Sinnestäuschungen, Tiere und Tränen
Ich stand im Badezimmer und starrte auf die blasse Blondine mit der Beule auf der Stirn, die mir mit müdem Gesicht aus dem Spiegel entgegenblickte. Nicht nur, dass ich aussah wie gerädert, ich fühlte mich auch so. Die ganze linke Seite schmerzte und machte es mir fast unmöglich, im Bett eine geeignete Schlafposition zu finden. Außerdem hatte ich Kopfweh.
Zumindest das hoffte ich mit einer in Wasser aufgelösten Ibuprofen bald in den Griff zu bekommen. Meine Armbanduhr, die neben den Trümmern meiner Brille lag, zeigte kurz nach halb zwei Uhr nachts.
Dass mich posttraumatische Erinnerungen an den Treppensturz wachhielten, konnte ich nicht behaupten. Vielmehr trieb ich im Brackwasser meiner persönlichen Lebenskrise, bemüht, nicht unterzugehen.
Gesine Hofmann, zweiundvierzig Jahre alt, hatte zwar erfolgreich ein Medizin-Studium absolviert und während ihrer Zeit im Krankenhaus einige bösartige Oberärzte überlebt, scheiterte aber am Privatleben. Allein, einsam, mit einem irgendwann pflegebedürftigen Onkel – so sah ich mich in Aichendorf enden. Mittlerweile verstand ich das Entsetzen meiner lesbischen Bekannten in München, die mir schon vor Jahren genau dies prophezeit hatten, als ich ihnen eröffnete, dass ich eine Landpraxis übernehmen würde. Damals widersprach ich vehement – hauptsächlich deshalb, weil ich nach einer schmerzhaften Trennung sowieso von Liebe und Lust die Nase voll hatte. Mittlerweile sah die Sache anders aus. Ich hatte Lust auf Zweisamkeit und Intimitäten, sehnte mich nach einer stinknormalen Beziehung – und hatte die mit Holly zielsicher in den Sand gesetzt. Und das, um mich einer saufenden Nymphomanin an den Hals zu werfen … einer, mit der ich – leider – sexuell und intellektuell allzu gut harmonierte.
Seufzend begab ich mich zurück in mein Zimmer. Vorsichtig ließ ich mich in die Kissen sinken, als sich mein Handy auf dem Nachtkästchen zu Wort meldete.
Ein Anruf um halb zwei Uhr nachts konnte nichts Gutes bedeuten, das war klar. Mein erster Gedanke galt den Eltern und meiner Schwester. Tabea war häufig unterwegs, auch nachts. War ihr etwas passiert? Eilig griff ich nach dem Handy – zu ruckartig, denn durch die leichte Drehbewegung bohrte sich meine kaputte Rippe rücksichtslos ins Fleisch. Ich hob ab und rang erst einmal qualvoll nach Atem.
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Dann meldete sich eine dünne, zittrige Stimme.
»Gesine?«
»Ja. Wer spricht da, bitte?«
»Na, ich. – Katharina. – Du musst kommen. Bitte.«
Ich griff mir an den Kopf. Was bildete diese Frau sich eigentlich ein? – Meine Erinnerung an unser jüngstes Zusammentreffen war noch sehr präsent.
»Es ist mitten in der Nacht, und ich muss gar nichts«, stellte ich entschieden klar. »Ruf den Reiter an. Der ist dir sicher gern zu Diensten.«
»Mein Gott, du bist so bescheuert!«, kam es zurück. »Glaub mir: Wenn es wieder um einen kaputten Staubsauger ginge, würde ich ihn anrufen. Aber jetzt brauche ich eine Ärztin.«
»Dann ruf die 112. Ich bin nicht im Dienst.«
Ich legte auf und ärgerte mich noch mehr. Ob Reiter nun Katharinas staubfressenden Roboter repariert hatte oder nicht – ihr Umgang mit mir war unterste Schublade.
Das Handy vibrierte erneut in meiner Hand.
»Was willst du noch, verdammt?«, fuhr ich sie harsch an. »Ich bin nicht deine Geh-her-da! Heb dir das für deine Männer auf.«
»Bitte, Gesine, komm und hilf mir.«
Ich hörte sie schluchzen. Ein theatralischer Versuch, mich zu erweichen, damit ich mitten durch die Nacht zu ihr in die Wohnung schlich, weil sie sich gerade einsam fühlte?
»Ich stehe mit dem Auto auf der Straße zwischen Dipolding und Regensburg – und ich glaube, ich habe gerade jemanden überfahren!«
Onkel Gustavs Jeep war über fünfzehn Jahre alt. Die Gangschaltung klemmte zeitweise, die Kupplung trat sich hart und die Heizung wärmte entweder wie in der Sauna oder gar nicht. In dieser Nacht hatte sie sich für letzteres entschieden. Ich hasste den Wagen, doch mein eigener stand noch immer in Straubing.
Der Regen prasselte unentwegt gegen die Windschutzscheibe, als ich mit Tempo fünfzig die schier verwaiste Straße in Richtung Regensburg fuhr. Zugleich blies ein scharfer Westwind. Das Wetter und der nicht so vertraute Wagen verhinderten zumindest, dass ich mich in meine Wut auf Katharina hineinsteigern konnte. Meine Konzentration galt der Straße.
Katharinas BMW stand seitlich in einem Acker; die Scheinwerfer brannten. Als ich den Jeep am Straßenrand parkte und die Warnblinklichtanlage einschaltete, erkannte ich Katharinas Silhouette auf dem Fahrersitz. Sie hatte angeblich jemanden überfahren, hielt es aber nicht notwendig, auszusteigen?
Ich zog die Anorakmütze tief ins Gesicht, sprang aus dem Jeep und stapfte in den Acker. Der Wind peitschte mir den Regen gegen meine Ersatzbrille. Feuchte, lehmige Erde hing schwer an meinen Schuhen. Ich riss die Tür des BMW auf und ließ mich auf den Beifahrersitz gleiten.
»Sag mal, bist du von allen guten Gei…«
Das Wort blieb mir im Halse stecken, als sich Katharina zu mir umdrehte. Blut lief ihr über die Stirn. Ihr Blick war glasig.
»Um Himmels willen, warum rufst du keinen Notarzt!« Ich beugte mich rüber, kontrollierte die Platzwunde auf der Stirn – und hatte meine Antwort, als ich ihren Atem roch.
»Hast du was getrunken?«
»Natürlich habe ich was getrunken, was denkst du denn?«
Dass sie mit dem Kopf gegen Windschutzscheibe oder Lenkrad geprallt war – aus welchem Grund auch immer –, hatte sie jedenfalls nicht ihrer Sprachfertigkeit beraubt. Ich wusste im Moment nicht recht, ob mich das aus ärztlicher Perspektive beruhigen oder aus privater Sicht noch wütender machen sollte.
»Ich trinke immer, das ist ja das Problem!«
Sie musste unter Schock stehen. Anders konnte ich mir ihre plötzliche Ehrlichkeit nicht erklären.
»Hast du sie gesehen?«, erkundigte sie sich dann, während sie das Taschentuch, das ich ihr reichte, gegen die Stirn presste. Es war im Nu blutdurchtränkt.
»Wen?«
»Die Frau. Die, die ich überfahren habe. Sie muss hier irgendwo liegen.«
»Da war nichts. Ich bin um dein gesamtes Auto herumgelaufen, um auf die Beifahrerseite zu kommen. Ich hätte sie sehen müssen.«
»Doch, da war was!« Katharina begann zu heulen. »Sie muss da draußen sein! Ich hab doch den Aufprall gehört! Vielleicht liegt sie unter dem Wagen?«
Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle. Die Vorstellung, dass unter meinem Sitz irgendeine Person möglicherweise ihre letzten Atemzüge tat, während ich hier Zeit verplemperte, nahm mir fast den Atem. Ich musste Polizei und Krankenwagen rufen, keine Frage. Dass ich es nicht gleich nach dem Anruf getan hatte, war unentschuldbar.
»Gib mir dein Handy«, verlangte ich. »Ich rufe die Polizei.«
»Nein, Gesine, bitte!« Sie umklammerte meinen Arm. »Ich habe getrunken, die nehmen mir den Führerschein ab … Ich krieg ihn nie wieder! Ohne Auto bin ich hier am Land doch aufgeschmissen, ich kann nicht mal mehr meinen Beruf ausüben, verliere meine Anwaltslizenz, bin erledigt …«
Immer wenn ich glaubte, diese Frau könne mich durch nichts mehr aus der Bahn werfen, gelang es ihr, mich von neuem fassungslos zu machen. Weshalb hatte sie mich hergebeten? Was war ihre Erwartung? Dass ich ihr half, den Unfall zu vertuschen, damit sie nicht in Bedrängnis geriet?
»Was für dich auf dem Spiel steht, hättest du dir überlegen sollen, ehe du dich besoffen hinters Steuer setzt!«, herrschte ich sie an und angelte mir das Handy nun selbst aus Katharinas graziler Handtasche. Der Akku war leer.
Mein eigenes befand sich in meinem Rucksack – und der lag auf dem Beifahrersitz des Jeeps. Ich stieß einen leisen Fluch aus und ging zu meinem Wagen zurück.
Im Kofferraum lag Onkel Gustavs Taschenlampe. Ich ließ ihr Licht über das Feld gleiten. Im Umfeld des BMW war nichts auszumachen. Auch im Kreis von dessen Scheinwerfern erhoben sich nur schwere Ackerschollen. Dann kniete ich mich im strömenden Regen nieder und leuchtete unter Katharinas Auto.
Mein Herzschlag setzte einige Takte aus, als ich tatsächlich etwas entdeckte. Wie ein Mensch sah es der Form nach aber nicht aus.
Da es sich nicht bewegte, griff ich beherzt unter den Wagen und bekam eine behaarte Gliedmaße zu fassen. Ich musste all meine Kraft aufwenden, um den Körper unter dem Auto hervorzuziehen. Es war ein Hund. Ein Jagdhund, so wie es aussah, und er war tot.
Ich kauerte im Acker, nass und dreckig, und weinte fast vor Erleichterung. Zumindest hatte Katharina keinen Menschen überfahren – und ich war aus dem Schneider!
»Du hast einen Hund erwischt«, ließ ich sie wissen, »Glück im Unglück, sozusagen.«
»Einen Hund? – Nein. Nein, das war kein Hund!« Katharina zog die Nase hoch und ließ ihre Hand mit dem Taschentuch sinken. Prompt begann das Blut wieder übers Gesicht zu rinnen.
»Lehn dich zurück.« Ich half ihr, den Sitz nach hinten zu kippen. »So. Und jetzt drück das Taschentuch fest auf die Stirn und beweg dich nicht. Ich rufe einen Rettungswagen. Du musst ins Krankenhaus und genäht werden.«
»Nein … ich will nur nach Hause …«, begehrte sie auf, doch als ich sie mit sanfter Gewalt in den Sitz zurückschob, blieb weiterer Widerstand aus. Es war glasklar, dass es ihr nicht gut ging.
Ich wählte die Nummer der Rettung und meldete den Unfall.
»Da war ein Mädchen, ehrlich«, murmelte Katharina, kaum dass ich aufgelegt hatte. »Warum glaubst du, steht mein Auto hier mitten im Feld? Sie sprang plötzlich aus der Dunkelheit auf die Straße … ich trat auf die Bremse, versuchte auszuweichen, das Auto hat sich gedreht … Dann ist mein Kopf gegen die Scheibe geflogen … irgendwo unten ist etwas dagegengeknallt. Das Mädchen muss verletzt sein, Gesine, sie muss irgendwo liegen!«
»Da war nur der tote Hund«, wiederholte ich verunsichert. Hatte ich auch gründlich genug geschaut? Der Strahl der Taschenlampe reichte nicht besonders weit. Was, wenn sie sich weitergeschleppt hatte?
»Kathi, wir müssen die Polizei rufen!«, entschied ich. »Ich weiß, was das für dich bedeutet, aber stell dir vor, da draußen stirbt jemand, weil wir deine Fahne vertuschen wollen! Dann ist der Führerscheinentzug dein geringstes Problem.« Als sie nichts sagte, fügte ich hinzu: »Und meines auch. Nicht nur deine berufliche Existenz steht hier auf dem Spiel.«
Wieder begann sie zu schluchzen. Mein Groll auf sie war vergessen. Inzwischen tat sie mir einfach nur leid. Am liebsten wollte ich ihr tröstend über den Arm strichen, hielt mich aber zurück. Ich hatte schon mein Handy in der Hand und wollte gerade die 110 wählen, als sie nach meinem Arm griff.
»Warte.«
»Katharina, ich werde jetzt …«
Sie unterbrach mich. »Ich sehe ja ein, dass wir die Polizei holen müssen. Aber bitte lass mich den Karl anrufen. Ich möchte zumindest respektvoll behandelt werden.«
»Karl Weller?«
Sie bestätigte das durch ein knappes Nicken. Dass sie mit Weller ein Verhältnis hatte oder zumindest gehabt hatte, gehörte in Aichendorf fast schon zum Allgemeinwissen.
»Was versprichst du dir davon, wenn du ihn um halb zwei aus dem Schlaf reißt? Willst du ihm eine Ehekrise bescheren, oder soll er dir zuliebe seine Karriere riskieren und deinen alkoholisierten Zustand vertuschen?«
»Blödsinn!«, fuhr sie mich an. »Das würde ich nie erwarten! Ich verlange nie etwas! Ich bin gewohnt, alleine mit den Dingen fertigzuwerden, ich brauche niemanden! Mein ganzes Leben lang war niemand für mich da – und jetzt pfeif ich drauf! Und du bist immer nur scheiß eifersüchtig!«
Ja, klar. Ich unterdrückte ein resigniertes Seufzen. Katharina at her best .
»Da deine Kopfverletzung offenbar dein Denkvermögen trübt: Ich bin gerade für dich da, du Irre! Warum sonst sitze ich wohl hier neben dir und dränge darauf, dass du ins Krankenhaus kommst? Und ja, ich bin eifersüchtig! Und ich finde, ich habe auch jedes Recht dazu! Weil ich mich nämlich im Gegensatz zu allen anderen, die durch dein Bett hoppeln, auch ansonsten um dich kümmern will!«
Sie wandte ihren Kopf zu mir, während ich auf die Regentropfen starrte, die auf die Windschutzscheibe fielen und in Rinnsalen daran hinabliefen.
Weil ich mich auch ansonsten um dich kümmern will .
Wollte ich das wirklich?! Mich um eine alkoholkranke nymphomane Kettenraucherin kümmern?!
»Du hattest recht mit den Tropfen.«
Zum ersten Mal war ich über Katharinas Eigenart, sofort das Thema zu wechseln, wenn sie etwas lieber nicht hören wollte, dankbar.
»Ich meine: Sie wirken schon. Ich komme mit weniger Zigaretten am Tag aus. Aber irgendetwas stimmt nicht damit. Mir wird schwindlig davon, ich bin sehr schnell müde. – Vor ein paar Tagen, bei der Gemeinderatssitzung … da hatte ich nicht mehr intus als sonst, eher weniger. Aber ich hatte diese Tropfen genommen, deshalb brach ich zusammen. Wenn du willst, kann ich sie dir geben, du kannst sie analysieren lassen.«
»Ich glaube, das hat sich inzwischen erledigt. Jörg ist an der Sache dran.«
Es schien Katharina nicht sonderlich zu interessieren.
»Du glaubst, dass ich mich gern niedersaufe. Aber das ist nicht so. Ich verabscheue das genauso, wie du es an mir verabscheust. Aber ich kann nicht anders.«
Da waren wir ausnahmsweise einer Meinung. Ich zweifelte nicht daran, dass sie nicht anders konnte.
»Du bist eben süchtig«, stellte ich sachlich fest. »Deshalb verlangt dein Körper danach. Aber es gibt Mittel und Wege, dagegen anzukämpfen.«
»Ich habe keinen Grund, das zu tun«, eröffnete sie mir. Ihre Stimme klang müde. »Ich bedeute niemandem etwas. Meine ehemaligen Freunde haben sich rar gemacht … und meine eigene Tochter hasst mich.«
»Das stimmt doch gar nicht«, widersprach ich und wollte dazu überleiten, dass Anna eben ein störrischer Teenager war, doch ich schwieg. Dass Anna sich für ihre leibliche Mutter schämte, lag für mich glasklar auf der Hand.
»Ich habe gedacht, wenn ich nicht mehr trinke und das Rauchen aufgebe, wird sie mich nicht mehr so widerlich finden.« Eine Tränenspur vermischte sich mit dem Blut, das auf ihren Wangen getrocknet war. »Deshalb habe ich die Tropfen genommen … und wollte eine Selbstheilungstherapie beginnen.« Sie zog ihre Nase hoch und fuhr sich mit der rechten Hand über die Augen. »Aber dein Freund, der Kommissar, muss ja alles kaputt machen!«
»Was hat Jörg denn mit deiner Therapie zu tun?«
»Der hat meinen Therapeuten verhaftet!« Ihre Stimme hatte wieder an Festigkeit gewonnen. »An dem Tag, an dem ich meine erste Sitzung gehabt hätte, kam die Polizei und hat ihn mitgenommen – wegen dieses Mädchens, das sich auf sein Grundstück verirrt hat!«
»Was?« Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. »Du wolltest dich von Hirscheck behandeln lassen?«
»Warum, glaubst du, habe ich ihn unlängst mittags in der Pizzeria getroffen? Um zu hören, wie das so abläuft!« Katharina schniefte. »Er und seine Frau haben sehr gute Erfolge! Die Entwöhnungsquote ist besser als bei allen konventionellen Therapien.«
»Seine Frau?« Meine Skepsis war erwacht. »Die redet mit Geistern! Von der wolltest du dich auch behandeln lassen?«
Katharina presste trotzig die Lippen aufeinander.
»Hej, du bist Anwältin, mit Summa-cum-laude-Abschluss!«, stammelte ich fassungslos. »Du glaubst doch nicht ernsthaft an so einen parapsychologischen Quatsch?«
Katharina ließ mich nicht ausreden. »Was ist jetzt mit der Polizei? Willst du die nun rufen oder nicht? – Gib her.« Sie richtete sich auf, nahm mir das Handy ab und wählte selbst den Notruf. Karl Weller schien vergessen. Mir war es lieber so. Am Telefon klang sie absolut sachlich und schilderte knapp, was passiert war. Als sie auflegte, sah ich in der Ferne das blaue Blinklicht des Rettungswagens aufblitzen.
»Da ist keine Frau, Frau Doktor Habler. Nur ein zweiter toter Hund. Der Kopfverletzung nach zu urteilen, hat der ebenfalls Bekanntschaft mit Ihrem Auto gemacht.«
Die beiden jungen Uniformierten hatten mit Lampen, die über weit mehr Leuchtkraft verfügten als die meines Onkels, das gesamte Feld ausgeleuchtet und waren rund zwanzig Meter weiter auf ihren Fund gestoßen.
Katharina saß in eine wärmende Decke gehüllt im Rettungswagen – inzwischen mit verbundenem Kopf – und beharrte auf ihrer Version.
»Nein, da ist wirklich eine Frau vor mein Auto gelaufen! Sie kam von dort oben … und sie rannte auf die Straße, ohne nach links oder rechts zu schauen! Ich habe ihr sogar ins Gesicht gesehen, ehe der Wagen sie erfasste!«
Die beiden Polizisten tauschten einen vielsagenden Blick. Mir war vollkommen klar, was in ihnen vorging. Der Alkoholtest, den Katharina zuvor absolviert hatte, zeigte zwar keinen Knockout-Spiegel, das Ergebnis ließ die Uniformierten aber an der Zuverlässigkeit ihrer Wahrnehmungen zweifeln.
»Sie fahren jetzt erst einmal ins Krankenhaus«, entschied der größere der beiden Männer. »Wir müssen Ihnen noch Blut abzapfen lassen, damit es keine Missverständnisse gibt. Könnte ja sonst sein, dass Sie den Führerscheinentzug anfechten. Zumal für Sie einiges auf dem Spiel steht. Es ist immerhin nicht das erste Mal, dass Sie mit Alkohol am Steuer erwischt wurden.«
»Ich kann Ihnen die Frau beschreiben!«, Katharina redete einfach weiter. »Blond, dünn, ungefähr so groß wie Ges… wie Frau Doktor Hofmann. Und sie kam von dort oben, ganz sicher.«
Zum zweiten Mal deutete sie den Hügel hinauf, dessen bewaldete Kuppe jetzt, nachdem es zu regnen aufgehört hatte, in sanftes Mondlicht getaucht war.
»Wie auch immer.« Die beiden Polizisten wirkten ratlos. »Wir können Ihre Aussage ja gern zu Protokoll nehmen …«
»Ja, bitte!«
Insgesamt wirkte Katharina wieder bemerkenswert frisch. Tatsächlich hatte sie, kurz nachdem ihr der Verband umgelegt war, auch schon eine Zigarette geraucht und schickte sich an, eine zweite anzünden.
»Frau Doktor Habler … doch nicht im Rettungswagen!« Der Sanitäter machte einen gequälten Gesichtsausdruck, der sie wenig beeindruckte.
»Das mit der Aussage verschieben wir besser auf morgen, wenn Sie ausgeschlafen sind. Jetzt geht es ins Krankenhaus«, kam der Polizist dem Sanitäter zur Hilfe.
Katharina schob die Zigarette missmutig in die Schachtel zurück.
»Eigentlich muss ich da gar nicht mehr hin. Verbunden bin ich jetzt ja, und …«
»Doch. Die Wunde muss genäht werden. Also legen Sie sich hin und genießen Sie die Fahrt.«
Schön, dass der Sanitäter Humor bewies.
»Aber mein Auto …«, wandte sie ein.
»Das parkt doch vorläufig ganz gut.« Der kleinere der beiden Uniformierten stand dem Sanitäter in Sachen Humor um nichts nach. »Der ADAC kann es Ihnen ja nach Hause bringen. Fahren dürfen Sie in nächster Zeit sowieso nicht mehr, das kann ich Ihnen jetzt schon versichern.«
»Gesine …« Sie griff in ihre Tasche und warf mir den Autoschlüssel zu. Reflexartig fing ich ihn auf. »Kannst du das übernehmen? – Du willst dich doch um mich kümmern, oder nicht?«
Sie schob ihren Worten ein kokettes Lächeln hinterher, und ich fragte mich einen Moment lang, ob ich nicht vielleicht träumte. Vor zwanzig Minuten hatte sie noch in Tränen aufgelöst neben mir im Auto gesessen und jetzt schäkerte sie schon wieder munter herum – obwohl ihr gerade der Führerschein abgenommen worden war! Vermutlich würde ich diese Frau nie verstehen.
»Ich kümmere mich«, versprach ich lahm, während ich mich fragte, welchen Landwirt unter meinen Patienten ich darum bitten konnte, die Kiste aus dem Acker zu ziehen.
Die Türen des Rettungswagens schlossen sich. Die Polizisten luden die toten Hunde in ihren Kleinbus. Ich stieg in den Jeep, wartete, bis beide Fahrzeuge verschwunden waren, und drehte um. Auf der Rückfahrt kam mir ein roter Fiat entgegen, sonst war keine Seele unterwegs. Was für eine verdammt einsame Gegend dieser Landstrich zwischen Dipolding und Regensburg doch war! Wenn jemand ein Verbrechen verüben wollte – hier konnte er ungestört zur Tat schreiten.
Kein Wunder, dass Jörgs Mordopfer in dieser Einöde ihr Leben gelassen hatte und er wohl noch immer im Dunkeln tappte, was den Täter betraf.