am nächsten war. Ich wollte sie küssen, doch Katharinas plötzlich so ernster, ins Leere gerichteter Blick ließ mich innehalten. »Was ist?«
»Nichts.« Sie rang sich ein Lächeln ab, das auf mich wenig überzeugend wirkte, und dann doch noch eine Erklärung. »Ich habe mir nur gerade vorgestellt, was wäre, wenn ich … sagen wir … hunderte Kilometer von meinem Heimatort entfernt ermordet würde. Die Polizei würde mein Foto an die Medien geben. Aber da ich keine Familie und keinen großen Freundeskreis habe, würde es Monate dauern, bis sich jemand meldet. Wenn überhaupt.«
Hatte sich da etwa gerade die Tür zu ihrem Inneren einen kleinen Spalt geöffnet? Hilflos suchte ich nach beschwichtigenden Worten, doch schon war der Moment vorbei, indem Katharina sich mit plötzlicher Leidenschaft auf mich warf und mir ins Ohr raunte: »Es interessiert mich nicht, eine Psycho-Session mit dir abzuhalten. Ich habe viele andere Ideen, was sich mit der Frau Doktor an einem verregneten Wochenende anstellen lässt!«
Sie ließ mir keinerlei Zweifel an ihren Worten.