Erhellende Aspekte, Drohungen und ein Anruf
»Frau Doktor Habler! So eine Überraschung.« Jörg reichte der brünetten Dame, die im weinroten Kostüm und mit einem schwarzen Aktenkoffer in der Hand sein Büro betrat, die Hand. Der Verband, der ihre Platzwunde auf der Stirn bedeckt hatte, war inzwischen durch ein größeres Pflaster ersetzt worden, was ihrer eleganten Erscheinung ein interessantes Detail hinzufügte. »Ist Ihnen etwa noch etwas zu dem nächtlichen Vorfall mit der jungen Frau eingefallen?«
»Ich bin im Auftrag einer Mandantin hier«, stellte sie klar, während er ihr mit einer galanten Geste den Besucherstuhl anbot. »Veleda Mayerhofer. Sie halten sie inzwischen schon fast achtundvierzig Stunden fest, und das nur aufgrund einer äußerst dürftigen Indizienlage.«
»Wie bitte?« Jörg hatte Mühe, ernst zu bleiben. »Seit wann sind Sie Strafverteidigerin? Meines Wissens ist Ihr Gebiet das Scheidungs- und Familienrecht! Hier geht es um Mord!«
Katharina bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick.
»Seien Sie froh, dass ich hier bin«, sagte sie. »Immerhin helfe ich Ihnen, eine Verdächtige auszuschließen!«
»Ich bin ganz Ohr.«
Die Anwältin ließ sich durch sein Amüsement nicht beirren.
»Ich hatte heute Vormittag ein Gespräch mit meiner Mandantin. Hier ist ihre Aussage.« Sie öffnete den Aktenkoffer und legte ein DIN-A4-Papier auf den Schreibtisch. Unter dem ausgedruckten Text, der sich über die ganze Seite erstreckte, prangte Veleda Mayerhofers Unterschrift.
Jörg überflog die Zeilen.
»Sie hat Marion Schwaiger also tatsächlich erfolgreich überredet, dem Seminaranbieter Light & Fire
Lebewohl zu sagen und stattdessen in Deggenbach Kurse zu belegen? Und Marion Schwaiger hat einen Monat lang sogar am Hof gewohnt?«
»Ja, laut ihrer Aussage. Aber Sie haben es ja selbst gelesen: Dann war sie nicht mehr zufrieden und sagte Veleda Mayerhofer, sie hätte etwas Besseres gefunden – nämlich dieses mysteriöse Lumenaria
. Angeblich hat eine gewisse Sabine Erdlinger, die Eigentümerin von Light & Fire
, sie darauf gebracht.«
»Und dann, steht hier, wurde Marion Schwaiger abgeholt und Frau Mayerhofer hat sie nie wieder gesehen?«
»So ist es. Das war vor rund zweieinhalb Jahren. Zwei Frauen, die meine Mandantin nicht kannte und die sich ihr auch nicht vorgestellt haben, kamen in einem weißen Van mit dunklen Scheiben und haben Marion Schwaiger mitgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war sie gesund, munter und hochmotiviert. Zum Abschied eröffnete sie Veleda Mayerhofer, sie strebe nach Erleuchtung. Ich sehe darin den entscheidenden Durchbruch bei Ihren Ermittlungen.«
»Ach ja? Strebt nicht jeder zweite Yogakurs nach Erleuchtung?« Er tappte im Dunkeln.
An dem Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte, konnte er unschwer erkennen, dass sie das genau wusste – und es genoss. Allmählich verstand er, was Gesine an dieser Frau reizte.
»
Light & Fire. Lumenaria. Erleuchtung
. Die Mailadresse, unter der Veleda die Tropfen bestellt hat:
darlaluz@gmx.de
. – Erhellt Sie da etwa nicht der Blitz der Erkenntnis?«
Jörg schwieg. Für intellektuelle Gedankenspiele war er offenbar zu sehr mit den bisherigen Ermittlungen befasst.
»Luz! Luz? – Nein? Es ist schlecht bestellt um die deutsche Polizei«, stellte sie nüchtern fest. »In anderen Worten: Überall geht es um Licht. Light & Fire, Lumenaria
, der Tropfenanbieter – das ist alles eines. Meine Mandantin ist vollkommen unschuldig, was irgendeine Beteiligung am Tod der jungen Frau betrifft. Sie können sie allerhöchstens wegen illegalen Arzneimittelhandels belangen, aber auch da werden wir uns zu wehren wissen.«
Ihre These klang plausibel und untermauerte, was er bereits vermutet hatte.
»Und jetzt mal unter uns, Frau Doktor Habler: Das alles hat Frau Mayerhofer nicht aussagen können? Sie lässt sich wirklich lieber zwei Tage einbuchten, ehe sie den Mund aufmacht?«
Katharina Habler klappte den Aktenkoffer wieder zu.
»Meine Mandantin wird erpresst. Sie hatte schlichtweg Angst, auszupacken.«
»Erpresst? Von wem? Womit?« Die Angelegenheit wurde immer mysteriöser.
»Frau Mayerhofer hat … nun, nennen wir es: Hausgäste. Man hat ihr damit gedroht, der Polizei einen anonymen Hinweis zu geben.«
Nun musste Jörg doch lachen. »Entschuldigung. Aber dass sie jungen Männern aus Afrika und Asien Obdach gibt, weiß doch jedes Kind. Gesine hat es mir erzählt. Wenn wir da aktiv werden wollten, wären wir schon dort.«
»Selbstverständlich habe ich Frau Mayerhofer genau das gesagt – und ihr gleichzeitig versichert, dass Sie auch weiterhin nichts unternehmen werden. So, wie Sie sie auch nicht wegen des Handels mit den Tropfen vor Gericht bringen werden.«
Jörg verzog das Gesicht, schwieg jedoch. Dass sie Zusicherungen machte, die schlichtweg ihren Kompetenzbereich überschritten, passte ihm nicht. Letztendlich jedoch waren Veledas Hausgäste wirklich Nebensache.
»Das ist aber noch nicht alles«, fuhr Katharina Habler nun fort. »Man hat ihr auch anderweitig gedroht.«
Was er nun zu hören bekam, machte Jörg zunächst einmal sprachlos. »Und … das glauben Sie wirklich?«, brachte er dann über die Lippen.
Die Anwältin zog ihre schmalen Augenbrauen nach oben und bedachte ihn mit einem langen Blick, den er nicht einordnen konnte.
»Ich?«, wiederholte sie langsam. »Was ich glaube, tut gar nichts zur Sache. Entscheidend ist, dass Veleda davon überzeugt ist!«
Furtner legte das Diensttelefon zur Seite.
»Das war Professor Hirscheck«, informierte er Jörg, der die Anwältin noch bis zur Tür begleitet hatte. »Er beschwert sich darüber, dass unsere Leute auf seinem Grundstück herumschnüffeln, und will Feichtenböck auf uns hetzen.«
»Soll er. Den wird er sowieso sehr intensiv brauchen.«
»Will sagen?«
Jörg kam nicht dazu, zu antworten, denn im selben Augenblick klingelte sein Handy. Als er sah, dass es Gesine war, hob er sofort ab. Wenn sie ihn aus der Sprechstunde anrief, musste das einen triftigen Grund haben.
Augenblicke später griff er nach Autoschlüssel und Anorak.
»Auf geht’s, Furtner! Wir fahren nach Aichendorf. Eine wichtige Zeugin ist aufgetaucht!«
»Und Hirscheck?«
»Das erklär ich dir unterwegs!«