Ein Film, ein Fehler und Franziska
Etwas lag in der Luft. Martina Peschner konnte es deutlich fühlen, wann immer sie im selben Raum mit Madame war.
Erst hatte Dorothee Hirscheck-Lahn morgens ihren wie üblich ans Bett servierten Kaffee umgestoßen. Die heiße, braune Brühe hatte sich über den Ärmel ihres Nachthemds und das Bettzeug ergossen und Madame dazu gebracht, sie, Martina, wütend anzuschreien. Warum hatte sie den Kaffee auch bloß so dicht an die Kante des Nachttischs gestellt!
Etwas später war sie Zeugin davon geworden, wie Madame der Hündin aus heiterem Himmel einen derben Tritt in die Flanke versetzte. Das Tier jaulte auf und verkroch sich verstört unter dem Tisch.
Etwas Finsteres hatte sich in letzter Zeit über die schönen Gesichtszüge von Madame gelegt. Erst hatte Martina erwartet, dass sich die schlechte Laune legen würde, sobald der Professor zurückkäme. Dass er verhaftet worden war, hatte sie ja selbst zutiefst schockiert. Nachvollziehbar, dass Madame aus ihrem inneren Gleichgewicht geraten war.
Aber jetzt war der Professor wieder da. Martina hatte nie an seiner Unschuld gezweifelt. Ihre Hoffnung, dass sich Madames Verstimmung legen würde, erfüllte sich allerdings nicht.
Mit angespannten Gesichtern saßen die beiden jetzt im Salon und starrten auf ein Notebook, das aufgeklappt vor ihnen auf dem Tischchen stand. Die Haushälterin fand nur mit Mühe Platz für das Porzellanservice und die Teekanne.
Kurz erhaschte sie einen Blick auf den Bildschirm. Vier Frauen knieten irgendwo auf einem Schotterboden. Sie trugen nur Unterwäsche. Es musste ein alter Film sein, den sich die Herrschaften da ansahen, denn er war schwarz-weiß und ohne Ton.
»Tjänarinna
, kümmer dich um deine Arbeit!«
Die ungehaltene Stimme der Herrin traf Martina wie ein Peitschenschlag. Schuldbewusst zuckte sie zusammen. Noch schuldiger fühlte sie sich, als sie sah, was sie beim Einschenken angerichtet hatte: Eine Pfütze schwamm in der Untertasse.
»Verzeihen Sie, Madame, ich hole den Lappen …«
»Nein! – Auf diese Weise lernst du nie aus deinen Fehlern.«
Dorothee Florence Hirscheck-Lahn erhob sich. Sie nahm die Tasse weg und stellte den bekleckerten Unterteller in die Mitte des Raumes auf den am Vortag frisch geputzten Parkettboden.
»Auf die Knie!«
Unerbittliche Härte stand in ihren Augen.
Martina zögerte. Es kam nicht zum ersten Mal vor, dass Madame ungewöhnliche Dinge von ihr forderte oder sie bestrafte, wenn sie bei der Arbeit einen Fehler beging. Im Sommer hatte sie sie gezwungen, barfuss durch Brennnessel zu laufen, weil es ihr nicht gelungen war, frische Papaya aufzutreiben. Madame dachte sich gelegentlich solche Grillen aus. Daran war sie gewohnt. Dass sie es in Gegenwart ihres Mannes tat, war jedoch neu.
Unwillkürlich suchte die Haushälterin den Blick des Professors. Doch der starrte nur weiterhin auf den Monitor, kritzelte etwas auf seinen Notizblock und tat, als ginge ihn das, was sich vor seinen Augen abspielte, nichts an.
»Auf die Knie!«, wiederholte die Hausherrin, diesmal mit Nachdruck. »Wenn ich dich noch einmal auffordern muss, kannst du dir Séancen, in denen ich für dich Kontakt zu Franziska aufnehme, in Zukunft abschminken!«
Die Androhung, nicht mehr mit ihrer kleinen Tochter im Jenseits
sprechen zu können, machte Martina nahezu schwindelig. Bereitwillig sank sie auf den Boden. Ihr schwarzer Rock spannte. Durch ihre dünne Seidenstrumpfhose spürte sie die feinen Rillen im harten Parkettboden.
»Und jetzt, Tjänarinna
, mach deinen Fehler wieder gut.«
Martina begriff nicht, was gemeint war. Das leichte Lächeln, das jetzt die schmalen Lippen ihrer Dienstgeberin umspielte, trug nicht zur Klärung bei. Madame positionierte sich mit ineinander verschränkten Händen direkt vor ihr.
»Leck den Tee auf! Und glaube nicht, dass ich dir gestatte, dich zu erheben, ehe nicht der letzte Tropfen verschwunden ist!«
Martina dachte an nichts anderes als an ihre Tochter, als sie sich gehorsam vorbeugte und tat, wie geheißen. Die Knie schmerzten ihr dabei und auch der Rücken. Doch körperliche Pein war vergänglich und nichts im Vergleich zu der seelischen Wunde, die Franziskas Tod bei ihr hinterlassen hatte. Wobei – Tod durfte sie laut Madame nicht sagen. Auch dafür wurde sie bestraft, günstigstenfalls mit Schlägen auf die Hand. Madame sprach von einem Wechsel ins Jenseits
.
»Siehst du. Es geht doch.«
Madame klang jetzt liebenswürdig. Offensichtlich war sie zufriedengestellt.
»Du darfst dich erheben. Und du darfst die Untertasse noch mit deinem Blusenärmel sauber wischen, ehe du mir noch einmal einschenkst – diesmal hoffentlich mit mehr Konzentration.«
Der kleine Teerest hinterließ braune, feuchte Spuren auf dem weißen Stoff.
»Du wirst diese Bluse die ganze Woche über tragen«, schob Madame nach, als sie ihre Tasse zum zweiten Mal gefüllt hatte. »Die Flecken sollen dir als Mahnung dienen.«
»Sehr wohl, Madame.«
Martina Peschner verabschiedete sich mit einem höflichen Knicks.