48
Enthüllungen
Jorat, Quurisches Reich.
Drei Tage nachdem ein Hexenjäger mit dem lächerlichen Namen Fromm nicht in die Hauptstadt zurückgekehrt war
Alle starrten Janel an.
Sie lehnte sich zurück und trank verlegen ihren Kaffee.
»Ach, Fohlen, du …« Dorna musterte sie besorgt. »Du hast nicht wirklich eines deiner Augen aufgeschnitten, oder?«
Stern nickte anerkennend. »Nicht schlecht.«
Janel räusperte sich und sah zur Seite.
Qauns Schilderung. Im Eispalast, Yor, Quur.
Es war Sir Baramon, der schließlich alles ausplauderte.
Bruder Qaun wusste, dass der Ritter es nicht absichtlich getan hatte. Aber es war abzusehen gewesen, dass irgendwann irgendwer einen Fehler machen würde. Mit der Zeit hatte Qaun herausgefunden, wo und wann die Leute indiskret wurden und sich den neuesten Klatsch zuflüsterten. Er belauschte unsichtbar die Räume, in denen sie sich allein wähnten, denn Leute, die sich unbeobachtet fühlen, vergessen manchmal jede Vorsicht.
Und wie war es bei Sir Baramon gewesen? Nun, der liebte Bettgeflüster.
Eines Abends sah Bruder Qaun nach dem Ritter und stellte fest, dass der gerade mit großer Leidenschaft Dangos Gesellschaft genoss. Die Situation war ihm sehr peinlich, also entfernte er sich, um inzwischen seine üblichen Zielpersonen zu überprüfen. Als er zurückkehrte, waren die Männer zwar mit dem Sex fertig, aber immer noch intim miteinander. Die beiden lagen gut zugedeckt neben einem Feuer, kuschelten und unterhielten sich.
Diesmal blieb Qaun da.
»Morgen wird es übel«, sagte Sir Baramon, dessen Kopf an der Schulter des anderen Mannes lag.
Dango lächelte und streichelte den Arm des Ritters. »Ach, sei doch nicht so, mein Liebling. Morgen wird es gefährlich, aber auch nicht schlimmer als all die Male zuvor.«
Baramon setzte sich auf und ließ Dangos Hand von sich abgleiten. »Ich fand es besser, als wir uns noch nicht aufteilen mussten. Und als einer von uns vorausreiten und so tun konnte, als wäre er der Schwarze Ritter, ohne dass es deswegen gleich ein großes Trara gab. Ich kann es nicht mehr machen. Dabei war das mal meine eigentliche Arbeit! Heute muss man den Schwarzen Ritter bloß erwähnen, und schon fallen alle Adligen in Ohnmacht.«
»Das liegt an denen, nicht an uns.«
»Weißt du, dass ich im vorletzten Dorf einen Altar für den Schwarzen Ritter entdeckt habe? Dort behaupten sie, er wäre der Namenlose Herr.«
Bruder Qaun stutzte. Die Jorater nannten den achten der Unsterblichen den Namenlosen Herrn. Es war ihr Name oder besser gesagt, ihr Nicht-Name für Selanol, den Gott, zu dem Qaun betete.
246
»Was erwartest du? Er erhört ihre Gebete. Heutzutage kann man durch keine Stadt mehr reiten, ohne ein oder zwei Wandschmierereien über den Schwarzen Ritter zu sehen. Mittlerweile gibt es sogar ein paar ganz gute Lieder über ihn.«
»Wenn wir uns nicht aufteilen …«, begann Sir Baramon.
»Janel hat gesagt …«, fiel Dango ihm ins Wort und verstummte dann selbst mitten im Satz.
»Woher wissen wir, dass sie überhaupt etwas sagt?«, fragte Sir Baramon. »Als ich Janel Danorak das letzte Mal sah, lag sie tot auf dem Turnierplatz in Atrine. Talaras beißt mir die Finger ab, wenn er mich das sagen hört, aber wir wissen doch nur von Arasgon, dass sie überlebt hat. Und jetzt sollen wir ihm auch noch glauben, dass er jede Nacht mit ihr spricht?«
»Bary!«, schimpfte Dango leise. »Darüber dürfen nur die Feuerblüter miteinander reden!«
Eine ganze Weile blieb Sir Baramon stumm. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Da hast du natürlich recht.« Er lächelte. »Über Janel stehen auch Sprüche an den Wänden. Wenn ich die lese, wird mir ganz warm ums Herz. Auch wenn die Vorstellung, dass sie zurückkommt und uns rettet, absolut lächerlich ist.«
Dango lachte und umarmte ihn. »Merkst du es denn nicht? Das tut sie bereits. Wir sind ihre Hände und ihr Schwert. Wir retten Jorat in
ihrem Auftrag.«
Sir Baramon rang sich ein Lächeln ab. »Was würde ich nur ohne dich tun?«
Dango zog ihn an sich. »Dich elend fühlen, vermutlich …«
Bruder Qaun beendete die Hellsicht und blies die Luft aus. Dann blieb er einen Moment lang nachdenklich sitzen.
Janel hatte ihre Anweisungen und Erkenntnisse mithilfe der Feuerblüter weitergeleitet, wohlwissend, dass kein Yorer oder Westquurer ihre Sprache verstand.
247
Sie hatte eine Möglichkeit gefunden, ihren Leuten in Jorat Nachrichten zukommen zu lassen, und versorgte sie seither mit detailliertem Wissen über die Fähigkeiten, die Pläne und die Truppenstärke der Yorer. Und da Janel Yor nie verließ, schöpfte niemand Verdacht.
Janel Danorak hatte die Rebellion in Jorat die ganze Zeit angeführt.
»Und?«, fragte Relos Var. »Hast du etwas Interessantes herausgefunden?«
Bruder Qaun fuhr zusammen und blieb einen Moment verängstigt sitzen. Er hatte das dumme Gefühl, mit der Hand im Honigtopf erwischt worden zu sein. Relos Var hatte sich zu ihm an den Tisch gesetzt. Die Kleidung, die der Magier trug, war für das hiesige Wetter ungeeignet, aber natürlich war er durch ein Portal hergereist. Er hatte ein spätes Abendessen mitgebracht: einen Saj-Fladen, Safranreis mit Gemüse, mit Pilzen gefüllte Paprikas und eine gedünstete Aubergine, die in Öl und Gewürzen schwamm.
Qaun wurde bewusst, dass Var ihm eine Frage gestellt hatte, und diesmal spürte er auch den Schmerz, der ihn zum Gehorsam zwang. Er musste antworten.
»Ja«, keuchte er und umklammerte die Tischkante.
»Ah, gut«, erwiderte Relos Var und lächelte den jungen Priester an. »Komm zum Abendessen und erzähl mir alles darüber.«
Als Qaun am Tisch Platz nahm und sich an den verschiedenen Speisen bediente, hatte er das Gefühl, an seiner eigenen Hinrichtung teilzunehmen. Es war eamithonisches Essen. Vermutlich hatte Loma es im Kloster zubereitet. Er sparte immer zu sehr am Kardamom, machte dafür aber einen köstlichen Eintopf.
Qaun tauchte aus seinen Gedanken auf. »Tut mir leid, ich wollte nicht … Ihr habt mich überrascht.«
»Mir tut es leid. Wir waren in letzter Zeit alle sehr beschäftigt.« Relos Var aß eine
gefüllte Paprika. »Weißt du, Loma verwendet nie genug Kardamom.«
»Das habe ich auch immer gesagt. Ich glaube, er hat Angst, es zu verschwenden, weil es so teuer ist.«
Relos Var wedelte mit einem Stück Fladenbrot. »Mit dieser Einstellung beweist er nur, dass er materiellen Gütern zu viel Bedeutung beimisst.« Er verstummte und verzog das Gesicht. »Entschuldige bitte, das war etwas, das Vater Zajhera gesagt hätte.«
»Schon gut.« Aber Qaun fühlte sich alles andere als gut – nichts würde je wieder gut werden. Er konzentrierte sich auf das Essen. Von dem köstlichen Geschmack bekam er nichts mit, da er nur darüber nachdenken konnte, dass er noch vor dem letzten Bissen alles verraten musste.
»Es muss schlimm sein. Sieh mal, wie du zitterst.«
Qaun schob seinen Teller weg.
»Erzähl es mir«, sagte Relos Var.
»Janel hat herausgefunden, wie sie im Schlaf mit Arasgon kommunizieren kann. Anschließend teilt er ihre Befehle und Erkenntnisse den anderen Feuerblütern mit, die sie wiederum an die Menschen aus den Widerstandsgruppen weiterleiten. Dazu benutzen sie entweder Portale, oder sie laufen zu ihnen. Janel organisiert die Rebellen und durchkreuzt so Euren Plan, Herzog Xuns Autorität in Jorat zu untergraben. Sie untergräbt seine Autorität zwar auch, aber zu ihrem eigenen Vorteil, nicht zu Herzog Kaens.«
»Wie soll das gehen? Die Jorater müssen doch glauben, dass sie tot ist.«
»O nein. Die meisten Jorater werden Euch erklären, dass Janel während des Duells mit Euch nicht gestorben ist. Sie ist entweder zu den Göttern aufgefahren, oder sie hat Euch ausgetrickst und ist entkommen. Manche sagen auch, Khored hätte sie dazu auserkoren, Jorat zu retten. Eine Legende stirbt nun mal nicht so leicht. Ich konnte nie beobachten, wie ihre menschlichen Anhänger sich austauschen – die Pläne werden von anderen weitergegeben. Janel hat ihnen bestimmt von Weltenfeuer und dem Namen aller Dinge erzählt. Sie wissen also, dass sie unter Beobachtung stehen. Aber da alle Jorater von klein auf die Sprache der Feuerblüter verstehen, können diese ihnen ganz offen Befehle überbringen. Mir ist noch nicht klar, was sie mit den Marakorern vorhaben, aber sie haben sich bestimmt was ausgedacht.«
»Moment, die Marakorer? Was haben die damit zu tun?«
»Sie werden in großer Zahl rekrutiert. Sie wenden den gleichen Trick an wie die Soldaten von Herzog Kaen und verkleiden sich als Jorater. Da seit dem Lonezh-Höllenmarsch zahlreiche Dörfer leer stehen, können sie verwaiste Bauernhöfe übernehmen und so tun, als gehörten sie zur Landbevölkerung. Und sie lernen kämpfen. Sobald sich genug von ihnen in einer Provinz angesiedelt haben, setzen Janels Rebellen den örtlichen Herrscher ab und übertragen einem der Ihren das Kommando. Wenn sie genügend Provinzen auf ihre Seite gezogen haben, können sie als Nächstes einen ganzen Kanton übernehmen …« Qaun schüttelte den Kopf. »Ich weiß, Kaen wollte Jorat in große Gefahr bringen, um aller Welt zu demonstrieren, dass Herzog Xun unfähig ist, sein Volk zu beschützen. Janel zäumt das Pferd von hinten auf. Sie fängt klein an und arbeitet sich langsam hoch.«
Relos Var lehnte sich zurück. »Janel …? Hinter alldem steckt unsere Janel?«
Qaun zuckte zusammen. »Ja, Herr. Sie hat von Anfang an die Schwarzen Ritter angeführt.«
Relos Var wirkte erstaunt und begann zu lachen.
Bruder Qaun schaute ihn verständnislos an. Dann blickte er sich um, ob zwischenzeitlich noch jemand den Raum betreten hatte. Vielleicht war aber auch ein Witz über einen Morgag, eine Vané und einen Hohen Lord über seinem Kopf aufgetaucht.
»O Qaun.« Relos Var schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Das ist wunderbar. Ich könnte nicht stolzer sein.« Er hob die Hand. »Ich erlaube dir, Kaen anzulügen. Sag ihm davon kein Sterbenswörtchen. Denk dir bei deinen nächsten Berichten für ihn irgendwas aus. Verrate ihm bloß nicht, was vor sich geht.«
Nun verstand Qaun gar nichts mehr. »Was?«
Var lächelte ihn an. »Mein Junge, hätte ich all die Jahre in Janel Danorak investiert, wenn sie nicht wichtig für meine Pläne wäre?« Er wartete Bruder Qauns Antwort nicht ab. »Ich muss zugeben, als sie mich in Atrine herausgefordert hat, hielt ich das für einen verhängnisvollen Fehler. Und seit sie hier ist, war sie so kooperativ, dass ich glaubte, sie hätte resigniert. Aber ich hätte es besser wissen sollen. Wann hat Janel je klein beigegeben? Fantastisch!«
Qaun fühlte sich wie betäubt. Der Verrat an Janel schmerzte ihn sehr, aber er hatte eigentlich damit gerechnet, dass Var außer sich vor Zorn sein würde. Stattdessen schien
er froh, wenn nicht sogar glücklich. Qaun wurde aus dieser Reaktion nicht schlau. »Ich verstehe nicht.«
Var beugte sich vor. »Wenn du sichergehen willst, dass du eine Pferdewette gewinnst, musst du auf alle
Pferde setzen. Ich habe Kaen dazu gedrängt, Yor und Jorat miteinander zu vereinen, weil wir diese Stärke bald brauchen werden. Unterdessen hat Janel direkt vor meiner Nase wichtige Schritte unternommen, um Jorat und Marakor miteinander zu vereinen – ein noch besseres Ergebnis, das ich nur nicht angestrebt habe, weil ich es für unerreichbar hielt.«
»Die Quurer werden das nicht durchgehen lassen … Sobald Herzog Xun um ihren Beistand bittet, werden sie einmarschieren.«
»Aber Herzog Xun wird nicht zugeben, dass er ein Problem hat, da das ein Eingeständnis von Schwäche wäre«, entgegnete Relos Var. »Davor hat unser lieber joratischer Herzog höllische Angst. Dass die meisten hohen Adelshäuser dank Kaen kein großes Tamtam um die Unruhen in Jorat machen, spielt Janels Rebellen ebenfalls in die Hände. Der Hohe Rat wird wahrscheinlich erst viel zu spät von der schwierigen Lage in Jorat Wind bekommen. Und wenn die Ratsmitglieder es erfahren …« Er lachte leise. »Ich stelle mir gerade das Gesicht des Obersten Generals Milligreest vor, wenn ihm aufgeht, gegen wen er kämpft. Wie schön, dass mein wildes Füllen noch nicht aus dem Rennen ist.«
»Ich hatte erwartet, dass Ihr Euch mehr aufregt«, gestand Qaun.
Der Magier seufzte bekümmert. »Kaen wird außer sich sein vor Wut und ganz sicher ihre Hinrichtung anordnen. Tu, was du kannst, um ihr zu helfen, Qaun. Und zwar möglichst, ohne dich dabei selbst in Gefahr zu bringen. Ich glaube, ich werde mir bald überlegen müssen, ob ich diesen Mann noch länger vor seinen eigenen schlechten Entscheidungen beschützen möchte.«
»Ihr habt einen Plan, stimmt’s? Wie Ihr die Welt retten wollt, meine ich.«
Relos Vars Lächeln verschwand. »Ja, den habe ich.«
Qaun schnürte es die Kehle zu. In ihm rumorten Gefühle, die er nicht benennen, geschweige denn im Zaum halten konnte. »Ich werde versuchen, ihr zu helfen. Sie … äh …« Er räusperte sich. »Sie versucht, das Zaubern zu erlernen.«
»Wenn sie das für nötig hält … Es wird ihr nichts nützen, wenn wir Urthaenriel aufspüren, aber bis dahin kann es ihr helfen. Mir wäre es allerdings lieber, wenn sie sich auf
ihren Unterricht bei Xivan konzentrieren würde.«
»Urthaenriel?« Qaun setzte sich auf. »Ihr sucht nach Urthaenriel?« Natürlich hatte er vom Untergang der Könige gehört, dem legendären magischen Schwert der quurischen Kaiser, aber er hatte geglaubt, es wäre für immer verloren – oder hinge als Schmuckstück an der Wand des Vané-Königs.
»Ja«, sagte Relos Var. »Und wäre es irgendein anderes Schwert, müsste ich nur den Namen aller Dinge fragen, wo es sich befindet. Schade, dass das bei Urthaenriel nicht geht. Wir werden es nämlich bald brauchen.«
»Wozu?«
Relos Var stand lachend auf. »Weil es unter anderem auch Gottesschlächter genannt wird, mein lieber Junge. Und Götter umbringen ist schließlich das, was wir vorhaben.«