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Mutterliebe
Jorat, Quurisches Reich.
Drei Tage nachdem Kihrin es nicht geschafft hatte, Gadrith zu täuschen
»Geht es dir nicht gut, Kihrin?«, fragte Janel.
Kihrin stieß den Atem aus und schloss die Augen. »Es ist, wie du gesagt hast – wir kennen dieselben Leute. Aber, na ja, zumindest weiß ich jetzt, was aus meiner Harfe geworden ist.«
Janel starrte ihn an. »Du spielst Harfe?«
»Ja, ich spiele Harfe. Und Valathea gehörte mir
…« Kihrin verstummte, als Janels Augenbrauen in die Höhe stiegen. Dann fiel ihm wieder ein, was Teraeth über das Beuteschema gesagt hatte. Er räusperte sich. »So ist es nicht. Teraeth und ich sind Freunde.«
»Ach, natürlich«, stimmte Janel zu. »Wie sollte das auch funktionieren? Schließlich galoppierst du nur mit Stuten.«
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»Moment, ich verstehe nicht«, warf Bruder Qaun ein. »Die Person, die Ihr beide kennt, ist eine Harfe? Entschuldigt. Ich dachte, Ihr sprecht über Königin Miyane.«
Kihrin zuckte zusammen, hob eine Hand und drehte sich zu Bruder Qaun um. »Das war nicht Königin Miyane. Ja, sie hat blaue Haare, und wenn man die erste Silbe ihrer Namen bedenkt, sind die beiden wahrscheinlich miteinander verwandt. Aber sie sind zwei verschiedene Personen.«
»Wer ist sie dann?«
Kihrin schlug seinen Kopf mehrmals gegen die Stuhllehne. »Du hast recht: Relos Var bedient sich gern der Familien seiner Gegner, um sie zu treffen. Das war meine Mutter. Ich würde ja all die verzwickten Stammbäume mit euch durchgehen, aber irgendwann kam der Schellenstein ins Spiel. Wenn wir hier nur ein paar Wochen festhängen, reicht uns die Zeit wahrscheinlich nicht.«
»Sie klang, als würde sie sich um dich Sorgen machen«, sagte Janel.
»Ja. Nach meiner Entführung und nachdem die Suche meines Vaters ergebnislos geblieben
war, hat sie wahrscheinlich Relos Var um Hilfe gebeten. Und Var erzählte ihr, was sie hören wollte. Was würde sie wohl sagen, wenn sie wüsste, dass er eine Krake geschickt hat, um mich zu töten?
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Meine Gesundheit liegt ihm eindeutig nicht am Herzen.« Kihrin schüttelte den Kopf. »Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es verdammt noch mal wissen müssen. Es ist so offensichtlich.«
Janel und Bruder Qaun tauschten einen Blick aus.
»Richtig«, sagte Janel. »Nun, ich glaube, ich sollte jetzt den Teil über meine
Mutter erzählen.«
Janels Schilderung. Im Nachleben.
Als ich im Nachleben aufwachte, wusste ich sofort, was passiert war. »Verdammter Mist«, murmelte ich. Ich fragte mich, ob ich diesmal tatsächlich gestorben war. Hatten sie mir Drogen oder Gift verabreicht? Ich würde es erst erfahren, wenn ich wieder erwachte.
Oder auch nicht.
~WAS HABEN WIR DIR DARÜBER GESAGT
, DASS DU NICHT ZU VERTRAUENSSELIG SEIN SOLLST
?~
Ich zog mein Schwert, während ich mich zu Xaltorath umdrehte. Ihrem Tonfall nach zu urteilen, würde dies kein Mutter-Tochter-Gespräch über den richtigen Verzehr von Schalentieren werden.
»Diesmal hattest du vielleicht recht.«
~DEIN TOD IST IN MEINEM PLAN NICHT VORGESEHEN
. HÖRST DU
? ICH WERDE DICH NICHT VON EINER VERZOGENEN KLEINEN YORERIN UMBRINGEN LASSEN
, DEREN GANZER EHRGEIZ SICH DARAUF BESCHRÄNKT
, IHREN BALG AUF DEN THRON ZU SETZEN
.~
»Hör zu, ich glaube nicht …«
Sie ohrfeigte mich mit dem Handrücken. Das klingt nach etwas, das eine Adlige mit einem unangenehmen Verehrer tun würde. Doch Xaltoraths Schlag schleuderte mich zwanzig Fuß nach hinten. In der Welt der Lebenden hätte er mich getötet. Und dann rannte sie auf mich zu, wobei sie einen Spieß schwang, den sie gerade eben noch nicht in der Hand gehalten hatte.
Ich brachte ihr mit meinem Schwert eine Schnittwunde am Bauch bei, doch die Verletzung heilte sofort. Als Nächstes stach ich nach ihr. Sie packte mein Schwert und grinste, als die Klinge in ihre Finger schnitt. Dann zerbrach sie die Waffe und warf die beiden Teile
hinter mir zu Boden.
~ICH MUSS DIR WOHL EINE LEKTION ERTEILEN
.~
Sie streckte den Arm nach mir aus.
»Nein … das lassen wir mal schön bleiben«, sagte jemand.
Ich schrie auf, als Xaltoraths Hand sich um meinen Hals schloss. Im Umdrehen schleifte sie mich mit sich. Vor uns stand eine Frau.
Ich starrte sie an.
Sie hatte rotbraune Haut und schwarze Haare. Ihre Augen sahen aus wie meine. Zwar hatte sie keinen Laevos und auch keine gescheckte Haut, aber das waren Kleinigkeiten, die keinen großen Unterschied zu machen schienen. Allerdings war sie im Gegensatz zu mir von Kopf bis Fuß in ein wunderschönes Kleid gehüllt, dessen Farben sich ständig veränderten – von Grün zu Rot und Violett.
Ich wusste sofort, wer sie war. Wer sie sein musste. Tya, die Göttin der Magie.
»Unsere Abmachung ist hinfällig, Xaltorath«, sagte sie. »Du hast versprochen, sie zu beschützen, aber du hast das genaue Gegenteil getan, nicht wahr?«
Xaltorath lachte und hob mich, unbeeindruckt von meiner Gegenwehr, in die Höhe.
~SOLL ICH SIE DANN JETZT TÖTEN
, TYA
?~
»Das wirst du nicht tun«, sagte Tya und trat auf uns zu. »Sonst hättest du es bereits vor Jahren getan. Also, wollen wir gegeneinander kämpfen? Uns so lange duellieren, bis du deinen Stolz befriedigt hast?«
Xaltorath öffnete die Finger und ließ mich fallen. ~NICHT MEHR LANGE
. DIE PROPHEZEIUNGEN WERDEN SICH BALD ERFÜLLEN
.~
»Das glaubst du«, erwiderte Tya. »Na, wir werden ja sehen.«
~JA
, DAS WERDEN WIR
.~
Ich schnitt eine Grimasse und rieb mir den Hals. Dann sah ich mich nach den Bruchstücken meines Schwertes um. Als ich wieder aufblickte, hatte Xaltorath sich verzogen und nur die andere Frau war noch da.
Tya.
Ich setzte mich auf den Boden und schlug die Beine unter.
Sie drehte sich um. »Janel …«
»Unsere Abmachung ist hinfällig?«, fragte ich. »Um was für eine Abmachung ging es da? Woher kennt Ihr mich?«
»Janel, lass es mich bitte erklären.«
»Genau darum habe ich Euch ja gebeten.«
»Ich bin deine Mutter«, sagte Tya. »Deine wirkliche Mutter.«
Trotz meines brennenden Zorns versuchte ich, ruhig zu bleiben. »Mein ganzes Leben hat man mir erzählt, der Name meiner Mutter wäre Frena. Und neulich hieß es, sie sei eine Tänzerin gewesen. Auf Euch scheint mir aber weder das eine noch das andere zuzutreffen.«
»Wer würde dir erzählen, deine Mutter sei eine … Oh. Lass mich raten. Relos Var?«
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Sie seufzte und kam zu mir herüber. »Früher stimmte das wohl in gewisser Weise. Das ist allerdings schon lange her.« Sie nahm mir gegenüber Platz. Dass dabei ihr schönes Kleid schmutzig wurde, schien ihr egal.
Ich sah sie an. »Hast du eine Ahnung, was Xaltorath mir in all den Jahren angetan hat?«
Meine Mutter machte ein gequältes Gesicht und sah zur Seite. »Ich … kann es mir ungefähr vorstellen. Nichts davon war geplant.«
»Wie tröstlich.«
Mein verbitterter Ton ließ sie zusammenzucken. »Ich habe deine Eltern sorgfältig ausgesucht. Sie waren anständige Leute, die ein Kind wollten, und ich war sicher, dass sie dich gut erziehen würden.«
»Ich habe sie geliebt«, räumte ich ein und spürte, wie es mir die Kehle zuschnürte.
»Und dabei habe ich mich für so schlau gehalten«, sagte sie. »Zwar habe ich mit deinem Vater die Prophezeiungen, die ›Rezepte‹, befolgt, aber gleichzeitig habe ich auch dafür gesorgt, dass du schwer zu finden warst. Ich habe nicht versucht, dich zu behalten, und dich auch niemandem gegeben, der mit mir in Verbindung gebracht werden konnte. Trotzdem wusste Xaltorath aus irgendeinem Grund Bescheid. Was sie mit dem Überfall auf Lonezh mehr als deutlich gemacht hat. Danach konnte ich mich entweder ihren Bedingungen fügen oder dabei zusehen, wie sie dich tötet.«
»Du bist doch eine Göttin, oder nicht?« Ich hörte auf, meine Hände anzustarren, und warf ihr einen bösen Blick zu. »Ich meine, du bist hier und hast Xaltorath vertrieben. Sie hat dich Tya genannt. Du bist eine der Acht. Und trotzdem konntest du einen einzelnen Dämon nicht in seine Schranken weisen?«
»Sie ist kein einzelner Dämon. Sondern Xaltorath. Sie besteht aus einer Million schreiender Seelen, und ein paar von ihnen gehören Gottkönigen.
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Bei so einem Kampf hätte ich deine Vernichtung riskiert. Wenn ein Dämon jemanden
tötet, verschlingt er ihn und nimmt seine Seele in sich auf. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob diese Seelen zurückgeholt werden können, und wenn es sich um Xaltorath handelt …« Tya schüttelte den Kopf. »Xaltorath wäre nicht leicht zu bezwingen gewesen. Also haben wir uns geeinigt.«
»Und was wollte sie?«
»Dich. Zugang zu dir. Ohne dass ich mich einmische.«
Ich schloss die Augen. »Weißt du, weshalb?«
»Nein, aber Taja meint, dass wir das als gutes Zeichen nehmen sollten. Ich erwarte nicht, dass du mir vergibst …«
»Gut.«
Tya seufzte. »Ich hatte meine Gründe.«
Ich konnte mein Gefühlschaos nicht mehr länger im Zaum halten und wunderte mich, wieso nicht das gesamte Feld schlagartig in Flammen aufging, so wütend war ich auf sie und Qoran Milligreest. Andererseits hatten die beiden bewiesen, dass sie bereit waren, Tausende für mich zu opfern. Aber wieso? Zu welchem Zweck?
Weshalb war ich so wichtig? Weil ich den Anforderungen irgendeiner Dämonen-Prophezeiung genügte? Weil ich mich in einem Leben, an das ich mich nicht erinnerte, freiwillig für diese Sache gemeldet hatte? Am liebsten hätte ich die beiden angeschrien. Ich wollte ihnen sagen, was für Dummköpfe sie waren. Die Prophezeiungen waren eindeutig eine Lüge, denn sie waren von Dämonen geschaffen worden.
Das Einzige, was ich gelernt hatte, als ich auf Xaltoraths Knien saß, war, dass Dämonen logen.
Sie logen immer.
Ich schlug die Augen wieder auf. »Dann liegt es also an meinem Vater, dass Herzog Kaen mich nicht hat töten lassen. Und du bist der Grund, weshalb Relos Var mich nicht töten ließ. Weil er es liebt, die Familien seiner Gegner zu instrumentalisieren.«
»Ja.«
»Heißt du in Wirklichkeit Irisia?«
Tya runzelte die Stirn. »Woher kennst du diesen Namen?«
»Von einer alten Frau namens Wyrga.«
»Es gibt nicht mehr viele, die sich an meinen wirklichen Namen erinnern. Diese Frau, wer immer sie ist, muss ein ganzes Stück älter sein, als sie scheint.«
»Sie wirkt ziemlich alt«, sagte ich und seufzte. »Na schön. Ich weiß jetzt, dass du
meine Mutter bist. Dann kannst du ja wieder gehen.«
Tya sah überrascht und traurig aus. »Janel, ich dachte …«
»Was hast du gedacht? Dass wir ein Wiedersehensfest feiern würden? Dass ich dich in die Arme schließen und als die Mutter willkommen heißen würde, die ich mir immer gewünscht habe? Die einzige Mutter, die ich mir immer gewünscht habe, ist gestorben, als ich acht war. Sie wurde von Dämonen getötet. Du
hast mich im Stich gelassen. Vielleicht glaubst du, es aus guten Gründen getan zu haben, aber das ändert nichts am Resultat. Als du mich weggabst, hast du dich komplett von mir abgewandt. Du kannst jetzt nicht so tun, als wäre alles vergeben und vergessen. Denn das ist es nicht und wird es auch nie sein.«
Ihre Gesichtszüge verhärteten sich, und sie verschwand.
Ich schrie die Lücke an, die ihre Abwesenheit riss.
»Mein Graf?«
Ich rappelte mich verwundert auf, drehte mich um und sah Arasgon. »Was? Nein, was ist passiert? Du solltest nicht hier …«
Mir fiel nur ein einziger Grund ein, aus dem Arasgon im Nachleben auftauchen würde: Er war tot. Trotz der Panik, in die mich dieser Gedanke versetzte, bemerkte ich, dass Arasgons Äußeres sich verändert hatte.
Seine Augen und Hufe standen in Flammen. Die Streifen an seinen Beinen waren verschwunden, dafür bestand seine Mähne aus einem funkensprühenden Feuer. Wäre es blau anstatt rot gewesen, hätte ich ihn für einen Dämon gehalten. Und dennoch hätte ich ihn überall wiedererkannt. Seine geschwungenen Flanken, der geschmeidige Hals, die zart gekrümmte Schnauze. Dies war nicht Xaltorath.
Er kam näher, beugte sich zu mir herab und rieb die Nüstern an meiner Schulter.
Ich schlang die Arme um ihn und begann zu weinen. »Hast du … Wie …?« Ich konnte keinen zusammenhängenden Gedanken fassen.
»Deine Mutter«, antwortete er. »Sie dachte, du würdest dich vielleicht über meine Gesellschaft freuen. Deshalb hat sie mir gezeigt, wie ich mich dir hier anschließen kann.«
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Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Tya das geschafft hatte. Ich hatte ja nicht einmal gewusst, dass so etwas möglich war. Aber natürlich musste ich davon ausgehen, dass die Göttin der Magie ein oder zwei Dinge wusste, von denen ich nichts ahnte.
»Wenn sie glaubt, dass ich ihr vergebe, nur weil sie …« Doch die Worte erstarben mir in der Kehle, denn es war für den Anfang wirklich keine schlechte Geste.
Ich schluchzte in sein Fell, bis Arasgon genug hatte und mich mit dem Kopf anstupste. »Jetzt komm schon. Ich will rennen.«
»Du willst immer rennen.« Ich lachte trotz meiner Tränen und wischte mir die Augen.
Er schenkte mir ein Grinsen und schüttelte zustimmend den Kopf. »Rennen gehört zum Schönsten, was es im Leben gibt. Ihr Zweibeiner macht immer alles so kompliziert mit euren Verpflichtungen und Bestrafungen. Rennt doch einfach. Erinnerst du dich noch, wie gerne du gerannt bist?«
»Einfach rennen?«, wiederholte ich. »Ich renne nicht mehr, Arasgon.«
»Natürlich tust du das. Du rennst bloß nicht mehr davon
.«
Erneut erschütterte ein Lachen meine Brust, und ich tätschelte seine Schnauze. Sie fühlte sich wie immer weicher als Samt an. Nein, ich rannte nicht mehr weg. Dennoch dachte ich einen Moment lang mit Bedauern an meinen Kanton Tolamer. Ich hatte ihn im Stich gelassen, auch wenn ich mir eingeredet hatte, dass ich es tun musste, um ihn zu retten.
Anschließend überlegte ich, dass meine Mutter das Gleiche mit mir gemacht hatte. Dann war ich also eine Heuchlerin. Nur, waren wir das nicht alle?
Doch dann kam mir ein anderer Gedanke. »Warte mal, ist Dorna bei dir? In der Welt der Lebenden, meine ich?«
Arasgon nickte. »Talaras, Sir Baramon und Ninavis sind auch da. Wir verstecken uns gerade, weil ein Kopfgeld auf uns ausgesetzt ist.« Er bleckte die Zähne. »Dämliche Zweibeiner.«
»Dämliche Zweibeiner, ganz recht«, murmelte ich. »Glaubst du, dass du noch mal hierherkommen kannst, jetzt, da Tya dir den Trick gezeigt hat?«
»Das ist kein Trick. Sie hat mir gesagt, dass ich es merken werde, wenn du schläfst, und dass ich dann zu dir stoßen kann, wenn ich es will. Ich weiß nicht, ob ich es jede Nacht zeitlich schaffen werde.«
Ich schaute ihn mit großen Augen an. Dann konnte ich also mit Dorna und Ninavis kommunizieren und ihnen mitteilen, was ich beim Blick auf die Karte im Privatzimmer des Herzogs über seine Eroberungspläne herausgefunden hatte. Selbst wenn ich den Herzog nicht
unterstützte, konnte ich diese Pläne auch selbst vorantreiben. Und wenn sie glaubten, ich würde ihm helfen …
Nun, ich musste eine Möglichkeit finden, seine Pläne und Karten zu untersuchen. War ich nicht Janel Danorak?
Es wurde Zeit, dass ich daraus einen Vorteil schlug.
Ich grinste. »Perfekt. Dann haben wir ja noch viel Arbeit vor uns. Wir werden eine Rebellion stehlen.«
Ich blieb nicht so lange wie sonst im Nachleben, da ich eher bewusstlos war, als dass ich schlief. Als ich erwachte, war ich erleichtert. Ich war nicht tot.
Doch die Erleichterung währte nur fünf Sekunden. Dann merkte ich, dass ich von Weiß umgeben war.
Schnee. Um mich herum wirbelten Flocken, und unter mir war Eis. Ich versuchte aufzustehen, was sich jedoch als schwierig herausstellte, da ich in einer Pfütze aus Schmelzwasser lag, was das Eis besonders rutschig machte.
Veixizhau hatte mich draußen abgeladen, mitten in der klirrenden Kälte, die um den Eispalast herrschte. Mein Wollkleid saugte sich mit Eiswasser voll, was noch schlimmer war, als wenn ich überhaupt keine Kleidung getragen hätte.
Doch dann fiel mir auf, dass ich keine Kälte spürte. Senera hatte mich zwar meiner Kraft beraubt, mir aber nicht meine Magie genommen.
Ich stieß ein Lachen aus, das von den Sturmböen, die mich umwehten, weggerissen wurde. Mir war soeben bewusst geworden, dass ich mit meinem khorveschischen Vater und meiner unsterblichen Mutter eindeutig vom Blut des Joras war – und daher bei meinem Volk nicht als Hexe galt.
So sah man mich nur im Rest von Quur, wo man sich ausschließlich für meine Weiblichkeit interessierte.
Der Schnee machte es schwer, Entfernungen einzuschätzen, doch ganz in der Nähe hallten laute Freudenschreie wider. Ich kannte das Geräusch von den weiten Ebenen meiner Heimat: Es waren die Rufe von Hyänen. In der Halle des Herzogs hatte ich weiße Hyänen gesehen, die dichteres Fell hatten und größer waren als ihre südlichen Verwandten.
Je nachdem wie groß das Rudel war, konnten sie mir möglicherweise gefährlich werden. Ein paar konnte ich relativ problemlos abwehren, doch wenn sie auch nur ansatzweise
ihren südlichen Vettern ähnelten, würde ich es möglicherweise mit dreißig oder vierzig von den verfluchten Biestern zu tun bekommen. Umrisse schälten sich aus dem Schnee und kamen näher.
Einer der Jauchzer brach abrupt ab.
Donner zerriss den Himmel und brachte den Boden zum Beben. Es sah aus, als würde die graue Wolkendecke zurückgeschlagen, und der stete Schneefall um mich herum ließ nach. Ein wie mit dem Rasiermesser gezogener blaugrüner Spalt tat sich in den Wolken auf. Er verlief vom Scheitelpunkt des Himmels bis zum Horizont und wurde breiter, wie ein aufgehender Vorhang, der den Blick auf den Anbeginn der Welt freigab.
Und durch diesen Spalt in der Wolkendecke kam die Eisdrachin geflogen, Aeyan’arric. Sie hielt direkt auf mich zu.