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Wieder zurück

ZÜRICH, MONTAG, 6. AUGUST – 09:15 UHR

Kommissar Eschenbach hatte sich seine Rückkehr anders vorgestellt.

Nicht dass er einen roten Teppich erwartet hätte, das nicht. Öffentliche Empfänge waren ihm ein Gräuel. Auf Blaskapellen (auch die der Polizei) reagierte er allergisch. Einfach nur ruhig und beschaulich, das wäre schon gut gewesen. Noch einmal richtig ausschlafen, ein gemütliches Frühstück bei Sprüngli und ein anschließender Morgenspaziergang ins Büro. Das hätte ihm gepasst, und eigentlich wäre es auch mehr als recht gewesen, nach einer Auszeit von über drei Monaten.

»Sind Sie schon wach, Kommissario?«

»Es geht«, antwortete er und sah auf das Display seines Handys. Null-Neun-Fünfzehn stand dort, in digitalen Lettern. Aber was bedeutete das schon? AM oder PM – Tag oder Nacht?

Am Nachmittag zuvor war er in Zürich gelandet, in einem Flugzeug der Swiss, auf dem Sitz Nummer 48 in der Holzklasse. Mit halbtauben Beinen hatte er sich danach in die S2 gezwängt und war, zusammen mit einem Heer von verschwitzten rückkehrenden Urlaubern, Tagesausflüglern und jugendlichen Mitgliedern eines Fußballvereins, bis zum Hauptbahnhof gefahren. Erst in der Bahnhofstrasse, den schweren Rollkoffer vor sich herschiebend, hatte er realisiert, dass es ein wunderschöner Tag war, auch in Zürich, an diesem Sonntag Anfang August.

»Frau Köhler hat mir eigentlich verboten, Sie anzurufen«, sagte Rosa Mazzoleni zögerlich am Telefon. »Aber jetzt sage ich zuerst einmal: Herzlich willkommen zu Hause.«

»Danke.«

»Weil … also.« Rosa räusperte sich. »Frau Köhler hat gemeint, die Sache sei so sonnenklar, dass Claudio sie nun zügig abschließen solle.«

»Welche Sache?«

»Die am Kreuzplatz …« Rosa zögerte einen Moment. »Ich habe es Ihnen doch geschrieben.«

»Geschrieben?«

»Per E-Mail.«

Eschenbach schwang seine Beine aus dem Bett und stand auf. »Ich bin erst gestern gelandet«, grummelte er.

»Gestern?«

»Aus Los Angeles, Frau Mazzoleni …«

»Das weiß ich doch«, unterbrach sie ihn. »Aber wir dachten, Sie wären schon seit Donnerstag wieder hier?«

»Dann hätte ich mich doch gemeldet.«

Eine Pause entstand.

Der Kommissar ging ins Wohnzimmer, zog die Vorhänge auf und blinzelte. Eine strahlende Augustsonne wärmte sein Gesicht. Was für ein herrlicher Morgen, dachte er und fuhr sich mit der Hand durchs dunkle Haar. »Es tut mir leid, Frau Mazzoleni. Blöd, saublöd … ich hätte kurz anrufen sollen. Ich habe meinen Rückflug auf Sonntag verschoben. Also auf gestern. Weil Kathrins Studienprogramm an der UCLA, also sie hatte noch ihre Prämierung.«

»Ach so.«

»In Los Angeles.«

»Ja.«

»Sie hat übrigens mit First Grade bestanden. Und jetzt macht sie noch ein paar Wochen Ferien mit zwei ihrer Kommilitonen.«

»First Grade …«, sagte Rosa leise. »Das ist gut, nehme ich an.«

»Sehr gut.«

»Prima.«

»Ja.«

Wieder entstand eine Pause. Und weil Eschenbach inzwischen wach war und seine Sekretärin nur zu gut kannte, ahnte er, dass es im Präsidium alles andere als prima lief. »Ist es schlimm?«, fragte er.

»Was?«

»Wie’s so läuft, meine ich.«

»Hier?«

»Wo denn sonst, Frau Mazzoleni.«

»Machen Sie sich selbst ein Bild«, sagte sie halblaut. »First Grade jedenfalls ist es nicht.«

»Und am Kreuzplatz«, hakte der Kommissar nach, »was ist dort?«

»Sie haben einen Toten gefunden … und wie ich Ihnen geschrieben habe – egal.« Rosa seufzte. »Ein alter Mann ist es, auf jeden Fall. Der ist beziehungsweise war schon ein paar Tage dort gelegen. Suizid … mein Gott, ich schreibe Ihnen eine ausführ-liche E-Mail, und jetzt muss ich das alles noch mal erzählen.«

»Ich schaue mir die Sache an«, sagte Eschenbach. Er hatte die Tür zur Terrasse geöffnet und trat in Unterhosen und mit einem weißen T‑Shirt bekleidet ins Freie. »War es eigentlich die ganze Zeit so schön hier?«

»Wie meinen Sie das jetzt?«

»Schon morgens über zwanzig Grad … ein Hammerwetter!«

»Ach, das.«

Eschenbach winkte einer Nachbarin zu, die schräg gegenüber auf ihrem Balkon Wäsche abnahm.

»Claudio hat die Spurensicherung aufgeboten«, sagte Rosa und verfiel in einen seltsam unbeteiligten Ton, so als lese sie aus einem Telefonbuch vor. »Aber wissen Sie, weitere Abklärungen sind ja überhaupt nicht nötig … darum hat die Köhler alles wieder abgeblasen. Ein alter Mann stirbt. Womöglich hat er sich selbst getötet, was weiß ich. Jedenfalls liegt er dann über Tage mitten in Zürich in einer Wohnung und wird zu-fällig gefunden, weil die Vermietung die Rollläden reinigen will. Die Rollläden, ist das nicht interessant? Und keiner merkt es. Ist ja auch normal. Nun ja … was soll ich mich da aufregen. Völlig normal. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn man ihn nicht gefunden hätte. Wie lange liegt man dann einfach so tot herum? Einen wunderschönen Tag, Kommissario … genießen Sie die Sonne. Ist ja auch nirgendwo so schön wie hier in bella Zurigo. Buongiorno

Rosa hatte aufgelegt.

»Scheiße«, murmelte Eschenbach auf dem Weg in die Küche. Im Frigo fand er eine halb volle Packung Arabica-Bohnen und machte sich, nachdem die Espressomaschine die richtige Betriebstemperatur anzeigte, einen Kaffee. Nachdenklich trank er ihn, stehend, ohne Zucker und schwarz.

Was zum Teufel war los? Er hatte Rosa noch nie so erlebt. Seine Sekretärin mit ihrem lebhaften Temperament, normalerweise ein Ausbund an Heiterkeit, klang so, als würde eine Vinylscheibe nur noch mit halber Geschwindigkeit drehen. Und dies bei stark reduzierter Lautstärke wohlverstanden. Ein Jammer.

Eine Weile verharrte der Kommissar vor dem Strauß mit Sonnenblumen, den Rosa ihm auf den Küchentisch gestellt hatte, zusammen mit dem kleinen Kärtchen, auf das sie mit schwungvoller Schrift geschrieben hatte: Benvenuto Kommissario.

Er hatte sich noch nicht einmal bei ihr bedanken können. Alles ging so schnell. Plötzlich, wie aus dem Nichts, stand ein neuer Fall an – und schon hatte ihn alles wieder eingeholt. Der ganze Zürcher Polizeiapparat ging ihm auf die Eier, nervte gewaltig, obwohl er eigentlich noch gar nicht richtig angekommen war. Sollten Claudio und seine Stellvertreterin, diese Ivy Köhler, den Fall doch ohne ihn zu Ende bringen – wenigstens diesen einen, dachte Eschenbach. Er würde still an der Seitenlinie stehen und zusehen – und, je nach Ausgang, am Ende sogar applaudieren. Bravissimo – oder wie die Amerikaner riefen: Well done!

Einen Jetlag hatte er, das war Eschenbach klar: Seine Füße waren bereits da, der Kopf aber noch am Pazifik. So kurz vor knapp zurückzukommen war keine gute Idee gewesen. Aber Kathrin ging nun mal vor. Sein Neuanfang im Präsidium konnte also gar nicht in Harmonie beginnen. Ganz abgesehen davon, dass es damals im Mai auch nicht in Harmonie geendet hatte. Für den Kommissar war es klar gewesen, dass Claudio Jagmetti ihn während der drei Monate seiner Auszeit vertreten würde, doch die Polizeichefin war ihm reingegrätscht und hatte diese Ivy Köhler installiert.

Zwanzig Minuten stand er unter der Dusche, bevor er sich anzog und mit dem Telefon am Ohr seine Wohnung verließ.

»Mensch, Claudio«, sagte er, als er seinen Kollegen endlich erreicht hatte. »Hast du einen Moment Zeit? Ich würde mich gerne mit dir treffen … am Klusplatz.«

»Wieso Klusplatz?«

»Die Sache mit diesem alten Mann. Rosa Mazzoleni hat mich kurz ins Bild …«

»Kreuzplatz, meinst du.«

»Ja, klar.«

Claudio nannte ihm die genaue Adresse. »Habicht, Walter … oberste Wohnung. Ich bin in dreißig Minuten dort.«


Das Haus war ein Betonbau aus den Siebzigerjahren. Nichts Besonderes. Im Treppenhaus roch es muffig, und in einer Ecke bemerkte Eschenbach einen großen Schimmelfleck, den jemand notdürftig mit heller Farbe überstrichen hatte. Insgesamt zählte er fünf Wohnungen: Im Erdgeschoss und in der ersten Etage befanden sich je zwei Wohnungen. Jene von Walter Habicht lag zuoberst.

»Sind Sie von der Polizei?«, fragte eine helle Stimme.

Überrascht drehte sich Eschenbach auf dem Treppenabsatz des ersten Stocks um. Er entdeckte eine spaltweit geöffnete Wohnungstür. »Ich … ähm, ja«, sagte er und lächelte.

»Haben Sie einen Ausweis?«

Eschenbach griff in die Hosentasche und zuckte danach mit den Schultern. »Komme direkt aus den Ferien«, meinte er. »Ich muss ihn wohl zu Hause liegen gelassen haben. Mein Name ist Eschenbach … ich bin der Leiter der Kriminalpolizei des Kantons.«

»So sehen Sie aber nicht aus.«

»Wie müsste ich denn aussehen?«

»Eine Uniform … wenigstens eine Krawatte.«

Der Kommissar lachte. »Und eine Pistole?«

»Haben Sie eine?« Der Türspalt wurde breiter, und ein kleiner Junge in einem ausgebeulten hellblauen Pyjama kam zum Vorschein. Er hatte krauses Haar und sah den Kommissar mit großen, dunklen Augen an. »Ich habe auch eine Pistole … eine BB‑Gun. Willst du sie sehen?«

»Kerim!«, rief eine weibliche Stimme.

Eschenbach trat auf den Jungen zu, ging in die Hocke und meinte: »Ich glaub, deine Mama ruft dich.«

»Großmama«, erwiderte der Kleine.

»Chantal Weber«, sagte eine Stimme über ihm.

Eschenbach richtete sich auf und sah der großen blonden Frau direkt in die Augen. »Es tut mir leid, wenn ich störe.«

»Polizei?«

Er nickte.

»Immer noch wegen dem da?« Sie deutete mit dem Daumen nach oben.

Eschenbach nickte.

»Ich hab den nie gesehen«, sagte die Frau. »Müssen Sie wissen … nie gesehen, obwohl ich oft hier bin und mich um den Kleinen kümmern muss. Irgendjemand muss sich ja um den kümmern, wenn die Männer Reißaus nehmen und die Tochter … Ist eine Schande, das.«

»Absolut«, unterbrach der Kommissar den Redeschwall der Frau. »Und Ihre Tochter …«

»Die arbeitet natürlich«, kam es prompt und wie aus der Pistole geschossen. »Jemand muss ja arbeiten.«

»Selbstverständlich«, warf Eschenbach ein und fragte die Frau rasch, ob sie denn nicht etwas bemerkt habe. »Ein voller Briefkasten, Besuch … irgendetwas halt.«

»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Aber ich glaube, der ist nie rausgegangen. Niemand im Haus hat den gekannt. Also, Sie könnten mir jetzt irgendein Foto zeigen, und ich müsste lügen. So ist das.«

»Alles klar.«

»Nein, klar ist das nicht«, meinte die Frau. Und nicht mehr in denselben Stakkato-Sätzen wie vorher, sondern leise und zögerlich sagte sie: »Es ist beängstigend, Herr Kommissar … und irgendwie traurig. Das ganze Treppenhaus riecht wie ein Strauß Lilien, der längst hinüber ist. Aber nicht im Traum hätte ich gedacht, dass da oben eine Leiche liegt, die langsam vor sich hin modert wie ein totes Tier.«

»Ja.« Eschenbach schluckte. Er wusste nicht, was er dem noch hinzufügen sollte. Und als Claudio Jagmetti just in diesem Moment durch die Eingangstüre gestürmt kam, war er froh.

»Sorry«, rief Jagmetti durchs Treppenhaus und stieg dann, immer drei Stufen auf einmal nehmend, in den ersten Stock hoch. »Ging nicht früher«, schnaufte er, als er bei Eschenbach angekommen war.

Der Kommissar sah seinem Kollegen einen Moment in die Augen, dann umarmten sie sich.

»Mich braucht’s dann wohl nicht mehr«, meinte die Frau. Sie wollte die Tür gerade schließen, als Jagmetti auf sie zutrat und ihr Eschenbach vorstellte.

»Ihr Chef also«, sagte Frau Weber.

Der Kommissar lächelte. »Machen Sie sich keine Umstände. Ich schaue mir jetzt die Wohnung an, und wenn noch etwas ist, melde ich mich bei Ihnen.«

Sie nickte kurz und schloss danach die Tür.

Die Wohnung von Habicht war groß und hell. Obwohl intensiv gelüftet worden war, wie Jagmetti erzählte, war noch immer ein feiner Geruch von Verwesung wahrnehmbar. Alles war aufgeräumt. Habicht musste ein ordentlicher Mensch -gewesen sein, dachte der Kommissar, als er die Räume ins-pizierte. Zwei Schlafzimmer, Küche, Bad und ein riesiges Wohnzimmer mit Kamin. Alles picobello aufgeräumt. Und hochwertig eingerichtet, hochwertiger, als es das Haus von außen vermuten ließ.

»Habt ihr etwas Besonderes gefunden?«, fragte der Kommissar.

Jagmetti schüttelte den Kopf. »Viele Bücher …« Er deutete auf die Regale, die überall entlang den Wänden standen. »Technische Literatur, Fachbücher über Zellbiologie, Physik, Mathe, Programmiersprachen, was weiß ich. Einige Ordner mit Vorlesungsunterlagen.«

»Hat der irgendwo unterrichtet?«, wollte Eschenbach wissen.

»Habicht war Assistenzprofessor an der ETH, Mitte der Siebzigerjahre«, sagte Jagmetti. »So viel haben wir in der kurzen Zeit herausgefunden. Soziobiologie irgendwas, so genau habe ich das nicht mehr im Kopf. Dann ist er für ein Forschungsjahr nach Amerika und anscheinend dortgeblieben. Das sagen die Leute von der ETH. Viel mehr wissen wir noch nicht.«

»Und wie lange ist es gegangen, bis man ihn gefunden hat … hier in der Wohnung, meine ich?«

»Puh.« Jagmetti sah zur Decke. »Vier oder fünf Tage. So genau konnte das Salvisberg noch nicht sagen. Es ist Ferienzeit, da kann das schon passieren.«

»Ferienzeit?« Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Hatte der denn keine Verwandten, Bekannte … Freunde? Das ist doch nicht normal, dass so einer vor sich hin gammelt.«

»Tja …« Eschenbachs Kollege verzog den Mund. »So kann es eben gehen.«

»Blödsinn«, sagte der Kommissar.

»Sei doch mal ehrlich.« Jagmetti sah Eschenbach an. »Wie oft hast du mich denn angerufen in den letzten drei Monaten?«

Der Kommissar sah Jagmetti eine Weile schweigend an. Der fünfunddreißigjährige Bündner hatte die dunklen, fast schwarzen Haare kurz geschnitten, die Koteletten waren weg. Unter den hohen Wangenknochen zeichnete sich ein feiner Schatten ab. »Hast du abgenommen?«, fragte der Kommissar schließlich.

»Fünf Kilo.«

Eschenbach nickte. »Ich habe nicht ein einziges Mal angerufen, wenn du das meinst.« Und leise fügte er hinzu: »Ich war fertig … fertig und müde. Aber das ist keine Entschuldigung, ich weiß.«

»Schon gut.«

Auch wenn Claudio nun lachte und seine makellosen Zähne zeigte (in Hollywood hätte man ihm dafür vermutlich einen Oscar verliehen), so bekam Eschenbach doch eine Ahnung davon, wie traurig und frustriert sein Kollege war. Es musste im Präsidium einiges im Argen liegen.

»Die Wohnung wirkt irgendwie leer«, sagte der Kommissar und sah sich wieder um.

»Ist sie ja auch.«

»Das meine ich nicht … Lass uns noch einmal alles durchgehen. Wie alt war der Mann?«

»Siebenundsechzig.«

»Eben.« Der Kommissar ging auf die Knie und warf einen seitlichen Blick über den Boden. »Der ist neu«, sagte er. »Frisch verlegtes Holzlaminat.«

»Der Boden?« Claudio klang ungeduldig.

»Ja.« Eschenbach erhob sich wieder. »Ist dir das nicht auch aufgefallen? Ich meine, der Mann ging gegen die siebzig. Alte Menschen bewahren in ihren Häusern ihr halbes Leben auf, stellen alles voll. Und hier …« Eschenbach machte eine ausufernde Bewegung mit dem Arm. »In diesem Wohnzimmer könnte man Tennis spielen, auf blitzblankem Belag, wohlverstanden.«

Jagmetti, der neben dem Kommissar stand, steckte die Hände in die Hosentaschen. »Meinst du, jemand hat hier aufgeräumt?«

»Und ob.«

Jagmetti hob die Schultern. »Wir haben die ganze Nachbarschaft befragt. Wenn hier ein Boden verlegt worden wäre … Ich kann mir das nicht erklären.«

»Habt ihr denn konkret danach gefragt?«

»Hör mal«, setzte Jagmetti an, sichtlich genervt, »meinst du, ich mach den Job zum ersten Mal? Wir haben die alle gelöchert …«

»Und?«

»Nichts … eben NICHTS!« Jagmetti hob die Hände in die Luft. »Die sagen alle das Gleiche. Dass sie nämlich den Bewohner gar nicht kannten. Nie gesehen, nix gehört. Verstehst du?«

»Nein«, sagte Eschenbach. »Das verstehe ich nicht.«

»Ach, leck mich doch.«

Schweigend gingen sie in die Küche.

»Rosa hat etwas von Suizid gesagt«, startete Eschenbach einen neuen Versuch. Er warf einen Blick in den Kühlschrank: Butter, Käse, Mozzarella, zwei unterschiedliche Konfitüren, Salatfertigsoßen, eine Dose mit Rahmquark und so weiter. »Ist das sicher?«

»Überhaupt nicht«, meinte Jagmetti und beobachtete Eschenbach missmutig, der die Ablaufdaten der Lebensmittel kontrollierte. »Das Zeugs ist teilweise schon seit Wochen abgelaufen. Findest du alles in meinem Schlussbericht.«

»Hast du den schon fertig?«

»Nein.«

»Gut. Dann kannst du die Sache mit dem frisch renovierten Boden noch abklären. Frag bei der Hausverwaltung nach. Über das Fabrikat finden wir vielleicht auch die Handwerker, die ihn verlegt haben.«

»Kannst du vergessen«, sagte Jagmetti kopfschüttelnd. »Ich muss den Bericht bis Mittwochabend fertig haben.«

»Sagt wer?«

»Die Köhler.«

»Soso«, machte Eschenbach. »Und der Bericht von Salvisberg?«

»Kommt morgen.«

»Wollt ihr einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen?« Der Kommissar schloss den Kühlschrank wieder. »Nimm dir bitte die Zeit, die du brauchst. Das geht mir alles ein wenig zu schnell.«

»Das gibt Ärger, glaub mir.«

»Dann ist das halt so«, meinte der Kommissar. Sein Blick fiel auf einen Kalender, der mit Magneten am Kühlschrank befestigt war. »Und was ist mit dem hier?«

»Was soll da schon sein?«

»Da steht überhaupt nichts drauf.«

»Eben.«

»Kein Name … nicht ein einziger Eintrag.« Eschenbach löste das Papier, das ungefähr die Größe eines DIN‑A3-Blattes hatte, vom Kühlschrank und hielt es gegen das Licht. »Kommt dir das nicht merkwürdig vor?«

Jagmetti wusste nicht, was er sagen sollte.

»Also, ich finde das komisch.«

»Wieso ist das komisch?«

»Ich habe exakt denselben Kalender zu Hause bei mir. Den hat es vor drei Jahren in meiner Apotheke gegeben.« Eschenbach deutete mit dem Kinn in Richtung Kalender. »Da steht sogar die Jahreszahl.«

»Und jetzt?«

»Da hängt sich einer diesen Kalender an den Kühlschrank und schreibt nichts rein.« Eschenbach schüttelte den Kopf. »Verstehst du? Trägt sich nichts ein. Über all die Jahre. Keinen einzigen Termin, keine Geburtstage, Hochzeitstage, was weiß ich. Saukomisch.«

»Okay«, kam es von Jagmetti.

Der Kommissar faltete das Blatt zweimal. »Ich nehme das jetzt einfach mit, darf ich schon, oder?«

»Von mir aus.« Jagmetti nickte, wobei der Kommissar ihm ansah, dass ihm nicht wohl dabei war.